Der Stummfilm nach dem Ersten Weltkrieg

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Gösta Ekman als junger Faust
Otto Gebühr als König Friedrich II. in „Fridericus Rex"
Bismarck am Grabe des alten Kaisers. (Aus dem letzten Bismarck-Film der Stummfilmzeit)

Der Stummfilm nach dem Ersten Weltkrieg stellte eine Renaissance des Lichtspieles dar, die sich schon 1917 während des Großen Krieges abgezeichnet hatte. Bis zur zweiten Krise 1926, und dem allmählichen Übergang zum Tonfilm, war der Stummfilm als weitgehende Ablösung des klassischen Theaters das ultimative Maß der Unterhaltungskunst.

Inhaltsverzeichnis

Erläuterung

„Die deutsche Filmwirtschaft erlebte in den Zwanzigerjahren einen Prozeß der Konzentration. Im Dezember 1917 wurde die Universum-Film AG, kurz Ufa, gegründet. Die Firma avancierte nach dem Ersten Weltkrieg zunächst zum größten Filmkonzern in Deutschland, nach der Übernahme zahlreicher kleinerer Gesellschaften Anfang der Zwanzigerjahre dann zum größten in Europa. Ähnlich wie die großen Hollywoodstudios verfügte auch die Ufa über Produktionsstätten, einen Verleih und eigene Kinos. Die Qualität des deutschen Films im Allgemeinen und der Ufa im Besonderen war das Zusammenspiel von Raumgestaltung, Lichtführung, Kamerabewegung und Schauspiel, bei dem neben Regisseuren und Akteuren vor allem Kameraleute und Architekten eine herausragende Rolle spielten. In den Ateliers stand die mittelalterlich-ständische Idee der ‚Bauhütte‘ Pate für ein Modell kollektiver Arbeit. Der Film wurde als Gesamtkunstwerk betrachtet, bei dem die Seelenverwandtschaft zwischen den Repräsentanten der einzelnen Disziplinen als Voraussetzung für künstlerisches Gelingen beschworen wurde. Der Film wurde zwar als Medium der Moderne begriffen, seine Herkunft aus industriellen Produktionsformen jedoch verdrängt.“[1]

Entwicklung des Stummfilmes nach dem Ersten Weltkrieg

Aufklärungsfilme

Erika Gläßner, der Backfisch aus dem Berliner Westen, in vielen Aufklärungsfilmen

Es ist ein altes weltgeschichtliches Gesetz, daß immer nach einem beendeten Krieg eine Zeit völliger Verwirrnis, Demoralisierung und Degeneration in allen ihren Spielarten folgt. Die Menschheit, zermürbt von den Entbehrungen, zerrüttet von den seelischen und wirtschaftlichen Erschütterungen, ausgehungert, verroht und verwildert von den Grauen des Krieges, reagiert alle diese Schrecknisse ab in einem Taumel in das Extrem. Man dürstet nach dem Langentbehrten, nach Hingabe an friedlich ungestörten Genuß des Lebens.

Es fehlte zu allen Zeiten nie an Leuten, die die Nutznießer dieses Symptoms waren, die die Konjunktur erfaßten. Sie waren daher auch beim Film unausbleiblich. Die ersten „pikanten Filmaufnahmen“, die gern für Herrenabende gekauft wurden, kamen aus Frankreich. Es waren Aktbilder, wie die „Fee im Walde“, „Im Bade“, „Die Quellnymphe“, alles „freie Aufnahmen“ in herrlichen Landschaften, „Kunstwerke“ mit „Modellen“ fragwürdiger Herkunft. Solche Filme wurde offiziell in Deutschland natürlich nicht gezeigt. Unsere Polizei war auf dem Posten.

Conrad Veidt und Erna Morena in „Das Tagebuch einer Verlorenen“
Gertrud Welcker, der Typ der willensschwachen, mondänen Frau aus der Filmaufklärungsperiode

Anfang 1917 drehte Richard Oswald den Film „Es werde Licht“, der die Gefahren der Syphilis behandelte. Oswald hatte sich angeblich vorgenommen, einen Film zu schaffen, der in interessanter dramatischer Entwicklung gleichsam belehrend wirken und zeigen sollte, wie dem Gespenst der bösen Infektion zu begegnen ist. Es wurde nach damaligen Begriffen ein Riesenfilm, der unter der Ägide der „Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ mit Bernd Aldor, Hugo Flink und Leontine Hühnberg in den Hauptrollen großes Aufsehen erregte.

Viele haben schon 1917 Richard Oswald den guten Aufklärungswillen abgestritten und ihn bezichtigt, mit der Aufklärung des Volkes Spekulation zu treiben. In diesen Verdacht wäre er vielleicht nicht gekommen, wenn er nur den ersten Teil von „Es werde Licht“ gemacht hätte. So aber steht er vor uns als der spekulativ lachende Filmfabrikant, der mit dem Erfolg des ersten Teils seiner „Aufklärung“ nicht schnell genug auf der materiellen Erfolgsbahn weiterschreiten konnte. Anfang 1918 erschien der zweite Teil von „Es werde Licht“ unter Mitregie von E. A. Dupont und unter Mithilfe von Iwan Bloch.

Dem „interessanten“ Thema wieder neue Seiten abgewonnen, schnell noch einen dritten Teil Mitte 1918, wie in der Konfektion die Kollektionen auf der Stange. Die Novemberrevolution hatte die Zensur gefestigt. Schnell schlossen der „Wissenschaftler" Magnus Hirschfeld und der Konjunkturritter Richard Oswald ein inniges Bündnis: noch einen Teil von „Es werde Licht!“. Anschließend „Prostitution!“ und „Anders als die andern (§ 175)!“ Dem vom überstandenen Weltkrieg her an Leib und Seele erholungsbedürftigen deutschen Menschen wurden hier die Freudenhäuser, Zuhälter, Dirnen, Sadisten und Homosexuellen eindringlich und schaukräftig vor Augen geführt, und Anita Berber stellte das Freudenmädchen dar, wie es natürlicher kaum dargestellt werden konnte. Die Degeneration in Greifbarkeit!

Die Tagespresse schrie gegen die erotischen Filme der Jahre 1918/19 laut und zornig auf. Die einzige Antwort aus der „Filmkunst“ waren neue Werke: „Moral und Sinnlichkeit“, wofür man sich den Oberstabsarzt Dr. Paul Meißner und als Darsteller sogar Emil Jannings und Hanna Ralph gekapert hatte. Erika Glaßner zeigte als Kurfürstendammbackfisch in jugendlicher Verdorbenheit und mit aller Echtheit des Berliner Westens die Abgründe des modernen Großstadtlebens, und Reinhold Schünzel spielte die Zuhälterrollen. Man hatte nicht falsch spekuliert: diese „Sittlichkeit“ war nach den Jahren der zahmen Porten-Filme und aller langweiligen Sentimentalitäten eine wahre „Wohltat“. Bald wurde die Sache aber doch zu bunt. Jetzt empörten sich sogar schon die Darsteller gegen den Filmschund, der sich immer wieder unter der Maske der „Wissenschaftlichkeit" oder „Volksaufklärung“ breitmachte.

Aber der Gewinn aus diesen ekelerregenden Filmen war für einen kurzen Augenblick der Konjunktur zu fett. Diese Konjunktur mußte erfaßt werden. Man führte den deutschen Menschen immer tiefer in die Niederungen menschlichen Trieblebens. Richard Oswald machte sogar für den Film „Prostitution" eine spannende Fortsetzung: „Die sich verkaufen ...“

Schließlich war die Produktion der Sittenfilme auf der ganzen Linie in Gang gekommen: „Die Verführten“ von Hans Hyan, „Die Geschichte einer Gefallenen“ mit Lya Mara, „Das Tagebuch einer Verlorenen“ nach dem Roman von Margarete Böhme mit Erna Morena, „Vom Rande des Sumpfes“ mit Lu Synd, „Frauen, die der Abgrund verschlingt“, „Prinz Kuckuck – die Höllenfahrt eines Wollüstlings“ nach Otto Julius Bierbaum, „Verlorene Töchter“, „Die Nackten“, „Polygamie“, „Sündiges Blut“, „freie Liebe“, „Hyänen der Lust“, „Arme kleine Eva“ (Verbrechen gegen das keimende Leben), „Das Paradies der Dirnen“, „Wenn ein Weib den Weg verliert“, „ Halbwelt“ (eine Sittentrilogie), „Fräulein Mutter“, „Die Laune eines Lebemannes“ u. a. m.

In Düsseldorf stürmten die Kinobesucher bei dem Filmwerk „Gelübde der Keuschheit“ auf die Bühne uns zerrissen die Leinwand. In Baden wurden die in Umlauf befindlichen Kopien des Films „Prostitution“ von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Gegen den Hersteller des Filmes, Richard Ornstein, genannt Oswald, wurde wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften Strafantrag gestellt. Die Empörung wurde schließlich so groß, daß in den süddeutschen Landtagen immer wieder Anträge gestellt wurden, die Kinos zu kommunalisieren und die ganze deutsche Filmindustrie zu sozialisieren, um in Zukunft die Sexualfilme unmöglich zu machen. Man muß schon feststellen, daß das Jahr 1919 den moralischen Tiefstand des deutschen Films darstellt, dem in der gesamten Auslandpresse die „hohe Moral“ der lateinischen und angelsächsischen Rasse entgegengestellt wurde. Anstand und gute Sitte schienen aus dem deutschen Kino und Film vertrieben zu sein. Mit diesen Sexualaufklärungsfilmen unter pseudowissenschaftlicher Flagge war der internationale Filmweltmarkt natürlich nicht zu erobern. Alles wartete auf die gesunde Reaktion.

Sie kam nicht so schnell, wie man hoffte. Die Aufklärungsperiode klang langsam und erst noch mit einigen Filmen ab, die man vorsichtigerweise „Tendenzfilme“ nannte: „Alkohol“, „Der gelbe Tod“, „Opium“, „Morphium“, „Nerven“ u. a. m.

Der Monumentalbereich

Die Tendenz der filmkünstlerischen Nachkriegsarbeit läßt sich mit einem Satz kennzeichnen: fort vom Starfilm, auf zum Monumentalfilm, in dem jeder Darsteller, aber auch die Komparsen, die Kameras und Dekorationen „Stars" sind. Dies diktierte Amerika.

In Amerika lag plötzlich der Schwerpunkt der Filmherstellung nicht mehr bei den populären und beliebtesten Stars, sondern bei den Spielleitern und Regisseuren wie Griffith, Lh. Ince, W. S. Hearst. In „Intolerante“ war die Handlung völlig konfus und die schauspielerische Leistung recht mäßig, bewundernswert aber war der Angriff auf Babylon mit seiner riesigen Architektur und den rhythmisch gelenkten Menschenmassen. Das Fest in Babylon mit den Tempeltänzerinnen, der Sturm auf die Mauern der Stadt, der Untergang in Rauch und Flammen, die Kämpfe in der Bartholomäusnacht im Schein der Fackeln waren ganz neuartige Szenenbilder. Selbst ein Film von Weltruhm wie „Invasion“ baute sich auf einem lehrmittelmäßigen Textbuch auf, war darstellerisch nicht immer auf der Höhe, wirkte aber durch die geradezu genialen Regieeinfälle, durch die Kameraleistungen und die verblüffende Disziplin der Massenszenen.

Die deutsche Filmkunst mußte wohl oder übel dem Zuge dieser Entwicklung folgen. Diese Entwicklung war für den deutschen Film von weltwirtschaftlicher Bedeutung. Mit unseren „Starfilmen“ aus den Henny-Porten-, Mia-May- und Lotte-Neumann-Serien war der Weltmarkt nicht zu erobern. Es mußte ganz Großes geschehen. Es war schließlich auch zu befürchten, daß der unterzeichnete Gewaltfrieden eine Überschwemmung in Deutschland mit ausländischen Filmen bringen würde, wenn die Deutschen auf dem Gebiet der Filmfabrikation das „Made in Germany" nicht wieder zur vollen Geltung bringen konnten.

In den Filmkreisen der Alliierten wollte man im übrigen auch zur Abwehr deutscher Wertarbeit im Film eine Verpflichtung eingehen, auf mehrere Jahre keinen Meter deutschen Film zu kaufen oder zu spielen. Man hatte aber bei diesem Boykott die Bedeutung einer Gesellschaft nicht mit einkalkuliert: der Universum Film Aktiengesellschaft (UFA), die eine große Anzahl von Lichtspieltheatern in der Schweiz, in Skandinavien, Holland und anderen Ländern erworben und damit ihren verhältnismäßig großen Absatz von eigenen Filmen im Auslande sichergestellt hatte. Auch in Spanien war deutsches Bankkapital an einer großen Anzahl von Kinos beteiligt. Die gemeinnützige Deutsche Lichtbildgesellschaft (Deulig) hatte allerlei Wirtschaftsabsichten und Beziehungen auf dem Balkan und hatte planmäßige Werbearbeit für Deutschland im Ausland zum Zwecke. Seit 1918 mußte also die internationale Filmwelt mit der UFA rechnen, die auf Anregung amtlicher Stellen unter Mitwirkung nahezu aller führenden Unternehmungen der Großfinanz, Schiffahrt und Industrie durch allmähliche Vereinigung der damaligen größten Filmfabriken (Union, Meßter, Decla-Bioscop) unter dem Druck der allgemeinen Filmpropaganda ins Leben gerufen worden war.

Johannes Riemann und Mia May in dem neuzeitlichen Teil von „Veritas vincit“

Schon Anfang 1917 machte sich immer mehr die große Wirksamkeit der feindlichen Filmpropaganda bemerkbar und konnte selbst in unserem eigenen Vaterlande zu einer Gefahr werden, weil sich merkwürdigerweise in Deutschland die maßgebenden Kinotheater in Berlin und anderen Großstädten in den Händen einer ausländischen Firma befanden. Um der feindlichen Filmpropaganda mit gleichen Maßnahmen entgegenzutreten, wurde während des Krieges das Bild- und Filmamt (Busa) gegründet, das die Front mit Kinos versorgte und den Film in den Dienst der Ausbildung und der Kriegswissenschaft stellte. Da aber Filmproduktion und Filmkunst eine bürokratische oder militärische Einengung nicht vertragen konnten, sondern eine bestimmte Elastizität und kaufmännische Großzügigkeit erforderten, schmolzen auf Anregung von Ludendorff Männer wie Major Grauz, Staatsrat E. G. v. Stauß und anderen eine finanzielle Beteiligung der Reichsregierung und einen Wirtschaftekonzern mit bewundernswerter Weitsichtigkeit zu einem Unternehmen zusammen, das den fremdländischen Theaterbesitz schnell in deutsche Hände brachte und gleichzeitig die Ausgaben des Bild- und Filmamtes übernahm: die Universum Film Aktiengesellschaft (UFA), die sich dann später unter dem Einfluß von Alfred Hugenberg zur bedeutendsten Filmgesellschaft Europas entwickelte. Dieses neue Filmunternehmen wollte den Weltmarkt erobern. Man ging sofort nach Beendigung des Krieges energisch ans Werk.

Zunächst wurde Rom in Tempelhof bei Berlin aufgebaut. Eine dreiviertel Million Mark stellte die UFA dem Regisseur Joe May für die Filmtrilogie „Veritas vincit“ (1918) zur Verfügung, um in monatelanger Arbeit mit einem Riesenaufwand von Ausstattung und bisher ungekannten Massen von Schauspielern und Komparsen ein Dokument deutscher Filmkunst zu schaffen: in drei verschiedenen Zeitaltern spielt sich eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der Lehre von der Seelenwanderung ab. Paul Leni führte für diesen Zweck die gewaltigsten Bauten des alten Roms in Tempelhof bei Berlin auf, die alte Stadt mit ihren Triumphzügen, ihren Arenaspielen, ihren prunkvollen Festgelagen und blutigen Christenverfolgungen.

Riesenbilder eines geschichtlichen Bilderbuchs, alles echt bis in die letzten Einzelheiten des historischen Kostüms, echt selbst die Löwen des blutlüsternen Nero. Noch in den letzten Monaten des Krieges, in dem von aller Welt abgeschlossenen Deutschland, entstand dieser Film, der zum ersten Mal den Blick des gesamten Auslandes auf die deutsche Filmindustrie lenkte. Florenz wurde in Weißensee bei Berlin gebaut. Der UFA-Regisseur Otto Rippert beauftragte den bekannten Berliner Baurat Jaffé und den Maler Warm, im Weichbild Berlins ganze Stadtteile der „Königin der oberitalienischen Städte“ in geschichtlicher und architektonischer Treue für den Film „Pest in Florenz“ (1919) zu bauen.

Hunderte von deutschen Bauleuten gingen mutig ans Werk und schufen auf dem Freigelände der Berliner UFA-Ateliers den Palazzo Vecchio, den einstigen Sitz der Signoria, mit seinem hohen Wachturm, mit dem Wehrgang und den historischen Wappenbildern. Dicht an den Palazzo Vecchio baute Jaffé den Palazzo degli Uffizi, den einst der Maler Vasari (1560–1574) geschaffen hatte. Die Ufizien wurden durch die berühmte Loggia dei Lanzi teilweise flankiert und ihre graziöse Architektonik durch die gewaltigen Bogenhallen der Loggia unterstrichen. Diese Zentralbauten wurden durch zahlreiche andere Paläste und Prunkbauten umrahmt, und es entstand dadurch ein Entwicklungsraum für 10–15.000 Komparsen. In diesen herrlichen Bauten sollten die Sittenverderbnis des mittelalterlichen Florenz und die Strafe, die über die lebensdustige Stadt in Genalt einer furchtbaren Pest hereinbrach, geschildert werden. Im Mittelpunkt der Handlung stehen eine Circe (Margarete Kierska) und der Einsiedler und Fanatiker Franziskus (Theodor Becker).

Auch dieser Monumentalfilm hat die deutsche Filmkunst auf dem Wege zur erneuten Weltgeltung einen bedeutenden Schritt vorwärts gebracht. „Ich glaube mich in der Annahme nicht zu täuschen“, sagte damals ein fremdländischer Filmkenner dem Auslande, „daß Deutschland an zweiter Stelle der Weltfabrikation steht. Die Deutschen haben kein Negerdorf mehr, sie können aus Valutaarmut in Indien keine Stadt aufnehmen, nicht nach Japan oder China reisen, auch nicht nach England, Afrika, Amerika. Und wir finden doch alle diese Gegenden in ihren Filmen!“ Der Grundstein zur Weltfirma und Weltmarke „UFA“ wurde in den Jahren 1918/19 gelegt. Der Konkurrentzkampf mit Amerika begann. Wie er sich abspielte und auslief, wird in späteren Berichten beschrieben.

Neue Wege zur Filmkunst

Emil Jannings und Pola Negri in „Die Augen der Mumie Ma“

Film ist Kunst, genauer bestimmt: Volkskunst, ist Arbeit für die Intellektuellen und für die breite Masse, ist schöpferische Tätigkeit, die nur dann restlos gelungen ist, wenn sie internationalen Beifall, weltumspannende Anerkennung findet. Ein Film ist gut, wenn die Theater um seinetwillen in Neu York ebenso ausverkauft sind wie in Barcelona oder in Frankfurt an der Oder. Das ist der Grundsatz, von dem alle Filmarbeit, alle Emporentwicklung des lebenden Bildes auszugehen haben. Diese Gedanken in die Tat umzusetzen, ist unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg einem Mann gelungen, dem wir bisher in seinem Filmschaffen nicht von der sympathischsten Seite begegnet waren: Ernst Lubitsch. Er hat keine „deutschen“ oder „amerikanischen“ Filme gemacht, sondern ganz einfach Lubitsch-Filme, weil er jedesmal versucht hat, ein menschliches Motiv, eingekleidet in wirksamste Dekorationen, menschlich zu gestalten, weil er immer mit Darstellern arbeitete, die befähigt waren, Lieben und Hassen, Leidenschaft und Zorn in seinem Sinne und nach seinem Plan so zu verdeutlichen, daß man es überall in der Welt verstand, unabhängig von Sprachgrenzen und politischer Einteilung.

Man liest oft in oberflächlichen Biographien, daß „Madame Dubarry“ der erste Film von Lubitsch gewesen sei. Das ist nicht ganz richtig. Lubitsch hatte mit einem Kollegen eine Filmfirma gegründet, die einen so schlechten Film fabrizierte, daß ihn niemand kaufen wollte. Man hatte Mitleid mit dem bankrotten Unternehmer und schlug ihm vor, für die damals größte Filmfabrik ein Drama zu machen. Lubitsch lachte bei diesem Vorschlag laut auf, nahm in seiner impulsiven Art seinen Hut und Mantel und meinte grinsend: „Nee, mein lieber Direktor, das ist nichts für mich. Ich mache meine Lustspiele weiter.“ Erst Pola Negri ist es gelungen, den Komiker Lubitsch für die Herstellung eines Filmdramas zu gewinnen. Ihre beiden ersten Filme in Deutschland zeigen nämlich schlechte Inszenierung und mangelhafte Ausstattung. Pola schmollte und sah sich nach einem neuen Regisseur um. Sie wollte unbedingt einmal unter Lubitsch filmen. Überredungskunst erreichte es wirklich, daß Lubitsch als Regisseur engagiert wurde. Der bekannte Filmautor Kräly schrieb ein Manuskript: „Die Augen der Mumie Ma“. Lubitsch verfilmte es (1918). Der Film gefiel. Damit war Lubitsch plötzlich als „Dramenregisseur“ entdeckt und mit ihm Pola Negri, Emil Jannings und Harry Liedtke als Filmdarsteller allererster Ordnung. Jetzt drängte alles dazu, diese Kräfte in einem „Großfilm“ zusammenzufassen.

Emil Jannings als Ludwig XV. und Pola Negri als Madame Dubarry

Diesmal sollte es Carmen sein. Zwar war für Jannings keine Rolle darin, aber Pola Negri und Liedtke hatten wieder große Ausgaben. Und dann: endlich große Probleme der Regie.

Ein Kostümfilm! Mit Massen (was man damals Massen nannte). Und – die deutsche Filmindustrie hielt Lubitsch für wahnsinnig – mit richtigen Bauten in Tempelhof. Man arbeitete in aller Stille. In den Kalkbrüchen von Rüdersdorf entstanden milde Sierren, in Tempelhof ein spanischer Marktplatz. Alles fand wunderbar in seine Aufgaben, nur Polas allzu wildes Zigeunerblut mußte manchmal ein bißchen gedämpft werden. Die Komparserie großen Stils wurde erfunden, und als mehrere hundert Mann in Tempelhof als spanisches Volk paradierten, war eine neue Epoche für die Statisterie angebrochen. Was dann kam, ist bekannt. Alle Welt verlangte große Filme von Lubitsch: so ging er an „Madame Dubarry“ heran. Hier konnte er im großen Stil alles einsetzen, um einen Film zu machen, der von vornherein auf den Weltmarkt abgestimmt war.

Mit „Madame Dubarry“ wurde in stürmischer Revolutionszeit der Ufa-Palast in Berlin eröffnet.

Pola Negri und Harry Liedtke in „Sumurun“

Bald daraus entstand in Tempelhof eine neue Traumstadt, ein orientalisches Schloß wie aus „Tausend und einer Nacht“. Verwinkelte arabische Gassen, schlanke Türme der Minarette, luxuriöse Plätze mit rauschenden Fontänen, kühne Brückenbogen, alles durchflutet von fremdartigem Volk, von Gauklern, Tänzerinnen, fetten Eunuchen, wilden Reitern und zähnefletschenden Negern. Lubitsch, der Hexenmeister des Films, drehte „Sumurun“ (1920) mit einer Pracht, die es in Deutschland noch nicht gegeben hatte. Pola Negri war so gut wie nie zuvor, hatte sie doch die Tänzerin Sumurun einst auf der Bühne des Theaters in Warschau gespielt. Hier auf dem Freigelände standen aber richtige Schlösser, hier war alles reicher, belebter, strahlender, echter. Hier machte Lubitsch aus der vollblütigen Polin eine Katze, eine Phryne, einen Vamp.

1922 zeigte uns Lubitsch in dem Film „Das Weib des Pharao“ noch einmal sein Können. Alles war jetzt Filmtechnisch ausgeglichen: Die Filmarchitektur (die Bauten Ägyptens, der Pharaonenhof, das hunderttorige Theben), die Beleuchtungstechnik (die Verlebendigung architektonischer Flächen durch Licht und Schatten), die Massenregie (der Rhythmus der von Tausenden von Kriegern geschlagenen Schlacht), die Darstellerkunst (Jannings' als Übermensch und Paul Wegener vital, alle anderen Darstellungen wahre Kabinettstücke). „Dies ist zweifelsohne die gewaltigste fremde Schöpfung, die je in Amerika gezeigt wurde“, so las man in den amerikanischen Blättern. Dieses Lob hat Lubitsch wohlgetan. Er fing sofort an, Englisch zu lernen.

Im Dezember 1922 wollte er auch einmal nach Amerika. Vielleicht konnte man für immer drüben bleiben? Die amerikanischen Dollars glänzten vielleicht doch mehr als Filmruhm in Deutschland. Diesen materiellen Lockungen folgte dann Lubitsch eines Tages auch wirklich. Andere Könner traten an seine Stelle.

Abenteurerfilme

In der Nähe der Woltersdorfer Schleuse bei Berlin kaufte Joe May ein 75 Morgen großes Terrain für seine Filmarbeit. Flankiert von der vollen Breite des Falksees, verfügte der Riesenkomplex über natürliche Hügel, Anhöhen und Niederungen, Obstplantagen, Buschwerk, Waldpartien. Hier entstand das Filmwerk „Die Herrin der Welt“ (1919/20). Karl Figdor hat den Abenteurerroman „Die Herrin der Welt“ geschrieben. Kolportage der Vorderhaustreppe? Ein Roman, mit er damals beliebt war. Abenteuer um des Abenteuers willen – eine Menschenmeute unter Hochdruck gesetzt und gehegt. Spannung, immer wieder Spannung. Aus diesem Buchroman ist ein aufregender Film in acht Teilen geworden: Die Handlung des phantastischen Films spielt in Europa, China, Amerika, Afrika und Dänemark, und überall wollte er das Charakteristische eines jeden Landes zeigen. Joe May leitete das Ganze. Regisseur der ersten drei Teile ist Joseph Klein, der letzten drei Teile Uwe Jens Krafft. Mit der „Herrin der Welt“ erhielt der deutsche Film einen neuen Darstellertyp: den Typ des bärenstarken Willensmenschen, der nicht wie der bisherige Filmdetektiv durch übergeniale Geistesblitze zu wirken versuchte, sondern durch ganz auf sich selbst gestellte eigene Kraft: Michael Bohnen. Ihm folgten später die Marccos, die Aldnis und die vielen anderen Filmkraftmeier.

Mia May als „Herrin der Welt“

Die künstlerische Leistung bei einem Abenteurerfilm lag oft in der Schönheit und Stilechtheit der Szenerien, die manchen Sensationsfilm geradezu zum Kulturfilm erhoben. Ich denke etwa an die in Neubabelsberg geschaffene Naturtreue von Land und Leuten der geheimnisvollen indischen und tibetanischen Welt in dem Film „Jagd nach dem Tode“ (1920). In diesem Film sind der unheimliche Tempel der blutdürstigen Göttin Van, die heilige Stadt Lhassa, das Heiligtum Buddhas von Hermann Warm einzigartig realistisch gebaut worden. Neben Ernst Lubitsch und Joe May ging 1919 ein dritter Stern am deutschen Regisseurhimmel auf: Fritz Lang. Lang bekam in der Filmindustrie durch seine Abenteurerfilmreihe „Die Spinnen“ (1919/20) mit einem Schlage einen klingenden Namen. Er war Autor und zugleich Regisseur des Films. Einst war er Kunstmaler in Wien, München und Paris, wo er vor dem Kriege als Zeichner für Journale aller Art tätig war. In Berlin fing er als bescheidener Lektor von Filmmanuskripten an. Dieser Künstler war ein paar Jahre später berufen, den nach Amerika ausgewanderten Lubitsch zu ersetzen. Deutschland ging weiter seinen eigenen Weg. Frankreich machte in nationaler Kunst. England grübelte über neue Detektivfilme nach. Amerika war stolz auf seine Filmtechnik und ließ seine weltbekannten Stars auf den Filmwänden der Welt lächeln. Die UFA dagegen wagte den nächsten Abenteurerfilm „Der Mann ohne Namen“ (1921) nach Seelagers Roman „Peter Voß, der Millionendieb“. Harry Liedtke spielte den jungen Voß, Georg Alexander den Detektiv, Mady Christians die Millionärstochter.

Die Regie führte Georg Jacoby. Immer wieder entschlüpft der Millionendieb der Verfolgung und Gefangenschaft. Der kecke und waghalsige Peter Voß wird von der Millionärstochter zurückgewiesen, als Mann ohne Namen aber von ihr ohne Maßen geliebt. Kurz der Inhalt von ein paar Teilen: „Gelbe Bestien“ spielt an der dalmatinischen Küste und in Marokko. Peter Voß folgt seiner Geliebten Gert bis in den maurischen Palast des Prinzen Abdul Hassan, ihres feurigen Verehrers. Eine Sensation folgt der anderen. Die Löwen aus dem Palastkäfig werden freigelassen, und nun geht es in wilder Flucht durch Säle, Höfe und Gemächer.

Lil Dagover und Carl de Vogt in „Der goldene See“ aus dem Abenteurerfilmzyklus „Die Spinnen“

„Der Mann ohne Namen“ war ein unbeschreiblicher und bedingungsloser Erfolg. Warum eigentlich? Weil er nichts anderes war und sein wollte als „Film“. Er suchte niemals seine Mittel außerhalb des rein Filmischen. Also keine „Aufklärung“, kein „Expressionismus“, keine „Belletristik“, keine „Psychologie“, sondern immer und immer wieder nur Handlung, wechselnde Sensationen, buntes Geschehen, schöne Szenerien. Immer wieder kam man auf den fernen Orient zurück. Unter dem Oberbefehl Joe Mays entstand 1921 „Das indische Grabmal“ nach dem fesselnden und psychologischen Roman Thea von Harbous. Mit dem Film „Das indische Grabmal“ hat Joe May den Abenteurerfilm auf sein höchstes und nie wieder erreichtes Niveau gehoben. Er hat mit den sonst recht anrüchigen Abenteuern und Sensationen das höchste Ziel erreicht: Kinokultur! Dieses Ziel wurde erreicht durch die großartige Filmarchitektur (Jacobi, Boi), durch die hervorragende Darstellungskunst der Hauptpersonen und durch eine verblüffende Kameratechnik. Man hatte damals wirklich ein paar Stunden in der indischen Welt gelebt, auch dann noch, als es im Kino schon hell geworden war.

Veidt und Goelzke ließen uns nicht nur das Aufeinanderprallen innerlich fremder Seelengewalten spüren, sie rissen uns förmlich in diesen Kampf hinein. Und die Kamera vollbrachte in den Szenen Mia Mays im Tigerhof und der übersinnlichen Zauberwelt des Yoghi wahre Wunder.

Der Kinogänger wurde frühzeitig verwöhnt. Hatte er kurz nach dem Kriege noch die in der märkischen Sandwüste errichteten Prunkpaläste indischer Maharadschas angestaunt wie die angestrichenen Malaien und Neger der deutschen Filmstatisten, so sah er sehr bald schon mit kritischerem Blick die Betonkulissen und die Schminke. „Unecht“, lautete das vernichtende Urteil, doppelt vernichtend für den Film, der doch als eine besondere Domäne die Echtheit von Landschaft und Milieu für sich in Anspruch zu nehmen pflegt. Also ging man auf Reisen, als die Goldmark stabilisiert war, um dem Spielfilm das Kolorit der lockenden Ferne zu geben. Teile des „Mannes ohne Namen“ waren schon in Marokko gedreht worden. Harry Piel und Murnau filmten am Mittelländischen Meer. Heinz Heiland wählte als Filmkulisse das hinterindische Gebiet, und Ellen Richter machte überhaupt keinen Film mehr ohne weitere Auslandsreisen. So wurde ihr Mann und Regisseur, Willi Wolf, der Schöpfer der Weltbummelfilme. Wir sind mit den Abenteuern aus dem Film „Der Flug um den Erdball“ (1924/25) nach Kairo, in die Pyramiden von Giseh, in die Wüste, nach San, nach Ceylon, Britisch-Indien, Hinterindien, Singapore, nach den Sundainseln, nach China, San Franzisko, Neuyork und über die Azoren wieder nach Paris zurückgekommen. „Die Abenteurerin von Monte Carlo“ (1921), die auch schon 11.000 Kilometer Filmreise zu bewältigen hatte, war durch den Film mit Bildern von einer richtigen Reise um die Welt weit übertroffen worden.

Der historische Film

Henny Porten und Emil Jannings in „Anna Boleyn“

Vor dem Ersten Weltkriege erregten neben einem Luther-Film, einen Andreas-Hofer-, einem Theodor-Körner-, einem Königin-Luise- und einem Bismarck-Film besonders große Filmwerke (Cines, Rom) Aufsehen auf der ganzen Welt, weil sie mit einem ungeheuren Aufwand von Tieren, Menschen und Aufbauten mit Wahrhaftigkeit und ethnographischer Sorgsamkeit die untergegangene Kultur alter Völker darstellten. So stand die römische Kultur im Mittelpunkt der Filme „Quo vadis“, „Julius Cäsar“, „Nero“, „Spartakus“ und „Die letzten Tage von Ponpeij“, die ägyptische Kultur zeigte der Film „Kleopatra, die Herrin des Nils“, die byzantinische der Film „Die letzten Tage von Byzanz“. D’Annunzios Film „Cabiria“ spielte zur Zeit der punischen Kriege im 3. Jahrhundert v. d. Z. Trotz der zweifellos großartigen Leistungen besonders italienischer Firmen auf dem Gebiete des geschichtlichen Films blieb es Deutschland vorbehalten, in der unmittelbaren Nachkriegszeit künstlerische Höchstleistungen hervorzubringen, vielleicht weil gerade in Zeiten nationaler Not der Sinn für die großen historischen Zeiten und Männer besonders empfänglich ist. Die UFA ist unbestritten die Schöpferin des „stilechten“ Geschichtsfilms über Stoffe aus der neueren Geschichte geworden. In der „Madame Dubarry“ sind nicht nur die geschichtliche Begebenheit, die Zeit- und Sittenschilderung historisch treu wiedergegeben, selbst die seelischen Einflüsse der geschichtlichen Personen, ihre physiognomischen Masken und die Einzelheiten der Trachten bis herab zur Jakobinermütze und zum Holzschuh zeigen realistisch den Geist der französischen Revolutionszeit. Der historischen Echtheit ist ergänzend die kunstvolle Gestaltung der historischen Bauten und die meisterhafte Verwendung der Massenkomparserie in den ersten historischen Filmen der UFA zur Seite zu stellen. Schon in den Revolutionsszenen der Dubarry, aber mehr noch in dem glänzenden Hochzeitszug, im Frühlingsfest und in der Reiterturnierszene in „Anna Boleyn“ (1920) wurde im Film zum ersten Male gezeigt, wie Menschenmassen zu packenden Szenen zusammengeballt, auseinandergesprengt und durcheinandergejagt und letzten Endes zu dekorativem Kulissenaufbau in engstem Zusammenhang mit der Handlung verwandt werden können.

