Anti-Utopie

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Der Ausdruck Anti-Utopie auch Dystopie bezeichnet im Gegensatz zur positiv besetzten Utopie eine in der Zukunft spielende Erzählung mit zumeist negativem Ausgang. Sie handelt von einer Gesellschaft, die sich abwärts – auf eine Katastrophe zu oder in immer beklemmendere Zwangslagen hinein – entwickelt. Auch alle Endzeit-Geschichten (alle apokalyptischen Stoffe) sind eine Form der Anti-Utopie. In vielen Fällen ist spürbar, daß Autoren anti-utopischer Geschichten mit Hilfe eines pessimistischen Zukunftsbildes auf bedenkliche Entwicklungen der Gegenwart aufmerksam machen und vor deren Folgen warnen wollen. Ebenso häufig aber ist deren anthropologischer Pessimismus so tief verwurzelt, daß sie eigentlich nur deshalb das Negative ausschmücken, weil sie gerade nicht an Verbesserungen glauben, sondern (unausgesprochen) der Erziehung und der Politik die Aufgabe zuweisen, gegen den Niedergang tätig zu sein, unablässig, unnachgiebig und ohne jede Hoffnung.

Zur Wortgeschichte

Das Wort Utopie (ein Kunstwort aus altgriechischen Wortbestandteilen mit der Bedeutung: „kein Ort, nirgends“) hat Thomas Morus für seinen gleichnamigen Roman von 1516 erfunden, der eine moralisch perfekte und perfekt geordnete Gesellschaft beschreibt (als Reisebericht). Thomas Morus – englisch: Thomas More (1478-1535) – war ein englischer Staatsmann, königlicher Berater, Kronjurist und humanistischer Autor. Er ist eine der Schlüsselgestalten der englischen Reformation und wurde, aufgrund seines spektakulären Hinrichtungstodes (er hatte sich – als gesellschaftlich hochrangiger Katholik – geweigert die Suprematsakte König Heinrichs VIII. zu unterzeichnen), zu einem Heiligen und Märtyrer der Römisch-katholischen Kirche.

Das hohe Alter der Anti-Utopien

Anti-Utopien sind, der Sache nach, Gegenentwürfe zu Thomas Morus’ „Utopia“. Historisch aber beginnt die Geschichte der Anti-Utopien keineswegs erst im Zeitalter der Industriellen Revolution. Es gab vielmehr zu jeder Zeit entschiedene Gegner von Naturwissenschaft und Technologisierung (fast alle Handwerksarbeiten – im Zusammenhang mit Schiffbau, Wagenbau, Bergbau-Technik und Bauwesen – waren in früherer Zeit verknüpft mit einem Marktprivileg oder mit einem privilegierten Zunftzugang, jede technische Veränderung in Richtung auf Manufakturierung hin, bedrohte faktisch den freien Handwerker; in etwa vergleichbar mit der Art, wie Athener Taxifahrer sich heute existenziell bedroht fühlen von Brüsseler Gesetzesänderungen).

Bloßes Verharren und Blockieren erzeugt sicher noch keine Gegenutopie. Auch die Fortschrittsgläubigen wissen ja oft nicht, für welche technologische Möglichkeit sie plädieren sollen. Die wirklich frühen Anti-Utopien haben jedoch stets etwas zu tun mit dem Gesellschaftspessimismus eines François Rabelais (1494-1553): Seine im Romanzyklus „Gargantua und Pantagruel“ (der ab 1535 erschien und postum mit dem 5. Band 1563 abgeschlossen wurde) geschilderte „Abtei Thelema“ (die Abbaye de Thélème) ist ein Rückzugsort freier Menschen, aber eben ein Rückzugsort! Mitten in der Renaissance ist Freiheit der Lebenskunst und die Freiheit, wiederaufgefundene antike Texte zu lesen, auch immer nur die Freiheit der Wenigsten.

Erst Umwälzungsideologien der Moderne aber – die verlangen, auch das Bewährte umzureißen und die zudem Moral gegen Ästhetik ausspielen, um rapider umreißen zu können – locken wirklich erfinderische Anti-Utopien hervor, in denen der Mensch seine physische Integrität verliert, und in der existenzielle Ausweglosigkeit dann vor allem technisch vermittelt ist (und nicht mehr als sittlicher Niedergang oder am Beispiel kriegerischer Verwerfungen illustriert wird). Erzählungen von E. T. A. Hoffmann (1776-1822) und der weltberühmte Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ (1818) von Mary Shelley (1797-1851, sie war die Tochter der Schriftstellerin und Feministin Mary Wollstonecraft [1759-1797], die mit „Verteidigung der Rechte der Frau“ [1792] eine der frühen, grundlegenden Arbeiten zur Frauenrechtsbewegung verfaßt hatte und selber am Kindbettfieber starb), überliefern bereits die spezifischen Horrorvisionen von einer entfesselten Moderne.

