Gerlach, Ernst Ludwig von

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Ernst Ludwig von Gerlach; der König von Preußen sagte einst, als er sein Verhältnis zu den Gebrüdern Gerlach charakterisierte: „Otto ehre er, Ludwig fürchte er, Leopold liebe er.“ Ihnen war der Sieg über Napoleon ein Beweis für die Unmöglichkeit sowohl absolutistischer wie republikanischer Diktaturen.

Ernst Ludwig von Gerlach (Lebensrune.png 7. März 1795 in Berlin; Todesrune.png 18. Februar 1877 ebenda) war zusammen mit Friedrich Julius Stahl längere Zeit Führer der streng Konservativen in Preußen und gehörte wie sein Bruder General der Infanterie Ludwig Friedrich Leopold von Gerlach zum Kreis um die „Kreuzeitung“. Der Politiker war er Mitglied des Preußischen Landtages (1852, erneut 1873) und des Reichstages (seit 1877).

Werdegang

Ernst Ludwig von Gerlach hatte denselben Bildungsweg wie seine älteren Brüder. Mit 15 Jahren 1810 in Berlin immatrikuliert, ging er 1811 nach Göttingen und 1812 nach Heidelberg, um Jura zu studieren neben klassischer und neuerer Literatur.

Er kämpfte 1813 als freiwilliger Jäger in den Befreiungskriegen im Yorck'schen I. preußische Armee-Korps, im Siebten Koalitionskrieg wurde er dem Blücher'schen Hauptquartier zugeteilt und hatte täglichen Umgang mit von Blücher, von Gneisenau, von Müffling, von Pfuel und so weiter. Er wurde insgesamt dreimal verwundet. Weitere Stationen seines Lebens sind „Maikäferei“ (einem konservativromantischen Kreis um Clemens Brentano (1778–1842), der nach dem Wirt Mai, bei dem die Treffen stattfanden, so genannt wurde), Jahns Turner (Ernst Ludwig ließ es sich auch nicht nehmen, an den Turnübungen Friedrich Ludwig Jahns in der Hasenheide teilzunehmen), dann unter Einfluß Adolf von Thadden-Trieglaffs, seines späteren Schwagers, die neupietistische Erweckungsbewegung.

Anschließend trat in den Justizdienst ein, wurde 1820 Assessor beim Oberlandesgericht zu Naumburg, 1823 Oberlandesgerichtsrat in Naumburg (Saale), 1829 Land- und Stadtgerichtsdirektor in Halle, 1835 Vizepräsident des Oberlandesgerichts in Frankfurt (Oder), später Oberlandesgerichts-Präsident.

„Während Leopold in Berlin Stabsoffizier blieb, wurde Ernst Ludwig 1829 an das Landgericht nach Halle versetzt. Kurz vorher hatte er Louise von Blankenburg (1805–1858), eine Cousine seiner ersten Frau Auguste von Oertzen (1802–1826) und Schwester der zukünftigen Frau seines Bruders Otto, geheiratet. In Halle wurde das Haus der Gerlachs bald ein Zentrum der Erweckungsbewegung, und der von Ernst Ludwig 1830 angestiftete ‚Hallische Kirchenstreit‘ gegen die rationalistische Bibelauslegung machte ihn weit über Halle hinaus bekannt. Der von seinen Gegnern als Mystiker Geschmähte sah sich tätlichen Angriffen ausgesetzt und stand kurz davor, seinen Abschied aus dem Staatsdienst zu nehmen, hätten ihm nicht der Kronprinz und Leopold davon abgeraten. Dem ‚Berliner Politischen Wochenblatt‘, 1830 als konservative Reaktion auf die französische Julirevolution gegründet, gehörten Wilhelm und Leopold als Gründungsredakteure an.“[1]

Er war Mitglied des ‚Klubs in der Wilhelmstraße‘, der sich die Rekonstruierung des christlich-germanischen Staats als Aufgabe gesetzt hatte, und Mitarbeiter des „Politischen Wochenblattes“. 1842 wurde er Geheimer Oberjustizrat, bald darauf Mitglied des Staatsrats und der Savigny'sche Gesetzgebungskommission (wo er außer Abgabe von Gutachten über das geplante Pressegericht Referent für die Reform des Ehescheidungsrechtes wurde) und 1844 Oberpräsidenten des Oberlandes- und Appellationsgerichts in Magdeburg, wo er zusammen mit seinem Bruder Leopold (der im selben Jahr zum Generalmajor befördert wurde und in Berlin stets im Zentrum der Macht blieb), dem Konsistorialpräsidenten Göschel und anderen die „Lichtfreunde“ bekämpfte. Er war Gegner der Deutschen Revolution von 1848/1849.