Diese Menschenmassen gruppieren sich architektonisch um die Monumentalbauten. zeigten schon die Aufbauten in „Madame Dubarry“, d. h. das alte Paris mit seinen winkligen Straßen und Plätzen, mit der mächtigen Bastille und den reizenden Rokokoschlössern die meisterhafte historisch-echte Kunst im Aufbau des Filmschauplatzes, so wird diese architektonische Bau- und Raumkunst in den Aufbauten (von Professor Poelzig) des Tower, der 25 Meter hohen Westminsterabtei mit 380 Skulpturen und des Schlosses Windsor im Anna-Boleyn-Film fast noch übertroffen. Es ist natürlich nicht möglich, an dieser Stelle auf alle historischen Filme einzugehen, die in den Jahren 1916 bis 1929 entstanden sind.

Werner Krauß als Napoleon

Besonders Napoleon beherrschte die Filmbühne der Nachkriegszeit. Da aber der historische Napoleon als wirksamer Filmstoff langweilig erschien, so griff man zu seinen Liebesaffären, gab ihn sozusagen im Ausschnitt und färbte ihn bis zu einem gewissen Grade zu einer ungeschichtlichen, kulturhistorisch falschen Figur. „Napoleon und die kleine Wäscherin“ (1920), „Madame Recamier“ (1920) und „Gräfin Walewska“ (1921) stellten nur lose zusammenhängende Episoden und Herzensangelegenheiten des großen Korsen dar. Deutsche Geschichte wurde unmittelbar nach dem Kriege nur recht spärlich im deutschen Film dargestellt. „Das Frauenhaus von Brescia“ behandelte einen Nebenabschnitt aus dem Kampfe König Heinrichs gegen die Langobarden im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts. Die Handlung des Films „August der Starke“ (1920) lehnt sich an die historischen Ereignisse an, ohne ihnen sklavisch zu folgen.

Man zeigte in selten schönen Bildern vom reichbewegten Liebesleben des „galanten Königs“ und in der üppigen Kleiderpracht der Zeit um die verführerische Ria Jende als Komödiantin Orczewski um die Barock- und Rokokowende. Das galante Sachsen feierte seine Auferstehung.

Im Jahre 1920 zeigte ein Film eine Reihe von Rokokobildern aus dem Leben der Tänzerin Barberina. Die Trägerin der Titelrolle, Lyda Salmonova, fiel nicht sonderlich auf, wohl aber schrieb damals die Kritik: „Die beiden letzten Akte boten eine schauspielerische Glanzleistung Otto Gebührs, der in Gebaren und Maske einen ausgezeichneten Friedrich II. schuf. Man hatte den Eindruck, daß das Standbild des großen Preußenkönigs in der Siegesallee Leben erhalten hätte.“ Pola Negri haben wir die vollblütige Dubarry geglaubt, Henny Porten die still leidende Gattin Heinrichs VIII., Liane Haid aber hat uns die Lady Hamilton im Film gleichen Namens (1921) nicht glaubhaft machen können. Sie war sehr schön im Film, nur schön, aber kein Charakter, keine Persönlichkeit, kein Mensch. So fehlte dem ganzen Film die dramatische Dynamik, die der Maler Paul Leni durch herrliche Innenaufnahmen und Atelierbauten nicht ersetzen konnte. Daß der Regisseur Richard Oswald mit den geschichtlichen Tatsachen seiner Stoffe ganze Arbeit zu leisten pflegte und sie rücksichtslos seinem Gestaltungswillen unterordnete, sie zusammenfaßte, umschichtete und änderte, erwies schon seine „Lady Hamilton“.

Soweit dieses freie Schalten mit der Historie der Einheitlichkeit des Bildes zugute kommt, wird man es als dichterische Freiheit gelten lassen, auch in der „Lukrezia Borgla“ (1922), wo sich der geschichtliche Ablauf der Dinge recht kräftige Eingriffe gefallen lassen mußte. Der Filmdichter Oswald hat hier das Verhältnis der Personen zueinander ad usum delphini verändert und dadurch dem von Hause aus grausigen Stoff viel Gift entzogen. Lukrezia, Cesare Borgias blutschänderisch geliebte Schwester, ist im Personenverzeichnis als seine Cousine (!) bezeichnet, und der Papst sieht in den drei Borgias nicht das Geschick seiner Kinder sich erfüllen, sondern seiner Nichte und seiner Neffen. Das ist denn doch ein arges Zugeständnis, das den Stoff um seine tiefste Tragik bringt. In allem übrigen aber ist das Manuskript in Bildern gedichtet, gleichsam aus schöpferischer Vision geboren und mit einer Vollkommenheit gestaltet, die auf die Höhen großer Bildkunst führt.

In dem Film „Peter der Große“ (1923) hat der Regisseur Buchowetzki einen zu kleinen Sektor aus dem Leben des großen Russenzaren ausgewählt, so daß schließlich in der Erinnerung an diesen Film nur noch die mit riesigen Menschenmassen ausgefüllte Schlacht von Poltawa übergeblieben ist. Emil Jannings als Peter war allzu menschlich, zuwenig heldisch, so daß Peters „Größe" nirgends recht zum Ausdruck kam.

Totgesagte Kinder leben am längsten. Wie oft ist der historische Film gestorben – und nun? Man glaubte, die „Mode“ sei mit den Lubitsch- und Oswald-Filmen vorüber. Aber plötzlich war ein neuer großer Wurf mit dem Film „Manon Lescaut“ gelungen.

Nein, der historische Film ist nicht tot und wird nicht sterben. Die große Dekoration der Geschichte stellt nun einmal die Atmosphäre her, in der bestimmte Gestalten erst ihre greifbare Plastik erhalten, gewisse Schicksale erst zu Herzen gehen. Und es liegt ein eigentümlicher Reiz darin, daß diese zeitlose Geschichte von einem Barock- oder Rokoko oder Biedermeierrahmen umschlossen ist – so nah und doch so fern. Rührender hat Manon nie ausgesehen als in diesem Film, wo Lya de Putti sie mädchenhaft und leichtsinnig auf die Szene führt, wo Desgrieux’ unverbrüchliche Treue in Gaidarows männlichem Spiel einen glanzvollen Spiegel findet. Der Regisseur Robison gibt den einfachen Schicksalen den Glanz moderner Filmkunst und Paul Lenis Bildkunst gibt allen den stilvollen und blendenden Rahmen, wie ihn die große Zeit des Barocks in Bildern und Bauten hinterlassen hat.

Die Jahre 1922 und 1923 brachten die Hochflut des historischen und Kostümfilms. Nicht alle können in diesem Abschnitt besprochen werden. Man könnte ein dickleibiges Buch über sie schreiben. Und doch sollen hier wenigstens einige Filme in der Reihenfolge ihres Erscheinens mit dem Haupttitel erwähnt werden: „Der Nielsen“ (Regie A. v. Gerlach, 1922), „Marie Antonnette“ (Regie Rudolf Meinert, 1922), „Es leuchtet meine Liebe“ (Regie P. L. Stein, 1922), „Die Tochter Napoleons“ (Regie Friedrich Zelnik, 1922), „Der Favorit der Königin“ (Regie Franz Seitz, 1922), „Monna Vanna“ (Regie Richard Eschberg, 1922), „Lola Montez“ (Regie Willi Wolff und Paul Merzbach, 1922), „Der Mann der eisernen Maske“ (Regie Max Glaß, 1923), „Christopher Columbus“ mit Albert Bassermann (Regie Martin Garras, 1923), „Königin Karoline“ (Regie Rolf Raffe 1923), „Paganini“ mit Conrad Veidt (Regie Heinz Goldberg, 1923), „Gräfin Vandieres“ (Regie Josef Berger 1923), „Die Liebe einer Königin“ mit Henny Porten (Regie Ludwig Wolff, 1923). Der Film „Luther“ (1928) hat natürlich bei der protestantischen Menschheit größtes Aufsehen erregt. Dichter und Regisseur Hans Kyser hat ein echtes Zeitgemälde vom Beginn der Neuzeit gegeben. Kyser beginnt mit Luthers Studentenzeit und endet mit seiner Bibelübersetzung. Eugen Klöpfer spielte überzeugend den Reformator.

Der religiöse Film

Als ein Spezialfall des historischen Films muß der religiöse oder biblische Film betrachtet werden. Diese Einstellung ist gewiß einseitig, da der religiöse Film auch an sich große filmkünstlerische Möglichkeiten bieten würde. Diese sind aber wohl bis heute ungenutzt, da der größte religiöse Stoff immer nur in der üblichen Form des Filmdramas wiederkehrt.

Die meisten religiösen Filme über die biblische Geschichte stammen aus Frankreich, Italien oder Amerika („Samson“, „Jephtas Tochter“, „Das Leben Moses“, „Christus“ u. a. m.). Die französische Firma Pathtfreres hat vor 80 Jahren einen Film herstellen lassen, der die verschiedenen Episoden des Lebens Jesu, ganz besonders die Passionsgeschichte, zur Darstellung brachte. Dieser Film und andere, mit „Samson“, „Jephtas Tochter“ und „Das Leben Moses“, waren von großer Schönheit, geschichtsgefärbt und fanden in der ganzen Welt beispiellosen Erfolg. Ebenso behandelt ein amerikanischer Film aus der Vorkriegszeit das Leben Jesu, in dem schöne Landschaftsbilder aus Palästina und Ägypten aufgenommen worden sind und die Gebäude, Gewänder und Sitten sich ganz dem Stil jener Zeit anpassen. Wie man über die Filmvorführungen solcher Stoffe denkt, wird nach der religiösen Überzeugung des einzelnen ganz verschieden sein. Ich sehe den religiösen Film mit den Augen des pietätvollen Christen, und es ergeben sich für mich als Filmfachmann hieraus Hemmungen. Für mich geht im Film durch die Kraft der Bewegung, durch den Zwang, das Wort durch Übertreibung der Gesten zu ersetzen, durch die kinomäßige Aufmachung und die sonstigen Unzulänglichkeiten der Zweidimensionalität, Innerlichkeit und Würde verloren. Was schon am Passionsspiel auf der Bühne ein Wagnis ist und nur durch eine verinnerlichte, fromme Darstellung durch moralisch hochwertige Menschen gerechtfertigt werden kann, wird im Film zum fast unerträglichen, profanen Zerrbild. Religiöse Dinge sollten unantastbares Reservat unserer Phantasie bleiben.

Die Verfilmung der Passionsgeschichte ist nie recht gelungen. Man kam dem Kino stets zu weit entgegen um verquickte das heilige Thema mit romanhaft-romantischen Motiven. Oft stand nicht Christus, sondern irgendeine Nebenfigur im Mittelpunkt des Films. Erst Robert Wiene hat sich mit seinem Film „I.N.R.I.“ (1924) von diesem alten Fehler freigemacht. Dafür verfiel er allerdings sofort in einen neuen: Wiene gibt zwar das Leben des Heilands in der Handlungsfolge synoptischen Evangelien wieder, lehnt aber die biblische Geschichte an ein modernes Rahmenspiel (nach ein Roman von Peter Rosiger) an, das die Läuterungen eines Mörders durch die Vision der Leidensgeschichte Christi schildert. Wienes Film hat außerdem wegen der Lösung des Darstellerproblems großes Aufsehen erregt.

Die Oberammergauer empfinden das Leiden und Sterben der biblischen Personen mit Inbrunst und Gläubigkeit nach. Im Film versuchten sich in dieser Einfühlung unsere größten Filmstars: Henny Porten, schön, mütterlich, weich verklärt – das Bild eines Madonnenmalers, Asta Nielsen als übermütige Sünderin kokettierte vorkommen verfehlt mit dicken Tränen. Ihr späterer Mann, Gregor Chmara, versuchte sich als Jesus und bewies erneut, daß diese Figur im Film nicht zu spielen ist. Daneben Alexander Granach als Judas, von Twardowski als Johannes, Werner Krauß als Pontius Pilatus. Die oft völlig ungezügelte Münchener Komparserie hat das Volk Judäas nicht überzeugend darstellen können.

Der nationale Film

Moltke (Eugen Moebius), eine Filmmaske aus dem Bismarck-Film

Es war schon immer gefährlich, mit Hilfe von Doppelgängern Biographien berühmter Männer und besonders von Nationalhelden im Film darzustellen. Der Bismarck-Film der Vorkriegszeit war keine Tat. In dem „Wagner-Film“ aus der Vorkriegszeit wurden alle historischen Personen, wie König Ludwig, Hans von Bülow, Franz Liszt, Mathilde Wesendonck, Cosima Wagner und der junge Nietzsche geschmacklos und unähnlich vorgeführt. Die Filme „Ferdinand Lassalle“, „Mirabeau“, „Papa Haydn“ und „Heinrich Heine“ konnten schon damals einer ernsthaften Kritik nicht standhalten. Selbst der Film „Beethoven und die Frauen" (1919) erschöpfte nicht annähernd die großartigen Möglichkeiten dieses Stoffgebietes. Höchstens Theodor Loos gab im Film (1923) eine lebensechte Studie Friedrich Schillers. Nach dem Ersten Weltkriege schielten alle deutschen Filmfabrikanten lüstern nach den Dollarsäcken Amerikas. Natürlich war am deutschen Film erst dann richtig zu verdienen, wenn er in Amerika aus fast 20.000 Kinos der Neuen Welt Lizenzen nach Deutschland abwarf. Was erwartete aber Amerika von der deutschen Filmkunst? Was war der amerikanische Publikumsgeschmack? Das war die immer wieder gestellte Frage: Ausstattungsfilme – Massenfilme mit großen Bauten – Kostümfilme – kurz „teure Filme“. Das war die Antwort von jenseits des großen Teiches an das verarmte Deutschland.

Der Konjunkturhascher Hans Neumann fuhr eines Tages nach Amerika und einigte sich mit „Onkel Sam“ auf Friedrich den Großen. Man meinte am Broadway, daß diese weltgeschichtliche Persönlichkeit dem Tageslärm und der Parteipolitik längst entrückt sei, daß Friedrichs Schicksal so romanhaft sei, daß es eigentlich der geborene Filmstoff sei, und daß ferner auch Friedrich durch seine tatkräftige Unterstützung Amerikas in den Freiheitskriegen drüben eine überaus populäre Persönlichkeit sei.

In Deutschland dagegen war die Stimmung recht geteilt. Was werden die Sozialdemokraten sagen? Was die Rechtsparteien, wenn man Friedrich den Großen zu naturalistisch mit allen seinen Mängeln und Fehlern darstellt? Und was erst die Kommunisten, denen schon die Nationalgeführten Wochenschauen auf die Nerven fielen? Hans Neumann und Arzen von Cserepy waren nicht ängstlich. Sie drehten zusammen mit Hans Behrendt nach dem Walter-von-Moloschen-Roman die Filmtrilogie „Fridericus Rex“ (1921/22), nicht für Deutschland, für die ganze Welt. Die Welt sollte das Schicksal eines genialen Menschen im Film erleben, der seiner Zeit in vielerlei Beziehung voraus war und unter dessen Führung ein kleines Volk – allerdings unter ungeheuerlichen Opfern – sich zur Großmacht emporgerungen hatte.

Hans Neumann drehte den Fridericus-Rex-Film bestimmt nicht aus Patriotismus, sondern für Amerika. Die UFA aber mit ihren mehr als hundert Theatern in Deutschland stellte ihn mutig in den Brennpunkt der Politik. Die nationalen Kreise klatschten in den Kinos jeden Abend Beifall. Das „Berliner Tageblatt“ rief nach dem Polizeibüttel. „Vorwärts“ und „Freiheit“ forderten die Massen zum Boykott des Films auf und wollten am liebsten Rauchs Reiterstatue des Alten Fritz Unter den Linden entfernen. Diese aktive nationale Filmpolitik der UFA muß dankbar in den Annalen der Kinogeschichte festgehalten werden.

Otto Gebühr hat durch eine geradezu geniale Inkarnation dem deutschen Volk seinen herrlichen König Friedrich II. von neuem lebendig gemacht und sich mit bitter Leistung, die lange unvergessen bleiben wird, ein schauspielerisches Verdienst erworben, das in der Geschichte der Film- und Schauspielkunst kaum Beispiele finden wird. Nun folgte nach alten Gesetzen der Filmfabrikation die Fridericus-Serie. Zuerst die Geschichte von der „Mühle von Sanssouci“ (1926), Liebesgeschichten, Schlachtenbilder, Grenadiere beim Exerzieren. Natürlich war Otto Gebühr wieder der König. Und auch der selige Gutzkow, der einst das Repertoire der deutschen Bühne so stark beherrschte, hätte sich bestimmt nicht träumen lassen, daß er dermaleinst im Film wieder auferstehen würde. Sein „Zopf und Schwert“ war auf der Bühne schon eine reichlich verstaubte Angelegenheit, doch Viktor Janson hat sie für den Film wieder blankgeputzt (1926). Der Trumpf in diesem Lichtspiel war Mady Christians als Prinzessin Wilhelmine, Schwester Friedrichs des Großen. Steinrück spielte wie einst im ersten Fridericus-Film den Preußenkönig Friedrich Wilhelm I., den Kronprinz dagegen diesmal Walter Janissen.

Der Fridericus-Rex-Film der UFA zeigte uns den jungen Kronprinzen Fritz und den König Friedrich II. im besten Mannesalter, der den Siebenjährigen Krieg überstanden hat. In dem Film „Der Alte Fritz“ (1928) zeigte man uns, daß der König nicht nur Kriegsheld, sondern auch ein guter Landesvater war. Otto Gebühr hatte sich hier unter der Regie Gerhard Lamprechts ganz und gar in die Gestalt des Alten Fritz hineingelebt. Gebührs größte schauspielerische Leistung als Fridericus Rex ist bestimmt die ideale Verkörperung des alten, lebensmüden Preußenkönigs in diesem Film. Im Zuge der historisch-nationalen Filme sind ferner zu nennen die Verfilmung von Themen wie „Die elf Schill’schen Offiziere“ (Rudolf Meinert, 1926) und „Prinz Louis Ferdinand“ (Hans Behrendt, 1927) mit Hans Stüwe als Prinz Louis Ferdinand und Christa Tordy, die allerdings mit der Rolle und der Marke der Königin Luise nicht recht fertigwerden konnte.

Karl Grune verdanken wir einen weitaus besseren Film über die Königin Luise (1927/28): Mady Christians ist eine königliche Luise, künstlerisch reif, menschlich voller Liebreiz, in der Not tief ergreifend. Nicht uninteressant wirkte Mierendorsf als König Friedrich Wilhelm. Karl Grunes „Waterloo“ (1929) ist ein glückliches Gemisch von Dichtung und Wahrheit: Napoleon zwischen Elba und St. Helena, der Wiener Kongreß, die große Schlacht, durch die Europa zum zweiten Mal von Napoleon befreit wurde. Im Mittelpunkt stand diesmal Blücher, dargestellt von Otto Gebühr, historisch vollkommen echt, sogar bis in die kleinsten Züge des Marschall Vorwärts.

Auch der Anlauf in der Nachkriegszeit, sich noch einmal an einem Bismarck-Film zu versuchen, erreichte auch ganz das Ziel. Der Film „Bismarck“ vom Jahre 1925 wollte allerdings von vornherein kein Spielfilm sein, kein Filmdrama und auch kein durchschnittlicher historischer Film. Er sollte einzig und allein als historisches Dokument bewertet werden, als ein monumentales Panorama in bewegten Bildern. Wenn man von dem Filmwerk „Bismarck“ nicht mehr verlangt, so kann man diesen Film ohne weiteres als nationalen Volksfilm in des Wortes bester Bedeutung ansprechen. Alle Masken in dem Bismarck-Film sind bewundernswert portraitecht, lebensnah, niemals starr und theatermäßig. Bismarck wurde von zwei Schauspielern gespielt: Zunächst von Robert Lessler und dann von Franz Ludwig. Die Ehrfurchtgebietende Figur des alten Kaisers fand in Adolf Klein einen sich selbst übertreffenden Verkörperer. Das Schlußbild bringt den Alten vom Sachsenwald, wie er seine Memoiren diktiert, und wie der ungebeugte Recke dasteht, in frappanter Ähnlichkeit mit dem Original, und sagte: „Blücher, schreiben Sie ... “ In diesem Augenblick wächst der Darsteller (Robert Lesser) über sich hinaus.

Der Zeitfilm

Es gab zu allen Zeiten epische und dramatische Werke, in denen sich der Geist der Epoche, in der sie entstanden, mehr oder minder lebhaft klar spiegelte. Der Film steht hier vor einer neuen Aufgabe, kraft der ihm eigentümlichen Unmittelbarkeit und Lebendigkeit, Zeitbilder festzuhalten und zu einem Dokument für spätere Beschauer zu machen. Nach der Novemberrevolution 1918 ließ der erste wirklich ernste Zeitfilm, der den siedenden inneren Rhythmus seiner Zeit trug, nicht lange auf sich warten: Delmonts „Die entfesselte Menschheit“ (1920). Hier wurde in seiner vollen Tragik das Problem einer Menschheit aufgerollt, die nach dem Verlust eines Weltkrieges seelisch, sittlich „entfesselt“ ist. Man kämpfte mit der harten Zeit und ihren soziologischen Problemen auch im Film. In dem Film „Am Webstuhl der Zeit“ (1921) wurde gegen die Vergnügungssucht, Tanzwut und politische Vergiftung eines Volkes gekämpft, das nach einem gewaltigen Kriege aus dem seelischen Gleichgewicht geraten war. In „Der Brennende Acker“ (1922) tobte der Kampf zwischen zwei Brüdern mit entgegengesetzten Weltanschauungen: sozialer Ausgleich zwischen Bauer und Aristokrat – Problem der neuen Zeit. „Das Geld auf der Straße“ war eine Art Lustspiel mit tragischen Reflexen. Man packte das Zeitbild von allen Seiten an. 1923Inflation. Schnell war der Regisseur Richard Eichberg mit einem Zeitbild zur Stelle. Wenn ihm auch große soziale oder geschichtliche Probleme nicht lagen, er drehte „Fräulein Raffke“, in dessen Mittelpunkt der Photograph, der das Bild lebendig werden ließ, die populärste Figur der Weimarer Republik stellte (Werner Krauss als Raffke).

Dr. Mabuse (Rudolf Klein-Rogge), der Falschgeld druckt, läßt die falschen Scheine von Blinden sortieren, die ihn nicht verraten können

Erst der Regisseur Fritz Lang hat uns mit „Dr. Mabuse, der Spieler“ (1922) den geistig verfeinerten Zeitfilm geschenkt. Der Regisseur ließ sich hier bewußt von der Absicht leiten, ein Zeitbild zu schaffen, in dem das Jahr seines Entstehens ebenso charakteristisch und wichtig als Mitwirkender war wie die Schauspieler, die seine Rollen tragen, die Architekten, die seine Bauten schufen; die Fehler und Schwächen der Menschheit waren bekannt, er wußte sie für seine Zwecke auszunutzen. Kein kleinlicher Verbrecher, der Gewalttat auf Gewalttat häuft, sondern großzügig, immer aufs Ganze gehend, vor keinem Hindernis zurückschreckend, so steht Dr. Mabuse vor uns. Er hat seine eigene Münzwerkstatt und seinen Stab von Dienern, die ihm blind ergeben sind, die nur auf ein Zeichen von ihrem großen Gebieter warten, um alles auszuführen, was von ihnen verlangt wird. Bald taucht Mabuse hier, bald dort auf, bald im Spielsaal als passionierter Spieler, bald in Kaschemmen als betrunkener Matrose, bald in der Börse als Börsenmagnat, bald im Vortragssaal als Professor, bald bei Kranken als Arzt oder als Psychoanalytiker. Aber wie und wo er auch erscheint, immer ist er der große Bezwinger, immer der Herrscher.

Dieser Doktor Mabuse, der Spieler, war nicht möglich im Jahre 1920. Aber für die Zeit um 1920 ist er ein überlebensgroßes Konterfei – ist er fast ein Begriff, zumindest ein Symptom. Auf dem Trümmerhaufen zerbrochener ethischer Wertungen macht sich das Verbrechen breit bis ins Frech-Gigantische, wird Genußsucht zur Krankheit, Fröhlichkeit zur Orgie. Vielleicht hat das lebendige Bild jener Zeit „Dr. Mabuse, der Spieler“ auf seine Weise dazu beigetragen, der Menschheit von damals zuzeigen, wie Ihre Zeit an ihren Nerven zerrte. Vielleicht mahnte er sie, stumm, aber eindringlich, mit dem uralten „Tat twam asi“ – „Das bist du!“. Einige Jahre später beherrschte das Berliner Sittenbild die Leinwand. Der liebe, gütige Heinrich Zille hat es sich gewiß nicht träumen lassen, daß der „Zille-Film“ einmal ein Gattungsbegriff für das tiefe Mitfühlen mit der teilenden Menschheit im Film werden würde. Tragik im Asyl der Obdachlosen, in den düsteren Höfen der Armenquartiere, stickige Keller, in denen zwei oder drei Familien hausen, aber immer mit echtem Berliner Humor und Mutterwitz. Das war die neue Linie. Zille hat dem Filmautor wahre Beobachtungen und Erlebnisse erzählt, und Gerhard Lamprecht hat sie verfilmt: „Die Verrufenen“ (1925).

Nun begann das Berliner „Milljöh“ des Hinterhauses im Film modern zu werden, zumal man das Leben der „seinen Leute“ in übermäßiger Fülle genossen hatte. Man merkte aber nicht, daß die Enge der Hinterhaushöfe und der kleinen Lebensäußerungen armer Leute das neue Genre schnell erschöpfen mußte. So sind „Die da unten“ (1926) von dem Regisseur Viktor Janson auch nur noch mit Zille-Elementen erfüllt worden und verweilen in seinen Gestalten, während in dem Film „Die Gesunkenen“ (1926) Paul Simmel ein neuberlinisch freches Milieu für den Film geschaffen hat (Regie Walter Fein). Der große Schritt zu dem Kunstfilm über das Berliner Proletariat mußte aber erst noch getan werden. Gerhard Lamprecht wurde mit dem Film „Die Unehelichen“ (1926) der Zola der Leinwand. Es wurde bei ihm nicht „gespielt“, sondern die Wirklichkeit belauscht und im richtigen Augenblick mit der Kamera eingefangen. Er arbeitete daher auch nicht gern mit Stars, viel lieber mit Typen. Das machte seine sozialen Filme so lebendig und lebenswahr.

Hanna Ralph und Emil Jannings in „Der Stier von Olivera“

Der Kostümfilm

Der Kostümfilm war eigentlich immer Mode. Das Bedürfnis, große Ausstattung und große bewegte Massen in fremdartigen Kostümen zu sehen, hat dieses Filmgenre beliebt gemacht. So suchte man immer und gern nach Stoffen, teils aus der Geschichte, teils aus vergangenen oder auch unbestimmten Zeiten, die einen bildlich wirksamen Stil haben. Wir verleben außerdem gern einige Stunden in längst entschwundenen Zeiten; die menschlichen Leidenschaften bleiben dieselben, auch wenn die Gewänder sich ändern, und in 30 Jahren sind auch wir Vergangenheit; dann ist die Zeit, die heute gescholten wird, auch eine „gute alte Zeit". Das ist der psychologisch begründete Erfolg des Kostümfilms. „Monika Vogelsang" (1919) lehnt sich an Felix Philipps Novelle gleichen Namens an. Mit diesem Film werden wir in die heroische Zeit der Renaissance mit ihren bis in das Bürgertum hineinreichenden Leidenschaften versetzt. Ein Meisterstück der Charakterdarstellung war es, wie Henny Portens hold-naive Kindlichkeit sich zu tatkräftigem Heldentum entwickelte.

In einen Kostümfilm zwängte man (1921) auch Heinrich Lilienfeins Schauspiel „Der Stier von Olivera", dessen bekannte Vertonung durch Eugen d'Albert einen heftigen Streit der Meinungen entfachte. Das größte Ereignis in diesem Film: Emil Jannings. Die verkörperte Bestie im Menschen, dieser General Guillaume, eine durch seine Häßlichkeit abschreckende, einäugige, brutale Kreatur („Der Stier von Olivera").

Rina de Liguoro und Iwan Mosjoukin in „Casanova"

Mit dem Kostümfilm „Die Flamme" (1923) hat Lubitsch die Fäden mit Deutschland zerschnitten. Nach der Inszenierung dieses Films ging er für immer nach Amerika. Er schuf hier Pariser Milieu der achtziger Jahre: die Geschichte von dem leichten Frauenzimmer, das an der liebenden Hand eines reinen Schwärmers ins Bürgertum heimkehren soll – und auch will, und doch an der Vergangenheit scheitert. Einem Dichter kann wohl kaum eine größere Ehrung zuteil werden, als wenn die Nachwelt eine der Gestalten, die sein dichterisches Auge gesehen, zum Begriff erhebt, das ist bei Molieres „Tartüff„ der Fall. Tartüffs hat es immer gegeben und wird es zu allen Zeiten geben. Das Genie des großen französischen Komödiendichters aber hat der Gestalt erst greifbare Formen gegeben. Moliere hat den scheinheiligen Schleichern einen Spiegel vorgehalten, in dem sie sich selbst, in dem aber auch die anderen sie erkennen sollten, wenn er wohl auch immer an den heuchlerischen Kardinal Mazarin gedacht hat. In der Bearbeitung (Carl Mayer) der Komödie für den Kostümfilm „Tartüff" (1926) ist Tartüff für uns der Dichter schlechthin – das ist mehr, als sein Dichter aus ihm gemacht hat. Diese Umformung hat der Regisseur F. W. Murnau in gewohnter Meisterschaft durchgeführt. Emil Jannings spielt die Rolle des Tartüff. Er stellt einen Heuchler dar, wie man ihn sich nicht wirkungsvoller denken kann. Sein salbungsvoller Augenaufschlag, seine unersättliche Gier beim Essen, seine Lüsternheit sind in überzeugender Weise gezeichnet. Neben Jannings spielte Lil Dagover in ihrer abgeklärten Schönheit, mit ihrer sparsamen, schmachvollen Geste als Elmire. Casanova gehört zu den Persönlichkeiten, die am lebhaftesten die Phantasie der großen Masse erregen. Die vier Silben seines Namens haben eine magische Kraft, Sympathie und Nachsicht zu erwecken – und von der Nachsicht zur Bewunderung ist nur noch ein kleiner Schritt. Ohne Zweifel zieht Casanova durch seine „Memoiren" die Menge in seinen Bann. Seine Bücher, in denen er sich selbst mit Unbefangenheit und Zynismus zeichnet und sich so gibt, wie er ist – liederlich, faul, teilnahmslos, verschwenderisch, geistreich und sehr intelligent, kurz der geborene Abenteurer – diese Lebenserinnerungen werden mit Vergnügen gelesen und haben durch ihr Alter nichts verloren. Sie mußten früher oder später den Stoff zu einem Film liefern, denn in ihnen finden sich nicht nur die Keime einer kinematographischen Handlung, sondern diese ist auch schon in den hauptsächlichen Bildern entwickelt. Diesen Abenteurer hat Alexander Wolkoff in seinem Casanovafilm (1927) mit Iwan Mosjouhin wieder aufleben lassen, nicht im Rahmen eines historischen Filmwerks, sondern eines Kostümfilms, in dem die Phantasie bei der Schilderung des Casanova frei und lustig gespielt hat. Dadurch ist auch alles bezaubernd, leicht und luftig geworden. Ein glänzender Darsteller großen Stils ist Jwan Mosjoukin, abwechselnd leidenschaftlich und zurückhaltend, heiter und ernst. Er lebt Casanova, so daß man sich den Helden mit anderen Zügen als den seinigen nicht mehr vorstellen kann.

Märchenfilm

Noch bevor Paul Wegener seine herrlichen Märchenfilme drehte, hat Stellan Rye, der hoch begabte Regisseur des Films „Der Student von Prag", im Jahre 1915 den Film „Erlenkönigs Tochter" mit hingebender Liebe erdacht und erschaffen, ein Werk, das alte nordische und deutsche Sagen mitten in die moderne Zeit rückte, alles voll zarter Poesie, voll Grazie. Leider war das damalige Kinopublikum weit entfernt davon, diese Welt der Märchen und des Übersinnlichen zu schätzen. Kein göttlicher Funke sprang von der Leinwand auf den Zuschauer über, auch nicht aus den reizvollen Naturbildern, in denen sich die Handlung abspielte, nicht einmal aus der großen, sprechenden, schwermütigen Kunst der Grete Wiesental, die die Else tanzte. Obwohl das Publikum für solche Filme kein Gefühl und Verständnis bewies, griffen die Regisseure immer wieder zu Manuskripten über Sagen-, Märchen- und Balladenfilme. Paul Wegener schenkte uns zunächst „Rübezahls Hochzeit" (1916), ein lyrisches Volksbilderbuch, durch das Kinderjubel und Kinderglück – auch für die blasiertesten Großstädter – wehten. Wegener zeigt auch hier wieder neue Kunst, neues im Stoff und in der Ausführung, bei der alle Errungenschaften der modernen Regie eingesetzt worden sind.

Paul Wegener als Rattenfänger von Hameln und Lyda Salmonova als des Bürgermeisters Töchterlein

Dann kam der „Rattenfänger von Hameln" mit den alle Räume füllenden, kribbelnden Ratten und Mäusen – ein Stoff, wie er filmgerechter nicht zu finden ist. Auch mit seinem Märchenfilm „Hans Trutz im Schlaraffenland" (1917) ging Wegener seine eigenen Wege. Er kleidete für die Erwachsenen allerlei Lebensweisheiten in das Gewand des Märchens. Wegener ist auch hier wieder großartig als Darsteller, weil er seine Person niemals in den Vordergrund stellt, sondern immer nur dem Ganzen dient. Bald darauf drehte Paul Leni den Film „Dornröschen" (1918). Leni, Kunstmaler von Beruf, wollte Wegener übertrumpfen, arbeitete deshalb weniger mit photographischen Tricks, sondern schwelgte in lebendig gewordener Kunstgeschichte und Kostümkunde. Auch die UFA-Märchen „Der kleine Muck" und „Tischlein deck dich" reichten an den Zauber der Wegener-Filme nicht heran. Wegener blieb unbesiegt. Wegener ist in seinen Filmen noch nicht bis zur Märchenlandschaft und Märchenkulisse gelangt. Dennoch hat er für die Umgebung seiner Märchenfilmhandlungen eine wundervolle Wahl getroffen. Seine Riesengebirgslandschaften im „Rübezahl" und sein Alt-Hildesheim im „Rattenfänger" versetzen den Beschauer in eine Märchenwelt, weil Landschaft und Stadt ganz den Charakter des Typischen, über das Zufällige Erhabenen tragen. Wegener ist eben nicht nur Darsteller, er ist auch bildender Künstler. Einige Bilder seiner Märchenfilme sind Gemälde und als Ruhepunkte geschickt in die bunten Ereignisse eingestreut. Ruhe wechselt mit Spannung, Ernst mit Scherz, weil Humor ja die Grundstimmung jedes Märchens ist, Äußeres mit Innerem nicht als Zufälligkeiten, alles im Bewußtsein künstlerischer Zwecke und Ziele. Wenn man von den Wegener'schen Märchenfilmen spricht, darf man seine Mitspielerin Lyda Salmonova nicht vergessen: der Körper und die Bewegungen dieser Künstlerin sind Ausdruck geradezu zauberhafter Geschmeidigkeit. Das ist oft kein substantieller Körper mehr. Als Elfe im Rübezahlfilm oder als betörtes Bürgermeistertöchterchen im „Rattenfänger" spielt und wogt und fließt alles erdfern um und in dieser Frau. An Kinder und Große wendet sich der Märchenfilm „Der verlorene Schuh" (1923). Ludwig Berger zeigt hier Filigranarbeit und hat ein meisterhaftes Lichtspiel geschaffen. Helga Thomas ist das Aschenputtel und Frieda Richard die gütige Fee. Die Kinofreunde gingen an diesem herrlichen Film recht teilnahmslos vorbei. Seltsam: Der Kinomensch will mit der romantischen Welt des Märchens nichts zu tun haben, weil er in der modernen Zeit nicht kindergläubig werden will. So wird die Gattung Märchenfilme eines Tages ganz aussterben... Alexander Wolkoffs „Geheimnisse des Orients" (1928) ist der letzte große Märchenfilm der Stummfilmzeit. Die Geschichte stammt aus „Tausendundeiner Nacht" und handelt von dem Schuster, der in den Besitz der Wunderpfeife gelangt und für einen Prinzen gehalten wird (Nicolai Kolin spielte den Schuster).

