Entschleunigung

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Der Begriff Entschleunigung steht für Kapitalismuskritik und eine Forderung nach einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel. In einer entschleunigten Gesellschaft sollen konservative Werte bestimmend sein und der Konsum als bislang alleiniges „Mittel zum Zweck“ wieder die ihm gebührende Nebenrolle einnehmen. Als Entschleunigung wird - durchaus unabhängig von politischen Fragen - eine Einstellung bezeichnet, aktiv der beruflichen und privaten „Beschleunigung“ des modernen Lebens entgegenzusteuern. „Entschleunigung“ sind alle Versuche, wieder langsamer zu werden oder sogar zu einer neuen Langsamkeit als Erziehungsziel zurückzukehren.

Spiritualität als Gegenmoderne

Diesem Streben nach Verlangsamung liegt die Auffassung zugrunde, daß die gesellschaftliche, die technische und die wirtschaftliche Entwicklung in den entwickelten Industriegesellschaften eine entfremdete, widernatürliche Eigendynamik gewonnen habe, die Hektik und sinnlose Hast in alle Lebensbereiche hineintrage und dabei jedes natürliche und insbesondere menschliche Maß ignoriere.

Es handelt sich also zunächst um ein spirituelles Konzept. Dem Streben der Berufswelt nach Komplexität, Effektivität, Beschleunigung aller Abläufe, Rekord- und Wachstumssuche, soll auf diese Weise die Entschleunigung als ein Gegengewicht entgegengesetzt werden. Weniger im Sinne einer Langsamkeit als Selbstzweck, sondern vielmehr im Sinne von angemessenen Geschwindigkeiten. Dem modernistischen Dogma, Veränderung sei unbesehen jeder bewährten Sache vorzuziehen, stellt die Idee der Entschleunigung sich ebenfalls entgegen: Dies betrifft den Umgang mit sich selbst, mit anderen Menschen und mit der umgebenden Natur.

Entschleunigung als technisches Erfordernis

Der Begriff der Entschleunigung wird auch im Rahmen einer ökologisch orientierten Verkehrspolitik verwendet. Hier ist er in dem Sinne zu verstehen, daß eine generelle Einführung von Tempolimits gefordert wird, sowie ein sinnvoller Ausbau von Bundesstraßen statt neuer Autobahnen. Interessant ist, daß derartige Konzepte in aller Regel erst dann durchgesetzt werden können, wenn der Verweis auf ihre technisches Gebotensein Gehör findet: Im Falle chronisch überarbeiteter Beschäftigter (die Ausschuß oder Unfälle produzieren). Aber auch im Falle des Verkehrsinfarkts in Metropolen (die schon technisch eine Entschleunigung, etwa mittels gestaffelter Ferienzeiten, gestaffelter Arbeitszeiten u.ä., als sinnvoll erscheinen lassen).

Warum sagt keiner „Faulheit“ oder „Muße“? - Begriffe hätten wir schon, um Entschleunigung zum Ausdruck zu bringen. Ist es die negative Besetzung? Tatsächlich hat der modisch gewordene Begriff der „Entschleunigung“ wohl deshalb eine solch inflationäre Verbreitung erfahren, weil es allenthalben an Mut fehlt, für die ehrlichere Forderung nach „Verlangsamung“ einzustehen. Bei einer kleinen Rücknahme der Beschleunigung braucht niemand eine Drosselung der gewohnten Geschwindigkeit zu fürchten. Das Wort „Verlangsamung“ hingegen würde offen erkennbar das modernistische Fortschrittsdenken in Frage stellen.

Die anthropologische Grundlage

Gleichzeitig Sport zu treiben (mittels Kleinhantel), zu telefonieren, auf einem Bildschirm ein Fußballspiel verfolgen und auf einem anderen Börsenkurse oder Wettermeldungen zu überschauen – das sind vier Handlungen gleichzeitig, die (wie effizient auch immer sie vollführt sein mögen), ganz sicher auch den Zweifel betäuben, am Nachdenken hindern und zur Oberflächlichkeit hin konditionieren. Methodisch, täglich und ausnahmslos betrieben, kann der Versuch, niemals nur eine Sache allein zu erledigen, klarerweise zu einer universalen Lebenshaltung der Vergeblichkeit führen. Dem entsprechen die Befunde gewisser „Glücksforscher“, die den raschen und vielfach übersteigerten Konsum als Quelle weit verbreiteter Schwermut identifiziert haben.

Entschleunigung ist deshalb nicht von ungefähr gar kein „neues“, kein „besonders aktuelles“ und sicher auch kein „neu entdecktes“ Thema, sondern in Wahrheit eine uralte Sache, die der spirituell blinde Modernismus als „Aktualität“ hinausschreien muß, damit jemand zuhört. Tatsächlich versuchen Menschen schon seit einigen Jahrtausenden, Zeitinseln zu erschaffen, Eigenzeit zu kultivieren und sich mit der ganzen Macht ihrer Entscheidungen und Handlungen gegen die Flüchtigkeit zu stemmen. Allein eine besonders ahnungslose, eine pseudo-intellektuelle und phrasenverliebte Generation von Fortschrittsideologen, hat noch nie davon gehört.

Literarisch illustriert bereits das Werk von Adalbert Stifter (1805-1868) eine entschleunigte Welt mitten in den Umwälzungen der Industriellen Revolution. Auch der deutsche Schriftsteller Sten Nadolny (geb. 1942) ist ein Klassiker der Entschleunigung. Sein Roman Die Entdeckung der Langsamkeit (1983) beschreibt das Leben des Polarforschers John Franklin (1786-1847), den Werdegang eines Menschen, der von früh an auffallend langsamer ist als der Rest der Welt und trotz oder gerade wegen seiner Langsamkeit seinen Weg geht und ein berühmter Kapitän und Entdecker wird.

Siehe auch

Literatur

  • Sten Nadolny: Die Entdeckung der Langsamkeit (Roman). Piper Verlag, München 1983, ISBN 3-492-10700-1
  • Osho: Wörterbuch der Erleuchtung A –Z; Goldmann Verlag, München 2004, ISBN 3-442-21671-0
  • Fritz Reheis: Entschleunigung. Abschied vom Turbokapitalismus. Riemann Verlag, München 2003, ISBN 978-3-570-50049-1
  • Adalbert Stifter: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Im Auftrag der Kommission für Neuere deutsche Literatur der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hrsg. von Alfred Doppler, Wolfgang Frühwald, [seit 2001:] Hartmut Laufhütte. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1978 ff., ISBN 978-3-170-13670-0