Der Ritt über das Haff

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Der Ritt über das Haff ist ein Gedicht von Gerd Honsik. Das Gedicht wurde erstmals bereits im Jahre 1981 im Gedichtband „Lüge, wo ist dein Sieg“ veröffentlicht. Mit diesem Gedicht versucht Gerd Honsik, das Vertreibungsschicksal der Deutschen aus Ostpreußen literarisch zu verarbeiten.

Text

Eine Flucht aus Ostpreußen
Ein Einzelschicksal mit dichterischer Freiheit, jedoch in Bemühen um historische Wahrhaftigkeit nacherzählt. Die Begleitumstände sind einem Tatsachenbericht der Zeitschrift „Der Spiegel“ über Flucht und Vertreibung entnommen


Die Wehrmacht im Rückzug. Der Hauptmann spricht:
„Wer den Tod herbeisehnt, mag weilen,
doch lasset, Graf, da die Front nun zerbricht,
das gräfliche Fräulein im Schlosse nicht!
Wer sein Leben liebt, der muß eilen!“


Der Graf allein ist zu bleiben bereit,
doch die Tochter will nicht von ihm lassen.
Der Treck längst vorbei schon, es rinnt die Zeit!
„Sattelt ein Roß ihr!“ der Vater schreit,
„bald nahen die feindlichen Massen!“


Der Stallmeister wählt das wildeste Pferd
unter hundert aus im Gestüte,
das im Drang nach vorn sein Feuer verzehrt
doch zum Reiter die sanfte Seele kehrt:
Ein Trakehner von hohem Geblüte!


Es reicht der Vater dem Mädchen empor
noch der toten Mutter Geschmeide,
der Stallmeister füllte den Sattel zuvor
mit Wegzehrung, die er ihr auserkor:
„Mein Fräulein, ‚Glück auf!‘ für Euch beide!“


Und das Tor springt auf – es stürmt in die Nacht
Sleipnir, der Hengst! Welch ein Reiten!
Als hätt er der Hufe nicht vier – nein acht
schlägt der Wirbel, den sein Hufschlag entfacht
durch unendlich scheinende Weiten.


Dampf bricht aus Nüstern, kohlschwarz ist das Tier,
es wogt durch der Wetter Gezeiten,
verwoben im täuschenden Mondlicht schier
dem kostbaren Pelz – der Reiterin Zier –
auf dem golden die Locken sich breiten.


Einst haben gen Osten das Ordensheer
des Hengstes Ahnen getragen.
Doch er flieht mit kostbarer Last zum Meer
und Notzucht und Mord sind hinter ihm her!
Wie getreulich die Hufe doch schlagen!


Der Fluchtweg versperrt schon längst über Land!
Steht der übers Haff noch offen?
Wo der große Treck gestrebt nach dem Strand
übers Eis getrieben von Mord und Brand,
von Fliegern gejagt und getroffen?


Das gefrorene Haff – einer Wüste gleich –
mißt wohl sechzig mal sechzehn Meilen.
Die eisige Flut – hälts begraben bleich –
mit sprödem Eis. Drauf ein Leichentuch weich
von Schnee, das die Winde durcheilen.


Den Weg wies die Wehrmacht dem Elendszug
mit Zeichen aus Kiefernzweigen.
Als Schnee diese deckt gab es Kindlein genug,
erstarrt der Mutter im Arm, die sie trug,
die der Nachhut die Richtung zeigen.


Man nannte sie „Püppchen“, die Leichen zart,
die verwaist – die Spur gestern säumten.
Nun hält der Neuschnee die Opfer verwahrt
und das Eis schloß sich wieder knochenhart
– wo versinkende Rosse sich bäumten!


Die Reiterin hofft auf Fährten der Flucht
doch findet sie nirgendwo Zeichen!
Verloren, wer bang jetzt zaudert und sucht,
denn es gilt – im Rücken der Winde Wucht –
die offene See zu erreichen!


„Wo wollt Ihr denn hin in den Böen schwer?
– Wie wollt Euren Weg Ihr denn finden?“
Kein Stern und der Himmel unendlich leer,
nur der Sturm weist den Weg: landab zum Meer!
So stieben sie denn mit den Winden!


Der Mond bricht durch Wolken, zeigt wüstes Gefild
in silbriggespenstischem Lichte.
Sturm bringt auch Kristalle von Eis und verhüllt
den beiden Mähne und Blondlocken mild:
Erst schmückt er, dann schlägt er zunichte!


Horch! Brandung von fern! Die Wehrmacht! Das Meer!
Sie taumelt, dem Sattel entglitten!
„Sag Mädel, wie ist Dir? Wer bist Du? Wer?
Du und Dein Roß? Sag, wie kamt Ihr hierher?“
„Mit dem Sturm ... übers Haff geritten!“


Umringt von den Unsern! Oh Helme grau!
Sanft haben Soldaten gebettet
zu todwunden Kriegern die junge Frau
auf den letzten Kahn! „Und nun kappt das Tau!“
Eine letzte Seele gerettet!


Der Vater? Die Wehrmacht? Und Sleipnir der Hengst?
Die Schatten im Traum nach Dir fassen!
Kein Tag, wo nicht Bilder versunken längst,
auferstehen und Du derer gedenkst,
die zurück Du im Sturme gelassen.
Gerd Honsik

Filmbeitrag

Gerd Honsik liest „Der Ritt über das Haff“