Die Ballade im Film

„Nun haben wir Wegeners ,Golem' erlebt", so schrieb 1920 ein bedeutender Kritiker. „Zwei Stunden lang war die Welt um uns her versunken, zwei Stunden war unser Ich aufgelöst in einer Sphäre, die aus brausenden Bächen uns überströmte. Wir haben in tiefster Seele gezittert, wir haben gejauchzt, Wunder bestaunt und vor Gott gebetet – nicht um unseretwillen, sondern weil wir – wie in einem Traum – einer anderen Welt zu eigen gehörten, die uns packte, die uns schüttelte, die uns zwang. Unmittelbar nach der Wucht eines solchen Erlebnisses gibt es keine Analyse, keine klug ausgedachten Worte. Nur eine Frage drängt sich auf unsere Lippen: Ist so etwas möglich? Ist es denn denkbar, dem Filmband eine solche Gewalt – eine Zaubermacht, die allein höchsten Kunstschöpfungen innewohnt, einzuhauchen?" Paul Wegener hat es vollbracht. Er liebte die Gestalt des Golem, und so wurde dieser Film, von dem Wegener 1914 schon eine Fassung gemacht hatte, sein liebstes Kind und höchste Filmkunst. Nun wußte man es schon im zweiten Jahr des Friedens: Im Wettstreit der Völker um die flimmernde Kunst muß Deutschland mit solchen Filmwerken als Erster durchs Ziel gehen.

Aus der Fabel vom „Henker von St. Marien" entstand 1920 ein Film mit malerischen Stilarten der Dekoration: die Holzschnittmanier eines Dürer und Holbein gemischt mit der Märchenmanier eines Moritz von Schwind. Das Edelfräulein Eva May, das junge Filmtalent, kam hier noch nicht recht zur Geltung. Zur Filmtragödin wurde Eva May erst in der „Legende von der heiligen Simplicia". Dieser Film entstand nach einer Legende von Thea von Harbou (1920). Joe May formte diesen Film zu einer alten, halb verklungenen Sage. Eva May war hier die Heilige: schlicht, zart, legendär; bestimmt ihre schönste Rolle.

„Der müde Tod" mit Bernhard Goetzkt und Lil Dagover
„Die ihr an die Zukunft des Kinos glaubt, seht euch dieses Lichtspiel an! Die ihr dem Kino mißtraut, seht es euch erst recht an – aber laßt alle dumme Weisheit, laßt die hamburgische Dramaturgie und den Laokoon hübsch zu Hause, denn ihr seid bei einer neuen Muse zu Gaste: Beim Lichtspiel"

So schrieb einst die Kritik über den Fritz-Lang-Film „Der müde Tod" (1920), über dieses Volkslied, das in einer altdeutschen Stadt, im grotesken China, im Märchen-Arabien und im wirbelnden Karneval von Venedig dem ewigen Rätsel des Todes, des entsetzlichen und doch wieder erlösenden Todes, nachspürt. Drei Architekten von Ruf – Warm, Roehrig und Hertie – haben in diesem Film Traum und Wirklichkeit so zart zusammenfließen lassen, daß man den Odem der großen romantischen Dichter spürt und gleichzeitig auch den machtvollen Symbolismus Albrecht Dürers. Es ist deshalb ein deutsches Werk, eins der deutschesten. Nach einer Idee von Thea von Harbou hat F. Wendhausen die alte Ballade und Volkssage „Der steinerne Reiter" verfilmt (1923). Die expressionistischen Dekorationen und Bauten haben die romantische Balladenstimmung gänzlich zerschlagen, so daß dieser Film geradezu ein Mißerfolg wurde. Arthur von Gerlach hat die alte seelenvoll-wehmütige Ballade „Chronik von Grieshuus" (nach einer Novelle von Theodor Storm) aus der norddeutschen Heide erwachsen lassen und mit ihr die Menschen (Lil Dagover, Paul Hartmann und Rudolf Forster) und Schicksale zu einer wundervollen Einheit verbunden (1925).

Hans Albers als böser Geist in „Lumpaci- Vagabundus" nach der Zauberposse von Nestroy

Johann Nestroy lebte und wirkte in seiner Vaterstadt Wien als Schauspieler und Bühnenschriftsteller, wo er im Jahre 1861 im sechzigsten Lebensjahre starb. Seine Zeitgenossen belegten ihn mit dem Ehrentitel des „Wiener Aristophanes", während ihn seine Gegner, die er mit der Geißel seines Spottes traf, maßlos schmähten. Unter der Fülle der von ihm geschaffenen Gestalten sind die drei Handwerksburschen Leim, Zwirn und Knieriem im „Lumpaci-Vagabundus" wohl die echtesten und als solche unsterblich. Lumpaci-Vagabundus, der freche Geist der Liederlichkeif, dessen lustiges Wirken schon beginnt den Nachwuchs im Feenreiche anzustecken, ist sich seiner Macht über die Menschen, besonders über das leichtsinnige, fidele Kleeblatt, so bewußt, daß er voll Zuversicht mit Fortuna in den Wettbewerb um diese drei Menschenkinder tritt. Sie soll sie mit Gold überschütten. Gelingt es ihr dadurch, nur zwei der lockeren Burschen dem Lumpaci-Vagabundus abspenstig zu machen, dann hat sie gewonnen. Der Kampf zwischen Glück und Gewohnheit endet mit der Niederlage Fortunas, denn nur einer der drei wendet sich von Lumpact ab. Aus dem lustigen Stoff dieses erfolgreichen Bühnenschwanks entstand der Film „Der böse Geist Lumpaci-Vagabundus" (1923), in dem Hans Albers mit sprühender Ausgelassenheit den bösen Geist spielte.

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Nibelungen und Helena

Eine Handvoll Menschen hockte über einem filmischen Problem zusammen. Sie standen gewissermaßen nicht eher wieder auf, als bis die Lösung gefunden wurde. Es war die erste große und ehrliche Arbeitsgemeinschaft am deutschen Film. Ihr verdanken wir den Film „ Nibelungen" (1924). Von dieser Arbeitsgemeinschaft erzählt Fritz Lang:

„Im Anfang war das Wort: das Manuskript, das Thea von Harbou geschrieben hat. Hier fing die Arbeitsgemeinschaft an, das heißt in diesem Fall war es schon eine Arbeitskameradschaft, denn hier geschieht das Seltene, daß Verfasser des Manuskripts und Regisseur im unbeirrbaren Gleichmaß gemeinschaftlich wollend zum Ziele streben.

Bei den Nibelungen handelte es sich ja nicht darum, einen Film im amerikanischen Stil zu machen, mit Seitenblicken auf alle möglichen Nebenziele. Es galt hier einfach das Werk, und ich darf am Ende meiner Arbeit, mit Dankbarkeit und Stolz behaupten, daß mit ganz wenigen Ausnahmen, die sich selbst um die schönste Freude brachten, meine Mitarbeiter alle von ihrem Werk Besessene waren. Anders als mit dieser Arbeitsbesessenheit kann man auch nicht achtzehn Monate lang sich mit allen Lücken des Objekts siegreich herumschlagen.

Ich werde niemals den Augenblick vergessen - und ich hoffe, er auch nicht -, als ich zu Otto Hunte, der mit mir schon in Mabuse gearbeitet hat, sagte: Hunte, du sollst mir die Nibelungen bauen!' Er hat sie mir gebaut. Er und sein prachtvoller Adlatus Kettelhut, der bei der Arbeit ein sein Temperament ohne gleichen entwickelt hat, haben mir auf dem Neubabelsberger Gelände Worms und den Rhein, Isenland und Etzels Reich, den deutschen Dom und den deutschen Wald erbaut. Daß ich nach Mabuse mit keinem anderen Operateur als mit Carl Hoffmann arbeiten würde, verstand sich von selbst. Denn ich wußte, daß er alles, was ich als Maler vom Bildhaften der Nibelungen mir erträumte, durch seine Licht- und Schattengebung wahr machen würde und daß seine berühmten Blauaugen lehr genau um das Geheimnis wissen, wie man *se Frau so photographiert, daß beim Anschauen ihres Gesichts durch ein Licht im Augenwinkel, einen Schatten auf der Stirn, eine schimmernde Linie der Schläfe nicht nur die Frau selbst, sondern der seelische Inhalt einer ganzen Szene offenbart wird.

Günther Rittaus Können liegt auf einem ganz anderen Gebiet: auf dem experimentellen. Er experimentierte mit Carl Hoffmann die rächte hindurch. Er rückt dem Bildhaften des Films auf dem Umweg über die Mathematik zu Leibe. Jeder dritte seiner Sätze fängt an: „Was geschieht, wenn.“ Was aus Mathematik, Technik und Phantasie entstehen kann, das wird im Nibelungenfilm das Nordlicht zeigen und die versteinerten Zwerge, deren lebendiger Mund noch zum Schrei geöffnet ist, während der Körper schon in Stein erstarrt“

So wurden die „Nibelungen“ eine Schöpfung aus Licht und Schatten, deren Kühnheit berauschte und der sich Ähnliches überhaupt nicht an die Seite stellen lässt. Fritz Lang, der Regisseur, soll einmal Maler gewesen sein. Das spürt man immer und überall, denn die malerische Linie beherrscht den Nibelungenfilm: Filmgotik, etwas echt Deutsches, nationalgebunden und doch international wirksam.

Der Dichter Hans Hyser hat für den Film „Helena" (1924) allerlei Bruchstücke des Homerischen Epos zu einem Drehbuch vereinigt, das dem Kinopublikum klassische Bildung beibringen wollte. Die Menschenmassen waren ohnehin seit langem aus dem deutschen Film ausgeschaltet, so daß es an der Zeit war, wieder einmal den Spuren der ersten Nachkriegsjahre des Ersten Weltkrieges nachzugehen. So strebte der Regisseur Manfred Noa, wie einst sein Kollege [Lubitsch, nach amerikanischer Wirkung: eine groß angelegte Schlacht der beiden feindlichen Heere zu Land und zu Wasser, ein aufregendes Wagenrennen, stilechte Monumentalbauten. Manfred Noa, der Herr der feindlichen Filmheerscharen, ist mit „Helena" der Meister der deutschen Schlachtenfilmregie geworden (z. B. in der großartigen Inszenierung der Zerstörung Trojas). Das hätten auch die Amerikaner nicht besser machen können.

Klassische Literatur im Film

Das Lichtspieldrama hat seinen eigenen Stil. Es ist mit anderen Kunstgattungen nicht zu vergleichen, vor allen Dingen auch nicht mit dem Bühnendrama. Jede Kunstgattung besteht für sich und gehorcht eigenen, ihrem Wesen entspringenden Gesetzen. Trotz dieser Professorengelehrsamkeit ist aber das Bühnendrama verfilmbar, weil im Grunde zwischen dem Kino und dem Theater kein eigentlich inhaltlicher Unterschied besteht, nur eine verschiedene Stärke der dramatischen Emotionen. Im Theater: lebendige, sprechende Menschen, im Kino: vorüber huschende stumme Bilder. Asta Nielsen hat einmal in einer Polemik gesagt:

„Aber zu verfilmen ist Shakespeare nicht. Das wäre der Höhepunkt der an sich schon tief bedauerlichen Amerikanisierung des deutschen Films."

Das war natürlich übertrieben. Einige Shakespeare- Verfilmungen waren ganz beachtliche Leistungen.

Der große Unterschied zwischen Buchdrama und Film geht beispielsweise aus dem Film „Othello" (1924) hervor (mit Emil Jannings in der Titelrolle). Im literarischen Drama kann quälerisch gegrübelt werden, im Filmdrama dagegen steht die Dynamik der Handlung im Mittelpunkt, das Vorwärtstreibende, das Aktive - also in der Otheliotragödie: Jago und sein Intrigenspiel. So müsste der Othellofilm eigentlich „Jago" heißen, denn Jago ist von dem Regisseur Buchowetzki geschickt in den Brennpunkt des filmischen Geschehens gestellt worden. Jago ist Werner Krauß, strotzend von Vitalität und Energie, voller Saft und Kraft. Ein ganzer Kerl.

Holte man sich schon seine Filmstoffe aus der Weltliteratur, so war Shakespeares „Kaufmann von Venedig" eines derjenigen Werke, die sich am allerwenigsten zur Verfilmung eignen. Diese Shakespearesche Menschheitstragödie ist doch ganz und gar ans Wort gebunden. So wurde auch der Film „Kaufmann von Venedig“ (P. P. Fellner, 1923) nur ein lehrhaftes Lichtspiel über den lebensfreudigen Karneval und das düstere Ghetto- Venedig des Shylock. Henny Porten als Porzia war so gut wie lange nicht mehr, Harry Liedtke als Bassanio nicht sehr stark, Werner Krauß als Shylock in seiner alten Bühnenauffassung.

Hans Neumann hat 1925 Episoden der griechischen Geschichte, teils nach alten Sagen, teils nach freier Erfindung, mit dem Shakespeareschen „Sommernachtstraum" in Offenbachscher Manier durcheinander gemengt und dazu noch den alten Shakespeare mit der modernen Jazzband zusammengekoppelt. Von diesem Bluff braucht hier nicht ernsthaft gesprochen zu werden, weil er weder mit Shakespeare noch mit Filmkunst etwas zu tun hat.

Lessings Schauspiel „Nathan der Weise" war einst eine revolutionäre Tat, ist dann aber im Laufe von einundeinhalb Jahren hundert für unteren Geschmack völlig erkaltet und erstarrt. Der Regisseur Manfred Noa hat für die Menschen der Nachkriegszeit mit dem Film „Nathan der Weise" (1923) den Staub von der Dichtung Fortblasen wollen und dabei den alten Lessing „filmerte". Lessings ethische Lehre wurde in Zwischentiteln wiedergegeben, und seine Menschengestalten wurden nur in Kostüme gesteckt, so dass schließlich ein didaktischer Kostümfilm aus dem Glashaus kam. Selbst Werner Krauss als ehrwürdiger Nathan ist diesmal zu manieriert zu sehr Karikatur, während Carl de Vogt einen wunderbaren Tempelherrn abgegeben hat. Die Nationalsozialisten von 1923 pfiffen den typisch jüdisch gefärbten Film aus. Hersteller und Auswerter flehten den Parteiführer Adolf Hitler um Gnade an. Es wurde aber kein Pardon gegeben, weitergepfiffen und dadurch der Erfolg des Filme gründlich unterminiert.

Yvette Guilbert und Emil Jannings in einer Liebesszene im „Faust"

Eine der schwersten Aufgaben wurde im Jahre 1925 mutig angepackt mit der filmischen Gestaltung der Faustsage, jenes Werkes, das der höchste und geheimnisvollste Ausdruck eines Menschenlebens, eines Volkes, eines Zeitalters blieb - Das „eigentümlichste Gedicht der Deutschen", in dem Goethes Geist in einer erhabenen und nicht ausknöpfbaren Offenbarung sich legte. Lessing hat einmal von der Verliebtheit der Deutschen zu ihrem „Doktor" gesprochen. Was Wunder, dass die Deutsche Filmkunst die Sehnsucht verspürte, das Leben und Wirken des Faustischen Menschen zu gestalten, von dem es schon im ersten Volksbuch hieß: Er nahm Adlerflügel an sich und wollte alle Gründe im Himmel und auf Erden erforschen. Hans Kyser, einer der fanatischsten Verfechter der Filmkunstidee, ist der Faustfilmdichter. Er hat die Faustbüchern und Faustdichtungen zugrunde liegende Idee des Kampfes des Guten mit dem Bösen glücklich und genial aus dem Wurf von mittelalterlicher Quacksalberei und dem der heutigen Zeit schon etwas entrückten Mystizismus herausgelöst und diese erhabene Idee um die Gretchenhandlung kreisen lassen, die immer und durch alle Zeiten in ihrer Einfachheit und Menschlichkeit ergreifend wirkt. Nur so konnte Kyser auch den gänzlich unliterarischen Zuschauer im Kino von dem metaphysischen Problem der Faustdichtung und der Charakterisierung Faustens im Goetheschen Sinne fernhalten und ihm den Faustfilm in stummer Bildgestaltung verständlich machen. Dem Regisseur F. W. Murnau, dem Kameramann Carl Hoffmann und den Architekten Herlth und Roehrig siel die bildliche Ausgestaltung des Faustfilms zu. Sie haben alle starken Bildmotive, die die Volksbücher, Volksschauspiele und Puppenspiele über den Doktor Faust boten, mit dem Gretchenstoff szenisch, dramatisch, photographisch, malerisch und architektonisch zu einem künstlerischen Meisterwerk verschmolzen. Das war wiederum nur möglich, weil Murnau es, wie wohl kein zweiter vor ihm, verstanden hat, alle seine Mitarbeiter in den Bann seiner Persönlichkeit zu ziehen und sie mit heißer Liebe zur Sache zu entflammen.

So ist schließlich mit dem Faustfilm ein absolutes Werk filmischer Kunst entstanden - ein echt deutscher Film von leidenschaftlicher Innigkeit und einem ungemeinen Willen zur Läuterung und Reinheit des ringenden Menschen und darüber hinaus ein Film, der Ungezählten die Begierde nach Goethes Faust geweckt hat - vielleicht der höchste und schönste Ruhm dieses Films.

In recht glücklicher Verbindung der Goetheschen Formung des Stoffes und neuer historischer Motive aus der Zeit- und Lebensgeschichte des Ritters mit der eisernen Hand ist „Götz von Berlichingen" von dem Regisseur Hubert Moest verfilmt worden (1925). Eugen Klöpfer spielte einen verinnerlichten, weichen Götz, seine Frau war Lucie Höflich, Paul Hartmann gab den Weisslingen, Gertrud Welcker die Gräfin Adelheid. Die Geschichte des Grafen Fiesco von Lavagna, die Schiller vor mehr als zwei Jahrhunderte in die Form des neben Shakespeares „Cäsar" bedeutendsten republikanischen Trauerspiels gegossen hat, ist von Paul Cent in einen Film „Die Verschwörung zu Genua" gebannt worden. Der Fiescofilm hat schon deswegen eine Kulturmission erfüllt, weil er das Schillersche, nicht so ganz bühnensichere und daher nicht zum Gemeingut des Volkes gewordene Schauspiel der großen Menge nahe gebracht hat.

Von Schillers Schauspiel ist allerdings in dem Film Inhaltlich nicht alles übernommen worden, so wurde auch mit Takt der Schillersche Titel vermieden. Schillers „Kabale und Liebe" wurde von Carl Froelich 1922 verfilmt: „Luise Millerin." Froelich hat - ganz im Gegensatz zu den früheren und auch späteren Verfilmungen der Klassiker - versucht, das Dichterwort ziemlich unverändert in das zu übertragen, damit alles das filmisches Ereignis wird, was auf der Bühne Inhalt und Temperament des Wortes vermittelt. Wie Krauß im „Othello" den Jannings, so hat er hier als Sekretär Wurm mit psychologischen und pathologischen Feinheiten alte Darsteller um sich herum in den Hintergrund gespielt. Dieser Wurm war das Unvergeßliche in diesem Film.

Die Historie vom falschen Dimitry hat Schiller und Hebbel zur bühnendramatischen Gestaltung gereizt. Der jähe Aufstieg und der jähe Sturz eines romantischen Abenteurers in einer barbarischen zeit mußten auch den Film. Mann fesseln. Man holte einen neuen Mann, Hans Steinhoff, aus Wien herbei und ließ ihn einen Film machen: „Der falsche Dimitry" (1922). Ohne die großen Darsteller wäre der Film vielleicht gescheitert: der sonst so weiche und passive Alfred Abel als Iwan der Grausame war eine ganz große Überraschung auf der Leinwand, Eugen Klöpfer wie immer scharf im Profil, Paul Hartmann als falscher Dimitry etwas blaß, herrlich Agnes Straub als Zarin Maria. Wegen dieser Darsteller gehört der Dimitryfilm auf die Ehrentafel der deutschen Filmkunst. Die Verfilmung von „Wilhelm Tell" (1923) im Anschluß an das Schillersche Vorbild ist fehlgeschlagen (Regie: Rud. Dmorsky und R. Walter- Fein), weil die bildmäßigen Höhepunkte des Dichterwerks (Rütlischwur, Apfelschuß und Tellsprung) der Liebesgeschichte zwischen Rudenz und Bertha von Bruneck völlig untergeordnet worden sind. „Carlos und Elisabeth" (1924) ist der bette Oswald- Film.

Die Geschichte des spanischen Infanten (Conrad Veidt), dem der königliche Vater (Eugen Klöpfer) die geliebte Frau (Dagny Servaes) nimmt, gerade in dem Augenblick, wo die beiden Herzen sich gefunden, war immer dramatisch spannend.

Was Richard Oswald bereits in ,Lukrezta Borgia' angestrebt hatte: aus einer romantisch- warmen Grundstimmung heraus filmisches Geschehen von höchstem Bewegungsbildlichem Reiz zu schaffen, das ist ihm hier stärker, virtuoser, reicher, zugleich aber auch gedrängter gelungen. Es kam ihm zugute, daß er Schiller nicht verfilmte. Denn er nutzt ihn nicht als dramatisches Vorbild, sondern wie einen Historiker oder Chronisten. „Wallenstein" (1925) war als Film kein großer Wurf.

Der Schatten Schillers war zu groß. Rolf Randolf war der filmischen Gestaltung dieses gewaltigen Stoffes nicht gewachsen, und Fritz Greiner, der Film- Wallenstein, war kein von Ehrgeiz gepeitschter Feldherr, sondern gänzlich ins Bürgerliche hineingeraten. Schottlands Königin Maria Stuart ist uns durch Schillers Trauerspiel vertraut. Die filmische Nachschöpfung (1928) flammt von dem Regisseur Friedrich Feher, dem Kaffeehausliteraten Anton Kuh und dem künstlerischen Spielleiter Leopold Jessner. Die Geschichte der Maria Stuart konnte man leider nur aus zahllosen Titeln auf der Leinwand ablesen, denn von Magda Sonia, die die schottische Königin spielte, hat man nur den Eindruck gewonnen, daß Maria Stuart eine sehr schöne Mode- Königin aus dem Berliner Westen gewesen sein muß. Also völlige Fehlbesetzung und daher auch verdienter Mißerfolg!

Das moderne Drama

Drama oder Schauspiel hat natürlich dem Zelluloidband erst recht nicht entweichen können. Die modernen Stücke, de dem üblichen Filminhalt viel näher stehen als die klassischen, sind dennoch nur rechte Durchschnittsfilme geworden. So ist von Carl Hauptmanns Burlesktragöde „Tobias Buntschuh" im Film eigentlich nichts übergebliebene als der Name und ein Gerippe grober Leinwandeffekte. Natürlich gab es auch Ausnahmen. Lupu Pick ist ein Regisseur, der die Zurückhaltung liebt und stets wenig Wesens von sich gemacht hat. Ihm verdanken wir die Verfilmung von Ful das Bühnenwerk „Der Dummkopf" (1921) - ein Kabinettstück der Filmkunst. Paul Heidemann spielte in diesem Film den ins Biedermeier versetzten seelenguten Idealisten. Die kraftvolle Dichtung von Schönherrs „Glaube und Heimat", de eines der erfolgreichsten Bühnenwerke der legten Jahrzehnte war, hat im Film an dramatischer Wucht und geschlossener Kraft sehr stark eingebüsst. Besser ist es auch den Strindbergdramen nicht gegangen. Der Film: „Kameraden" hat mit Strindbergs Werk nicht mehr viel gemeinsam. Das Drama, ein Dialogstück, nur auf Wort und Stimmung eingestellt, ewige innere Feindschaft zwischen Mann und Weib, hat nun ein „Rausch"(1919) ist unser Lubitsch inszeniert worden, und Asta Nielsen war mit ihm unzufrieden, weil er dem Dichter Strindberg nicht gelassen habe, was des Dichters ist Erst im Film „Fräulein Julie" (1922) zeigte Asta Nielsen eine ecke Strindbergsche Natur: sie hatte nichts Dirnenhaftes oder Vampirartiges mehr an sich. Sie kämpfte als Mädchen, das im Grunde nie Backfisch war, zwischen Trieb und Abschaum und sah in dem Lakaien den höchsten Preis, so dass auf diesem Abweg schließlich Körper und Seele zerbrachen. Schnitzlers „Liebelei" hat schon vor dem Kriege an eine flache Verfilmung glauben müssen, während 1927 das Regisseur- Ehepaar J. und L. Fleck in der nochmaligen filmischen Bearbeitung des Stücks seinen Stimmungsgehalt besser wiedergegeben hat. Schnitzlers „Fräulein Else" gab für sechs Filmakte auch nicht genug Bildstoff her. Paul Czinner (1929) hat daher selbst mit Darstellern wie der Bergner, Bassermann und Steinrück nur ein Filmensemblespiel schaffen bannen, dem überall das Tempo fehlte. Man hat schließlich auch Frank Wedekind vor das Objektiv der Filmkamera geschleppt. Zugegeben, seine Stücke sind voll von buntem, groteskem Geschehen, aber hier satanisch- zynische Welt erhält doch ihre tiefere Bedeutung erst durch die „Phosphorblitze" des Wedekindchen Wortes, durch jenen ernst- ironischen, parodistischen und symbolischen Grundton des Dialogs. Die Bühnenhandlung ist bei Wedekind immer nur Gefäß, nicht Inhalt bitterer Lebensphilosophie. So musste der Geist des Dramas „König Nicolo" im Film unerschlossen bleiben und der Künstler, Gestalter und Denker Wedekind verfälscht und verflacht werden. nicht besser ist es mit den Dramen „Liebestrank" und „Frühlingserwachen" geworden. Trotz aller ernsten Warnungen hat Leopold Jessner den „Erdgeist" verfilmt (1923) und wie bei seiner „Hintertreppe" auch hier wieder nicht den Weg zum filmischen gefunden. Noch kurz vor Toresschluss des Stummfilms (1929) hat G. W. Pabst die „Büchse der Pandora" von Wedekind verfilmt, mit Kortner als Dr. Schön, der Amerikanerin Louise Brooks aus Hollywood als Lulu und der Französin Alice Roberte als Gräfin Geschwitz. Es war eigentlich keine verfilmte „Büchse der Pandora", sondern es waren nur Filmvariationen über ein Wedekindsches Thema - Lulu mit und ohne Wedekind. Auch Ibsen musste dran glauben. Vor 1918 sind „Peer Gynt" in Deutschland und „Hedda Gabler" in Italien schlecht und recht verfilmt worden. Erst nach 1915 kamen die Überraschungen der Leinwand. Man hatte den Ehrgeiz, Ibsens „Nora", das bei seinem Erscheinen die Gemüter aller aufgewühlt hat, frei und filmisch zu gestalten. Mit der schwierigen Verfilmung dieser abstrakten Problematik wurde ein Theaterregisseur betraut, der zum ersten Mal einen Film zu inszenieren hatte: Berthold Viertel (1923). In Viertels Hand ist Olga Tschechowa zu einer großen Filmkünstlerin geworden.

Henny Porten als Rose Bernd

Asta Nielsen spielte zwei Jahre später die Hedda Gabler (1925). Die Hedda Gabler ist eine der besten Leistungen der Meisterin europäischer Filmkunst. Ibsens „Wildente" wurde 1926 verfilmt: „Haus der Lüge." Lupu Pick hat sich an das spröde Bühnenstück herangetraut, nur weil Werner Krauß die Rolle des kleinen Spießers übernahm, Lucie Höflich die mütterliche Gina und Mary Johnson die kleine, zarte Hedwig spielten. Der Ufafilm „Rose Bernd" (1919) hat wohl zum ersten Male die erbittertste Gegnerschaft der buchdramatischen Darstellung durch das Lichtspiel verstummen lassen, denn im Film rührte und ergriff das Schicksal der schönsten schlesischen Bäuerin fast tiefer als im Drama. Alfred Halm, der Schöpfer dieses ausgezeichneten Films, löste durch eine geschickte Zusammenstellung der Einzelbilder die schwere Aufgabe, den inneren, rein aufs Wort gestellten und psychologisch motivierten Werdegang der Beziehung zwischen dem Gutsbesitzer Flamm und der Rosine Bernd und ihres Schicksals zu erhellen. Henny Porten spielt die Titelrolle. In den ersten Szenen vielleicht etwas gewollt, gemacht ländlich, dann aber Natur. Im Liebesglück frisch und Innig. Und wenn die Schatten sich über sie senken, rührend ohne jede Sentimentalität und erschütternd in den legten Szenen, als das Schicksal sie würgt und zermalmt. neben ihr muss an erster Stelle Jannings genannt werden, ein Streckmann, der in jedem Augenblick Mensch bleibt, eine Gestalt, getränkt von künstlerisch belebtem Realismus. Dann Ilka Grünling, Paul Bildt, Werner Krauß, Alexander Wirth - durchweg tüchtige Leistungen. Die Verfilmung von Hauptmanns „Ratten" (1921) stand auch nicht annähernd auf gleicher künstlerischer Höhe. Als der Russenfilm „Potemkin" über alles Erwarten eingeschlagen hatte, wagte sich Friedrich Zelnik an die Verfilmung von Gerhart Hauptmanns Schauspiel „Die Weber" (1927) heran, in engster Anlehnung an den schlesischen Dichter. Es wurde Zelniks bester Film, weil er sich plötzlich als ein so großer Meister in der Behandlung der Massen erwies, dass seine packenden Bilder überall politische Demonstration entfesselten. Paul Wegener war der Fabrikant Dreißiger, Wilhelm Dieterleder Träger der Rolle des Moritz Jäger als Agitator. Gerade der Agitator wurde in den Berliner Kinos bejubelt und gefeiert, symptomatisch für die politische Spannung von 1927. Am Ende der Stummfilmzeit wurde noch Gertart Hauptmanns „Der Biberpelz" (1928) verfilmt. Lucie Höflich spielte natürlich die Mutter Wolffen und Ralph Alrthur Roberts den Wehrhahn. Erich Schönfelder hat das Hauptmannsche Milieu sehr gut getroffen und das Bühnenwerk soweit als irgend möglich übernommen.

Das Kammerspiel im Film

Werner Krauß und Edith Posca in „Scherben"

Dem sentimentalen oder romantischen Film steht der realistische gegenüber. Das Kammerspiel will durch Stilisierung den Film zur Höhe eines wirklichen Kunstwerkes entwickeln, d. h. es will aus dem Wesen und der Eigenart des Films heraus besonders durch Steigerung aller Ausdrucksmöglichkeiten und Ausdrucksmittel, die sich dem Film im Gegensatz zur Sprechbühne bieten, einen völlig neuen, nur dem Film eigentümlichen Stil finden. Dieser neue Stil verzichtet auf sensationelle Effekte und Übertreibungen im Spiel und strebt nach einer ganz natürlich sich entwickelnden Handlung und besonders auch nach Einfachheit der Darstellung: nach der Pantomime. Die Pantomime soll vor allem „geschaut" werden. Das hatte auch das Kammerspiel im Film begriffen. Es verzichtete daher logischerweise auf die bekannten Zwischentitel und ließ die Handlung ganz schweigend - ohne Zwischentitel und ohne Erklärer vor der Leinwand - abrollen. Nur die Musik war Stimmungsfaktor. Das war natürlich nur etwas für geistige Feinschmecker. Es war schon ein Wagnis, das Leben in ebnem ärmlichen, einsamen Bahnwärterhäuschen in den Mittelpunkt eines abendfüllenden Films zu stellen. Lupu Pick hat es gewagt, mit Werner Krauß, Edith Posca und Paul Otto in dem meisterhaften Filmwerk „Scherben" (1921). nur ein einziger Zwischentext im ganzen Film, und zwar erst am Schluss: „Ich bin ein Mörder!" Der erste deutsche Kammerspielfilm war geboren... Der Kammerspielfilm „Scherben" blieb nicht ohne Eindruck auf die Sprechbühnenregisseure. So kam Leopold Jessner im Bunde mit dem Filmdichter Carl Mayer zum Film: „Hintertreppe" (1921). Die Porten, die ich lichte Dienstmagd, ist in der Hand des neuen Regisseurs so differenziert, diskret, schwach und doch im richtigen Augenblick wieder seelisch so stark wie noch nie. Der immer überschätzte Kortner als Briefträger ist geradezu abstoßend in seiner Verkrampftheit und auch hier wieder nur „Schauspielingenieur". Dieterie bleibt im Hintergrund.

Der Film fiel durch. Man wollte nicht immer wieder die Hintertreppe, den Hof, die Wiche, die Stube des Spießers Fehen. Man wollte nicht Hundertmeterweise sehen, wie Geschirr in der Küche gereinigt wird ... Und trotzdem brauchten wir solche Versuche, um vorwärts zu kommen. das ist eben nicht mehr „Kientopp", das ist Kunst. Und ein drittes Mal lief der Filmautor Carl Mayer mit einem Kammerspielfilm etwas verspätet dem Naturalismus nach: „Silvester" (1924). Wie in „Scherben" und „Hintertreppe" ganz kleine Lebensverhältnisse. Der geniale Regisseur Lupu Pick benötigte wieder keinen einzigen Zwischentitel, lässt diesmal sich fünf Akte über nur einen Abend - den Silvesterabend - ausdehnen („Scherben" über drei Tage) und kommt dabei mit drei Menschen aus (Eugen Klöpfer, Edith Posca, Frfeda Ridtar). Das Kinopublikum lehnte diese Filmkunst wieder ab. Die Kritik der Presse schwelgte dagegen in Lob.

