Demographisch-ökonomisches Paradoxon

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Mit dem Begriff Demographisch-Ökonomisches Paradoxon wird die global gültige Beobachtung beschrieben, wonach Gesellschaften um so weniger Kinder bekommen, je wohlhabender, freier und gebildeter sie sind.

In (engerer) wirtschaftswissenschaftlicher Formulierung lautet das Paradoxon: Je höher das Pro-Kopf-Einkommen und der Bildungsgrad einer Menschen-Population, desto niedriger ist deren Geburtenrate.

Diese Beziehung besteht weltweit erst in den letzten Jahrzehnten, in Mittel- und Westeuropa jedoch bereits seit etwa 1850/1880. Vor dieser Zeit war es die soziale Oberschicht, deren Kinder bis zum Heiratsalter in der größeren Zahl überlebten.

Erkenntnistheoretische Brisanz

Das Paradoxon ist keinesfalls eine banale Beobachtung, denn damit widerspricht das menschliche Reproduktionsverhalten in der Industriegesellschaft dem biologisch gängigen: von Einzellern bis hin zu höheren Tieren nutzen Lebewesen den Zugang zu Nahrungsressourcen zur Vermehrung und zur Arterhaltung. Sowohl Thomas Robert Malthus als auch, ihm in dieser Frage folgend, Charles Darwin gingen davon aus, daß der Mensch sich wie das Tier um so schneller vermehre, je mehr Mittel ihm zur Verfügung stünden, und es galt auch noch in ihrer Zeit. Das offensichtlich abweichende Verhalten des modernen Menschen und dessen mögliche Folgen beschäftigt sowohl Biologen wie Wirtschaftswissenschaftler und Demografen.

Kein Paradoxon vor der Moderne

Bis weit ins 19. Jahrhundert war es vor allem der vollbäuerliche Bevölkerungsanteil, der einen ständigen und oft sehr hohen Bevölkerungsüberschuss erzeugte, während die unterbäuerlichen Schichten oft so dicht am Existenzminimum verblieben (und deshalb eine so hohe Kindersterblichkeit aufwiesen), daß sie nicht einmal ihre eigene Zahl reproduzieren konnten und in jeder Generation durch sozial absteigende Bauernsöhne und -töchter ergänzt werden mußten. Stadtbevölkerungen und besonders größere Städte wiesen vor 1800 fast generell einen Überschuß der Gestorbenen aus, und hier natürlich vor allem wieder die städtische Unterschicht. Für Malthus, Süßmilch und Darwin gehörten derartige Verhältnisse zum Allgemeinwissen ihres Alltags.

Erst der demographische Übergang bringt das Paradoxon hervor

Der demografische Übergang war von Anfang an mit der Beobachtung verbunden, daß die Oberschicht die Geburtenzahl früher und stärker verringerte als die Unterschicht. Damit ließ sich das demographisch-ökonomische Paradoxon bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert aus den Bevölkerungsstatistiken ablesen und löste bereits zu dieser Zeit die ersten Debatten aus. Bis heute wird das Thema immer wieder aufgegriffen. Denn einerseits unterscheidet sich der Mensch an dieser Stelle offensichtlich vom tierischen Verhalten, andererseits stellt das Paradoxon gängige Ansichten vom Wesen des Fortschritts in Frage.

Europa erlebte noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts eine Bevölkerungsexplosion, gegen die das Abschmelzen der Oberschichten vielen als relativ unbedeutend erschien, da der zahlenmäßige Ausfall leicht durch sozialen Aufstieg aus den Mittel- und Unterschichten ausgeglichen werden konnte. Dennoch gab es bereits am Ende des 19. Jahrhunderts warnende Stimmen, die auf die möglichen Folgen der geringen Geburtenzahlen in den Oberschichten hinwiesen und langfristig eine dysgenische Entwicklung vorhersagten. Diese Warnung wurde vor allem von Francis Galton ausgesprochen, dessen Name untrennbar mit der Idee einer Eugenik verbunden ist.

Heute ist das Paradoxon aufgrund der Datenlage nicht umstritten, die Debatte über Ursachen und Schlußfolgerungen scheint aber immer noch am Anfang zu stehen.

Erklärungsansätze

Kinder als Humankapital

Der bekannteste Erklärungsansatz versucht, das Paradoxon wirtschaftswissenschaftlich zu erklären: Wohlhabende Erwachsene sind nicht auf Altersversorgung durch eigene Kinder angewiesen, ihnen entstehen vielmehr hohe Kosten. Daher sei es ökonomisch rational, die Zahl der eigenen Nachkommen niedrig zu halten oder ganz auf sie zu verzichten.