Anti-Utopien werden immer „moderner“

In einer anti-utopischen Gesellschaft gibt es meist Teile der Bevölkerung, die nicht unter der vollständigen Kontrolle des Staates stehen, und in die der Held einer Geschichte alle seine Hoffnungen setzt. Am Ende scheitert er gleichwohl. In „1984“ (abgeschlossen: Dezember 1948, veröffentlicht: 1949) von George Orwell (1903-1950) sind es die „Proles“. In der Anti-Utopie „Wir“ (1920) von Jewgeni Samjatin (1884-1937) sind es die Menschen außerhalb der Mauern des „Einzigen Staates“. In dem Roman „Fahrenheit 451“ (1953) von Ray Bradbury (1920-2012) über eine zukünftige amerikanische Gesellschaft, in der Feuerwehrleute Häuser niederbrennen, in denen Bücher vermutet werden, sind dies die letzten Menschen, die verdächtigt werden, noch Bücher zu besitzen.

Erzählende Werke von Aldous Huxley (1894-1963) und Isaac Asimov (1920-1992) wurden zu Klassikern der Zivilisationsskepsis. Die Kurzgeschichte „Der Minderheiten-Bericht“ des zu Lebzeiten fast völlig verkannten und in desaströsen Umständen lebenden VS-amerikanischen Schriftstellers Philip K. Dick (1928-1982, verfilmt als „Minority Report“ mit Tom Cruise) ist ein zeitgenössischer und weltberühmter Klassiker der Anti-Utopie. Ebenso beruhen die Kinofilme Matrix, Blade Runner und Total Recall auf Texten und Konzepten von Philip K. Dick. Es ist nicht zu erkennen, daß die Anti-Utopie sich etwa als eine Mode-Erscheinung erwiese und in zwanghafter Wiederholung ausleiern und auslaufen würde.

Eher ist das Gegenteil der Fall: Die typischen – als ethische Seezeichen auf der Fahrt des Lebens entworfenen – Utopie-Konzepte aus Literatur und Politik (oder aus Wissenschaft und Technik), verlieren in den gegenwärtigen Umwälzungen noch ihren letzten Rest einer ästhetischen Aura. Sie erscheinen dagegen mehr und mehr als Beweisstücke für die völlige Unfähigkeit von modernen Zivilisationen, ihre wichtigen Dinge richtig zu regeln. Texte der antiken und der neuzeitlichen Gnosis, die von der totalen Verführbarkeit des Menschen, von der totalen Verwerflichkeit und Ausweglosigkeit menschlichen Strebens und von der Bösartigkeit der Schöpfung als solcher handeln, lesen sich – vor dem Hintergrund unserer heutigen Zivilisationskrise – wie hellsichtige Prophetien.

Alle Fortschrittsparolen aus Technik und Politik sind zu messen an dem Menschentypus, den sie hervorbringen oder präferieren: „Glücklich gemachte“ Ratten sind Versuchstiere, die man in den Müll wirft, wenn man sie zu Tode beglückt hat. „Glücklich sein“, „Spaß haben“, „das Leben genießen“, „gecoacht“ werden, „Spa Hotels“, „Wellness Kurse“ – all das, worauf Menschen „einen Anspruch“ zu haben glauben –, die Rundumversorgung von der Wiege bis zur Bahre durch die, die es angeblich so gut mit uns meinen, trägt weniger und weniger dazu bei, daß es freie Menschen gibt, sondern vervielfacht eine ewige Abhängigkeit, „glücklich“ dahinzuvegetieren, wie Ratten, deren Glückszentrum man beständig mit Stromstößen oder chemisch reizt, bis sie eben final kollabieren.

Tiermetaphern (vom Ameisenhügel und von der Schafherde) drängen sich auf zur Beschreibung dessen, was Utopisten als Gipfel der Vernunft anpreisen. Die Anti-Utopie hatte seit ihren Anfängen das Problem, daß der von Menschen in ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit geschaffene Unsinn und Niedergang ganz mühelos jede filmische oder literarische Warnung vor dergleichen überbietet.

Siehe auch

Literatur

  • Willi Erzgräber: [Artikel] Utopie/Antiutopie. In: Dieter Borchmeyer / Viktor Žmegač (Hgg.): Moderne Literatur in Grundbegriffen. Athenäum Verlag, Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-610-08445-6; S. 356-362
  • Stephan Meyer: Die anti-utopische Tradition. Eine ideen- und problemgeschichtliche Darstellung. Verlag Lang, Frankfurt am Main, Berlin, Brüssel [...] 2001, ISBN 3-631-37492-5 [Diese Hochschulschrift (Hildesheim 1998) ist lexikalisch aufgebaut und überrascht mit ihrer genauen Beschreibung von Motivtraditionen]
  • Robert Anton Wilson: Das Lexikon der Verschwörungstheorien. Verschwörungen, Intrigen, Geheimbünde. Aus dem Amerikanischen von Gerhard Seyfried. Herausgegeben und bearbeitet von Mathias Bröckers. Piper Verlag, München 2004, ISBN 3-492-24024-0 [Amerikanische Originalausgabe: Everything is under Control. Conspiracies, Cults, and Cover-ups. HarperCollins Publishers, San Francisco 1998]