Emil Jannings in „Der letzte Mann"

Karl Grunes fast titelloser Film „Die Strasse" (1923) stellt den Spuk einer Nacht dar, das Schicksal eines für kurze Stunden aus der geruhigen Bahn satter Bürgerlichkeit Gerissenen (Eugen Klöpfer), der in der Spanne einer einzigen Nacht durch die Höhen und Tiefen des Lebens gezerrt wird und schließlich zu seinem sicheren Ausgangspunkt wieder zurückkehrt. Auch dieser Kammerspielfilm bringt wieder etwas Neues: nicht Klöpfer ist der Held des Films, sondern die Strasse. Noch einmal fehlten de Zwischentitel völlig: in Arthur Robisons „Schatten" (1923) mit Fritz Kortner und Ruth Weyher. Kein Silhouettenspiel etwa, sondern phantastische und gespenstische Beleuchtungseffekte, die die Menschen und Dinge so verzauberten, dass man schließlich nicht wusste, wo Traum und wo Wirklichkeit beginnen, aufhören. Über Weihnachten 1924 kam in Berlin ein seltsamer Film heraus: „Der letzte Mann." Der Kammerspielfilm ging mit diesem Werk weiter ins Neuland. Es hat jemand einmal geschrieben: Der beste Film wäre es, wenn man ein wahres mimisches Filmgenie wie die Asta Nielsen einfach tagaus, tagein, von früh bis abends, mit dem Apparat verfolgte. Es wäre sogar der spannendste Film. Etwas ganz Ähnliches geht hier wirklich vor sich. Es gibt in dem Film „Der letzte Mann" nur eine einzige Person: Jannings, der Hotelportier. Dieser Film ist Jannings, und Jannings ist dieser Film. Meisterhaft zeichnet er die Tragöde des Alternden, Zermürbten, Weggeworfenen. Die Uniform ist alles, ihr Verlust ist Elend und Ende. Um ihn herum gibt es keine Menschen sondern nur Gesichter, lebende Masken. Er allein lebt. freut sich. Leidet. Wird vom Apparat verfolgt, in jeden Winkel der Hotelhalle und seines dumpfen Proletarierquartiers. Von morgens bis abends. Er allein ist da. Ungeheurer Mut eines Regisseurs und der Ufa, Riesen Weg mitzugehen! In Amerika rieb man sich die Augen, als man las: „Der Film spielt in der Herrentoilette eines Hotels." War das ein redaktioneller Ulk? Eine Satire aus dem Film? Ein deutscher Faschingsscherz? Aber dann las man große Namen: Carl Mayer, der Mann des "Caligri", Murnau, Jannings. Kein Zweifel, man stand vor sonderbarsten, um nicht zu sagen, tollsten Tatsache des Films. der Geschichte des Films. Es gab natürlich auch Kammerspielfilme mit Zwischentiteln. So war der Film „Nju" (1924) im neuen Stil (Regisseur Paul Czinner) gemacht: rein naturalistisch, der getreue Abklatsch des Lebens. Die Geschichte einer Frau (Elisabeth Bergner), die ohne Illusion mit ihren Mann (Emil Jannings) zusammenlebt, dem Geliebten (Conrad Veidt) folgt und dabei Körper und Seele verliert. Der letzte Kammerspielfilm der Stummfilmzeit ist Hans Behrendts „Die Hose" (1927). Werner Krauß als Sekretär Maske gibt eine unvergessliche Rolle, nicht in großer Linie durchgearbeitet, sondern lauter Mosaikbilder, zahllose kleine Einzelzüge, die aber diesen Film zum Kammerspiel machen.

Der Roman im Film

Aus dem Film „Soll und Haben" mit Theodor Loos

Wenn man die Geschichte der Verfilmung des Buchromans nach dem ersten Weltkriege schreiben und dabei die künstlerischen Höhepunkte unterstreichen will, so muss man zunächst den Mut der Künstler bewundern, die Dostojemshijs „Brüder Karamafoff" (1920) verfilmt haben. Hier ist die Umkomposition des Wortepos in das Bildepos restlos geglückt und der stummen Darstellungskunst die slawische Beete des großen russischen Dichters unverfälscht eingehaucht worden (Jannings, Kortner, Krauß, Hanna Ralph u. a.). Ein Jahr später hat der Regisseur Carl Froelich, eine der stärksten Potenten beim deutschen Film, Dostojewskijs „Idiot" verfilmt und uns damit die russische Welt in all ihren Tiefen, Höhen und Weiten noch einmal geöffnet. Gerhard Lamprechts Regie in den „Buddenbrooks" (1923) hat wohl am klarsten bewiesen, dass der seelische Gehalt und die gefühlsmäßigen Werte eines Romans sich rein filmisch wiedergeben lassen, wenn man nur das Wesen des Lichtspiels literarisch empfindet, abgrenzt und in allen seinen Möglichketten erfasst, nicht zuletzt, wenn alle Darsteller auf Effekthascherei und Starmanieren verzichten, wie es hier der fall ist: Alfred Jabel, R. A. Roberts, Mady Christians, um nur ein paar Namen zu nennen. Lamprechts Werk „Buddenbrooks" ist ein „deutscher Film" geworden, ein wirkliches Kunstwerk. Gustav Freytags berühmter Roman „Soll und Haben" wurde 1924 verfilmt. Man hat natürlich aus der Handlungsfülle der literarischen Vorlage die Hauptmotive des Romans in den Film übernommen und nur dadurch ein klares und über- sichtliches Lichtspiel schaffen können - obwohl 27 Darsteller mitwirkten. „Das kostümliche Milieu der sechziger Jahre war sehr nett getroffen." Der Regisseur, Carl Wilhelm, traf sogar im Regiestil den Ton ältester Antiquiertheit, der über seine Arbeit einen zarten Lavendelduft hauchte. Als der Großvater die Großmutter nahm ...„

Dita Parlo und Lars Hanson in »Heimkehr"

Alls Geburtstagsgeschenk 1927 für den Dichter Hermann Sudermann hat Gerhard Lamprecht den Film um „Katzensteg" in engster Anlehnung an den Buchroman inszeniert. Auch hier hat Lamprecht für die Darstellung wieder einmal ein neues Talent entdeckt: Lissi Arna als Regine ist über Nacht in der Hand von Lampecht eine erstklassige Charakterspielerin geworden. Es war gewiss nicht leicht, die rührselige Geschichte von dem kleinen Seelchen aus Agnes Günthers Roman in Filmbildern zu erzählen, das in Wirklichkeit eine Fürstin ist und schließlich doch den armen Grasen Harro heiratet: „Die Heilige und ihr Narr" (1928). Hier ist Wilhelm Dieterle Regisseur und Filmdarsteller zugleich, und Elen Deyers spielte rührend und überzeugend das Seelchen. Alls der stumme Film schon fast seinen Atem verlor, wurde die Weltgeltung des deutschen Lichtspiels zum Abschluss noch einmal aufs neue erwiesen. Mit „Heimkehr" (1928) wurde ein Filmwerk geboren, das sich würdig den größten Schöpfungen der letzten Jahre anreihen durfte. Joe May gibt kein Ausstattungsstück großen Stils mehr, keine Menschenmassen wie einst vor zehn Jahren, keine Sensationen, sondern ein ergreifendes Drama zwischen drei Menschen. Lars Hanson und Gustav Fröhlich sind hier keine Schauspieler mehr, sondern Gestalten aus Fleisch und Blut, erdgebunden, tief in der Heimat wurzelnd. Selbst Dita Parlo wird von diesen beiden Darstellern mitgerissen. Ein großer Abschied vom stummen Film...

Der Gesellschaftsfilm

Die meisten Gesellschaftsfilme sind zwar nicht poetisch, aber aus dramaturgisch- technischen Gründen tendenziös gefärbt. fast alle untere Gesellschaftsfilme (einschließlich der sexuellen, kriminellen und sensationellen) suchen nicht aus poetischem Nebensinn, aber aus dem Bedürfnis nach Kontrasten ihr Handlungsmilieu in zwei einander Entgegengesetzten Gesellschaftsreisen und verhetzen durch den ständigen Gegensatz von arm und reich und weiter gut und schlecht die Stände gegeneinander. Wenn auch der Film in fast allen fällen ein gefälschtes Bild der wirklichen Verhältnisse gibt, so sind die „Firmen" vor der Leinwand viel zu sehr von der eindrucksvollen Filmdarstellung eingefangen, als dass sie nicht mit Leidenschaft die Schilderung als wahr hinnähmen. Viele Gesellschaftsfilme wirken deshalb direkt sozial verhebend. Sie spielen in einem unerhörten Aufwand an Luxus und zeigen so die Macht des Geldes. Der untere Stand muss durch tiefe Darstellungen, die er als glaubwürdig hinnimmt und deren Voraussetzungen er verallgemeinert, durch Vergleich der dargestellten Verhältnisse mit den seinigen zum Hass gegen andere geradezu erzogen werden. So wurde vielfach geurteilt und gescholten. Der Gesellschaftsfilm der Nachkriegszeit des ersten Weltkrieges hätte danach streben sollen, möglichst ein Zeitfilm zu werden.

Diese Entwicklung hat aber nicht stattgefunden. Der Gesellschaftsfilm hat immer wieder die Requisitenkammer der Vorkriegszeit und des Weltkrieges durchstöbert, die Ableger des „mondänen" Sittenstücks hervorgeholt " und dabei natürlich an der Konvention kleben. Der Gesellschaftsfilm aber hatte immer einen Publik erfolg, wenn die alten Romanfiguren aus der Vorkriegszeit aufmarschierten: der ehrenfeste Oberst, der alte Offizier von echtem Schrot und Korn, der junge Leutnant der entweder Ehrenschulden machte oder sich in ein schlechtes Bürgermädchen verliebte und schließlich zum Revolver griff, um nicht des Kaisers Rock ausziehen zu müssen, Soldatenbilder, drill auf dem Kasernenhof, Manöverzeit, die Herren Offiziere zur Kritik, der dämliche Einjährige, der bärbeissige Feldwebel, der tölpischde Rekrut oder Offiziersbursche. „Trommeln und Pfeiffen, kriegerischer Klang", das war die Devise der Militärfilmkonjunktur des Jahres 1925. Mit „Rosenmontag“ fing es an. Es folgten Wolfgang Neffs „Aschermittwoch“, Fritz Kaufmanns „Reveille", G. von Bolrurys „Des Königs Grenadiere", Georg Jacobys „Husarenfieber", Heinz Pauls „Des Lebens Würfelspiel", Althoffs „Das alte Ballhaus". Und als im „Zapfenstreich“ (Regie: Conrad Wiene, 1925) ein Offizier der alten Armee ein Verhältnis mit der Tochter eines Untergebenen anfing, griff die Zensur ein: „Unser Volk ist augenblicklich noch zu zerspalten, als dass es ertragen könnte, dass von einer besonderen Kaste seine Töchter zu Tändeleien benutzt werden."

Hans Albers als Salonlöwe in dem alten Stummfilm „Das schöne Abenteuer"
Brigitte Helm und Franz Lederer in dem Film „Die wunderbare Lüge der Nina Pedaona"

Die Liebe zur Uniform aber hielt weiter an. So war auch „Der Hauptmann von Köpenick" (1926) fällig, keine militärische Satire, sondern eine derbe Posse (Hermann Picha spielte den Hauptmann unter der Regie von N. Dessauer). Der Säbel rasselte weiter: „Der Stolz der Kompanie" (Regie Georg Jacoby, 1926), „Die dritte Eskadron" (Regie Carl Wilhelm, 1926), „ Annemarie und ihr Ulan" (Regie Erich Eriksen, 1926), ,,Der Veilchenfresser" (Regie Friedrich Zelnik, 1926), „In Treue stark" (Regie Heinrich Brandt, 1926), „Der Feldherrnhügel'* (Regie Erich Schönfelder, 1926), „In der Heimat..., da gibt's ein Wieder sehn" (Regie Reinhold Schünzel, 1926), „Die Sporckschen Jäger" (Regie Holger Madsen, 1927), „Potsdam, das Schicksal einer Residenz" (Regie Hans Behrendt, 1927), „Ein Tag der Rosen im August" (... da hat die Garde fort gemusst - Regie Mal Mack, 1927), „:Ich hatte einst ein schönes Vaterland" (1929), „Dragonerliebchen" (Regie Walter Fein, 1929) u.a.m.. Am Ende der Militärfilmepidemie steht aber plötzlich ein totes Filmwerk: Carl Boeses „Das edle Blut" (1927), nach der bekannten Novelle von Ernst von Wildenbruch. Die Besetzung der Rolle des kleinen Kadetten war wohl das Schwerste an diesem Filmwerk, aber man hatte in Waldemar Pottier den richtigen Jungen gesunden. - Als der Gesellschaftsfilm für seine Handlung das Militärs Milieu so ziemlich abgegrast hatte, holte er sich seine Stoffe aus den populären Schlagern, die auf Hosen und Tanzböden gelungen wurden: „:Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren" (1926). In diesem Heidelbergfilm ging Dorothea Wieck als neuer Stern am Filmhimmel auf (Regie Arthur Bergen). Der Film „Gern hab' ich die Frau'n geküsst" (1926) bekam seinen Titel von dem Kehrreim des Walzerliedes aus „Paganini" (Regie Bruno Rahn). Nach Heidelberg kam der Rhein an die Reihe: „Die Lorelei" (1927), nach dem populären Lied „Ich hab' heut Nacht vom Rhein geträumt und von der Lorelei" (Regie Wolfgang Neff), und schließlich kam auch die Weser zu ihrem Recht: „}in der Weser" (1927), mit dem Untertitel: „Hier hab' ich so manches liebe Mal" (Regie Siegfried Philippi).

Schließlich nahm man nur noch das Motiv eines Schlagers, benutzte es als Überschrift, Umrahmung, belebendes Element und machte um ihn einen neuen Filminhalt, so z. B. bei dem Schlager „Valencia" (Regie Jap Speyer, 1927), „Ich war zu Heidelberg Student" (Regie Wolfgang Neff, 1927), „Lindenwirtin am Rhein" (Regie Rolf Randolf, 1927), „Ein rheinisches Mädchen beim rheinischen Wein" (Regie Dr. Guter, 1927), „Mein Heidelberg, ich kann dich nie vergessen" (Regie James Bauer, 1927), „Du sollst der Kaiser meiner Seele sein" (Regie Valy Arnheim, 1928), "Ich küsse Ihre Hand, Madame" Regie Robert Land, 1929), „Am Rädesheimer Schloß steht eine Linde..." (Regie Dr. Guter, 1927). Diese Filme waren natürlich Rückfall in verstaubte Courths- Mahler- und Studenten- Romantik. Das Leben der Studentengeneration nach dem Kriege verlief doch nicht mehr so fröhlich mit Bummeln, Trinken, Mensuren und Liebeleien wie in diesen Filmen. Das war einmal... Diese ganzen Studenten- Rheins und Weinfilme fanden mit der Verfilmung von Karl Zuckmayers „Der fröhliche Weinberg" (1927) einen recht kühnen Abschluss, denn es war nicht ganz leicht, die Verführungskünste und Liebesabenteuer im Heustall und in den lauschigen Nebengängen am Rhein durch die Fährnisse der Zensur zu bringen. Ein Bild aus dem Wien der Inflationszeit war „Die freudlose Gasse" (1925) G. W. Papst hat für eine im Grunde recht unwichtige Geschichte hervorragen Darstellermaterial auf die seine gebracht: Werner Krauß, Asta Nielsen, Esterhazy, Tamara, Herta von Walther und eine auffallende schöne Frau - die Schwedin Greta Garbo! Um dieser Frau willen sprach die Kritik von einem „merkwürdigen" Film. Sonst aber spürte man damals in den deutschen Filmfabriken leider nicht, dass in der schwedischen Novize, die auch in „Gösta Berling" seltsam schön wirkte, der kommende Weltstar stecken könnte, wenn man dieses junge schwedische Talent im deutschen Atelier zart und sein behandeln und entwickeln würde. Keiner spürte es, keiner ahnte es, keiner wollte es. So kam eines Tages Greta Garbo in Begleitung ihres schwedischen Regisseurs Maurizt Stiller still und schüchtern mit unmodernen Sandalen und einem großen Loch im Strumpf in Amerika an, wo man sofort das richtige Fingerspitzengefühl für das keimende Talent hatte. So war die „Freudlose Gasse" der erste und letzte deutsche Film der Greta Garbo.

Im Jahre 1926 erschien ein Filmalmanach. Da stand bei dem Namen Hans Albers: „Schauspieler; spielt auf der Bühne komische Rollen. Filmt seit einer Reihe von Jahren." Das war alles, was man damals von ihm - dem Salonlöwen - sagen konnte.

Wenn man den Film von der „Wunderbaren Lüge der Nina Petromna" (1929) als eines der besten deutschen Filmwerke bezeichnet (Regie Hanns Schwarz), so geschieht es wohl deswegen, weil hier wieder einmal der Beweis erbracht ist, es beim Film nie auf irgendein einzelnes Moment, also weder auf das Manuskript noch auf die Regie oder die Darstellung allein ankommt, sondern auf das Gesamtresultat, das sich in diesem Film ihr außerordentlich konzentriert erweist, dass man ihn, wenn man ihn einmal erlebt hat, kaum aus der Erinnerung verliert.

Dabei ist es ein Spiel, das, genau gesehen, nur zwischen drei Personen abrollt, zwischen dem Obristen, dem Fähnrich und der Nina Petrowna, einer jungen schönen Dame der Petersburger Halbwelt, die die Geliebte Obersten ist, aber Reichtum, Luxus, Wohlleben hingeben als sie die wahre Liebe erfasst, die Zuneigung zu dem jungen angehenden Offizier, der so wenig vom Leben kennt, dass er Nachts, als ihm Nina die Petrowna den Schlüssel ihrer Wohnung zusteckt, noch nicht einmal wagt, sie zu küssen. Hanns Schwarz, der Regisseur, hat Brigitte Helm unter seiner Leistung zur Höchstleistung angespornt. Diese junge Künstlerin tritt unwidersprochen damit ganz an der Spitze der deutschen Darstellerinnen.

Opern auf der Leinwand

Das Fiasko der ersten deutschen Lichtspieloper (Flotows „Martha") aus dem Jahre 1915 konnte nicht so leicht vergessen werden. Dieser Film scheiterte an den technischen Mängeln und am unzulänglichen können der Darsteller und Sänger - ein zwar interessantes, aber misslungenes Experiment. Trotz dieser schlechten Erfahrung musste 1916 auch Richard Wagner daran glauben. Man hat 1916 seinen „Lohengrin" verfilmt. Trotz aller offensichtlichen Mängel hat sich die Lichtspieloper zunächst ihren - wenn auch kurzen - Weg gebahnt. Aus sich selbst. Sie hatte schon nicht mehr so viele Gegner, als 1917 der Opernfilm „Der Freischütz" auf der Leinwand erschien. Diese Oper ist ein Stück Volkseigentum und bietet mit ihrem Stoff reichlich Gelegenheit zum Wechseln der Szenen. Das hat der Film natürlich ausgenutzt. Das Auge des Zuschauers wurde oft mehr beschäftigt als sein Ohr. Das Verblüffendste aber an dieser neuen Lichtspieloper war das synchron- exakte Zusammenfallen der Mundbewegungen der Filmdarsteller auf der Leinwand mit dem Gesang der lebenden Künstler (Beck- Patent).

Paul Hartmann in der verfilmten Oper „Der Evangelimann" von Wilhelm Kienzl

Die Lichtspieloper mit den lebenden Sängern vor der Leinwand hat sich als dauernde Einrichtung nicht in die Nachkriegszeit hinüberretten lassen. 1918 waren die Sänger und Sängerinnen vor der Leinwand verschwunden. Man verneinte die Möglichkeit eines Gleichlaufs von Film und Gesang. Man begnügte sich jetzt damit, die Opernlichtspiele nur noch mit einer klassischen Musik in Einklang zu bringen und dadurch die bildliche Gesamtwirkung des Films zu erhöhen. Diese Bestrebungen haben ihren ersten Niederschlag in der Schaffung der Films „Der fliegende Holländer" (1918) und „Undine" (1919) gefunden (Regie Hans Neumann), und bei der Verfilmung der Verdischen Oper „Rigoletto" (1918) gab man dem Film eine gut zusammengestellte Musik bei, die von Grammophonaufnahmen von Caruso geschickt unterbrochen wurde. Da der Film „Rigoletto" ein durch schlagender Erfolg war, durchstöberte man von neuen eifrig die Opernliteratur nach starken Stoffen, die sich zur Verfilmung eignen könnten. Max Mack ließ aus Beaumarchais' „Figaros Hochzek" aus jenem Stoff, der einst Mozart zur musikalischen Bearbeitung gereizt hat, fern von Filmdrama, fern von Schwank, einen lieblichen Film entstehen (1920), der wie ein zarter Rokokotraum anmutete. Hella Moja spielte nicht - sie ist Cherubin, der verliebte Schalk. Große Künstler waren mit ihr zusammen am Werk: Winterstein und Vera Schwan, Moissi, Thielscher und Ilka Grüning. Die wirklich erste Filmoper im eigentlichen Sinne brachte dann das Jahr 1922: „ Jenseits des Stromes." Dieser Film hat im Gegensatz zu seinen verschiedenen Vorläufern eine durchgehende eigene Orchester- und Gesangsmusik (Komponist Ferdinand Hummel). Buch, Architektur und Regie blieben aber im Theatermäßigen stecken, und so war es wieder kein Fortschritt. Wie schwer und gefährlich es ist, Opern zu verfilmen bewies erneut A. E. Lichos Opernfilm „Tiefland" (1922). Eugen d' Albert hat uns eine unsterbliche Oper geschenkt, der Film dagegen eine dünne, breit ausgewählte und dadurch tempolose Bilderserie. Der Martha gab Lil Dagover zwar viel Schönheit und Anmut, aber leider kein spanisches Temperament, und darauf kam es doch zu Johann Strauss' „Fledermaus" ist von Max Mack verfilmt worden (1923), der das Stück in Milieu und Kostüm unserer Zeit versetzt hat.

Maria Solveg als Evchen in „Der Meister von Nürnberg

Gennaro Righelli hat mit der Verfilmung von Puccinis Oper „Boheime" (1923) die weibliche Heldin Mimi ganz auf Virtuosität gestellt. Die schöne Italienerin Maria Jacobini war von natürlicher Anmut, Beweglichkeit und meisterhafter Routine. Die Oper erfreut durch Musik, dieser Film mehr durch ein Feuerwerk von Witz und Grazie. Mit diesem Film ist eigentlich der erste Wegweiser für die erfolgreiche Verfilmung von alten Opernstoffen aufgestellt worden. Wilhelm Kienzis Oper „Der Evangelimann" ist bestimmt kein Meisterwerk. Man kann daher auch von dem Film gleichen Namens (1924) kein Kunstwerk verlangen. Es bleibt in der Oper wie im Film nur der sentimentale, aber doch immer wieder wirksame Inhalt übrig: Das Schicksal des Lehrers (Paul Hartmann), der als Brandstifter ins Gefängnis kommt, während sein schurkischer Bruder das von beiden geliebte Mädchen (Hanni Weisse) erringt. Nach vielen Jahren öffnen sich die Gefängnistore, und der „Evangelimann" wandert gramerfüllt durch das Land. 1926 kam Richard Strauss „Rosenkavalier" an die Reihe, der von Robert Wiene Kinomässig gründlich verändert worden ist. Die Episode vom Ochs von Lerchenau (Michael Bohnen) wurde dramaturgisch und bildmäßig geweitet, und neben der Marschällen tauchte ein eiferstüchtiger Gatte (Paul Hartmann) auf, den die Oper nicht kennt. Den Jugendlichen Liebhaber Oktavian spielte Jacques Catelain. Es wird immer ein schweres Experiment sein, Richard Wagner zu verfilmen. Das hat natürlich auch ein so kluger Regisseur wie Ludwig Berger gewusst. Er hat sich daher mit seinem Film „Der Meister von Nürnberg" (1927) fast gar nicht an Wagners Oper angelehnt. Für seinen Film verjüngte er Hans Sachs und stellte Walther Stolzing breiter in die Handlung, um ein Volksstück sowohl im Sinne des Mittelalters als auch der Neuzeit zu schaffen. Die ganze Bildgestaltung erinnert daher viel an die Manier der alten Holzschnitte eines Dürer und die Dekorationen an die Spitzwegmanier. Als Meister von Nürnberg ragt der Schauspieler Rudolf Rittner hervor, als Eva die Maria Solveg.

Der Operettenfilm

Film und Operette gleichen einander ungemein, weil sie in vielen Dingen dieselben Interessen verfolgen. Sie wollen dem Theaterbesucher Entspannung und Freude bringen. Also konnte auch die Operette der Sprechbühne in Film umgewandelt werden. Kurz vor Kriegsende verfilmte Richard Oswald die populäre Operette „Das Dreimädelhaus" (1918). Alles was diese Operette so überaus populär machte, wurde in den Film übernommen. 1919 ging die Operette „Die Rose von Stambul" mit Fritzi Massary über die Leinwand. 1920 wurde die Operette „Schwarzwaldmädel" mit Uschi Elleot als Bärbel verfilmt. Aus Wien kam der Film über Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen" (1924).

Mady Christians und Willy Frisch in „Walzertraum"

Es ist eigentlich verwunderlich, das es so lange gedauert hat, bis sich der Film des prächtigen Sujets bemächtigte, das in der weltbekannten Straussschen Operette „Ein Walzertraum" liegt. Was lange währt, wird gut: der Film „Ein Walzertraum" (1925) ist der beste deutsche Operettenfilm geworden! Alle guten Geifer Wiens springen durch Film, in vielen Schattierungen, wundervoll echt in ihrer Lebendigkeit und Daseinsfülle, Wiener Atmosphäre, dieser feine Duft aus Leichtigkeit und „a biss'l Schwermut". Aus dem Geiste der Musik entwickelt Ludwig Berger seinen Film, mit künstlerischem Ernst und dabei mit fast improvisierter Heiterkeit, die als leise Melodie den ganzen Film begleitet. Mady Chrtians war niemals so gelöst, so gelockert, so beschwingt in der Darstellung wie in der Rolle der Prinzessin Alixe. Prachtvoll als naives, beim heurigen beschwipstes Prinzesschen, das eine Wandlung vom Flanell zum Seidenstrumpf und Bubikopf durchmacht. Willy Fritsch stellt den Prinzgemahl nicht auf den Typus „Schöner Mann", sondern wirkt diesmal durch lässige und dadurch sympathische Eleganz. Ein neues Filmgenre ist entstanden: die Paarung des feinsten Kammerlustspiels mit dem heiteren Spiel der Operette. Das bedeutet nichts anderes als die Geburt des Films aus dem Geiste der Musik! Den Deutschen fehlt ein Schuss Champagner im Glut, hat Bismarck gemeint. Mit dem Film „Ein Walzertraum" ist uns das Fehlende nun doch beschert worden .. . Ende 1926 hat man hier und da das Ende des Operettenfilms prophezeit, aber es zeigte sich sehr bald, das man mit solchen Behauptungen vorsichtig sein muss, denn die Verfilmung der „keuschen Susanne" (1926) durch Richard Eichberg war wieder ein großer Publikumserfolg. Lilian Harvey triumphierte in Spiel und Tanz und Willy Fritsch als junger Rene. Friedrich Zelnik hat die Operette „Die Försterchristel" mit Lya Mara in der Titelrolle verfilmt (1926), aber an manchen Stellen des Films etwas zu viel Hoftheater alten Stils geschaffen. Auch der Erfolg der Operette „Der Soldat der Marie" war seinerzeit groß. Die Schlager: „Wenn die Veilchen wieder blühen" und von dem Tambour, „den jedes Mädchen gerne küsst, wenn er im Wirbelschlagen ein Meter ist", wollte man nicht vergessen. So war es also an der Zeit, dass der „Soldat der Marie" auch auf der Leinwand erschien (1927). Der Soldat der Marie ist Harry Liedtke, der unverwüstliche Don Juan, und neben ihm Xenia Desni. In Friedrich Zelniks Film: „Der Zigeunerbaron" (1927) ist von der Operette des guten alten Johann Strauss nicht viel übergebliebene. Die Saffi spielte Lya Mara, den Barinkay Wilhelm Dieterle und den Csupan der berühmte Sänger Michael Bohnen. Man konnte sich nicht entschließen, die Verfilmung von Operetten einzustellen, obwohl gerade sie den Zeitproblemen so meilenweit fern sind, ist sich eine Verbindung zwischen der Operettenhandlung und der Wirklichkeit kaum noch erreichen lässt. Man suchte krampfhaft nach diesen Brücken, so im „Orlow" (Regie J. und L. Fleck, 1927), wo der Operetten- Großfürst von „der roten russischen Welle" vertrieben worden ist. Die populäre Operette „Der fidele Bauer" (Regie: Frans Seitz, 1927) hat für ein Filmbild zuwenig hergegeben. „Der Bettelstudent" ist seit Jahrzehnten immer wieder über die Operettenbühnen gegangen. Kein Wunder, ist der Film sich auch dieses Stoffes bemächtigt hat (J. und L. Fleck, 1927). Die beiden Studenten, die eines Tages ins Gefängnis müssen, übertrug man Harry Liedtke und Ernst Verebes. Die legtzten Operettenfilme aus der Stummfilmzeit waren E. W. Emos „polnische Wirtschaft" (1928) nach der bekannten Operette des Komponisten Jean Gilbert, die seinen Ruhm begründet hat; Robert Lands „Prinzessin Olala" (1929), einst ein Triumph der Massary (die Film- Massary war Carmen Boni), mit Georg Alexander, Walter Rilla und Marlene Dietrich; Wendhausens „Die Frau von Format" (1929) mit Mady Chrtians. Dass aus der zugkräftigen Operette Kalmans „Gräfin Maritza" eines Tagen ein Film gemacht werden würde (1929), war mit Sicherheit zu erwarten. Der Regisseur Hans Steinhoff hat Vivian Gibson zur Gräfin Maritza gemacht, und den Grafen Tassilo hat Harry Liedtke gespielt. Der Tonfilm steht vor der Tür! Er hat später keinen Operettenstoff ungeschoren gelassen.

Das Lustspiel als Kunstform

Humor ist eine national gebundene Sache. Vor dem ersten Weltkriege deckten wir unseren Bedarf an kurzen humoristischen Filmen zum größten Teil aus Frankreich und anderen Ländern, denn unübertroffen war die drolligvornehme Art eines Max Linder, eines dummdreisten Moritz Prince, eines Bunny, und wie die Helden der beliebten ausländischen Filmhumoresken zu jener Zeit sonst noch alle hießen. Drastik und Selbstverspottung war die Stärke dieser Komiker. Wir haben weder in der Kriegs- noch in der Nachkriegszeit aus den deutschen Komikern einen Max Linder entwickeln können. Seine Art liegt dem deutschen Humoristen nicht. Ihm liegt auch nicht die amerikanische Exzentrik- und Knock- out- Komik, die nichts weiter ist als die Übertragung der Varieteartistik und Varietekomik auf das Filmband, ihm liegt nicht die italienische Komik, die sich in Fratzenhaftigkeit nicht genugtun kann, auch nicht das englische Filmlustspiel, das zu naiv und süßlich ist, nicht der französische Humor mit seinen witzigen Pointen und erst recht nicht der russische, weil die Russen keinen befreienden Humor besitzen, sondern nur bittere Ironie, wenn sie einmal witzig sein wollen. Und doch kennen wir Deutschen einen Humor, der sogar tief in unserem Charakter verankert ist. Der Deutsche ist nun einmal eine problematische Natur. Er sieht gern Probleme und löst sie gern mit der Suche nach einem inneren Sinn, nach logischer und psychologischer Folgerichtigkeit. So ist es nicht erstaunlich, dass erseine Gründlichkeit auch aus den Lustspielfilm anwandte. Im ersten Weltkriege haben wir Lustspiele mit Asta Nielsen, Henny Porten, Dorrit Weixler und Ossi Oswalda erlebt, die sich gegen die Ausländer mutig auf die Leinwand wagten und bereits deutlich auf dem Wege zu kleinen Filmkunstwerken waren. Erst Ernst Lubitsch hat das Filmlustspiel von Format und als selbständige Kunstform geschaffen. Der erste große Lustspielfilm „Die Austernprinzessin", den er mit Ossi Oswalda drehte, gelangte zu Weltruhm, und seither wusste man im Ausland, das die Deutschen ebenso gut Filmkomödien schreiben, spielen und drehen können wie Filmdramen. Lubitsch genügte es nicht mehr, dass die handelnden Personen wahnsinnig und übermütig herumsprangen, sondern er wollte für ihr Benehmen auch eine Lustspielmäßige und unauffällig- philosophische Begründung dem Film unterlegen. Für Lubitsch sollte das Wesen des humoristischen Filme nicht sein, irgendeiner Künstlerspezialität (z. B. Max Linder, Charlie Chaplin, Harald Lloyd, Bufter Keaton) als Folie zu dienen, sondern der deutsche Lustspielfilm sollte eine Spezies für sich sein, der sich die lustspielartige Idee und die humortischen Künstler ohne Starehrgeiz in gleicher Weise dienstbar zu machen hatten. - Trog der Güte des deutschen Filmlustspiels waren die anderen Völker wenig geneigt, es ans zuerkennen. Der Grund dafür liegt einzig und allein in seiner allzu literarischen Anlage. Schon in der „Austernprinzessin" und später immer wieder hat der deutsche Lustspielfilm das Motiv der Verwechslung als Angelpunkt der Handlung gewählt, das bei den Dichtern, Bühnendirektoren und beim Publikum auch immer beliebt war. Das Publikum gerät stets in eine Stimmung spannungsvoller Heiterkeit, wenn es auf der Bühne die Leute aneinander vorbeireden seht, wenn der eine den anderen für etwas Verkehrtes hält, wenn der eifersüchtige Ehemann den „Beweis" für die Untreue seiner Frau durch eine solche Verwechslung erhält - natürlich ebenso oft auch umgekehrt. Zu dem Motiv der Verwechslung gehört auch das der Aufklärung. [[Bild: ein_glas_wasser.jpg|thumb|222px| Szene aus dem Lustspiel von Scribe „Ein Glas Wasser" mit Lucie Höflich, Mady Christians. Helga Thomas und Hans Brausewetter. Sie soll immer in einer heiteren, lösenden, "erlösenden Form geschehen. Also der Irrtum wird schließlich offenbar, und alles ist: wieder gut, zum Unterschied von der Tragödie, wo aus Irrtümern eben tragische Ergebnisse abgeleitet werden. Lubitsch gab dem Lustspiel zunächst die große Ausstattung. Unvergesslich in dieser Hinsicht die "Austerprinzessin" (1919). Im Tempelhofes Ufa- Atelier wurde eine Hochzeitstafel aufgebaut, wie sie der Film vorher noch nicht gesehen hatte. 200 wirkliche Berufskelner waren aufgeboten. Hinter dem Platze eines jeden Hochzeitsgastes standen drei Diener. Die Tafel wurde aufgehoben, und der Festsaal wandelte sich zum Ballsaal. Hochzeitsfest und Ball waren Meisterstücke einer verschwenderischen Regiekunst. Das Ausland staunte doch über das neue deutsche Lustspiel... Mit dem Lustspiel „Die Puppe" (1919) schuf Lubitsch ein modernes Bilderbuch für Erwachsene, voll von harmlosen Naivitäten und ungekünsteltem Humor. Hier werden Märchen, Operette und Posse einfallsreich und geschmackvoll zu einem neuen Lustspielgenre zusammengeschmolzen. Dann gab es jahrelang kein gutes Lustspiel mehr. „Das Milliardensouper" mit Ossi Oswalda (1923) war misslungen. Erst Henny Porten hat das Lustspiel wieder zu Ehren gebracht, zuerst mit „Kohlhiesels Töchter" (Regie Ernst Lubitsch) und später mit „Kammermusik" (Regie Carl Froelich). Wie sie in „Kohlhiesels Töchter" im Grotesken, im scheinbar Klamaukischen das Leiden einer ungelösten, unerlösten Seele sichtbar macht, das wird immer zu den stärksten Eindrücken mimischer Gestaltung gehören. Aus dem Scribeschen Lustspiel „Ein Glas Wasser", einem altbewährten Bühnenstück, hat Ludwig Berger eine Filmkomödie von Großformat (1923) geschaffen, die zugleich Erfüllung und Verheißung war. Dieser Mann der Feder und der Bühne hat nicht nur visuelle Fähigkeiten, sondern vor allen Dingen Kultur und Geschmack.