Der monetäre Nutzen eines Kindes besteht nach herrschender Meinung in einer langfristigen Erhöhung des Elterneinkommens und in einer besseren Absicherung des Elternteils gegenüber unsicheren Ereignissen. Diese Auffassung läßt sich als „Arbeitsnutzen“ bezeichnen und der zweite aufgeführte Aspekt als sogenannter „Vorsorgenutzen“.

Der Arbeitsnutzen eines Kindes besteht in einer Erhöhung des Elterneinkommens während der Zeit, in der das Kind ein eigenes Einkommen erwirtschaftet und einen Transfer an die Eltern vornimmt. Deswegen steigt die Bedeutung eines erwachsenen Kindes, wenn dieses über ein höheres Einkommen verfügt.

Der Vorsorgenutzen bezieht sich auf die Versorgung der Eltern etwa bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit. Dabei kommt es aber auf die Ausgestaltung des Systems der sozialen Sicherung an. Je höher das Einkommen, desto geringer ist die Relevanz des Vorsorgenutzens eines Kindes für die potentiellen Eltern.

Der nicht-monetäre Nutzen eines Kindes äußert sich darin, daß die Kinder nicht als Last, sondern als größte Freude im eigenen Leben betrachtet werden. Als weiterer Gesichtspunkt spielen die Lebensstile von Frauen eine Rolle. Dabei unterscheidet man:

  • ausschließlich berufsorientierte Frauen
  • familien- bzw. haushaltsorientierte Frauen
  • Frauen, die das „Beste aus beiden wollen“

Der soziale Nutzen bezieht sich auf die gesellschaftliche Anerkennung, die ein Individuum aus seinem sozialen Umfeld erhält, wenn es sich für ein Kind entscheidet.

Die monetären Kosten eines Kindes werden in die beiden Bereiche der direkten und indirekten Kosten aufgeteilt. Als direkte Kosten eines Kindes werden vor allem die direkten Geldaufwendungen für den Lebensunterhalt zusammengefaßt. Die indirekten Kosten eines Kindes werden auch mit dem Begriff Opportunitätskosten bezeichnet. In der Regel werden hier das entgangene Gehalt durch die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit, die Reduzierung der Rentenansprüche oder auch die Verringerung der Karrierechancen in der Berufslaufbahn genannt. Als nicht-monetäre Kosten eines Kindes werden beispielsweise die Freizeiteinbußen oder die zumindest eingeschränkte Möglichkeit zur Selbstverwirklichung der Eltern verstanden.

Die Folgen einer Einkommenssteigerung auf die Kinderzahl werden am besten mit Hilfe der mikroökonomischen Haushaltstheorie verdeutlicht. Dabei werden als Grundannahme das Kind als Investitionsgut und als Konsumgut betrachtet. Bei der Betrachtung als Investitionsgut wird der bereits dargestellte Arbeits- und Vorsorgenutzen betrachtet. Bei der Betrachtung als Konsumgut werden der emotionale und der soziale Nutzen betrachtet.

Deswegen wird von der Zielvorstellung ausgegangen, daß die individuelle Nutzenfunktion unter einer Budgetrestriktion erfolgt, die angibt, wie viele Kinder und andere Konsumgüter sich die Eltern bei gegebenem Einkommen leisten können. Ein hohes Einkommen kann aber auch Auswirkungen auf den Nutzenaspekt haben, indem das zusätzliche Einkommen eines Kindes verzichtbar geworden ist.

Diesen komplexen Erklärungsversuch bestätigen auch die Daten der historischen Demographie: Vor 1850 hatten Adlige, Großindustrielle und wohlhabende Bauern sicher die höchsten direkten Kosten, aber die niedrigsten Opportunitätskosten für ihre Kinder, aus diesem Grunde auch kopfstarke Familien.

Weitergehende These: Biografisches Universum

Einen den finanziellen Ansatz sowohl integrierenden wie erweiternden Ansatz erarbeitete Herwig Birg. Nach seiner Theorie des biographischen Universums gestaltet der Mensch über Entscheidungen seine zukünftigen „Lebensoptionen“. Dazu gehören Fragen des Geldes, aber auch der Partnerschaft, Arbeit und Freizeit, Religion, Freundeskreis usw.