Pola Negri in der Filmgroteske „Die Bergkatze"

Die Filmgroteske

Der Schriftsteller Kräly hat seine Fähigkeit zum komischen Film mit der „Austernprinzessin", der „Puppe" und mit „Kohlhieses Töchter" unter Beweis gestellt. Er hat auch das Manuskript zu dem Lubitsch- Film „Die Bergkatze" (1921) geschrieben. Lubitsch hat hier die Handlung in eine außerweltliche Sphäre und in ein zum Teil expressionistisches Milieu versetzt. Die Wirkung ist nicht immer einheitlich. Wenn die expressiontische Ritterburg aus der Spielzeugschachtel mitten in der herrlichen, natürlichen Alpenwelt steht, dann ist die Natur nicht mehr Inhalt, sondern nur noch Füllung eines grotesken, unnatürlichen Bildausschnittes.

Pola Negri als Räuberstochter, als ,Tolle Rischka', ist von einer temperamentvollen Komik, von einer verblüffenden Hingabe an alle Abenteuer der Rolle. Sie gehört zu jener seltenen Klasse von Schauspielerinnen, die im Tragischen wie im Komischen gleich begabt sind. Ihre Komik ist wirklich gekonnt. Janson ist eine starke Begabung, vielleicht einer der Begabtesten Episodendarsteller im deutschen Film: sein Kommandant war von einer unerhört grotesken Komik, die immer wieder zum Lachen Hinriss." (Aus der„ Lichtbildbühne", April 1921.)

Der Filmschwank

Ein Filmschwank ist eine Sache, über die man unter allen Umständen lachen soll. Seine Verfasser haben deshalb die Freiheit, unlogisch zu sein. Sein Regisseur hat das Recht, sich in tollsten Situationen auszutoben, und seine Schauspieler haben die Pflicht, die Komik auf die Spitze zu treiben. Ein Filmschwank ist eine Sache, die in flottem Tempo eine komische Begebenheit an die andere reiht, die mit lustigen Bildern und witzigen Titeln volle Verwirrung in den Köpfen der Zuschauer anrichtet, die sich schließlich zu atemloser Spannung steigert, bis sie sich in schallendes und befreiendes Lachen auflöst. Bei diesem Charakter hat der Filmschwank natürlich überhaupt keinen literarischen Ehrgeiz, wie etwa das Lustspiel mit der Feinheit der Situationen und der Geschliffenheit der Worte. Der Schwank braucht handfestere und deutlichere Situationen; die Komik des Wortes ist lediglich für möglichst wenige und kurze Titel zu benuten. Die Situation ist sein A und 0, und je toller und ausgelassener diese Situationen sind, desto stärker ist die Wirkung auf das Publikum.

Der Kriminalfilm

Den ersten deutschen Kriminalfilm drehte der damalige Theaterschauspieler Otto Rippert. Er nahm im Jahre 1906 den Fall des vor dem Karlsruher Schwurgericht unter Mordanklage stehenden Rechtsanwalts Karl Hau (1881–1926) als Stoff für seinen ersten Film. Jedoch erst nach einer nun folgenden Phase von sogenannten Detektivfilmen begann die Entwicklung des modernen Kriminalfilms. Erstes Gesetz hierfür war: fort mit allen künstlich konstruierten Unmöglichkeiten - Lebensechtheit, Logik, Natürlichkeit in Handlung, Ausstattung und Darstellung um jeden Preis. Noch eines ist beachtenswert: der Zuschauer durfte nicht mehr wissen als der Kriminalist, der oben auf der Leinwand einen geheimnisvollen Mord zu enträtseln hatte. Im guten Kriminalfilm sollte der Zuschauer Schritt für Schritt mit der Polizeibehörde und dem Kriminalkommissar den Fall aufklären, die verschiedenen Möglichkeiten erwägen, die unvorhergesehenen Überraschungen erleben, den Täter suchen, ihn festnehmen, kurz in filmwirksam komprimierter Form alles miterleben, was sich in den Presseberichten zwischen den prägnanten Sätzen „Vom Täter fehlt jede Spur“... und „Der Täter verhaftet!“ abspielt.

Spione.jpg

Erst Fritz Lang hat mit dem Film „Spione“ (1929) den modernen Verbrecherfilm voller Temperament, Spannung und Phantasterei geschaffen und damit auch für dieses Filmgenre sein Können erneut unter Beweis gestellt. Willy Fritsch musste bei Fritz Lang den Liedtke-Stil ablegen und wurde dadurch ein natürlicher Bonvivant und Charakterdarsteller. Gerda Maurus wurde für „Riesen Film“ von Fritz Lang neu entdeckt, wie er Brigitte Helm für „Metropollis„“ gefunden hatte. Rudolf Klein- Rogge, einst der „Doktor Mabuse“, war das Haupt der Spione. Von hier aus war nur noch ein kurzer Weg zum verfeinerten Detektivfilm, wie z. B. „Vom Täter fehlt jede Spur“ (1928) nach der Regie von Konstantin J. David.

Am Ende der Stummfilmperiode setzte die Verfilmung von Edgar Wallace ein, der zu den meistgelesenen Autoren in Europa gehört. Manfred Noa machte den Film „Die Große Unbekannte“ (1927), der eine höchst geheimnisvolle phantastische Geschichte schildert und als Theaterstück großen Bühnenerfolg hatte. Neuartig war, daß nach dem vierten Akt eine Pause einsetzte und das Publikum aufgefordert wurde, den Namen derjenigen Person aufzuschreiben, die den alten Tarn ermordet hat. Als Friedrich Zelnik den Film „Der rote Kreis“ (1929) drehte, kam Edgar Wallace sogar nach Berlin, um zu beobachten, was man aus seinem von ihm längst vergessenen Roman im Filmatelier machen konnte.

Sensationen im Film

Das Wort Sensation hat immer einen üblen Beigeschmack. Es steht auf gleicher Stufe mit den Begriffen Effekthascherei und Nervenkitzel. Für den Film aber sind, seinem Wesen und seiner Eigenart entsprechend, Sensationen nun einmal unentbehrlich. Erschöpft sich die Sensation nur in äußeren Effekten, so kann sie natürlich keinen Anspruch auf künstlerische Wertung erheben.

Kämpft Harry Piel mit einem Gegner hoch oben in den Lüften auf den Flügeln eines Flugzeuges, oder schwebt Aldini mit einem Baby im Arm auf dem Dach eines Wolkenkratzers, um jeden Augenblick in die Tiefe zu stürzen, so sind diese Sensationen zwar sehr interessant, in ihrer Wirkung aber doch nur auf Nerven und Sinne, nicht auf künstlerisches oder gar seelisches Empfinden berechnet. Verwerflich ist die Sensation immer, wenn sie die Grenzen des Taktgefühls oder des guten Geschmacks überschreitet, stets brauchbar dagegen wird sie sein als wirksame Hilfe für die Steigerung des Interesses an der Filmhandlung. [[Bild: panik.jpg|thumb|222px|Harry Piel im Kampf mit den Löwen in „Panik"]] Sensationen dürfen in einem Film auch nicht allzu gehäuft vorkommen. Die Nervenkitzelnden Effekte dürfen sich niemals jagen. Die Nerven des Publikums könnten völlig abgestumpft werden, und schließlich wird alles höchst unwahrscheinlich aussehen und dabei seine sensationelle Wirkung einbüßen. Zur Lächerlichkeit ist dann nur noch ein kleiner Schritt. Schon in den Sensationsfilmen aus der Kriegszeit des ersten Weltkrieges war Harry Piel der „Mann ohne Nerven". Er ist immer der alte geblieben, der seine Sensationen mit der ihm eigentümlichen Meisterung von Eleganz und Bravour ausführt. Es gehört in allen seinen Filmen zu seinem persönliche Pech, ist ihm stets Verbrecher nachsetzen, oder aber er ist Befreier der verfolgten Unschuld. Das gefällt besonders den Frauen. Deshalb gehörte Harry Piel zu den populärsten Schauspielern der deutschen Leinwand in der Stummfilmzeit. Harry Piel, der „europäische Douglas Fairbanks", befreit vor allen Dingen seine Sensationen von allem Krampfhaften und läßt sie stets als Inhalt und Höhepunkt einer spannenden Handlung erscheinen. Von einem Piel- Film verlangt der Zuschauer die Bildgewordene Abenteuergeschichte, die sich auch in seiner eigenen Umgebung ereignen könnte und deren äußeren Verlauf er mit der Erfahrung seines eigenen Gehirns mit kontrollieren kann. Harry Piel nahm eines Lager Frack und Claque, schließlich auch noch das Kostüm des Maharadschas, und machte in dieser Aufmachung mit dem Film „Panik" (1929) einen ganz neuartigen Salonsensationsdarsteller.

Die Ufa gab mit diesem Film Harry Piel zum ersten Mal Gelegenheit, in ganz großer Aufmachung zu spielen und sich einmal in einer von seiner Tradition gänzlich abweichenden Rolle dem Publikum zu zeigen. Allerdings durften die Löwen auch hier nicht fehlen. Harry Piel versteht mit wilden Tieren umzugehen. Das hat er schon 1916 in seinem Film „Unter heißer Sonne" bewiesen. Die wichtigsten Darsteller in diesem Sensationsfilm waren die Löwen, die aus Hagenbecks Hamburger Tierpark nach Berlin geschickt worden waren. Den Löwen wurde zwei Tage vor der Aufnahme keine Nahrung mehr gereicht, damit sie bei den Aufnahmen recht wild sein sollten. Die Geschichte war also keineswegs ungefährlich, doch Harry Piels Umsicht war groß, und seinem Kommando konnten selbst die Löwen nicht widerstehen. Piel hat für solche Sensationsaufnahmen den notwendigen Scharfblick und weiß jede plötzlich auftauchende Situation vorbildlich auszunutzen. Ausländische Sensationsdarsteller haben kurz nach dem Kriege den Eindruck erwecken wollen, als ob sie mutiger und kräftiger wären als die armen „Boches". Der „tolle" Filmregisseur Heinz Karl Heiland hat den ausländischen Wichtigtuern sehr schnell durch einen öffentlichen Aufruf dadurch den Mund geschlossen, daß er sie aufgefordert hat, doch einmal dieselben Kunststücke nachzumachen, die zwei einfache deutsche Sportsleute für seinen Film „Die japanische Maske" ausgeführt hatten: „Herr Waldheim sprang im vierfachen Salto mortale aus 30 Meter Höhe, Herr Polter erstieg die 150 Meter hohe senkrechte Westwand des Falkensteins» sportlich korrekt ohne jeden Trick." Kein ausländischer Kraftmeister ist der Anforderung gefolgt. Unsere Sensationsdarsteller waren also durchaus auf der Höhe!

Bergfilme

November 1920. Der Kinosaal verdunkelt sich. Ein Film läuft an. Nun, was kann schon aus Freiburg Grosses kommen? In Berlin werden die starken Filme gemacht. Und die dramatische Handlung? Gar keine! Und doch ein Drama ein Drama der Natur. Menschen, Skifahrer, deren Kühnheit und Geschichtlichkeit, deren Trotz im Kampf gegen Schnee und Gletscher geradezu fieberhafte Spannung im Zuschauerraum erweckt. Zwei Idealisten, der Ethnologe Dr. Lauern und der Geologe Dr. Fanck, haben ihr ganzes Vermögen in ein „Experiment" gesteckt: „Wunder des Schneeschuhs". Die deutsche Kinematographie ist um eine neue Filmgattung bereichert worden: Bergfilm.

Im nächsten Jahr waren die Freiburger (Dr. Fanck) wieder zur Stelle: „Im Kampf mit dem Berge" (1921). Wieder nur ein Naturdrama... 4200 m hoch... 4600 m sogar... Weit über dem Wolkenmeer ... nicht mehr die Eleganz und Leichtigkeit von ' „Wunder des Schneeschuhs", diesmal alles monumental. Kein lustiges Skilaufen, sondern Kampf mit todgierigen Gletscherspalten, steilen Bergwänden, tiefen Abgründen. Wir haben damals zum ersten Mal Hannes Schneider so richtig in seinem Element erlebt.

Von Film zu Film erzielten diese Freiburger eine Steigerung. Man steht unter dem Eindruck, dass der dritte Film des Schneeschuhwunders „Fuchsjagd im Engadin" (1923) das Allerletzte, fast ans Unmögliche grenzend, an Schönheit, Kühnheit und Kraft bietet. Aber die unermüdlichen Freiburger erklären ruhig und sachlich, daß sie bereits an einem neuen Film arbeiten, der die drei ersten vergessen machen werde. Der„Berg des Schicksals" (1924), wieder ein Film von den Freiburgern, ist als Gipfelleistung alpiner Filmkunst kaum noch zu übertreffen. Wie hier Arnold Fanck die Wolken zerfließen, zusammenfallen und ihr gespenstisches Wesen um den Fels treiben läßt, wie sich hier das Gewitter in den Bergen austobt, das war bisher im Film noch nicht gezeigt worden. Weihnachten 1926 überraschte Fanck Fachwelt und Kinofreunde mit dem Film „Der heilige Berg". Die Natur steht hier nicht mehr mutterseelenallein im Mittelpunkt allen Geschehens. Wieder etwas Neues: die Natur ist nur noch Ausgangspunkt, nur noch Kulisse und Material für ein romantisches Drama, das sich in ihr abspielt. Mit diesem Stil ist Fanck noch über sich hinausgewachsen.

Die weiße Hölle vom Piz Palü

Die männlichen Schauspieler in diesem Film sind nicht etwa Filmstars von Beruf, sondern Männer der Berge und des Lebens, Bergsteiger, die ihre Kunst noch ohne Puder und Schminke ausüben: der rauhe Luis Trenker, der kühne Hannes Schneider, der knabenhafte Ernst Petersen und die genialen Kameramänner Hans Schneeberger und Sepp Allgeier. Zwischen diesen herrlichen Männern steht eine für die Kinoleinwand neue Frau: die junge Tänzerin Leni Riefenstahl, ein beinahe unwahrscheinlich zarten, von feinsten Rhythmen beseeltes Geschöpf, keineswegs nur Tänzerin, sondern auch Schauspielerin die viel natürliche Innerlichkeit mitbringt.

Im „Heiligen Berg" hatte Leni Riefenstahl nur Skilaufen und tanzen müssen. Fanck traute ihr noch weit mehr zu. Er gab ihr eines Tages zur Lektüre ein neues Manuskript. Es war ein Filmlustspiel und hieß: „Der große Sprung" (1927). Leni Riefenstahl las es durch, zweimal, dreimal. Beim dritten Mal war sie fest entschlossen, kleinmütig einzugestehen, dass sie sich den physischen Anforderungen der Hauptrolle nicht gewachsen fühle. Da überrumpelte sie Fanck: „Eines Tages setzte Dr. Fanck, mein Regisseur, mich doch in Erstaunen:

„Leni, jetzt fährst du mit dem ,Floh' (das ist der Kosename für unseren Operateur Hans Schneeberger, genannt der ,Schneefloh') in die Dolomiten, läßt dich im Klettern eintrainieren, vor allem barfuss, steigst als Endprobe deines Könnens auf die Vajolett- Türme und probst dort oben deine Liebesszene mit ihm, da er zugleich dein jugendlicher Liebhaber ist und dazu ebenso seine allzu große Schüchternheit ablegen muß wie du deine Überempfindlichkeit in den Fußsohlen."

Leni Riefenstahl ist eine kühne Bergsteigerin geworden. Bevor der Tonfilm kam, ist Arnold Fanck noch einmal mit der Filmkamera in die Regionen des ewigen Inlandeises ausgezogen: „Die weiße Hölle vom Piz Palü" (1929). Abermals ist es ein lediger Berg der Hochtouristlk, der nur von geübten Alpinisten zu bezwingende Piz Palü, der zum eigentlichen Helden des Films wurde und selbst dort noch die Szene beherrscht, wo sich modernstes Heldentum in dem Flieger Ernst Udet verkörpert. Leni Riefenstahl, deren sportliche Leistungen in den Fanck- Filmen alles übertreffen, was bisher von Frauen auf dem Gebiete der Alpinistik geleistet wurde, ist auch diesmal wieder die Heldin des Abenteuers, das in die Region der ewigen Inlandgletscher führt.

Wie kein zweiter Regisseur versteht es Arnold Fanck, in jedem seiner Filme die seelischen Stimmungen seiner Darsteller mit der Umwelt zu verschmelzen. Bei ihm wird deutlich lichtbar, wie die Berge es verstehen, die Menschen in ihren Bann zuziehen und sie zur Abhängigkeit von sich zu zwingen. Die Leute meinen oft, es müsse hinter allen diesen aufregenden Filmbildern irgendein raffinierter trieb stecken, diese Szenen könnten unter keinen Umständen echt sein. Biete Argwöhnischen wissen bestimmt nicht, welche schwere Kränkung sie mit Riesen leichtsinnigen Redensarten Männern und Bergheiden zufügen, die ihr Leben riskieren, um Bilder von so eindringlicher und erschütternder Realistik zu schaffen.

Wege zur Kraft und Schönheit

Der Film ging in seinem Buhlen um den Beifall der Masse stets auf die Suche nach Schönheit. Man entdeckte die schönsten Frauen und Männer für die Leinwand, zog ihnen die schönsten Kleider an und stellte sie in die schönsten Räume und Landschaften. Und doch hatten wohl die Kinofreunde immer den Eindruck, daß die weiblichen und männlichen Filmstars im Leben ganz anders aussehen würden als auf der Leinwand. Man ging daher eines Tages auf der Suche nach Schönheit noch einen Schritt weiter: man zeigte den schönen Menschen im Film völlig ungeschminkt und unbekleidet, also nicht mehr für den Film „aufgemacht", sondern genau so, wie ihn Mutter Natur in bester Laune geformt hat. So entstand in den Jahren 1924/25 der Körperkulturfilm „Wege zu Kraft und Schönheit" (nach einer Idee von Ernst Krieger) von Wilhelm Prager und Dr. med. Nicholas Kaufmann, die es beide meisterhaft verstanden haben, Szenen, in denen der nackte Mensch gezeigt wird, so künstlerisch zu gestalten, daß irgendwelche moralischen Bedenken einem normalen und seelisch gesunden Menschen nicht kommen konnten.

Urteil des Paris aus „Wege zu Kraft und Schönheit"

Alle technischen Hilfsmittel, die der Kinematographie zu Gebote stehen, sind angewendet worden, um den ganzen künstlerischen Reiz, den der gymnastisch bewegte Körper darbietet, auf der Leinwand festzuhalten. Kraft und Schönheit in der Bewegung sind neben den rein gesundheitlichen die Hauptziele der bewußten Körperkultur, und daß diese Kraft und Schönheit vom heutigen Menschen in demselben Masse erreicht werden können wie von unseren Idealen Vorbildern in der Antike, das galt es, im Film zu beweisen.

Die Herstellungsdauer dieses Films betrug zwei Jahre, und die Länge dieser Zeit ist in der Hauptsache darauf zurückzuführen, daß, wollte man wirklich etwas Gutes schaffen, man immer mieser von neuem auf die Suche nach dem für sie betreffende Stelle des Films wirklich ideal geeigneten Menschenkinde gehen mußte. Wenn man die Entwicklung der deutschen Filmkunst überblicken will, so kommt man an dem Film „Wege zu Kraft und Schönheit" einfach nicht vorbei. Der deutsche Film hatte damals Jahre hinter sich, an die wir nicht gern zurückdenken. Wer trotzdem an die Jahre der Inflation zurückdenkt, hat das tolle Bild eines höllischen Karnevals vor Augen: Schiebungen und Schleichhandel, quälender Hunger und wüste Schlemmerei, rasche Verarmung und jähes Reichwerden, ausschweifende Tanzwut, Nackttänze, Valutazauber, Vergnügungstaumel, Scheidungsepidemie und Rauschgifthandel Natürlich waren auch die Filmhyänen zur Stelle. Die junge Filmkunst drohte erwürgt zu werden. „pikante Szenen" mit Sinnenreizenden Entkleidungsvorgängen wurden auf die Kinobesucher losgelassen und schmeichelten den Gefühlsregungen der Masse. Mit Wirkungsabsicht nur spärlich bekleidete Körper boten den gewünschten verwerflichen Sinnestaumel.

Oder diese kranke Zeit kam der gesunde Film „Wege zu Kraft und Schönheit" wie eine Offenbarung: die seelisch reine Schönheit hatte sich das Lichtspielhaus erobert.

Spuk im Film

In der Geisterwelt ist es recht still geworden. Unmittelbar nach dem ersten Weltkriege war die große Sehnsucht nach Zeichen aus dem Jenseits und der feste Glaube an sie ohne weiteres begreiflich; der erste Weltkrieg hatte hunderttausende von Vätern, Gatten, Söhnen dahingerafft, die alle ihren Lieben zu Hause in der Sterbestunde kein Abschiedeswort zuflüstern konnten und deshalb für die Überlebens den nicht stumm bleiben sollten. Der Boden für alles Übersinnliche, Jenseitige, für Grübeleien und Phantastereien über das Leben nach dem Tode war gut aufgelockert, der Okkultismus blühte, und so war es nicht erstaunlich, dass auch der Spielfilm nach 1918 seine Tthematagern aus der Welt des Übersinnlichen und Unterbewussten nahm. Der Film „Der Ruf aus dem Jenseits" behandelte Gedanken- und Gefühlsübertragungen eines Totgeglaubten, d. h. Erscheinungsformen von schwerer Katalepsie, in der dem Betreffenden die Möglichkeit zu sprechen und sich überhaupt mitzuteilen genommen ist, während seine Geistesfunktionen tätig bleiben.

In dem Film „Das Rätsel im Menschen" wurden die Behörden durch einen typischen Fall von „'Telepathie" bei der Wiederbeschaffung eines wertvollen, geraubten Maschinenmodelle unterstützt. „Der Funkenruf der Riobamba" zeigte uns einen verlumpten Aristokraten, der Frauen durch Suggestion und Hypnose in seinen Bann zwingt, um sie dann zu verschachern. Das Beste auf dem Gebiete des verbrecherischen Einflusses eines Willens wurde in „Dr. Mabuse" gezeigt, der uns in eine bunte Welt von Abhängigkeiten und Willenlosigkeit einführt. Der Monumentalfilm „Das indische Grabmal" hat uns in ausgezeichneter Weise mit den Wundern des Fakirismus, besonders dem Scheintop und den Zauberkräften eines Yoghi, bekannt gemacht. Hier konnte sich die kinematographische Trickkunst an physikalischen Phänomenen der Willenskonzentration erproben und Filmbilder von unvergleichlicher Wirkung erzeugen. Ich denke ferner an den Film „Schatten", der eine nächtliche Halluzination als Thema behandelte.

Der Film ist bestimmt berufen, der technisch schwerfälligen Sprechbühne das Zauberstück und den Spuk abzunehmen: Richard Oswald hat mit seinen „Fünf unheimlichen Geschichten" (1919) gezeigt, wie der Spuk" filmisches Neuland erobern kann. Er hat u. a. Selma seiner Novelle „Die Erscheinung", Poes Gruselmärchen „Die schwarze Katze" und Stevensons „Der Selbstmörderklub" verfilmt. Hier feiern photographische Trickaufnahmen wahre Orgien: Fußspuren, die über den Sand sichtbar sich nähern, bis in Großaufnahme der Abbruch eines Menschenfußes den Zuschauern fast ins Auge tritt ... hier liegt der Ausgangspunkt des Spukfilms: Unmögliches, Unvorstellbares, Unwirkliches, Unheimliches filmisch darzustellen. Zwei Jahre später konnten einem beidem nächtlichen Spuk in Lupu Pidis „Grausige Nächte" (1921) die Haare fast noch mehr zu Berge stehen. Der Spielfilm von übersinnlichen und unbewußten Dingen erreichte seinen künstlerischen Kulminationspunkt zu der Zeit, als der so genannte Expressionismus sich des Films bemächtigte; Caligari - Genuine - Raskolnikow - Das Wachsfigurenkabinett! Das sind Meilensteine. Der Filmmann begrüßte die Mittel des Expressionismus überall dort, wo der inhaltliche Stoff seines Films Elemente enthielt, die in der Tageswirklichkeit nicht vorhanden sind, die aus der Welt der Geister und des Übersinnlichen überhaupt stammen. So entstanden die bekannten expressionistischen Filme, in denen durch die expressionistische Architektur und Dekoration, durch Kinophotographische Tricks und durch Beleuchtungseffekte mit künstlichem Licht gespensterhafte Räume gestaltet wurden - Räume für Erscheinungen aus der Welt des Übersinnlichen, Räume als Kulissen für Spuk, Träume, Halluzination, Wahnsinn. Die Masse des Kinopublikums hat leider die tiefe Bedeutung des expressionistischen Films im Zusammenhang mit dem Übersinnlichen nicht erkannt, nicht verstanden und ihn daher abgelehnt. Auch „Algol" (1920) blieb ein unverstandenes Experiment.

Paul Wegener und Lyda Salmonova in „Der verlorene Schatten"
Szene aus „Nosferatu", dem ersten Gespenster- bzw. Gruselfilm

Viel zarter als Oswald und erst recht als der Expressionismus filmte Wegener den Spuk. Er stellte 1921 mit dem Film „Der verlorene Schatten" wieder einen Markstein für die deutsche Filmkunst auf. Von ganz besonderem Reiz sind hier die Szenen, in denen der Schatten eine Rolle spielt. So die Szene, in der Dapertutto den abgekauften Schatten einrollt und mitnimmt, und von stärkster Wirkung im ganzen Film das Bild während des Konzertes, wo an der weißen Wand der Schatten der Zaubergeige und des darüber hinfahrende Bogens erscheint, nicht aber der Schatten des spielenden Staatmusikus. Meisterleistungen der Kameramänner Freund und Waschneck.

Im Jahre 1916 lief in Berlin ein amerikanischer Film „Trillby". Er ist hergestellt nach dem berühmten gleichnamigen Roman von George du Maurer, der unzählige dramatische Bearbeitungen erfahren hat. Das arme Modell „Trilby" fällt in die Hände des schon durch sein Äußeres faszinierenden Musikers Svengali. Diesem aber wohnen übersinnliche Fähigkeiten inne, unter deren Macht er „Trilby" und ihrs Gesangskunst zwingt. Sie läßt den Geliebten zurück und steigt die Leiter zum höchsten künstlerischen Ruhm empor, bis die körperliche Kraft Svengalis und damit auch seine Macht auf das Medium „Trilby" erlischt. Dann erst ist sie wieder frei und wird die Gattin ihres Billy. Auch Paul Wegener hat viele Jahre später unter dem Regisseur S. Righelli den Svengali gespielt (1927). Sein unheimliches Gesicht brauchte durch Maskenbildner nicht umgeformt zu werden, war aber allerdings dafür auch nicht klassisch. Bei den berühmtesten Darstellern des Svengali wurde das glatte Gesicht des Schauspielers stets von einem schwarzen Vollbart umrahmt, um der Gewalt einen unheimlichen Ausbruch zugeben. Anita Dorns war besonders fesselnd in der Darstellung der Hypnotisierten. Ein Film, der die Pfade des phantastischen Films wandelt und die Möglichkeiten aus Nosferatu weiterentwickelt, ist Berthold Viertels „Perücke", 1925 (mit Otto Gebühr), einer der stärksten Filme, die es je gegeben hat, ein Film, dem von der gesamten Weltpresse das günstigste Zeugnis ausgestellt wurde. Otto Gebühr hatte hier Gelegenheit, fern von Sanssouci seine Wandlungskraft und erstaunliche Vielseitigkeit zu zeigen.

Die Psyche im Film

Werner Krauß und Ruth Weyher in dem Psychoanalysefilm „Geheimnisse einer Seele"

Nachdem es dem Film im Laufe der kurzen Jahrzehnte seiner Entwicklung gelungen war, seinen Siegeszug durch fast alle künstlerisch erfassbaren Gebiete menschlicher Kultur zu vollenden, vermag es kaum mehr zu überraschen, wenn die Verfilmung abstrakter übersinnlicher Themen, wie die der Freudschen Theorie von der Psychoanalyse, als kühnes Experiment in Angriff genommen worden ist. Verschiedene Psychoanalytiker wurden von dem Hersteller des Films, Haus Neumann, aufgefordert, ihm über interessante Fälle, soweit sie das ohne Verletzung des Berufsgeheimnisses tun könnten, zu berichten. - Neumann prüfte dann diese Angaben gemeinsam mit seinem Manuskript -Mitarbeiter Colin Roß auf ihn filmtechnische Brauchbarkeit und entschloss sich nach langen Erwägungen, für den Film „Geheimnis einer Seele (1926) einen Fall schwerer seelischer Erkrankung: Messerrphobie (Angst, ein Messer zu berühren), zu wählen. - Der betreffende Fall stammt aus der Praxis eines phychoanalystischen Amtes, und selbstverständlich werden die äußeren Umstände der Krankheitsgeschichte verändert und unkenntlich gemacht. Eine lückenlose, klar gezogene Krankheitsgeschichte ist also diesmal die Filmhandlung. - Die Krankheitsdeutung ist Trauminterpretation. Bis in frühe Kindheitstage verfolgt der Arzt im Film die Symptome. Den Kranken spielte Werner Krauß mit meisterhafter Eindringlichkeit. Man folgte mit Erschütterung jeder Regung dieser kranken Seele, jeder Bewegung dieses leidenden Menschen, den er mit hinreißender Künstlerschaft darstellte. In den traumhaft visionären Szenen wirkte er geradezu unheimlich. Die deutsche Filmkunst hat in dem psychoanalytischen Kammerspiel eine sehr geschickte Verschmelzung von Spiel- und Kulturfilm erlebt.

Phantasien und Utopien

Alfred Abel, Rudolf Klein- Rogge und der künstliche Mensch in „Metropolis"

Es ist nicht weiter erstaunlich, dass bei der besonderen Wertschätzung der Technik in Deutschland Filmschriftsteller und Regisseure schon frühzeitig das großartige Gebäude der Industrie als Hintergrund für ihre Schöpfungen verwendeten. Mit technischen Motiven machte die neuere schöne Literatur den Anfang, und der Film folgte sehr bald. Im „Tunnel" (erste Fassung, 1914) verlegte man den Schauplatz in ein Kohlenbergwerk. Höchste Ingenieurkunst wollte der Film „König Motor" (1915) zeigen, und der Film „Einsiedler" (1915) stieg wieder in die Gruben mit ihren Schlagwettern. Das waren alles noch reale Welten. Erst nach dem ersten Weltkrieg fand man den Mut und Weg zu technischen Phantasien und Utopien im Film von geradezu grandiosem Wurf. Die Utopie im Film erreichte mit Fritz LangMetropolis" (1926) eine künstlerische Höhe: die Erschaffung des künstlichen Menschen. Als man eines Morgens in das Ufa- Atelier in Neubabelsberg trat, war von dem Mater Hunte über Nacht eine große unsinnliche, beinahe steril wirkende Halle gebaut worden, das Laboratorium des Erfinders Rotwang. Voll von verwirren den Apparaten, Maschinen, Induktoren, Schalttafeln, Kabeln, Schwungrädern und Treibriemen, Formelbedeckten Tabellen, Starkstromleitungen, in Gläsern kochenden, auf und nieder steigenden Chemikalieschen Flüssigkeiten, Hebeln, Rädern und Gestängen. Quecksilberlampen erhellen den Raum. Auf ihrem einsamen Sitz die grauenvoll anziehende Menschenmaschine, die mit dem lebendigen Fleisch der gefangenen Maria umkleidet und mit ihrem Herzschlag belebt werden soll. Sie soll die Erscheinung des reinen Mädchens haben, aber ihr Handeln wird böse sein nach dem Willen ihres Schöpfers. Gehen wie ein Automat kann her Maschinenmensch Rotwangs schon. Nur denken und fühlen soll er noch ... Die Bühnenarbeiter und Beleuchter, meist Berliner, sonst stets bereit, ihren skeptischen Witz schützend zwischen sich und Fremdartiges zu stellen, waren beklommen. Man wusste, dass in dem Automaten unter körperlichen Beschwerden ein zartes Mädchen Reckte, und man glaubte doch im entscheidenden Moment, dass eine rätselhafte Maschine den Kopf zu uns wendete. Alle glaubten! Das ist der Kern. Und vor allem einer glaubte: der Regisseur. Man sah es ihm an. Man sah es an den versunkenen Augen, denen trotzdem keine kleinste Einzelheit entging. Fritz Lang glaubte nicht nur an sein Werks das ist eigentlich selbstverständlich. Er glaubte an die Einsatz des Nichtwirklichen, an die Kraft dessen, „was sich nie und nirgends hat begeben", und was deshalb ewig jung bleibt. Brigitte Helm spielte die Maria. Die Arme Reckte tagelang, nur leicht bekleidet, in der Menschenmaschine wie in einer Sardinenbüchse. Ihre erste Rolle im Film fing gut an.. . Seitdem es technisch keine Utopie mehr bedeutet, über die Atmosphäre des Erdballs hinaus in den Weltraum vorzustoßen, liegt die Verwirklichung des Traumes nahe, den der Erde am nächsten liegenden Weltkörper, den Mond, mit Hilfe eines Raumschiffes erreichen und vielleicht sogar untersuchen zu können. Der Regisseur Fritz Lang landete eines Tages wirklich auf dem Mond - im Film. „Wir fahren nach dem Mond": heute noch ein phantastisches, unausführbares Projekt, aber wie nahe lagen gerade in der Entwicklung der modernen Technik innerhalb der letzten Jahrzehnte die beiden Worte: Phantastik und erreichte Realität. So hat Fritz Lang in seinem Film „Frau im Mond" (1929) die erste Bilderreportage einer Fahrt zum Mond, wie sie nach den heutigen theoretischen Erkenntnissen der Wissenschaft ungefähr aussehen würde, geschaffen. diese wundervolle Mischung von Phantasie und Technik gibt der Film „Frau im Mond" dank der Höchstletungen der Kameramänner, Filmarchitekten und Darsteller wie- der, der am Ende der Stummfilmära erneut in der Welt verkündet, dass wir Deutschen im Lichtspiel immer noch ein gewichtiges Wort mitzusprechen haben. Obwohl es nicht Aufgabe eines großen und künstlerischen Films ist, wissenschaftliche Theorie zu verfechten, bildet hier gerade die Technik und die wissenschaftliche Basis einer derartigen Mondfahrt ein spannendes und noch nie gesehenes Handlungsmoment. Hier wird eint wissenschaftliche Theorie von Menschen erkämpft, von Menschen durchgeführt und bewiesen. Alles im Rahmen einer starken dramatischen und menschlichen Handlungs- Linie. Diese Menschen, die da zum Mond fliegen, sind wir, immer und ewig weitersuchend, weiterstrebend in unseren Hoffnungen, unseren Wünschen und unseren Zielen.

Das Glashaus

In den Anfängen des Lichtspiele gab es nur die Freilichtaufnahme. Man filmte auf der Straße. Da der Kinobesucher anfangs zufrieden war, sobald ihm eine lebendige Straßenszene auf der Leinwand vorgesetzt wurde, hatten es die Filmfabrikanten leicht, zu lohnenden Aufnahmen zu kommen. So fing der Film an. Er zog sich aber schließlich von der Straße immer mehr zurück und strebte nach einem eigenen Heim: dem Glashaus. Die Filmkenner wissen, daß Oskar Meßter im Oktober 1897 in dem ersten illustrierten Kinokatalog bereits von einem „Aufnahmeatelier" sprach. Andere denken vielleicht zurück an die „Filmfabrik" auf dem flachen Dach eines Mietshauses der Berliner Friedrichstadt. Hier oben in den Lüften ging es besonders „windig" zu. An windigen Lagen mußten die unbeschäftigten Darsteller vereint die Dekorationen halten, damit sie nicht in der Nachbarschaft umhergondelten; vor jeder Aufnahme wurden die Vorhänge und Tischdecken sorgfältig mit Stecknadeln straffgespannt, und bei plötzlich einsetzendem Regen faßte alles begeistert mit an, um die Möbel in einer schützenden Bodenluke zu verstauen.

Das alte Glashaus

Innenarchitekt, Maschinenmeister und gesamter technischer Stab war in der Person eines gewandten Arbeiters vertreten, der stets nach vollendetem Aufbau das Werk seiner Hände in stiller Verzückung betrachtete und die eventuellen Einwände der Darsteller lakonisch mit den Worten abwies: „Spielen Sie man so jut, wie meine Dekoration aussieht" Am liebsten reagierte der Brave auf den Titel „Herr Oberbeleuchter", den man ihm verliehen hatte, weil er in ziemlich kurzen Abständen „einen auf die Lampe goß". Sonst hatte er eigentlich nichts zu beleuchten, denn dafür sorgte die liebe Sonne, und Lichteffekte brauchte man damals noch nicht, um Stimmungen zu erzeugen. Ja, die liebe Sonne! Immer wieder mußte sie eingefangen werden. Also setzte man eine offene Bühne mit gemalten Dekorationen im Hintergrund auf eine Drehscheibe und drehte die Bühne und die mit ihr verbundene Aufnahmekamera nach dem jeweiligen Stand der Sonne. Die Kamera befand sich hierbei in einer abgeschlossenen Wellblechbude, während die aufzunehmenden Objekte im Freien blieben. Diese Aufnahmebühnen waren zwar sehr sinnreich, bei den unregelmäßigen Klimaverhältnissen in Mitteleuropa aber nicht zu allen Jahreszeiten verwendbar. Was lag näher, als daß man von dem Dach des Hauses die Filmarbeit in geschlossene Photographenateliers verlegte, hatte man doch auch inzwischen umgelernt, denn man ging nicht nur vom Freien ins Glashaus, sondern damit auch gleichzeitig vom Sonnenlicht zu Kunstlicht über. In einem solchen mit Glasdach bedeckten Dachstübchen entstanden die ersten deutschen Asta-Nielsen-Filme. Bald wurde es aber doch zu eng. Man mußte sich ausdehnen. Man entschied sich für eine gut erhaltene Ruine in der märkischen Sandwüste. Aus diesem Überbleibsel einer ehemaligen Kunstblumenfabrik ließ gegen Ende 1911 Deutschlands bekanntester Kinotechniker und Kameramann, Guido Seeber, das erste deutsche Filmatelier zu ebener Erde entstehen, in dem bereits Anfang Februar 1912 gedreht wurde. Dieses kleine Atelier nannte man von nun an „Glashaus". Bald danach entstand ein zweites Glashaus, und schließlich kaufte man ein angrenzendes, etwa 40.000 Quadratmeter umfassendes Grundstück, auf dem sofort die ersten Freibauten, z. B. ein orientalischer Stadtteil – ein Werk des Architekten Robert Dietrich – so solide entstand, daß es fast zehn Jahre den Unbilden der Witterung trotzte. So entstand das Filmland der UFA in Neubabelsberg, auf dem später der deutsche Film zur höchsten Kunst entwickelt wurde. Man blieb bei dem Atelier zu ebener Erde. Seine Vorzüge waren in erster Linie die Erleichterung des Transportes von schweren Möbeln, Wagen usw. direkt in die Halle hinein, außerdem die Verringerung der Baukosten und das Fernhalten feuergefährlicher Nebenbetriebe vom Atelier selbst.

Das Glashaus bestand nur aus Eisen und Glas und war weiter nichts als ein photographisches Studio in Riesendimensionen. An der Decke waren die Laufbrücken und Kräne zum Heben schwerer Lasten, an allen vier Wänden und an der Decke Vorhänge, die je nach Bedarf das Licht der Sonne regeln sollten. Im Glashaus wurden die Interieurs für den Film angebaut. In den Kinderjahren des Films standen der Dekorationen in den Ateliers mit der Häufung von Palmen, spanischen Wänden und Eisbärfellen künstlerisch weit zurück hinter den Kulissen des Theaters. Man baute nur einen kleinen Ausschnitt oder eine sogenannte „Ecke" des benötigten Zimmers oder Saales auf in der Hoffnung, daß der Zuschauer im Kino sich davon überzeugen lasse, daß dieser Ausschnitt ein wirkliches Schloßinterneur sei. Bald aber ließen die Kinobesucher sich nicht mehr narren und verlangten Wirklichkeit. Man mußte umlernen. Die Dekorationen wurden aus richtigem Material gemacht, Sperrholz, Leisten und Paneele, alles plastisch bis in die kleinsten Einzelheiten, die Türen, Fenster, Säulen, Pflaster, Bögen, Nischen, Figuren, die Parkettbretter und Marmorfliesen. Der neuzeitlichen Raumkunst im Film trug erstmalig der Architekt Krainer Rechnung, der zusammen mit dem Regisseur Max Mack in der Pracht der Ausstattung zu dem Film „Ein Schuß in der Nacht" (1915) geradezu überraschende Wirkungen hervorzauberte. Von diesem Augenblick an wurden das Kino und der Film immer mehr Kämpfer gegen den Kitsch unserer häuslichen Umgebung und Prediger neuzeitlicher Kunstprinzipien in der Gestaltung unserer Umwelt.

Dichter, Dramaturg und Filmmanuskript

Unter den Dichtern des 20. Jahrhunderts hat sich eine besondere Kategorie herausgebildet: die Filmdichter. Sie unterscheiden sich von ihren übrigen Kollegen in erster Linie darin, dass sie nicht unmittelbar zu ihrer Gemeinde reden, sondern das Werk ihres Geistes erst durch andere formen lassen. Filmmanuskripte schreibt aber alle Welt, von der Lyzeumsschülerin bis zur Gattin des Gerichtspräsidenten, vom Straßenbahnschaffner bis zum Forstmeister a. D., denn es ist scheinbar so kinderleicht, die Handlung eines Filmes zu entwerfen - und nur der Fachmann weiß, mit welchen Schwierigkeiten die Abfassung eines auch nur durchschnittlichen Filmmanuskriptes verknüpft ist. So war es völlig zwecklos, wenn sich ein Dilettant die Mühe machte, ein fertiges Drehbuch zu schreiben und einem Filmhersteller einzureichen. Ein Drehbuch konnte nach alten Anschauungen immer nur beim Filmhersteller entstehen, der allein die Zahl der Aufnahmetage, die Bauten-, Kostüm- und Atelierfragen kalkulatorisch bewerten kann und muß. Diese Arbeit wurde in den so genannten „Dramaturgischen Abteilungen" der Produktionsgesellschaften ausgeführt, wo nach gründlichem Studium des Manuskriptes die Entscheidung fiel, ob es in seiner ursprünglichen Form mit den zur Verfügung stehenden Mitteln verfilmt werden kann, umgeändert werden muß oder unbrauchbar ist. Heutzutage gibt es Filmmanuskripte, die sogar als Liebhaberdrucke im Buchhandel zu haben sind. „Wie schnell doch die Zeit vergeht", meint Hans Kräly, dem wir so manchen ausgezeichneten Filmstoff verdanken:

„Mein erster Regisseur, der ein schlechtes Gedächtnis hatte, machte sich immer ein paar Notizen auf der Manschette. Und wenn es nicht weiterging, zog er sie vor und entzifferte mühsam ein paar Worte, und dann frisch drauflos! Man saß zusammen und unterhielt sich, was man wohl machen könnte. Aber aufschreiben- Gott bewahre!"

Schließlich schrieb man aber doch auf, weil die Improvisationen nicht auf Kommando kamen. Man schrieb zwei, drei Seiten voll, die den Gang der Handlung angaben. Aber nicht mehr.

Keine Einzelheiten. Für solche Skizzen gab es ein paar Mark. Aber allmählich wurden die Regisseure anspruchsvoller. Die Ansprüche stiegen mit den Pofen der Filmfabrikation. Man verlangte Aufbau, Linienführung, Details, Kostenvoranschläge, wenn man schon viel Geld für die Herstellung eines Films ausgeben sollte. So entstand das „drehreife" Filmmanuskript. 1907/08 veranstaltete die internationale Kinematographen- und Lichteffekt- Gesellschaft ein Preisausschreiben, um ein Manuskript zu einem internationalen Film zu erhalten. Den ersten Preis bekam der Theaterkritiker Dr. Moeller für sein Manuskript „Ein Volksgericht im Mittelalter" oder „Die Zeit des Schreckens und des Grauens".

Der literarische Stil des Filmmanuskriptes ist verschieden und ganz gewiss für den späteren Film nicht ohne Bedeutung. Viele Regisseure verlangen Glut und Begeisterung im Manuskript, denn es soll doch seine Leser im Glashaus zu unerhörten Leistungen anfeuern. Eine romanhafte Breite wird nicht mehr gern gesehen, aber viele Schriftsteller können sich von diesem Stil immer noch nicht ganz freimachen. Beliebter ist oft das präzise Wort, Telegrammstil, also konzentrierter, geballter Ausdruck. Die originellsten Konzepte dieser Art stammen von Carl Mayer, dem wir manchen stummen Spitzenfilm verdanken. Ein Filmmanuskript ist eigentlich nie richtig fertig. Der Regisseur, der ihm Leben und Form geben soll, feilt biss zum letzten Augenblick daran herum. Günstig wäre es natürlich, wenn der Filmdichter stets seinen Film selbst drehen würde, doch dabei ist im allgemeinen noch nie etwas Vernünftiges herausgekommen. Wohl aber sind Meisterleistungen entstanden, wenn ein guter Regisseur seinen eigenen Filmautor hat und beide geistig- seelisch zusammengehören. Fritz Lang, der Regisseur des vielgerühmten Nibelungenfilms und des Films „Metropolis", ließ die Manuskripte stets von seiner damaligen Frau, Thea von Harbou, schreiben, mit der ihm täglicher Austausch der Gedanken möglich war. Als Lubitsch nach Amerika ging,, nahm er außer seiner Frau auch Kräly mit, der hier in Deutschland für ihn Filme geschrieben hatte und nun auch in Amerika schreiben musste. Der Filmschriftsteller muss ein wahrer Magister artium sein, oder noch besser, er muss alle Künste beherrschen. Er braucht die Phantasie des Dramatikers, des Regisseurs, des Malers, des Architekten, des Photographen, des Technikers, des Musikers, des Menschendarstellers. Ein Filmmanuskript ist eine Partitur, in der alle diese Künste die einzelnen Stimmen bedeuten. Die tragende Stimme aber ist beim Film doch das Technische.

Filmregie

Der Regisseur Fritz- Lang spielt Heinrich George vor, wie er Brigitte Helm packen soll. (Aus dem Film „Metropolis")
Heinrich George spielt die Szene

Die Filmregie hat weder Tradition noch Analogien. Wie der Film die typische moderne Kunst ist, so ist die Filmregie eine typisch moderne künstlerische Tätigkeit, deren erstes und letztes Ziel es sein muß, durch lebende Bilder in völliger Konzentration und geradliniger Unbeirrtheit zur Vermittlung großer menschlicher Erschütterungen vorzustoßen. Filmregie fordert intensivste Konzentration der gesamten künstlerischen Produktivität, gebunden an technische Voraussetzungen, die hier hemmender sind und schwerer zu bewältigen als in allen anderen fünften. Der Film ist eine Nervensache. Der Schauspieler wird gezwungen, zwischen Staub, Lärm, grellem Licht und hantierenden Arbeitern sein Letztes herzugeben. Das dichterische Manuskript, auf der Bühne ein fester Grund, zu dem man immer wieder zurückkehren kann, um frische Kräfte zu schöpfen, wird zwischen den Aufnahmeapparaten zu einer leblosen Materie, der der Regisseur erst wieder Atem und Seele geben muß. Alles hängt am Regisseur. Der Theaterregisseur braucht nur eine Welt zu ordnen; der Filmregisseur hat eine Welt zu erschaffen.

Eine immer wieder auftauchende Frage: Ist der Regisseur schöpferischer Künstler? Auf jeden Fall ist er Schriftsteller, wenn er das Manuskript beurteilt, Kaufmann, wenn er den Arbeitsplan ausstellt, Photograph, wenn er den Operateur berät, Maler und Architekt, wenn er die Pläne für seine Kulissenbauten macht; vieles davon berührt schon die Kunst, während vieles nur Geschicklichkeit und technische Routine ist. Die wahre schöpferisch künstlerische Arbeit legt für ihn ein, wenn er während der Aufnahmen mit den Schauspielern arbeitet. War er vorher bei allen technischen Vorbereitungen nur Administrator, so wird er im Augenblick der Aufnahme zum Künstler. Der Regisseur muß dem trockenen Manuskript Leben einhauchen - dem Manuskript und den Schauspielern. Sie warten auf die Inspiration. Die Schauspieler kennen zwar das Manuskript, haben aber noch keine einheitliche Vorstellung von der Szene selbst. Jede Einzelheit der Szene wird vom Regisseur bis ins kleinste durchgesprochen und sogar vom Regisseur vorgespielt, damit auch die Statisten nachher nicht wie Marionetten spielen. Die großen Regisseure wiederholen selbst bei einfachsten Szenen die Proben nicht ein- oder zweimal, sondern zehn- und bei komplizierten Szenen hundertmal. Nur so ist es erklärlich, daß Regisseure für einen Film, der im Kino 2500 Meter lang sein wird, oft mehr als 100.000 Meter verdreht haben. Warum der Regisseur jede Einzelheit einer Szene dem Darsteller vorspielen muß? Weil der Darsteller mit Mimik und Geste in die stieleigene form des Films eingeordnet werden muß, die nur der Regisseur bestimmt. Wenn zur Zeit des Stummfilms drei Schauspieler zu einer schönen Partnerin „Ich liebe dich" sagen und spielen sollten, so hatte jeder Schauspieler bei diesen Worten, rein optisch gesprochen, einen anderen Ausdruck und eine andere Geste. Bei dem einen Schauspieler genügte es, um seine Liebe zu gestehen, daß er seine Partnerin einfach ansah, der andere mußte dabei die Hand aufs Herz legen und der temperamentvollste gar auf die Knie sinken.

Die für die bestimmte Szene und Stimmung richtige Ausbruchsform hat der Regisseur zu erfinden und seinen Darstellern aufzuzwingen. Deshalb spielt er vor. Während der Proben hat die Szene endlich sowohl äußerlich wie innerlich die form erhalten, die nach Ansicht des Regisseurs die beste ist. Nun setzte noch einmal der Lärm Im Atelier ein, weil das gesamte technische Personal daran geht, die Befehle des Regisseurs auszuführen. Endlich ist altes zur Aufnahme bereit. Alle, die nicht direkt in der Szene mitwirken, haben das Spielfeld zu verlassen, so daß während der Aufnahme kein Zuschauer den Künstler stört. Die Lampen zischen auf und werden eingestellt und eingeleuchtet. Tiefste Stille herrschte im Raum. Der Operateur gibt das Zeichen, das er bereit sei. Die Schauspieler stehen aus ihren Plätzen. Diese momentane Spannung ist der Augenblick, der sie alle über das Alltagsleben hebt, sie alle als Künstler von uns Alltagsmenschen absperrt, sie isoliert. Fast alle Regisseure sind nervös - verständlich, denn sie tragen die Verantwortung für das gesamte Kapital, des in dem Film investiert wird. Tag und Nacht arbeitet der Regisseur an seinem Werk, viele Monate, oft jahrelang, um unter Umständen am Ende enttäuscht vor seinem eigenen Werk zu stehen, weil es nicht so gelang, wie er es erhoffte, weil, was er erhoffte, in Wirklichkeit nicht aussieht, wie er es erwartete.

Das Publikum sieht nicht die Arbeit und die Kosten im Film. Das Publikum verlangt Befriedigung seiner Schaulust oder seines Geschmackes, ohne irgendwelche Konzessionen zu machen. Wenn nach heißem Tag oder durchwachter Nacht die Schauspieler sich mit dem Seufzer der Erleichterung abschminken und zur wohlverdienten Erholung eilen, ist das Tagewerk des Regisseurs keineswegs vollbracht. Er begibt sich mit seinem Stabe in den Vorführungsraum, um die aufnahmen vom vorigen Tag auf Ihre photographischen Qualitäten hin zu prüfen und eventuelle Wiederholungen oder Neukopierungen anzusetzen. Und auch später, wenn das Auto ihn endlich zu seiner Wohnung bringt, hat er noch keine Ruhe - das Bild des nächsten Tages erhebt sich und verlangt neue Überlegung, neue Arbeit und neue Konzentration.

So geht es während der ganzen Zeit der Aufnahmen, Tag für Tag bis zum letzten, und dann setzt die ebenso wichtige seit des „Schneidens" ein. Durchschnittlich wurden bei einem großen stummen Film, der mit zwei Aufnahmeapparaten gedreht wird, zirka 30000 Meter Filmnegativ belichtet. Unzählige Male laufen tausende von kopierten Metern durch die Hände des Regisseurs, durch den „Umroller" und durch den Vorführungen- Apparat. Das Einfügen der Titel ist ein neuer wichtiger Abschnitt, bei dem der Dramaturg mitzuwirken hat. Die Herstellung der Uraufführungskopie überwacht der Regisseur bis ins kleinste, denn von ihr hängt das ab, was das Wichtigste beim Film ist: der Erfolg beim Publikum und bei der Presse, das Geschäft. Und wenn am Abend der Premiere Beifall gegen die weiße Wand prasselt, wenn die Schauspieler den Regisseur mit vor den Vorhang ziehen und sein Name gerufen wird - dann ist das wirklich verdienter Lohn nach härtester Arbeit. Bewunderung und Anerkennung sind sein, aber sein Werk steht vor ihm mit ein Schild, der alle Kritik, alle Gefühle und alle Leidenschaften auffängt, er, der Schöpfer, ist aber fern und versunken, durchglüht und schon wieder besessen von einer neuen Idee!

Die Wirklichkeit als Kulisse

Deutsche Landschaftsbilder wurden für den Spielfilm zunächst eingefangen, um sentimentale Stimmungsbilder zu bringen: Liebesszenen bei Mondschein oder im Kahn auf ruhigem Waldsee, Verschwörungen in alten, romantischen Ruinen, aufregende seelische Konflikte, deren Hintergrund das sturmgepeitschte Meer darstellte. Aus diesen wenigen Beispielen geht schon hervor, dass die freie Natur in vielen Fällen den Rahmen des Filmes bildet und die erwünschte Stimmung dem Publikum diktiert. Der Abenteuerfilm hat seine Handlung gern ins Ausland verlegt. Spielt eine solche Handlung in New York, am Nil oder in China, so gibt es oft keinen anderen Ausweg, als die notwendige Reise in das fremde Land zu unternehmen. Unmittelbar nach dem Kriege und auch in der Inflationszeit war es uns Deutschen aber unmöglich, ins Ausland zu reisen. Damals wurden in Deutschland überall Landschaften gesucht, die der Film in seiner natürlichen Sucht nach Veränderung, Abwechslung und Charakteristik braucht und fördert. Man wollte nicht nur kostspielige Reisen ins Ausland sparen, man musste auch das Nationalbewusstsein stärken und neu beleben, das gerade beim Deutschen in seiner Landschaft innig verwurzelt ist. Der Film „Die Herrin der Welt" hat China, Afrika, Indien auf märkischem Sandboden entstehen lassen. Wir haben in Deutschland das Meer und das Hochgebirge, Wiesen und Wälder, Ströme und Bäche, einsame Heide und große Häusermeere in einer Vielgestaltigkeit mit kaum ein anderes Land.

Für den Film „Casanova" sperrte die Stadt Venedig den Markusplatz ab. Das Maskenfest im Film fand also wirklich in Venedig steht

Wir haben für jede Landschaft der Erde ein Fleckchen deutschen Bodens, der - geschickt aufgenommen - jede exotische Landschaft darzustellen imstande ist. Märkische Sandmeere wurden zu Sonnendurchglühten Wüsten, die Sandsteinfelsen des Elbetals zu den Rocky Mountains, schneebedeckte Alpengipfel zu Himalajahöhen, Gletscherbänder zu Nordpolflächen, die Lüneburger Heide zu romantischen Cowboyfeldern, eine winterliche Weichsellandschaft zu sibirischer Einsamkeit, der Königssee zur Fjordlandschaft und Hagenbecks Tierpark in Stellingen zur ägyptischen Wüste bei Kairo. Es wäre natürlich auch sinnlos, nach Afrika zu reisen, wenn nur einzelne Szenen eines Films dort spielen. In solchen fällen werden am besten die passenden Dekorationen im Freigelände der Filmfabrik oder in ihrer unmittelbaren Umgebung aufgebaut, und hier wird mit ein paar Palmen und Afrika oder Indien markiert die Geographie des deutschen Spielfilms reichte lange Zeit von Tempelhof bis Mariendorf, von Grunewald bis zu den Rüdersdorfer Kalkbergen. Deutsche Sparsamkeit!

Nicht jede schöne Landschaft paßte von vornherein für den Film, der möglichst nur die kleinen formen der Natur gebrauchen kann. Ein mächtiger Felsen wirkte im Film nicht so erhaben oft in der Natur, weil er den Himmel verdeckt und sich von einen hellen Hintergrunde nicht Deutlich abhebt, ein ganzer Wald wirkt im Film wie ein grober schwarzer Fleck, ein breiter Strom wie eine tote Fläche. Der Film will lieber eine kleine Fleckpartie, eine kleine Baumgruppe, ein Bächlein, kurz, kleine aber künstlerische Ausschnitte aus der Natur. Es ist also nicht so einfach damit getan, daß der Regisseur mit Sade und pack ins freie fährt und luftig draufloskurbelt. Wir sind während des ersten Weltkrieges jahrelang von der ganzen Welt abgesperrt gewesen, wir, die wir draußen ihn Felde waren, und auch die Menschen in der Heimat. So sind wir natürlich neugierig geworden, wie es nach dem Krieg draußen in der Welt wohl aussehen mag. Aus diesem Wissensdrang entstanden in Deutschland nach dem Kriege sehr bald Filme, deren Handlung in den verschiedensten Ländern der Erde spielte und die auch wirklich im Auslande gedreht wurden. Als der „Union-Film" im Jahre 1912 Urban Gad und Asta Nielsen nach Spanien schickte, damit dort die Außenaufnahmen zum „Tod von Sevilla" gedreht wurden, hielt dies alle Welt für Verschwendung, denn in dem näher gelegenen Rüdersdorf hatte man bis zu dem Tag alte möglichen „Auslandsszenen" gedreht. Der erste Film nach dem ersten Weltkriege, der herrliche Bilder aus dem Auslande brachte, war.

Der Abenteuerfilm „Der Mann ohne Namen". In dem Film „Mein Freund - der Chauffeur" ist die Handlung mit einer Autoreise an die Riviera, an die Ligurische Lüfte und in die wildromantischen Berge Montenegros verknüpft worden. Für den Film „Der Geiger von Florenz" sind Aufnahmen in Italien, für den Film „Frauengasse von Algier" in Afrika gemacht worden, und für den Liedtke- Film „Orient" rüstete man eine Expedition aus, die in Luxor, bei den Pyramiden und in den Oasen am Rande der Libyschen Wüste filmte. Große teile des Casanovafilms wurden in Venedig gemacht und alle Landschaftsbilder aus der „Ungarischen Rhapsodie" in Ungarn gedreht. Das alles konnte man im Atelier doch nicht aufbauen.

Die Architektur im Film

Für den Film „Anna Boleyrn" wird im Tempelhofer Ateliergelände ein Turnierhof gebaut

Auf dem Freigelände des Ateliers werden Häuser, Paläste, Schlösser, Burgen, Strassen und ganze Stadtteile aufgebaut. Wie ein solcher Bau in Wirklichkeit aussieht, zeigt besonders deutlich etwa ein Haus aus dem Stummfilm „Mein Leopold". Aus diesem Aufbau geht hervor, daß viele Bauten nur darauf berechnet sind, von einer bestimmten Seite aus gesehen zu werden. Ebenso ist es wichtig, daß die an sich sehr kostspieligen Aufbauten aus Sparsamkeit nur so weit ausgeführt werden, als sie auf das Filmband kommen.

... und wie er später im Film aussah

Der Filmarchitekt stellt also nicht etwa Bauten auf, die in Wirklichkeit benutzt werden oder benutzt werden können, sondern er baut sie so, daß sie bei der Erfassung durch das Objektiv der Kamera die besten Wirkungen erzielen. Der Filmarchitekt muß, da seine Bauten nur photographiert, nicht aber bewohnt werden, vor allem dem Objektiv der Kamera die besten Möglichkeiten bieten, die perspektivischen Reize festzuhalten. Straßen, Plätze, Säle, Räume alter Art müssen eine tiefe haben, die dem Filmbild Stimmung gibt. niedrige Räume wirken immer stumpf, nüchtern, eindruckslos. Die deutschen Filmarchitekten haben in hoher Vollendung ihrer Aufgaben in vielen Stummfilmen künstlerisch Hervorragendes geleistet und oft so geschickte Täuschungen hervorgerufen, daß selbst das Auge des gewieftesten Kinobesuchers das echte Motiv vom Nachgebauten nicht zu unterscheiden vermochte.

Der Architekt im Film ist nicht ein Handwerksgehilfe im Atelier, sondern ein selbständig schaffender Künstler, der wesentlich dazu beiträgt, dem Film einen charakteristischen Stil zu geben. In diesem Gefühl, daß der Film auch architektonisch nicht einfach ein photographischer Abklatsch der Wirklichkeit sein darf, daß der Film Stil haben muß, liegt Aufgabe und Zweck der Baukunst im Film.

Der Architekt muß auch ,Stimmung" bauen können. Es gibt nicht nur, schöne Räume, wie sie sich in Schlössern und Millionärswohnungen befinden mögen, zu kopieren, sondern aus dem seelischen Inhalt der Szene eine Dekoration zu komponieren, die sozusagen die charakteristischen Stimmungsfarben trägt. Ein ganz einfaches Beispiel, das Paul Leni erzählt. Es galt, in einem Film den Eindruck einer kleinen winterlichen Bahnhofsanlage in frostiger Nacht hervor zurufen. Die Aufnahme eines vorhandenen Bahnhofs wäre bestimmt naturwirklich gewesen. Bahnhöfe gibt es zur genüge, und doch hat Leni den Bahnhof im Atelier gebaut, weil er nur hier Provinz, Ärmlichkeit, Einsamkeit, Winternacht, Fron u. a. m. so stimmungsvoll erzeugen konnte, daß man im Kino vor Kälte und Einsamkeit den Kragen hätte hochschlagen wollen. Es ist also nicht Immer die Wirklichkeit, die der Architekt zu bauen hat, sondern die Wirklichkeit des inneren Erlebens, die viel tiefer, wirksamer, ergreifender ist als das, was wir täglich mit unseren Augen erschauen. Der Filmarchitekt soll stets über die Oberfläche hinaus an die Seele der Dinge rühren.

Stilisierung der Natur im Atelier

Der künstliche Atelierwald in dem Film „Nibelungen". Paul Richter als Siegfried

Die größte Hemmung in der künstlerischen Entfaltung sieht man bei der Freilichtaufnahme darin, daß es sich bei der Auswahl der Landschaften für den Film nicht nur um photographische oder malerische Gesichtspunkte, sondern auch um literarische handelt. Es gilt doch Landschaften im Film zu zeigen, die in ihrem inneren Wesen zur Handlung in Einklang stehen und dramatisch mitklingen müssen. Wir fanden in Deutschland keinen gigantischen Wald, durch den Siegfried auf seinem Schimmel hätte reiten können, keine Felsenhöhle für den Nibelungenschatz, keine liebliche Quelle für das tragische Ende des Helden. Aus diesem Grunde werden sogar Landschaften im Atelier aufgebaut -Landschaften mit Seele, wie wir sagen. Originalaufnahmen einer Stadt können wohl ohne weiteres schön sein und auch die Wirklichkeit glaubhaft machen, sie laufen aber zu leicht Gefahr, lehrhafte Bilder für den Geographieunterricht zu werden. Wer heute Venedig Stimmung geben will, bringt keine Originalaufnahmen des Markusplatzes, sondern baut im Atelier eine Brücke mit einer schwankenden Gondel darunter und ein paar Stufen, die sich in das dunkle Wasser versenken („Der müde Tod").

Und damit komme ich zu einem modernen Thema der Filmkunst. Viele Anhänger des Films sehen seine Hauptvorzüge gegenüber den künstlichen Gebilden der Theaterbühne darin, daß er Erschließer von Naturschönheiten und Lehrmeister der Wirklichkeit ist, und doch führte die Entwicklung der modernen Filmkunst immer weiter weg von der Natur. Die moderne Filmtechnik vermeidet, wo es nur immer geht, Außenaufnahmen und baut sich jedes Milieu - sogar Gärten, Felsen, Straßen, Märkte, Plätze, Landschaften und alles andere - im Atelier nach eigenem Geschmack auf. Im Film wird die Natur stilisiert, damit der Film ein Kunstwerk werde. Das Menschenschicksal im Film paßt nicht immer in die Natur als neutrale Wirklichkeit, es verlangt Stimmungsbilder. Nur wenn der Regisseur sich seine Landschaft selbst bauen kann, kann er ihr eine lebendige Seele einhauchen, die im Drama mitspielen kann.

Modellbauten

Modellbauten aus dem Film „Der heilige Berg"

Schon in den Kindertagen der Kinematographie versuchte man, die Baukosten für einen Film durch Modellbauten zu verringern. Es wird sich allerdings kaum noch feststellen lassen, in welchem Film zuerst ein Modell verwendet wurde. In der ersten Zeit verstand man aber noch nicht, die nötige Einheit zwischen Modell und natürlicher Szene zu schaffen, und so erkannte das Publikum recht oft, daß ein Trick vorlag. Ein Trick ist aber doch nur dort am Platze, wo sein wahres Wesen nicht erkannt wird, d. h. wenn er als scheinbar photographierte Wirklichkeit auf der Leinwand erscheint. Eines der ersten und schönsten Modelle im Film war das Waldhäuschen in Wegeners Rübezahlfilm. Sehr wirkungsvoll war das Modell des indischen Tempels in „Das indische Grabmal", sehr plastisch auch die Modelle von den Städten für die Filme „Sumurun", „Stier von Olivera" und „Weib des Pharao".

Die Täuschung gelingt nämlich erst dann vollkommen, wenn die photographische Kunst die Grenzen verwischt, die das Modell vom lebenden Bild trennen. Das ist mitunter nicht leicht. So mancher Kameramann ist an den unterschiedlichen Licht- und Luftverhältnissen der Modell- und Wirklichkeitswelt gescheitert. Um 1924 herum bemalten die VS-Amerikaner erstmalig Glasflächen mit Dekorationsstücken und stellten die anderen teile in wirklicher Größe nur so weit her, als in ihnen die Schauspieler auftreten und herumgehen mußten. Eine Straße wurde also nur bis etwa drei oder vier Meter hoch gebaut, während alles, was darüber ist, auf eine Glasplatte gemalt und mit der Wirklichkeit kombiniert wurde.

Bald stellten sich aber große Fehler bei diesem Verfahren heraus. Ein gemaltes Glasbild ist stets unbeweglich. Aufleuchtende Reklamen in Großstadtstraßen, ziehende Wolken und schwankende Bäume konnten auf diese Weise nicht auf das Filmbild kommen. Ein Deutscher löste 1925 auch dieses Problem. Schüfft ersetzte die bemalte Glaswand durch einen mit besonderer Vorsicht präparierten Spiegel und kombinierte ihn mit kleinen, natürlich wirkenden Modellen, in die man ohne weiteres Bewegung hineinbringen konnte (z. B. kleine Modellbäume mit künstlichen Blättern, in die ein Blasebalg Wind hineinblies, usw.). In gewissen Fällen ist es sogar möglich, Gebäude und Dekorationen durch einfache Standphotos zu ersetzen, ohne daß die Plastik des Filmbildes auch nur im geringsten dar- unter leidet. - Als das Schüfftan-Verfahren auftauchte, waren die daran geknüpften Hoffnungen riesengroß.

Sehr viel ist aus diesen Hoffnungen nicht geworden. Das Vorurteil gegen Modellaufnahmen war in den Filmateliers doch recht groß, und außerdem fürchtete man mit Recht, daß Presse und Publikum immer - oft auch nur im Unterbewußtsein - erkennen würden, das hier und dort mit Modellen gearbeitet worden ist. Die Modelle und Eugen Schüfftans Technik sind daher in der Praxis doch nur ganz selten zur Anwendung gekommen.

Der expressionistische Film

Unmittelbar nach dem Weltkrieg wurde der Expressionismus als neue Kunstgattung im Kampfe gegen den Naturalismus und Impressionismus große Mode – in der Literatur, in der Musik, in der Malerei, Plastik und Architektur, auf der Sprechbühne und nicht zuletzt auch im Film. Im Jahre 1919 kamen daher einige beim Film wirkende Künstler auf den kühnen Gedanken, den Expressionismus in den Dienst der jungen Filmkunst zu stellen. Die Eigenarten des expressionistischen Films liegen auf dem Gebiete der Architektur, der Maskenkunst, der Beleuchtung und des photographischen Tricks, und alle vier Mittel sind in klarster Form im Galigarifilm vereint – expressionistische Architektur.

Die Straßen, Plätze, Zimmer, Treppen, Bäume sind in diesem Film gekrümmt, verbogen, zersplittert, zerwinkelt, unnatürlich, phantastisch, gespenstisch, weil die ganze Architektur und Ornamentik mit dem unheimlich-mystischen Stoff des Films in harmonischen Einklang gebracht werden mußte.

„Es ist ein einfaches Gesetz der psychologischen Ästhetik, daß bei der Einfühlung in Formen genau entsprechende Strebungen in der Seele entstehen. Die gerade Linie führt das Gefühl anders als die schräge, verblüffende Kurven haben andere seelische Entsprechungen als harmonisch gleitende Linien, das Rapide, Abgehackte, jäh Auf- und Absteigende ruft andere seelische Antworten hervor als die an Übergängen reiche Architektur einer modernen Stadtsilhouette.“ — Rudolf Kurtz

Mit diesem Kommentar wird die architektonische Tendenz des Caligarifilme völlig verständlich. Wie außerordentlich schwer es aber ist, den richtigen Stil für einen expressionistischen Film zu finden, hat der Film „Genuine“ bewiesen. Cesar Kleins dekorativer Expressionismus in diesem Film ist nichts als „überladenes und bunt Zusammengewürfeltes, übersteigertes, orientalisches Teppichmuster", d. h., die Dekoration ergab ein Bild wildester Verwirrung, in der Fern Andra als bildschönes Naturkind – als natürliches Wesen also ganz und gar in der expressionistischen Dekoration verfehlt – ihre Liebreize spielen ließ.