Feste Bindungen (wie Ehe, Kinder) bedeuteten jedoch absehbar einen Verzicht auf Optionen (vor allem weniger Freiheit, Karriere). Kinder würden daher zunehmend zu einer Sache der biographischen Entscheidung.

Zu dieser Beobachtung paßt, daß gerade auch in wohlhabenden und gebildeten Populationen religiöse Personen weltweit durchschnittlich mehr Kinder bekommen als säkulare. Denn sie verzichten aufgrund ihrer Gebote im Regelfall bereits auf viele Optionen, haben also durch Familie weniger Optionskosten (Opportunitätskosten) oder erhalten durch Ehe und Kinder innerhalb ihrer jeweiligen Gemeinschaft sogar einen Zugewinn an Anerkennung.

Auch kann die Theorie erklären, warum menschliche Populationen tendenziell mehr Kinder bekommen, wenn sie gesellschaftlicher oder politischer Diskriminierung ausgesetzt sind: indem ihnen Optionen vorenthalten werden, haben sie geringere Optionskosten durch Kinder als die sie unterdrückende Bevölkerungsschicht.

Zyklische Erklärungen

Wenn alle Industriestaaten – und inzwischen auch die industriellen Schwellenländer – trotz aller Unterschiedlichkeit in ihrer Geschichte von einem einheitlichen Rückgang der Geburten weit unterhalb des Selbstreproduktionsniveaus betroffen sind und in allen das demographisch-ökonomische Paradoxon zu beobachten ist, dann muß die Ursache viel tiefer liegen als in der jeweiligen Landespolitik oder gar Bevölkerungspolitik, die sich – wie schon in Sparta und im Alten Rom – als fast völlig machtlos erweist.

Es liegt deshalb nahe, daß es sich um einen zyklischen Ablauf handelt. Eine Begleiterscheinung dieses Bevölkerungszyklus ist stets die fortschreitende Konzentration der Einwohner in den großen Städten. „Das kulturfähige Menschentum wird von der Spitze her abgebaut, zuerst die Weltstädte, dann die Provinzstädte, endlich das Land, das durch die über alles Maß anwachsende Landflucht seiner besten Bevölkerung eine Zeit lang das Leerwerden der Städte verzögert“, schrieb bereits Oswald Spengler in seinem Buch Der Untergang des Abendlandes.

In den allerletzten Jahren ist mehreren Ökonomen (siehe Literaturhinweise am Schluß) aufgefallen, daß es für die Tatsache, daß die Wohlhabenden von einem bestimmten Punkt an weniger Kinder haben, bislang keine vernünftige Theorie gibt. Eine Erklärung haben sie darin gefunden, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem Zyklus ein Umschlag eingesetzt haben muß, von dem ab die Armen mehr Kinder hatten als die Reichen. Fortgesetzter wirtschaftlicher Aufstieg ist von da an möglich geworden, so daß, anstatt in weitere Kinder, in deren Bildung investiert worden ist und investiert wird. Seitdem setzt Sozialer Aufstieg Bildung voraus. Die Ökonomen sind zumeist der Ansicht, daß diese Entwicklung einen Gleichgewichtszustand ansteuert. Demgegenüber besteht jedoch durchaus die Möglichkeit, daß ein tiefgreifender Zyklus der genotypischen Wertigkeit der Bevölkerung einen verhängnisvollen Kreislauf steuert.

Der demographische Umschlagpunkt im 19. Jahrhundert war auch ein politischer Umschlagpunkt, von dem ab sich die Gesellschaft von größerer Ungleichheit zu größerer Gleichheit entwickelt. Wenn sich heute der Reichtum immer stärker bei Wenigen konzentriert, so ist das nur ein scheinbares Paradox. Die geringen Kinderzahlen der Oberschicht bewirken eine immer stärkere Konzentration ihrer Vermögen, während die Massen relativ zahlreicher und ärmer werden.

Siehe auch

Literatur

  • Herwig Birg: Die demographische Zeitenwende: Der Bevölkerungsrückgang in Deutschland und Europa, Beck 2001, ISBN 3-406-47552-3
  • David de la Croix, Matthias Doepcke: Inequality and growth: why differential fertility matters. September 2002 PDF
  • Oded Galor, Omer Moav: Das Human-Kapital: A theory of the demise of the class structure. Reviews of Economic Studies 73(2006) 85–117 PDF
  • Friedrich Wilhelm Burgdörfer: Geburtenschwund - die Kulturkrankheit Europas (1943)

Verweise