Die expressionistischen Filme haben dem unkomplizierten Kinopublikum nichts gegeben und ihm in jeder Hinsicht mißfallen. So hatte diese neue Filmgattung schnell ausgespielt, denn alles, was nun noch folgte, wahrte zwar im Dekorativen die expressionistische Note, aber stets mit größter Vorsicht und Zurückhaltung. Ich nenne nur „Raskolnikow“ mit der Architektur des Moskauer Künstlers Andrejew, den Film „Der Richter von Zalasmea“, schon ein realistischer Film, der die expressionistischen Ausdrucksmittel nur noch ganz bescheiden ausnutzt, und „Das Wachsfigurenkabinett“, ein Filmmeisterwerk des Malers Paul Leni, das überhaupt kein eigentlicher expressionistischer Film mehr ist, sondern nur hier und dort durchtränkt von Elementen expressionistischer Bildgestaltung.

Der Expeditionsfilm

Immer wird der Versuch, eine fremde Landschaft im Atelier oder im Freiaufnahmegelände nachzubauen, nur bis zu einem gewissen Grade möglich sein. Der Zuschauer – und erst recht der Kenner – muß eine tüchtige Portion Illusion ins Kino mitbringen. Denn was sich in der Filmfabrik niemals glaubhaft darstellen läßt, ist das Klima, das unbeschreibliche Fluidum der Ferne und Exotik. Leider lassen sich auf Expeditionen niemals größere Darstellerscharen mitnehmen, selbst die finanziell viel besser gestellten Amerikaner vermeiden große Darstellerkarawanen und ändern lieber das Drehbuch; als daß sie auch nur einen Schauspieler mehr auf Reisen mitnehmen, als eben gerade erforderlich ist.

Spielszene aus dem Film „Milak, der Grönlandjäger“, aufgebaut im Atelier

Eine Filmexpedition wird sich nicht vermeiden lassen, wenn dem Film von Anfang bis zu Ende ein exotisches Motiv zugrunde liegt, wie z. B. bei dem Film „Der Ramper“ (1927), den Max Reichmann inszeniert hat. Dieser Film mußte teils in Grönland aufgenommen werden, teils wurde er in einem Berliner Atelier gebaut. Paul Wegener ist der Ramper und zeigt eine geniale Leistung. Der Eskimofilm ist durch den amerikanischen Reklamefilm „Nanuk, der Eskimo“ populär geworden. So ließ die UFA es sich nicht nehmen, eine Expedition auszusenden, um den ersten wissenschaftlich einwandfreien Spielfilm von den Eskimos zu machen: „Milak, der Grönlandjäger“ (1927).

Die Teilnehmer der Expedition sind größtenteils Norweger, die in der Gegend der Losotenberge wohnen. Kühne, wettergewohnte, unerschrockene Männer, die unverzagt alle Schwierigkeiten und Gefahren auf sich nehmen. Interessant ist das wundervolle Zusammenklingen von den schwierigen Originalaufnahmen draußen in Nacht und Eis mit den Aufnahmen, die in Berlin im Atelier gestellt wurden. Die schwierigen Spielszenen in den Expeditionsfilmen werden nämlich meistens im Atelier gedreht, und die Natur ringsherum um die Darsteller wird „gebaut“. Hier müssen sich der Regisseur und der Architekt ganz besondere Mühe geben, weil in der Gegenüberstellung herrlicher, natürlicher, mitgebrachter Landschaftsaufnahmen und der „gebauten“, mit Kunstlicht beleuchteten Natur die große Gefahr steckt, daß die Atelierprodukte als grobe Unnatur empfunden werden. Man denke beispielsweise an die künstlich im Atelier errichtete Gebirgshütte, wie sie in dem Fanck-Film „Der große Sprung“ vorkam, die neben den herrlichen Naturaufnahmen aus Tirol doch recht als Kitsch wirkte.

Malerei mit Licht

Daß sich für die Bezeichnung „Film“ immer mehr das Wort „Lichtspiel“ eingebürgert hat, rührt aus der Erkenntnis, daß die Verteilung von Licht und Schatten, also das Spiel mit dem Licht, für die Filmkunst von größter Wichtigkeit ist. Ist doch das Licht seit Rembrandt stets ein wertvoller Stimmungsfaktor gewesen. Zuerst genügte noch das Lagerlicht, das durch die Glasfenster des Ateliers fiel, oder bei Aufnahmen unter freiem Himmel das Sonnenlicht, um Filmaufnahmen zu machen. Bald mußte die Szene beleuchtet werden, weil wir in bezug auf die photographische Wirkung des Filmbildes verwöhnt worden sind. Lampen hielten ihren Einzug in das Atelier. Es entwickelten sich für das Boden- und Oberlicht aus den einfachen Bogen- und Quecksilberlampen der ersten Zeit die großen Jupiterlampen mit 6, 8, 12 und mehr horizontalen Lichtbogen. Nebenher ging die Vervollkommnung der Scheinwerfer zur Jupitersonne. Punktstrahler und Aufheller werden zur Verstärkung bei schwach mit Licht gedeckten Stellen benutzt.

Mit Spiegeln und weißen Gazeschleiern wird das Licht auf die Hauptperson reflektiert. (Aufnahme für „Geheimnisse des Orients“)

Es kommt nun darauf an, daß nicht zu viel und nicht zu wenig Licht gegeben wird und daß die Lampen in der richtigen Entfernung von den zu beleuchtenden Personen oder Gegenständen aufgestellt werden. Zuviel Licht gibt unklare Bilder, die Gesichter werden weiße Flächen, Augen und Mund schwarze Kleckse. Wie der Maler verschiedene Pinsel hat, so malt der Lichtingenieur beim Film hier mit Halbwattlampen, dort mit Bogenlicht, in dieser Szene mit Scheinwerfern, in jener mit Quecksilberdampflicht, für ein anderes Bild mit Mischlicht, hier wieder mit Glühlicht. Vor allen Dingen muß man bei der Beleuchtung dafür sorgen, daß die Personen als Hauptsache wirken, d. h., sie müssen so beleuchtet werden, daß sie frei und plastisch im Raum stehen und nicht, wie der Fachausdruck heißt, „am Hintergrund kleben“. Um nun die Personen des Spiels vom Hintergrund loszulösen, wendet man die sogenannte „Contrabeleuchtung“ an: man stellt einen Scheinwerfer in den Hintergrund, natürlich außerhalb des Films, und läßt seinen Schein schräg von der Schattenseite nach vorn fallen. Dadurch bekommen die Figuren eine helle Kontur, und die Personen zeigen sich in plastischen Formen, nicht als flache Photographien.

Auf ähnliche Weise kann man im Freien den Reflex von weißen Leinwandflächen verwenden, die außerhalb des Bildes aufgestellt oder ausgebreitet werden. Dadurch wird das Gesicht des Schauspielers von dem Reflex beleuchtet und plastisch herausgehoben. Heutzutage wird bei jeder Filmaufnahme im Freien der Reflex weißer Flächen verwendet. Es werden sogar im Freien Scheinwerfer verwendet, um die photographische Wirkung des Films noch mehr zu erhöhen. So müssen Kameramann und Beleuchter auf Tausend und mehr Dinge achten.

Der Kameramann

Wir wissen jetzt, was alles zu einem Film gehört. Der Filmautor bringt die Idee und das Manuskript. In monatelangen Vorarbeiten haben Kaufleute, Regisseure, Darsteller, Architekten, Techniker kalkuliert, studiert, meditiert, debattiert, diskutiert, gefeilt, ziseliert, gebaut und geprobt. Es wurden unter größtem Kosten- und Energieaufwand Gestalten und Hintergründe beschafft, durch die die Worte des Manuskriptes zu Ereignissen und Taten verkörpert werden sollen. Der langerwartete große Tag ist da. Endlich ist alles bereit, alles in fieberhafter Unruhe. Das Spiel kann beginnen, das Zusammenspiel von zahlreichen hoch bezahlten Intelligenzen, das oft genug Hunderttausende oder gar Millionen verschlingt. Achtung Aufnahme!

Hinter der Kamera steht ein bescheidener Mann und dreht. Jetzt kommt alles plötzlich auf diesen einen einzigen Menschen an, auf sein Gehirn und auf einen kleinen gebrechlichen, zarten Mechanismus. Ein Gehirn und eine Hand betätigen im Gefühl einer gewaltigen Verantwortung ein nach physikalischen und photochemischen Prinzipien bis zu letzter Feinheit durchkonstruiertes empfindliches Maschinchen, die Kamera fängt mit Hilfe einer kleinen Optik aus winzigen Linsen, die aus mühevoll gewonnenen Gläsern wissenschaftlich berechnet und peinlichst geschliffen wurden, die gesamten Vorgänge auf, die sich nunmehr nach monatelangen Vorbereitungen vor ihm abspielen, und legt ihr Abbild fest auf der lichtempfindlichen flachen Bromsilbergelatine eines Zelluloidstreifens. Dieser Umwerter der tatsächlichen Vorgänge in ihr Abbild, dieser optisch-photochemische Dolmetscher ist der „Operateur“, wie man ihn früher in lässiger Sprache allgemein bezeichnete. Er ist der Aufnahmetechniker.

„Der letzte Mann“ wird gefilmt, mit feststehendem Kamerastativ

In seiner Hand liegt das Ergebnis des Ganzen. Es kommt keine einzige künstlerische Leistung oder Absicht des Regisseurs oder des Schauspielers im fertigen Film zur beabsichtigten Wirkung, wenn sie nicht durch das begreifende und entsprechend reagierende Gehirn des Aufnahmetechnikers hindurchgegangen ist. Das Instrument des Operateurs, die Filmkamera, ruht gewöhnlich auf einem schweren Stativ als solider Unterlage, um Erschütterungen zu verhindern. Das Stativ ist mit einer drehbaren Kopfplatte versehen, um das Gesichtsfeld der Kamera während der Aufnahme zu erweitern. Die Kamera kann also von dem Operateur während des Kurbelns im Kreise bewegt werden. Bei Großaufnahmen rückt der Operateur seine Kamera bei schräger Einstellung ganz nahe an das Gesicht des Schauspielers und oft noch näher an eine schreibende Hand oder an ein paar schöne Frauenbeine. Der Kameramann ist ein Tausendkünstler. Er muß im Sucher der Filmkamera den wirkungsvollsten Ausschnitt finden und außerdem das Bildfeld abgrenzen, also die Fläche, die seine Kamera erfassen soll. Bei kleinere Szenen wird das Bildfeld oft mit einer Stange oder einer Schnur abgegrenzt, und die Schauspieler dürfen die so bestimmte Linie nicht überschreiten. Außerdem hat der Operateur für die manuelle Handhabung des Apparates zu sorgen. Er muß das Objektiv des Apparates scharf einstellen, wobei ich nicht näher darauf eingehe, daß er oft aus mehr als hundert Objektiven das richtige für die bestimmte Szene aussuchen muß.

Der Operateur muß das Objektiv richtig abblenden, wodurch die erforderliche Tiefenschärfe, d. h. die scharfe Wiedergabe aller Gegenstände vom nächsten bis zum fernsten erzielt wird.

Der Kameramann muß alle diese und noch viel mehr Dinge nicht nur beherrschen, er muß sie blitzschnell ausführen können, denn bei Filmaufnahmen sind die Sekunden kostbar. In drei Sekunden rollt ein Meter Film durch die Kamera, und ein Meter Negativ kostete 30 Pfennig, in dieser Minute rollt also für sechs Mark film ab, und eine Minute vergeht schnell. Ein guter und sicherer Operateur ist daher für den Regisseur die beste Sparkasse. Von dem Kameramann muß die Erneuerung des deutschen Films ausgehen, von seiner künstlerischen Fähigkeit, mit der er den Inhalt auch eines an und für sich dürftigen Drehbuchs zu einem optischen Erlebnis gestaltet. Männer wie Guido Seeber, Karl Freund, Carl Hoffmann, Werner Brandes, Hannes Schneeberger und viele, viele andere, die alle aufzuzählen hier viel zu weit fuhren würde, sind in Wirklichkeit die Schöpfer der Filme, die ihre Namen tragen, zumindest so genial wie ihre Regisseure, mit denen zusammen sie diese Werke geschaffen haben. Der Kameramann hat also längst aufgehört, ein Handwerker zu sein. Er war es eigentlich auch nur so lange, als seine Kamera auf eisenfestem Stativ stand, seine Bilder von einer gewissen Starrheit nicht loskamen und sein ganzer Ehrgeiz nur darauf gerichtet war, malerisch und möglichst künstlerisch wirksame Bildausschnitte herzustellen – wie es der Standphotograph auch tut.

Die entfesselte Kamera

Die „entfesselte" Kamera auf Schienen
Die „entfesselte" Kamera auf dem Fahrgestell
Die „entfesselte" Kamera auf der Gleitbahn

Bald wurde der feste Apparat auf dem Stativ eine Unmöglichkeit. Lupu Pick hat meines Wissens als erster für den Film „Silvester“ eine Art aus Schienen fahrbaren Stativwagen hergestellt, mit dem der Kameramann durch das Atelier fuhr. Die Schiene war natürlich noch eine zu starke Fessel. Die Kamera wollte noch mehr „entfesselt“ werden. Also baute man ein vierrädriges Fahrrad mit Gummirädern, auf das die Kamera montiert wurde, wahrend bei Außenaufnahmen die Montage auf ein Auto erfolgte.

Als Murnau seinen „Letzten Mann“ drehte, genügte ihm auch der Stativwagen nicht mehr. Der Kinobesucher war sprachlos, als er den Film sah. Der Zuschauer blieb – scheinbar – nicht auf seinem Platze, sondern er ging mit Jannings durch den ganzen Film hindurch. Ob Jannings die Treppe hinauf- oder heruntergeht, der Zuschauer geht neben ihm. Geht Jannings über die Straße, so befindet sich der Zuschauer unmittelbar an seiner Seite. Wie wurde diese neuartige Wirkung erzielt? Um den Körper des Kameramannes wird ein ganzes Riemen- und Schnallenwerk angebracht, das ein Holzgestell festhält, und in dieses Holzgestell wird der Aufnahmeapparat hineinmontiert: der schwebende, rennende, tanzende, pirouettierende, turnende Apparat dreht und nimmt auf, ständig beobachtend, wie das Auge des Beschauers, der ja auch auf etwas Merkwürdiges „zugeht“.

Für den Film „Der letzter Walzer“ wurde eigens ein Dreirad konstruiert, auf dem die Kamera montiert war. Nach dem Rhythmus des Walzertaktes fuhr der kurbelnde Kameramann mit dem Dreirad umher, und so gelang es ihm, den Walzerrhythmus auch im Bilde einzufangen. Im Faust-Film erregte der Flug von Mephisto Erstaunen und Bewunderung. Für fiele Aufnahmen ließ Carl Hoffmann eine Art Berg-und-Tal-Bahn bauen, über die der Apparat gleiten mußte. Ringsherum war das Modell einer Landschaft errichtet, mit Städten, Dörfern, Wäldern, und durch den genialen Einfall des Kameramannes wurde dem Zuschauer das Gefühl aufgezwungen, selbst mitzufliegen. Unsere Ateliers bergen ganze Arsenale sehr sinnreich erdachter Vorrichtungen, die als Schlitten, Karren, Gleitbahnen und Fahrstühle es dem Kameramann möglich machen sollen, mit seinem Apparat erschütterungsfrei im Raume umherzuziehen und so während der eigenen Fortbewegung zu kurbeln.

Die „Entfesselung der Kamera“ nahm schließlich so tolle Formen an, daß der Kameramann alle Spaziergänge und Flüge seines Aufnahmeapparates nicht mehr mitmachen, also nicht mehr mit der Rand kurbeln konnte. So ging noch in der Stummfilmzeit das Bestreben der Konstrukteure dahin, dem Kameramann die Arbeit des Kurbeins mit der Hand abzunehmen, so daß er seinen Apparat frei in beiden Händen halten und ohne Stativ aufnehmen konnte. Druckluftantrieb, Federwerkantrieb und Elektromotoren wunden für die „bewegte“ Kamera herangezogen. Dr. Mendel hat einmal über die bewegte Kamera sehr schön folgende Worte geprägt: „Der alte Archimedes verlangte nur einen Standpunkt, dann wollte er schon mit seinem Hebel die Erde aus ihren Angeln heben. Wir umgekehrt möchten mit der bewegten Kamera endlich den festen Standpunkt verlassen, um unsere Erde und deren menschliche Bewohner auf neue Art bewegen zu können.“

Vision und Geister im Film

Der Film hat zuerst die einfachsten irrealen Dinge ins Visuelle projiziert, etwa einen daher torkelnden Betrunkenen und wie sich in seinem Kopf die Umwelt spiegelt, wie die Gegenstände sich verzerren und verdoppeln, wie sie ihm entgegenfliegen und entfliehen. Dann ging die Kameratechnik an immer schwierigere Probleme heran. Bei einem in der Großaufnahme gezeigten Kopf wurde die Stirn plötzlich durchsichtig, und in der Hirnschale spielten sich Szenen ab (einkopiert), an die der Besitzer des Kopfes sich im Rahmen der Filmhandlung erinnerte. Im Angstzustand oder als Spuk verwandelten sich Bäume in Unholde und Schreckgestalten (z. B. in „Erlkönig“ und in „Der müde Tod“). Der blühende Baum in den „Nibelungen“ veränderte sich für wenige Sekunden und deutete damit das bevorstehende Unheil an. Otto Gebühr kämpfte in der „Perücke“ in seiner Seelenangst mit seinem ins Riesenhafte gewachsenen Schatten.

Als Elisabeth Bergner in „Nju“ in Ohnmacht fiel, drehte sich die ganze Umgebung des Zimmers. In „Svengali“ leuchteten die unheimlichen Augen Paul Wegeners in phosphoreszierendem Glanz auf, um ihre hypnotische Macht zu unterstreichen. Die interessanteste und schwierigste Bildformung ist der photographische Trick, der es ermöglicht, Sinneseindrücke, die in Zeit und Raum voneinander getrennt sind, auf demselben Bild zu vereinigen, indem man z. B. zwei- oder dreimal dasselbe Negativ belichtet. Es liegt ein weiter Weg technischer Vervollkommnung zwischen den ersten Trickfilmen, die eine Küche zeigten, deren Inventar sich von selbst bewegte, und dem Flug des Faust und Mephisto auf seinem Mantel durch die Welt – der Weg des Tricks gewissermaßen vom Albernen zum Erhabenen.

Aus dem Film „Die Puppe". Trickaufnahme. Ossi Oswalda erscheint Hermann Thimig im Traum

Viel debattiert wurde über eine kleine Szene im Siegfried-Film. Eine Feder fällt auf die Schneide des Schwertes und wird von diesem glatt durchschnitten. Es war klar, daß man ein Schwert von solcher Größe nicht so scharf machen konnte, daß dies auf natürlichem Wege möglich war. Ein Trick mußte also dabei sein. Aber welcher? Fritz Lang gab selbst die Aufklärung, die eigentlich verblüffend einfach ist. Die Feder wurde während des Fallens photographiert, bis sie das Schwert berührte. Dann wurde sie sorgfältig in zwei Stücke geschnitten und dann wieder deren Fall aufgenommen. Verblüffend einfach, aber trotzdem kostete es viele hundert Meter Film, bis die Aufnahme gelang. Auch „Varieti“ bereitete den amerikanischen Fachleuten viel Kopfzerbrechen, namentlich die Szene, in der einige Logenbesucher des Wintergartens mit einem Opernglas die Vorführungen verfolgen und diese sich in den Linsen des Glases spiegeln. Der Trick scheint nach der Erklärung sehr einfach. Carl Freund ließ die Vorführungen durch Prismen auf die Linsen reflektieren.

Besondere Erfolge erzielte die Filmkunst mit der Wiedergabe von Visionen und Geistern. Wir haben hier meisterhafte Kameratricks erlebt, etwa die filmische Erfassung der ganzen Phänomenologie des Fakirismus im „Indischen Grabmal“, den Erzgepanzerten Todesengel in „Hanneles Himmelfahrt“, die Apokalyptischen Reiter im „Faust“, die symbolische Vision des Moloch in „Metropolis“. Paul Wegener hat wohl als erster erkannt, daß der Film berufen ist, filmische Wunder zu schaffen. Es sei nur erinnert an seinen „Studenten von Prag“, an seinen „Golem“, an den „Verlorenen Schatten“, an seinen Rattenfängerfilm, an „Rübezahls Hochzeit“ und schließlich an „Lebende Buddhas“. Mannigfache filmische Ausgestattung hat auch das Gebiet des Traums erfahren. Auch hier zuerst die Harmlosigkeit: der Traum des Lebemannes, auf dessen Nase ein entzückendes Mädchen tanzt. Dann kamen die ernsten Träume, die wesentlicher Bestandteil der Filmhandlung waren, wie etwa die lebenswahren Erinnerungsträume Fridericus Rex’.

Der mutigste Filmbastler der Welt, der Kameramann Guido Seeber, ist vor keiner noch so schwierigen Aufgabe zurückgeschreckt – auch nicht vor der Verfilmung der phantastisch-bunten und nach Freud deutbaren Träume aus dem Film „Geheimnisse einer Seele“. Großartig ist hier das Wesen eines Traumes getroffen: das Phantastische, Ungeordnete, das plötzliche Ausschießen von Hindernissen, die Verwandlung von Alltäglichem und Bekanntem in fratzenhafte Verzerrung, alles unterlaufen vom Strom der tagsüber erlebten und verdrängten Vorstellungen.

Bei den meisten Kameratricks handelt es sich also um das Erscheinen eines Geistes oder um Gedanken- und Traumvisionen. Das Verfahren der Geisteraufnahmen ist sehr einfach: das Negativ wird an der Stelle, wo der Geist sich zeigen soll, durch eine eingesetzte Platte, eine sogenannte Vignette, gegen Lichtstrahlen geschützt. Wenn die ganze Szene aufgenommen ist, wird der Film zu seinem Ausgangspunkt zurückgedreht, die Vignette entfernt und durch eine andere ersetzt, die alles das verdeckt, was beim ersten Mal aufgenommen worden ist. Und jetzt werden diejenigen Teile der Szene photographiert, die die Erscheinung des Geistes zeigen, dabei ist es notwendig, daß der Operateur die Umdrehungen genau zählt, so daß er durch Aus- und Abstellen der Blende den Bildern eine gleichmäßige Tönung geben kam.

Ein Geist, der durchsichtig und körperlos sein soll, wird in starker Beleuchtung gegen einen Hintergrund von schwarzem Samt photographiert. Bei solcher Aufnahme verwendet man keine Vignette, um das Negativ abzublenden, sondern dieses wird nur zum Ausgangspunkt zurückgedreht. Der schwarze Samt gibt nämlich kein Bild, während der weiße Geist auf das Negativ einwirkt, so daß die Einzelheiten der Dekoration hindurchschimmern.

Doppelgänger im Film

Henny Porten in ihrer berühmten Doppelrolle in „Wehe, wenn sie losgelassen"

Filmdrama und Lustspiel aus der Kriegszeit haben oft und gern den Kinobesucher mit Doppelrollen überrascht und erfreut. Am bekanntesten und beliebtesten wurden die Porten-Doppelrollen, wie etwa in dem Film „Kohlhiesels Töchter“, wo Henny Porten die schöne und die häßliche Tochter des Wirts spielt, oder in „Wehe, wenn sie losgelassen“, wo sie die gnädige Frau und ihr eigenes Dienstmädchen darstellt. Bei diesen Aufnahmen wird zuerst die eine Hälfte des Filmbilds mit der einen Schauspielerfigur, dann die andere Hälfte mit dem Doppelgänger belichtet, wobei hier wie überhaupt bei fast allen Trickaufnahmen die Umdrehungen der Kurbel genau gezählt werden müssen, um anhand dieser Zahl das Zusammenspiel kontrollieren und überhaupt erwirken zu können. Alles das hört sich sehr einfach an, ist aber sehr kompliziert und schwer. Raucht z. B. in einer Doppelrolle die eine Figur eine Zigarette, so entdeckt man plötzlich auf dem fertigen Bild, daß der Zigarettenrauch in der Mitte des Bildes von einer geheimnisvollen senkrechten Linie aufgesogen wird. Eine große Gefahr für Doppelszenen ist ferner das Licht während der Aufnahmen, denn selten stimmen die beiden Hälften in ihrer Beleuchtung überein, weil sie fast immer zu verschiedenen Zeiten gekurbelt werden.

Der bekannte, in der „Berliner Illustrierten Zeitung“ erschienene Roman Bernhard Kellermanns „Die Brüder Schellenberg“ (1926) stellt zwei Lebensanschauungen gegenüber: die Welt des skrupellosen, genußsüchtigen Willensmenschen, die durch Wenzel Schellenberg verkörpert wird, und die Welt des philanthropischen, edlen und gütigen Michael Schellenberg, der sein Lebensziel darin erblickt, Hungernde zu sättigen und Obdachlosen ein Heim zu bieten. Diese psychologischen Gegensätze zwischen den beiden Brüdern hat der Regisseur des Films, Karl Grune, mit besonderer Liebe herausgearbeitet; er läßt beide Rollen durch ein und denselben Schauspieler spielen, durch Conrad Veidt, dessen großer Kunst es gelingt, die gegensätzlichen Charaktere überzeugend wiederzugeben. Und doch muß für die Zukunft von einem gleichen Experiment in dramatischen Filmen abgeraten werden. Der Doppelgängertrick wird immer nur dort anzuwenden sein, wo der Humor regiert. Dramatische Szenen erfordern eine Detailzerlegung, zu der sich ein unter Zahlenkommando arbeitender Schauspieler sehr selten zwingen läßt.

Die Großaufnahme

Großaufnahme von Fritz Rasp für den Film „Frau im Mond"

Auf der Sprechbühne ist der Schauspieler von den Besuchern im Parkett etwa 10–20 Meter entfernt, von den Besuchern oben auf der Galerie mindestens 50 Meter und mehr. Der Besucher auf der Galerie will aber aus dem Theater auch Erlebnisse mit nach Hause nehmen und verlangt von dem Schauspieler ein überzeugendes Spiel. Um sich also bis in die hintersten Reihen des Theaterraumes verständlich zu machen, muß der Bühnendarsteller viel gröbere und augenfälligere Mittel benutzen als etwa in gleicher Situation im wirklichen Leben. Beim Film sieht die Sache ganz anders aus. Hier wird der Schauspieler und oft nur sein Gesicht in übernatürlicher Größe auf die Leinwand geworfen, und Tausende von Augen beobachten sein Spiel. Auf der Leinwand wirkt daher die große Geste übertrieben, verzerrt, unwahr, weil jede Bewegung in der Projektion riesig vergrößert wird.

Henny Porten in einer häßlichen Maske in dem Film „Wehe, wenn sie losgelassen“
Der Mut zur Häßlichkeit. Willy Fritsch in „Spione“

Bei einer Großaufnahme genügt im Film ein unmerkliches Beben der Lippen, ein Vibrieren der Gesichtsmuskeln, eine einzige Träne auf der Wange, alles Dinge, die im Theater verlorengehen, im Film aber vergrößert und von jedem einzelnen genau erkannt werden. So verlangt der Film in der Darstellungskunst ganz diskrete Mittel, keine leere Theaterroutine und konventionelle Geste. Die Großaufnahme hat aber auch ihre Gegner. Naheinstellungen werden meistens erst dann aufgenommen, wenn eine Szene mit normaler Einstellung gefilmt worden ist. Apparat und Lampen werden näher gerückt, der Operateur stellt neu ein, der Regisseur stellt den Schauspieler wieder auf und probt noch ein paarmal die Naheinstellung. Dadurch besteht die Gefahr, daß viel von der ursprünglichen Stimmung des Künstlers verlorengeht und er den Ausdruck, den wenige Minuten vorher in der Gesamtszene das echte Gefühl auf seinem Gesicht hervorrief, durch eine leere Grimasse ersetzt, die wenig oder gar nichts ausdrückt.

Gute Großaufnahmen haben natürlich Sinn und Zweck, wenn sie geschickt und sparsam verwendet werden. Sie wirken zerstreuend, spannen den Zuschauer, zwingen ihn mitunter im Eilmarsch der Ereignisse zu ein paar Sekunden Verweilung: der Regisseur spielt mit der Seele des Zuschauers. Die Großaufnahme ist dagegen zu verwerfen, wenn sie immer wieder dort gebracht wird, wo dem Regisseur nichts anderes einfällt, oder wo sie als Selbstzweck arroganter Stareitelkeit offenbar wird.

Mit Kitt und Schminke

Die ganze Welt schminkt sich. Gut oder weniger gut, gleichgültig: sie schminkt sich, und zwar seit alters her. In einem Lande mehr, im anderen weniger, und schwerlich hat sie es den Filmleuten abgeguckt, denn schon im alten Ägypten war man damit weiter als im modernsten Paris. Man schminkte dort allerlei, nicht nur Wangen und Lippen. Schminken ist aber eine Sache, die verstanden sein will, eine Angelegenheit der Technik, aber auch eine Kunst, und beim Film sogar eine ganz große Kunst. Wenn es einem Schauspieler an Schönheit oder Ausdruck fehlt, kann er diese Mängel nicht etwa wie beim Theater so ohne weiteres durch Maskierung und Schminke beseitigen. Dem Theater kommt die gedämpfte Beleuchtung der Bühne und ihre Entfernung vom Publikum zugute. Beim Film fallen diese Dinge fort, weil der Filmkünstler oft in der Nahaufnahme in riesiger Größe auf der Leinwand erscheint und von dem vordersten wie auch von dem hintersten Platz bis in alle Einzelheiten zu beobachten ist. Das Theater muß auch die Maskierung und Schminkkunst schon deswegen mehr ausbilden als der Film, weil das Theater nur über ein geringes engagiertes Personal verfügt, das oft jeden Abend eine andere Maske anlegen muß. Ganz anders beim Film. Hier hat man im allgemeinen kein fest angestelltes Personal und kann sich darum die Typen aussuchen, die für die einzelnen Rollen passen. Aber auch beim Film sind die Maskierung und die Schminkkunst nicht ganz zu vermeiden.

Im allgemeinen soll man die Veränderung von Gesichtszügen im Film nicht erstreben. Nasen aus Kitt, Schminkstriche, die Züge oder Runzeln markieren sollen, werden vom Publikum auf der Leinwand stets entdeckt und als abstoßend empfunden werden. Es gibt allerdings eine einige Filmmaske, die eine vollkommen natürlich aussehende Kittnase hat, und zwar Emil Jannings als König Ludwig in dem Film „Madame Dubarry“. Die Darsteller sollen im Film immer wie richtige Menschen aussehen, nie als Schauspieler, die in einer bestimmten Rolle auftreten.

Auch Perücken und Bärte sind beim Film eine gefährliche Sache. Perücken müssen so gut sitzen, als ob sie bei Tageslicht im wirklichen Leben getragen würden, ohne daß man sie als falsches Haar erkennt. Keinesfalls dürfen die üblichen Theaterperücken mit Stirn verwendet werden, da es unmöglich sie, den Übergang so fortzuschminken, daß er in der Großaufnahme nicht erkennbar ist. Außerdem gibt eine solche Maske dem Gesicht stets etwas totes, maskenartiges. Noch schlimmer sind angeklebte Vollbärte, weil sie am Träger wie eine Mähne wirken, was jedes Mal die Stimmung des Publikums ins Lächerliche umwirft. Wenn schon ein Vollbart zu einem Typ gehört, so muß der Anbringung dieses Bartes im Gesicht des Künstlers größte Mühe und Aufmerksamkeit zugewandt werden, oder aber der Regisseur muß von dem Schauspieler verlangen, daß er sich den Bart wachsen und für die Aufnahme stehen läßt (z. B. Willy Fritsch in „Spione“).

Unsere großen Bühnen- und Filmschauspieler kommen im allgemeinen mit wenig Schminke, Perücken und Bärten aus, um für jeden fall ganz neue Typen zu schaffen. Darin liegt das große Können eines Emil Jannings, Werner Krauß, Conrad Veidt, Eugen Klöpfer, Paul Wegener usw. Sie beherrschen die Gebärdensprache in einer Variation, die an das Geniale grenzt. Sie empfinden ihre Rolle wirklich, und nur deshalb komm ihr überzeugendes Aussehen letzten Endes von innen heraus. Wohlverstanden, man kann auf die Maske auch im Film nicht verzichten, weil sie uns die unglaublichen Überraschungen bringen kann, wenn sie nämlich bis in alle Einzelheiten geschickt durchgeführt wird, etwa wie bei Gösta Ekman als junger und alter Faust.

Mut zur Häßlichkeit

Henny Porten hat dazu beigetragen, das deutsche Lustspiel bis zu einer künstlerischen Höhe zu entwickeln, die in der Stummfilmzeit in keinem anderen Lande der Welt auch nur annähernd erreicht worden ist. Die Porten hat nämlich klar erkannt, daß das Hervorheben des „Gegensätzlichen“ von jeher zu den eindringlichsten Wirkungsmöglichkeiten der Kunst gehört. Ob wir etwa in die Tragik eines Shakespeare’schen Dramas Rüpelszenen eingeschaltet finden, ob wir an dem feierlich-himmelstrebenden Wunderwerk eines gotischen Domes plötzlich auch groteske Fratzen von Wasserspeiern bemerken, oder ob auf der Sühne dem edlen Helden der schurkische Intrigant gegenübersteht, stets wird durch Befolgung des Grundprinzips von Wirkung und Gegenwirkung erst der künstlerische Eindruck geschaffen oder erhöht. Diesen Kontrast bringt der Film aus seiner Wiege mit. Die Erscheinung des Filmbildes ist schon primär aus dem Gegensatz von hell und dunkel, von Licht und Schatten, von Schwarz und Weiß zusammengesetzt. Was lag also näher, als auch die Handlungskonflikte im Film zu kontrastieren: Herrscher und Beherrschte – ich denke an „Metropolis“, Vorderhaus und Unterhaus – ich denke an die Russenfilme, Alt und Jung – ich denke an den Film „Das gefährliche Alter“, Groß und Klein – ich denke an die Typen „Pat und Patachon“ usw. Es ließen sich natürlich noch viele solche Gegensätze in diesem Zusammenhang nennen.

Da kam eines Tages die Porten und konstruierte im Film den ganz neuartigen Kontrast „schön und häßlich“ und gab diesem Kontrast in ihren berühmten Doppelrollen den künstlerischen Anspruch. Das wird der Porten nie vergessen werden. Nie wird ihr vergessen werden, daß sie als schöne Frau den unglaublichen Mut aufgebracht hat, Rollen zu geben, in denen sie sich äußerst unvorteilhaft ihrem Publikum zeigte, das doch seine Lieblinge immer nur in idealisiertem Lichte sehen möchte. Vielleicht ist dieser Mut darauf zurückzuführen, daß man in jenen Jahren über Henny Porten dasselbe sagte wie über viele andere Filmschauspielerinnen, nämlich, daß sie nur bedingt eine Schauspielerin von großem Format sei. Henny Porten hat diese Meinung gründlich widerlegt. Ich erinnere nur an die unglaubliche Leistung in „Kohlhiesels Töchter“ und an ihre anderen Doppelrollen, mit anderen Worten an ihren künstlerischen Mut zur Häßlichkeit.

Auch Willy Fritsch hat den Mut zur Häßlichkeit aufgebracht. Jeder kennt ihn als den charmanten, eleganten, hübschen, jungen Mann, und jeder war entsetzt über das abgerissene, verlumpte, häßliche Individuum mit dem Stoppelbart, das er in Fritz Langs „Spione“ darstellte. Es war damals bei den Aufnahmen rührend mit anzusehen, wie er selbst das Deprimierende seines Zustandes empfand. Klein und unscheinbar hockte er stets in der dunkelsten Ecke des Ateliers. Das Schlimmste aber war, daß Fritz Lang ihn gezwungen hatte, sich den Stoppelbart nicht anzukleben, sondern richtig wachsen zu lassen, weil auf eine künstliche Maske unbedingt verzichtet werden sollte. So mußte Fritsch mehrere Tage auch außerhalb des Ateliers in einer Aufmachung herumlaufen, mit der keine Mädchenherzen einzufangen waren. Auch ein Filmliebling hat seine Leiden ...

Mady Christians in Männerkleidung und Georg Alexander in „Der Mann ohne Namen“

Die Frau in Hosen

Curt Bois als Mannequin und Riva Maria in dem Film „Der Fürst vom Pappenheim“

Auf der Bühne ist das Weib in Hosenrollen nie ausgestorben: von Mozarts Cherubin bis zum Rosenkavalier eines Richard Strauss hat es immer reizvolle Pagen Weiblichen Geschlechts, von Götzens Troßbuben, dem Bauer Georg, bis zu Beethovens Fidello immer kühne unternehmende Jünglinge gegeben, die von Damen gespielt wurden, und opfermutige und unternehmende Gattinnen, die, um den Geliebten aus ernster Gefahr zu retten, in männlicher Verkleidung ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen. Boccacclo und der kleine Lord Fauntleroy waren auf Jahre hinaus die begehrten Hosenrollen in der Operette und im modernen Schauspiel. Das Kino hat die Vergangenheit des Theaters genau studiert und dabei erkannt, welche wichtige Rolle die Frau in Hosen von jeher auf den Brettern gespielt hat – und sehr bald seine praktische Nutzanwendung daraus gezogen.

Von Jeher ist die Hosenrolle besonders begehrt gewesen. Welche junge, schlanke Schauspielerin schlüpfte nicht begeistert in Violas knappes, schmuckes Gewand, stülpte keck die Kappe auf den Bubenkopf und stolzierte mit männlich festem Schritt über die weltbedeutenden Bretter? Denn dies ist wirkliche Verkleidung, alle anderen Rollen braucht das Weib nicht zu spielen, sie sind ein Teil seiner selbst. Sich als Mann verkleiden war schon unendlicher Spaß beim kindlichen Spiel, wenn man mit dem Bruder den Anzug tauschte.

Nicht der letzte Grund für die Beliebtheit der Hosenrolle ist durchaus weiblich: die Eitelkeit, die weiß, daß eine schlanke Figur in Männerhosen immer reizend aussieht und niemals ihre Wirkung verfehlt. Auch in der Verkörperung in Hosenrollen steht Asta Nielsen an erster Stelle (am besten in „Jugend und Tollheit“, durch die ganze Handlung hindurch in „Hamlet“, zuletzt in „Fräulein Julie“).

Ihr nahe kommt in der Gestaltung die Porten. Zwar erreicht sie die Nielsen nicht vollkommen schon aus dem Grunde, weil ihr Talent vor allen Dingen weiblich betont ist, aber sie erreicht trotzdem humoristische Wirkungen. Als dritte wäre dann noch Ossi Oswalda zu nennen.

Hosenrollen hat sie des öfteren gespielt, selten aber mit glücklicherer Wirkung als in „Amor am Steuer“. Ihrer schlanken Figur saß die Uniform eines Chauffeurs wie abgegossen, und der kleine Schnurrbart half vortrefflich die Illusion vollenden. Dorrit Weixler, das so früh verstorbene Filmtalent, war ein reizender Pikkolo in Hosen. Die Bergner hat im Film als „Geiger von Florenz“ in einer Hosenrolle durch ihre Anmut entrückt, und die Engländerin Lilian Hall-Davis war in den „Drei Kuckucksuhren“ ein ganzer junger Mann in ausgezeichneter Maske, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Die Hosenrolle ist jedenfalls ein älteres und amüsanteres Kapitel in der Kulturgeschichte des Weibes als die „Vermännlichung der Frau“ in der Mode, die letzten Endes auch nur aus Lust am Verkleiden zu erklären ist, denn was Shakespeare seine Viola sagen läßt, gilt noch heute: „Verkleidung! Du bist eine Schalkheit, seh’ ich, worin der listige Feind gar mächtig ist.“

Der Mann in Frauenkleidern

In unzähligen Possen hat der Komiker auf der Höhe der Situation sich zu verkleiden und seinen Verfolgern zu entgehen, in Frauenkleidern. Das tat er schon in der altgriechischen Komödie und bei so manchen Possenschreibern der Welt. Gewöhnlich verließ er sich darauf, als Matrone nicht entdeckt zu werden. In Charleys Tante erreichte dieser Ulk seinen Höhepunkt, aber er zeigte auch, daß dieser Gipfel bereits überschritten war. Denn seitdem die Frau ihre Gleichberechtigung erkämpft hatte, war die alte Jungfer zur Junggesellin aufgestiegen und hatte damit aufgehört, eine komische Figur zu sein.

Als Werner Krauß Charleys Tante bei Reinhardt spielte, erschien er nicht mehr mit dem traditionellen Kapotthütchen, sondern ganz seriös, man möchte beinahe sagen, elegant, und Sid Chaplin, sein amerikanischer Kollege, würde das heute genau so machen, wenn er auch bei der Filmbearbeitung noch reichlich stark jenen Stich ins Antiquierte hatte, der früher auch bei uns auf der Bühne als notwendig erachtet wurde, weil man meinte, die altmodische Tracht sei an sich eine komische Nuance. Auch Reinhold Schünzel hat in seiner Frauenrolle des Films „Himmel auf Erden“ auf das Altmodische verzichtet. Er ist wirklich „Dame“ und hat damit das alte Problem neuartig a la Werner Krauß gelöst.

Richard Eichberg hat das Motiv der komischen Verkleidung mit Geschicklichkeit für den Lustspielfilm „Der Fürst von Pappenheim“ zu verwenden verstanden. Dieser Film geht in dem der Komik sehr nahe liegenden Milieu der Konfektion vor sich. Denn der Fürst von Pappenheim ist keine Durchlaucht, sondern der Konfektionär Egon Fürst vom Modehaus Pappenheim, der eine Prinzessin von Geblüt zum Mannequin macht, weil diese den richtigen Fürsten Egon nicht heiraten will. Kurt Bois kann sein Talent zur Groteske erfolgreich verwerten und seine Begabung für die Parodie in der Verkleidung erweisen. Das „Große Abendkleid“ mit dem tiefen Rückenausschnitt sitzt ihm ebenso gut wie seiner weiblichen Partnerin.

Menschenmassen und Panik im Ghetto aus dem Film „Der Golem"

Menschen im Hintergrund

In den Kindertagen des Films war der Statist eine Zufallserscheinung. Straßenpassanten, Spaziergänger in Parks wurden freundlichst aufgefordert, sich vor dem Kurbelkasten zu bewegen und halfen auch immer gern mit. Es machte jedem Menschen Spaß, sich auf dem Bilde verewigen zu lassen – und damals kam es auf ein paar Grimassen mehr oder weniger nicht an. Wer dann das Glück hatte, sich in einem Film wiederzusehen, war zwar sehr erfreut, aber nicht selten genau so erstaunt, eine wie merkwürdige Figur er eigentlich im Leben abgab. Bei allen Straßenszenen, die Skiadanowsky und Meßter, die Wegbereiter der Kinematographie in Deutschland, aufnahmen, gab es nur ein paar Hauptdarsteller, deren Tageslohn nicht höher als das war, was man heute an Statisten zahlt, während das „Volk“, die unbeschäftigten Zuschauer, immer aus freiwilligen Helfern bestand. In den ersten Ateliers hatte jeder Bühnenarbeiter noch die Verpflichtung, als Komparse einzuspringen. Und so war der Tapezierer nicht nur der Szenendekorateur, sondern auch der Briefträger, der dem Filmhelden den Scheck eines reichen Onkels über l00.000 Mark brachte, oder auch der schlichte Mann aus dem Volke, von dem der Filmkomiker seine Ohrfeigen bekam. Und die Reinemachefrau war in der Regel die neugierige Zimmervermieterin oder wirklich die Reinemachefrau, die dem eleganten Liebhaber auf der Höhe des Filmhumors von 1900 das Spülwasser über die weißen Hosen zu gießen hatte. Eines Tages war die Statisterie da und hatte ein Kaffeehaus in der südlichen Friedrichstraße Berlins belegt, im Filmviertel.

In diesem Kaffeehaus ging es sehr lärmend zu, denn gleich mit der Eröffnung dieser wilden Komparsenbörse trat ein Überangebot von Statisten ein. Die Filme begannen dann die Tausendmetergrenze zu verlassen und sich nicht nur räumlich, sondern auch szenisch auszudehnen. Man brauchte immer mehr Menschen, wollte – schon damals – neue Gesichter sehen, und die Entwicklung des historischen Films brachte die Massenszene. An einem Frühjahrsabend 1919 erteilte Ernst Lubitsch seinen Hilfsregisseuren den Befehl, ihm zum nächsten Morgen 250 Komparsen nach Tempelhof zu bestellen. Die Friedrichstraße war entsetzt. Man gab dem Produktionsleiter der UFA den gut gemeinten Rat, seinem „jungen Mann“ auf die Finger zu klopfen und ihn nicht das Geld zum Fenster hinauswerfen zu lassen. Was tat ein Mensch mit 250 Komparsen? Zwei Jahre später ließ Lubitsch in „Anna Boleyn“ bereits 4.000 Komparsen aufmarschieren, und wer von diesem Zeitpunkt ab historische Filme drehte, versuchte, immer größere Menschenmassen vor die Linse zu bekommen. Die größte Probe auf die Nerven des Filmregisseurs stellt eine Aufnahme mit Tausenden von Statisten – oder wie sie beim Film genannt werden: „Komparsen“. Entweder können sich diese Durchschnittsmenschen nicht in die zu filmenden Szenen einfühlen, sind lethargisch, bleiben auch im Spiel Statisten und werden durchaus nicht Bischöfe, Barone, Grafen, Herzöge und Fürsten, oder aber sie verderben eine Aufnahme durch allerlei Dummheiten und Schnitzer. Deshalb muß der Regisseur den Komparsen stets eine eingehende und verständliche Übersicht über die Szene geben, in der sie mitwirken sollen, und danach den Auftritt noch durch zahllose Proben einstudieren. Und doch ist es Fritz Lang entgangen, daß in der Hunnenschlacht des Nibelungenfilm ein paar Recken eine Armbanduhr trugen, so daß später diese Massenaufnahme noch einmal gedreht werden mußte.

Asta Nielsen als Backfisch in „Engelein“

Der Backfisch

Mittelpunkt des Films war und ist immer noch die Frau. Und zwar zeigt der Film seine Heldinnen so, wie sie dem jeweils herrschenden Ideal des Kinopublikums entsprechen. Der Zuschauer will nicht auf der Leinwand den Menschen begegnen, die er ungeschminkt im täglichen Leben sieht, sondern er hat den romantischen und verständlichen Wunsch, die Gestalten zu bewundern, die seinem Geschmack ganz besonders nahekommen. So war es immer interessant, an den Frauentypen, die während der kurzen Lebenszeit des Films die Leinwand beherrschten, die Wandlung des Geschmacks der Masse festzustellen und dabei zu prophezeien, wie wohl in den nächsten Jahren die Filmheldin gestaltet sei.

Aus der Zeit der verträumten Romantik stammt der Mädchentyp mit dem Madonnenscheitel und dem schwärmerischen Augenaufschlag: der Backfisch. Noch in den Filmen aus der Frühzeit des Kinos, so um 1910 herum, wirkt für uns heute der damalige Backfisch in der Rubens’schen Fülle der Körperformen geradezu lächerlich und gänzlich überlebt. Sanftmut, Bescheidenheit und Prüderie waren vor ca. 100 Jahren Trumpf, und das erotische Moment trat ganz und gar in den Hintergrund. Das erklärt auch den großen Erfolg von Henny Porten in den Jahren 1910 bis zum Ersten Weltkrieg in ihren bekannten Backfischrollen. Henny Porten wirkte auf das damalige Kinopublikum vollkommen unerotisch und daher sympathisch. Sie war der Typ des Brotschneidenden Haustöchterchens.

Um diese Zeit verlangte die Frauenmode noch Hüften und Busen. Da kam um 1912 Asta Nielsen, verzichtete im Film „Engelein“ als Backfisch auf alle Plastik des Körpers und kündigte damit die Abwandlung des damaligen Schönheitsbegriffes und den Typ der Nachkriegszeit an. Die Schlankheit war so auffallend, daß ein wohlmeinender Filmfachmann der Nielsen den Rat gab, sich während des Spiels für den Film „Engelein“ Gummiwaden anzulegen. Wer aber Asta Nielsen als Engelein gesehen hat, wird nie vergessen, wie diese Frau von dreißig Jahren die ihr vorgeschriebene Backfischrolle zu einer erotischen „Naiven“ karikiert und zusammengequirlt hat, die rassig und jungmädchenhaft zugleich wirkt. Leider hat sie zehn Jahre später in der „Schmetterlingsschlacht“ immer noch den Backfisch gespielt und recht unglaubwürdig gewirkt, nicht zuletzt auch schon deswegen, weil sie fast zu gleicher Seit in „Absturz“ (1923) eine gealterte Frau darstellte. Diese Rolle hat man ihr schon eher glauben können. Und doch ist dieser Backfisch der Asta Nielsen ebenso wenig wie der Backfisch der Henny Porten der Idealtyp der Nachkriegszeit vom Ersten Weltkrieg geworden. Die Porten war zu mollig, die Nielsen wirkte wie ein mittelalterlicher Holzschnitt. Ossi Oswalda kam dem damaligen Backfischtyp vielleicht noch am nächsten.

Camilla Horn (das naive Gretchen) und Gösta Ekman (der junge Faust) in dem Film „Faust“

Die Naive

Lilian Harvey in „Adieu Mascotte"

Das Gretchen im „Faust“ ist die herrlichste Naive, die wir in der deutschen Dichtung kennen. So mußte es den Filmmann reizen, die Gretchenhandlung in den Mittelpunkt eines „Faust“-Films zu stellen.

Für das Gretchen war eines Tagen eine dankbare Filmrolle zu vergeben. Eine Unzahl von Jugendlich-Naiven stand zur Prüfung vor dem Kurbelkasten, aber keine gefiel. Man hat sehr lange Zeit nach einem deutschen Gretchen für den Film suchen müssen. Der Film hat nun einmal einen härteren Richter als das Theater. Das Scheinwerferlicht im Filmatelier zerreißt grausamer alle Illusionen als das Rampenlicht der Sprechbühne. In der Großaufnahme des Films sieht man die Frau, wie sie wirklich ist. Es hat in den hundert Jahren, seit Goethes Werk zum ersten Mal über die Bühne ging, viele Tausende Theater-Gretchen gegeben, vollendete Künstlerinnen, und manch eine war bestimmt darunter, die dem Bühnenideal entsprach.

Für den Film aber kamen sie alle nicht in Frage. Gewiß, es gab Frauen von unerhörter Meisterschaft der Kunst, es gab Filmsterne von Weltruf, es gab Frauen, deren Antlitz und Gestalt dem Goethe’schen Gretchen glichen, aber eben diese „Beherrschung“ der Materie war es, die ihre Tauglichkeit für diese Rolle zweifelhaft erscheinen ließ. Denn diese Rolle verlangt nicht Beherrschung, sondern Hingabe, Demut, Schmerz und verzücktes Wandeln an den Grenzen von Gut und Böse. Im Film mußte in Gretchen eine Idealfigur, eine Volksgestalt, kurzum ein Volksbegriff geschaffen werden. Gretchen mußte jung sein, schlank und fein, es mußte jenen Ausdruck zauberhafter Süße haben, der ihr Lieben und Leiden glaubhaft machen konnte. Und so war man sich klar: eine „Künstlerin“ konnte das Gretchen im Film nicht spielen. Da wurde Gretchen, allerdings recht unromantisch, „entdeckt“ und war weder auf einer Sprechbühne noch auf grüner Heide: Eines Tages klingelte höchst prosaisch ein Telefon, und ein Hilfsregisseur der UFA bestellte die Statistin Camilla Horn ins Atelier, wo man eine Großaufnahme ihrer – Beine haben wollte. Die Hauptdarstellerin zu irgendeinem Film war erkrankt, und es fehlte nur noch eine Beinaufnahme. Der Regisseur dieses Films war Murnau. Er filmte aber nicht nur die Beine, sondern stellte die ganze Novizin vor die Kamera. Alles atmete auf, als die ersten Bilder entwickelt waren: Man hatte in der kleinen Komparsin das deutsche Film-Gretchen gefunden.

Das süße Mädel

Das „süßeste“ und schönste Mädel der Stummfilmzeit war bestritten Lilian Harvey.

Die frauenhafte Carola Toelle in „Die Schuld des Grafen Weronsky“
„Ich weiß eigentlich selbst nicht, wie ich meine angebliche Schönheit erhalte. Ich weiß nur, daß ich sehr natürlich und einfach lebe, viel Sport treibe und namentlich viel tanze. Jede freie Minute des Tages nutzte ich aus, um Tanzübungen zu machen, denn ich bin ja auch eigentlich Tänzerin gewesen, bis ich zum Film kam, und dem verdanke ich meine künstlerische Elastizität, die mich innerlich froh macht, und ohne das innere Gefühl des Frohsinns kann man, glaube ich, nicht schön sein und nicht schön bleiben.“

Das war immer die Antwort von Lilian Harvey auf die Frage der Neugierigen: „Wie bleiben Sie jung und schön?“ Seltsam – wer es nicht weiß, nimmt ohne weiteres an, daß die weizenblonde Anny Ondra ihr irdisches Dasein unbedingt in Österreichs vielbesungener Hauptstadt begonnen haben müsse, daß sie Wiener Vollblut sei, ein echtes „Wiener Mädel“. Anny Ondras Wiege stand in Polen, und zwar in der Stadt Tarnow, wo sie als Tochter eines k. u. k. österreichischen (daher also das Wiener Herz) aktiven Offiziers geboren wurde. In Polen hat sie für einige Zeit, wohl oder übel, die Klosterschule besucht; danach sind ihre Eltern mit ihr nach Prag übergesiedelt. Hier soll sich an einem übrigens ziemlich verregneten Tage ganz elementar, ganz stark Annys Theaterleidenschaft gemeldet haben. Da gab es kein Halten mehr:

Der vierzehnjähriger schlanke, anmutige und nicht wenig draufgängerische Backfisch begann, Theater zu spielen. Von der Bühne zum Film war nur noch ein Schritt. So stand Anny Ondra im Jahre 1920 mit großen, erstaunten Kinderaugen zum ersten Male vor einem sogenannten Kurbelkasten. Ihre ersten Filmsporen hat sie sich also in Prag verdient. Aber international wurde ihr Name erst, als man sie nach Berlin holte. Ondra-Filme wie „Der erste Kuß“, „Saxophon-Susi“ und „Evas Töchter“ (1928), „Sündig und süß“, „Das Mädel mit der Peitsche“ (1929) und „Die Kaviarprinzessin“ (1929), um nur die bekanntesten zu nennen, sind heute jedem Stummfilmkenner ein Begriff.

Die Frauliche

Es ist so gekommen, wie es manche vorausgeahnt haben: Der allzu schnell populär gewordenen internationalen Erscheinung des Girls ist eine sehr kultivierte Dame, die Frau von Format, gefolgt. Aus der langweilig gewordenen Maske des Girls drängte sich immer stärker das Gesicht der eigene Ausbruch des individuellen Menschen hervor: die persönliche Note. Friseure und Schneider aller Länder gingen in der Mitte der zwanziger Jahre ans Werk: Das Haar war kein strenger Herrenschnitt mehr, sondern wellig und länger geworden, und die Gewänder wurden wieder faltenreich und dekorativ. Die Mode des Girltums hatte einfach zu wenig Möglichkeiten an Variationen gehabt, und für Übertreibungen und Extravaganzen hat die erwartete exotische Aufmerksamkeit des Mannes keine genügende Ausdauer gezeigt. Wir erlebten schon in der Stummfilmzeit die Auferstehung des fraulichen Typs, wie ihn etwa Olga Tschechowa und Gerda Maurus darstellen. Diese beiden Frauen sind keine nivellierten Idealtypen mehr, sie „tragen ihr eigenes Gesicht“.

Als die Kinodramatik etwa um 1910–1912 sich in ihren ersten Anfängen umhertastete, griffen die Filmdichter allzu gern zu den rührseligen Liebesgeschichten der Heimburg, der Marlitt und der Courths-Mahler. Im Mittelpunkt all dieser Romane fand sich die unglückliche Frau in zerrüttetem Elternhaus oder zerrütteter Ehe und mußte sich schwer durch das Leben kämpfen, selten mit glücklichem, meistens mit tragischem Ausgang. Das war in der damaligen Zeit so recht der Filmstoff für die Filmautoren, so recht der für die Kinobesucher. Das war die Blütezeit des fraulichen Type im Film.

Alle Anforderungen, die Dichter und Publikum an solche Frauengestalten stellten, konnten in der damaligen Zeit drei Frauen besonders gut erfüllen: Henny Porten, Mia May und Carola Toelle. Wie man sich zur Porten auch stellen mag, für die breite Masse geht von der Porten der Zauber des echt Fraulichen aus. Der Erfolg ist ihr deswegen auch bis in die Tonfilmzeit hinein treu geblieben, weil die Zeit, die wechselnde Lebensanschauung, die Mode nichts an ihrem Bilde ändern konnten. Deutsche Sentimentalität ist der Grundzug ihres Wesens einst und noch heute. In Henny Porten stand mehr als zwanzig Jahre auf der Leinwand das Symbol der deutschen Frau, und zwar die deutsche Frau in höchster Konzentration: lieb, gut, tüchtig, mütterlich, treu, tapfer, schelmisch, klug – alle guten Eigenschaften der deutschen Frau leuchten aus ihr – nicht alle auf einmal, aber stets die, deren gerade der Augenblick bedarf.

Die mondäne Frau

Die mondäne Lil Dagover in „Ungarische Rhapsodie"

Eine Zeitlang war die Körperkultur Trumpf und mit ihr der nackte Körper des Menschen. Bald aber ist der Kampf zwischen Körper und Kleid zugunsten des Kleides entschieden worden. Die Mode wurde wieder entscheidend. Die Schneider aller Welt haben nicht eher geruht. Das Weib will nicht mehr durch sein leuchtendes Fleisch, sondern durch die Anmut der Kleidung wirken. Und wenn es um die Erotik geht, soll nicht mehr der Körper allein Element der Verführung sein, sondern mindestens als kameradschaftlicher Kampfgenosse die Eleganz des modernen Kleides, das die Körperformen und die Körperschönheit raffiniert betont. Das Kleid soll das Spiel der erotischen Phantasie der Männerwelt begünstigen. So meint die mondäne Frau.

Das ist der Grund, warum die Männer die mondäne Frau so gern im Film sehen, warum sie so gern im Film die erotischen Wirkungen beobachten, die von dem schönen Rücken, dem mit Spitzen eingerahmten Dekolleté, den formvollendeten seidenbestrumpften Beinen einer mondänen Frau ausgehen. Diese Chancen hat sich die Kinoschauspielerin natürlich nicht entgehen lassen. Sie ist zur Schöpferin und Trägerin der Mode geworden, sie schafft viele Neuheiten oder inspiriert sie wenigstens. Und sie muß guten Geschmack haben, denn sie will ja nicht nur einem gefallen, sondern allen, nicht einen in ihren Bann zieren, sondern alle. Die mondäne Frau im Film liegt in ihrer filmischen Entwicklung zwischen Fern Andra, deren nackter Rücken ihrer mondänen Note einst zu großem Erfolg verhalf, und Lil Dagover, die viele Jahre im mondänen Film tonangebend war.

Lil Dagover ist wohl die aparteste Mondäne des deutschen Films mit einem ganz persönlichen, unbestimmbaren Etwas. Dieses „Etwas“ hat sich am klarsten kristallisiert in der „Ungarischen Rhapsodie“, und zwar in der Szene, in der Lil Dagover als Generalsgattin mit dem jungen ungarischen Leutnant Willy Fritsch flirtet. Ist Henny Porten der Typ des deutschen Frauenideals, das wir klassisch-romantisch nennen könnten, so liegt Lil Dagovers Typ ganz im Modernen: Sie ist die reife, intelligente, mondäne Frau: das deutsche Frauenideal von 1919 bis 1929.

Der Vamp

Die Verführerin (Brigitte Helm) in „Alraune“

Asta Nielsen hat man diabolisch, Pola Negri einen Dämon, Greta Garbo eine Sirene, Brigitte Helm einen Vamp genannt. Eine Frau kann verführerisch sein, leidenschaftlich, heftig oder temperamentvoll, sie muß darum aber noch nicht dämonisch, nicht ein Vamp sein. Vamp ist eine Abkürzung von Vampir. Vamp ist der Typ des verführerischen Weibes, das seit Wedekinds „Erdgeist“ eine zeitgenössische Erscheinungsform geworden ist und als Lulu-Charakter eine spezielle Gattung des Weibes darstellt. Klarer vielleicht noch geprägt in Hanns Heinz Ewers’ „Alraune“. Nicht immer etwa ein Zigeunerwesen mit wildem schwarzem Haar, mit glühenden Augen und schlangenartigen Bewegungen. Auch in einer blonden, blauäugigen Frau kann der Vampir hausen.

Der Vamp muß nur Augen haben, die rätselhaft und lockend, befehlend und zwingend sind. Zum Vamp gehört die erotische Ausstrahlung, die man nicht lernen kann, sondern die angeboren ist und der der Mann rettungslos verfällt, an der er meistens zugrunde geht. Die Frau, die nur „Sex- Appeal“ hat, verfügt natürlich auch über solche erotische Ausstrahlung, ohne aber die Macht zu kennen, die ihr daraus dem Manne gegenüber erwächst. Eine gesunde reizvolle Frau verführt den Mann, um selbst zu lieben und um in dieser Liebe selbst und mit dem anderen glücklich zu sein. Hier winkt also ein schönes Ziel. Der Vamp dagegen ist sich des Unheils seiner Macht bewußt, kennt seine Kraft und Stärke und setzt sie grausam, herzlos, rücksichtslos und zielbewußt als Mittel zum Zweck ein. Der Film hat diesen Typ besonders kultiviert, denn in ihm kondensiert sich das Erotische und tritt so in Erscheinung, wirkt bildmäßig so stark, daß dem Film seine Effekte sicher sind. Bei der Stummheit des Films konnte das verführerische Wort doch nun durch die Körpersprache wiedergegeben werden.

Den Vamp des stummen Films hat Fritz Lang geschaffen: Brigitte Helm. Sie läßt alle Leidenschaften ausschließlich aus der Grazie ihres Bajaderenkörpers sprechen. Das gibt einen deutlichen Trennungsstrich zwischen ihrer eigenartigen erotischen Ausstrahlung und der Erotik etwa einer Asta Nielsen oder Pola Negri. Unwillkürlich sucht man nach dem Betrachten einer neuen Künstlerin nach Ähnlichkeiten mit anderen. Brigitte Helm erinnert uns an niemanden. Sie ist ein Vamptyp für sich. Brigitte Helm ist seit „Metropolis“ und „Alraune“ der Typus der schönen Verführerin. Diesen Charakter hat ihr Fritz Lang durch ihre „Metropolis“-Figur aufgezwungen, sie selbst wird diesen Charakter nicht mehr recht los, und auch das Publikum kann den großen Eindruck der verführerischen Maria in „Metropolis“ nicht vergessen.

Seine Majestät – das Kind

Werner Krauß und das „Heinerle“ in dem Film „Der fidele Bauer“

Kinder als Darsteller sind auf der Sprechbühne nie recht zur Geltung gekommen. Das Stimmchen ist zu dünn, zu zart, zerflattert zu leicht im großen Zuschauerraum. Daneben gehen die mimischen Feinheiten bei der weiten Entfernung des Beschauers von der Bühne gänzlich verloren, und es bleibt nur die Pose übrig.

Anders im Film. Ein Kind auf der Leinwand nimmt darstellerisch immer die Herzen des Kinopublikums gefangen. Hier kann der kleine Künstler seine Mimik und Gesten zeigen zur Freude aller, wenn er im Spiel kindlich und natürlich bleibt und außerdem der richtige Kinderregisseur am Werke war. Der Regisseur, der mit Kindern arbeitet, muß sich unbedingt in die Seele und das Wesen eines Kindes einfühlen können. Als im Dezember 1919 der Lubitsch-Film „Die Puppe“ in Berlin seine Premiere erlebte, holte sich in einer Nebenrolle ein lebensechter Lausbubenlehrling, halb Wilhelm Busch, halb Hans Thoma, wiederholten Soloapplaus: Gerhard Ritterband. Richard Oswald hat wohl zum ersten Mal in Deutschland ein Kind in den Mittelpunkt des Films gestellt, als er sich Dickens’ „Oliver Twist“ als Sujet für seinen Film „Die Geheimnisse von London“ (1920) auswählte: die Tragödie eines Kindes.

Jackie Coogans erster Film lief im Jahre 1923 in Deutschland an. Im gleichen Jahre fiel ein Kind in dem deutschen Film „Das brennende Geheimnis“ wegen seiner unglaublichen Schauspielbegabung auf: Peter Eysoldt, der Sohn von Gertrud Eysoldt. Kinder im Film sind das Entzücken jedes Kinobesuchers, vor allem der Damenwelt. Jackie Coogan hatte bewiesen, daß man auch auf ein Kind als Hauptdarsteller große Spielfilme aufbauen kann. Ich finde, daß der seltsame Reiz, den ein Kind im Film auf uns ausübt, besonders darin zu suchen ist, daß ein Kind nicht spielt, sondern lebt. Wir kennen wohl die Psychologie des Kindes aus Büchern und haben seine Sprache belauschen gelernt, keiner aber von uns kennt die Physiognomie des Kindes, seine Mienen und Gebärden, die uns geheimnisvoll sind und uns gewissermaßen als Naturerscheinung immer wieder entzücken. Am schwierigsten ist natürlich, tragische Stimmungen aus den Kindern herauszuholen, vor allem, weil man sie seelisch nicht zu stark erschüttern darf. In seiner Kindertragödie „Die Unehelichen“, in der alle tragenden Rollen nur von Kindern gespielt werden, hat Lamprecht deshalb mit seinem psychologischen Takt die kleinen Schmerzen der Kinderseele um eine zerbrochene Puppe oder ein verbotenes Spiel zur Erfassung des erschütterndsten Leibes seiner Rollen zu benutzen verstanden.

Lamprecht ist sogar so weit gegangen, daß er den kleinen Schauspielern in dem Film „Die Unehelichen“ ihre eigenen Leistungen nicht gezeigt hat, d. h., die kleinen Künstler haben ihren Film nicht sehen dürfen. Lamprecht wollte ihnen dadurch ihre natürliche Unbefangenheit erhalten. Hätten die Kinder Gelegenheit, ihre Leistung im Film zu sehen, würden sie wahrscheinlich den Begriff „Wirkung“ kennenlernen. Sie würden wissen, beim Schreck müßten sie zittern, und bei Angst müßten sie scheu zu Boden blicken. Zwei kleine Schauspieler aus dem Film „Die Unehelichen“ schrieben am Tage der Berliner Premiere dieses Films an Lamprecht eine Postkarte mit folgenden witzigen Versen:

Zwei Knaben leckten sich die Pfoten
nach einem Filme, der verboten.
der eine weint: „Ick derf nich rin,
Un spiele dabei selber drin!“

Für den Film „Der Piccolo vom goldenen Löwen“ (1929) hat Carl Boese den kleinen Gustl Stark-Gsettenbaur entdeckt, ein reizend spielendes Kerlchen, das auch in „Die Frau im Mond“ mitwirkte und erst in der Tonfilmzeit zur vollsten Entwicklung kam.

In dem Film „Der Kampf der Tertia“ (1929) spielen herrliche Jungen mit. Ein frischer Film, der nur unter Jugendlichen spielt und keinerlei erotische Probleme bringt. Es handelt sich um die Tertianer eines ländlichen Pädagogiums, die gegen die Bewohner einer Kleinstadt kämpfen, als diese den Katzen des Ortes den Krieg erklären (Regie Max Mack).

Mutter und Großmutter im Film

Sophie Pagay und Aud Egede Nissen in „Die sieben Töchter der Frau Gyurkowics“

Die Jugend, so selbstbewußt sie ist, flieht gern mit ihren Sorgen zur lieben Mutter oder Großmutter, besonders dann, wenn das so selbständige Köpfchen nicht mehr weiter weiß, und hofft, daß die gute alte, erfahrene Frau den Schicksalswagen, die einigermaßen verfahren ist, schon wieder auf die richtige Bahn bringen wird. Ein paar silberne Worte zu Ehren der Mütter und Großmütter im stummen Film:

Merkwürdig früh wurde der Film auf Frieda Richard aufmerksam. Sie selbst gibt an, bereits im Jahre 1909 zum Film gegangen zu sein, zu Oskar Meßter. So hat Frieda Richard während ihrer Laufbahn mit allen Stars gespielt, die auf der deutschen Leinwand zu Ruhm kamen. Trotzdem ist Frieda Richard immer dieselbe schlichte Erscheinung geblieben. Nichts liegt ihr ferner als sogenannte Künstlerallüren. Sie will zuerst eine gute Hausfrau sein und beweisen, daß sich Künstlertum nicht nur durch geniale Unordnung, sondern auch in Verbindung mit wirtschaftlichem Talent beweisen läßt.

Ab 1869 begannen die „Meininger“ mit ihrer Reform des erstarrten Theaters, bis diese eines Tages selber abgelöst wurde vom Naturalismus Brahms’, dessen Stil Reinhardt stürzte, den wiederum der Expressionismus und die Kreislerbühne überholten. Adele Sandrock ist unerschütterlich durch alle diese Stile gegangen. Sie, die gebürtige Holländerin, hatte in ihrer Jugend eine vorzügliche dramatische Schulung genossen, nahm aber früh gewisse Nuancen des Hoftheaterstils an. Dieser Stil des Wiener Burgtheaters, dem sie lange Zeit angehörte, erwies sich im Laufe der Zeit als überaltert. Sandrock, die nicht von ihm freikam, stand isoliert inmitten schauspielerischen Nachwuchses, der mit dem Naturalismus Brahms’ erzogen worden war. Anschluß an die Zeit fand Adele Sandrock erst wieder, als sie dazu überging, die hochgestemmten Hoftheater entschlossen zu parodieren.

Der Schritt, ihre vornehme Art der Darstellung durch allerlei Übertreibungen zu parodieren und dadurch immer nur komisch zu wirken, mag ihr schwer genug gefallen sein. Sie ist auch die einzige, die im Atelier vom Regisseur und den Kollegen nicht mit dem Vornamen und dem Kollegialen „Du“, sondern mit „Gnädige Frau“ angeredet wurde. Im Filmatelier und in zahlreichen Anekdoten ist sie die Heldin geblieben.

Siehe auch

Fußnoten

  1. Dr. Daniela Sannwald und Robert Müller: Kino nach dem Ersten Weltkrieg: Stummfilm