1849 gründete er mit anderen die „Neue Preußische Zeitung“ (wegen des Kreuzes auf dem Titelblatt auch „Kreuzzeitung“ genannt), deren Redaktion Herrmann Wagener, ein Vertrauter Gerlachs, übernahm. Gerlach schrieb für das Blatt die monatliche oder vierteljährliche „Rundschau“ im Sinn der ultrakonservativen, aristokratischen Richtung. 1851 setzten sich die Gerlach-Brüder mit Nachdruck für die Berufung von Bismarcks zum preußischen Bundestagsgesandten ein. Ernst Ludwig blieb Oberpräsident des Oberlandes- und Appellationsgerichts in Magdeburg und wurde 1852 in den Preußischen Landtag gewählt, wo er sich zum Fraktionsführer profilierte. Als Mitglied der ersten Kammer, des späteren Herrenhauses, (1849 Erste Kammer, 1850 Unionsparlament, 1851-58 Abgeordnetenhaus) führte er als Führer der Konservativen Partei einen beharrlichen Kampf gegen den Konstitutionalismus und für die Herstellung der angestammten Adelsvorrechte. Ebenso in der zweiten preußischen Kammer, welcher er von 1851–58 als Abgeordneter für den 3. Wahlkreis des Regierungsbezirks Köslin (Neustettin-Belgard-Schievelbein-Dramburg) als einer der Führer der äußersten Rechten oder des nach Graf Leo von Schlieffen (1802–1874), und seit 1855 nach ihm selbst genannten, 41 Mitglieder zählenden Teiles der Kreuzzeitungspartei angehörte.

Mit dem Beginn der Regentschaft Wilhelms I. (1858 für seinen geistig erkrankten Bruder Friedrich Wilhelm IV.) trat er von der Führung der Konservativen Partei zurück, suchte aber als Verfasser der „Rundschau“ in der „Kreuzzeitung“ weiter seine politischen Anschauungen geltend zu machen.

Den Bruderkrieg von 1866 lehnte er aus Gründen der Solidarität mit den herrschenden Fürsten ebenso ab wie die Annexionen in Norddeutschland und das Herausdrängen Kaisertums Österreichs aus dem Deutschen Reich, so in der Broschüre „Die Annexionen und der Norddeutsche Bund“ (1866). 1871 wurde er Ehrenmitglied der (katholischen) Zentrumspartei und verwirklichte so das Ideal „evangelischer Katholizität“ seiner Jugend.

Er war ein großer Befürworter des Deutsch-Französischen Krieges, dennoch befand er, daß die Reichsgründung erkauft worden sei mit dem Ausschluß Österreichs aus Deutschland nach erfolgtem Bruderkampf. Mehr als ein Viertel deutschen Ländergebiets sei für das übrige Deutschland nunmehr staats- und völkerrechtlich Ausland geworden. Österreich werde zwangsläufig slawisiert und magyarisiert werden. Der Deutsche Bund sei durch widerrechtliche Sprengung geheiligter Vertragsverhältnisse zertrümmert worden. Die Krone habe durch die widerrechtliche Annexion fremden Besitztums ihre eigene Rechtsgrundlage untergraben.

Erneut im Preußischen Landtag seit 1873, nach 15 Jahren, zeigte er sich als einer der heftigsten Gegner der Kirchengesetze des Bismarckschen Kulturkampfs und trat der Zentrumspartei bei. Damit zog er sich die persönliche Feindschaft des Reichskanzlers von Bismarck zu, den er direkt und persönlich angriff. 1874 wurde er wegen einer Flugschrift gegen die Regierung als Präsident in Magdeburg entlassen. Das Abgeordnetenmandat behielt der jetzt 80jährige, und wie ein Denkmal erschien er den übrigen Abgeordneten, wenn er auf den Wiener Kongreß Bezug nahm.

1877 wurde er zum Reichstagsabgeordneten des Zentrums gewählt, starb aber bald darauf, als er beim Überqueren der Schöneberger Brücke unter die Räder einer vorbeifahrenden Kutsche kam.

Neue Deutsche Biographie

G. hatte denselben Bildungsweg wie seine älteren Brüder. Mit 15 Jahren 1810 in Berlin immatrikuliert, ging er 1811 nach Göttingen und 1812 nach Heidelberg, um Jura zu studieren neben klassischer und neuerer Literatur. →Sieveking, →Neander, →Thorbecke, →Brentano waren dort sein engster Umgang; letzterer ist sein Rivale im Ringen um →Luise Hensel, die Dichterin geistlicher Lieder, geworden. Im Yorkschen Corps machte G. die Befreiungskriege mit, wurde dreimal verwundet und erhielt das EK. Für den Feldzug 1815 wurde er dem Blücherschen Hauptquartier zugeteilt und hatte täglichen Umgang mit →Blücher, →Gneisenau, →Müffling, →Pfuel und so weiter. Weitere Stationen seines Lebens sind „Maikäferei“, Jahns Turner, dann unter Einfluß →A. von Thaddens, seines späteren Schwagers, die neupietistische Erweckungsbewegung. G. ist wohl die markanteste Erscheinung jener christlichen Jugendbewegung nach den Befreiungskriegen, der die Romantik und Schleiermacher nicht mehr gläubig genug waren und die darum im preußischen Neupietismus zur Idee der christlichen Bruderschaft vorstieß und sie auch lebensmäßig bewährte. Seltsamerweise hat der Impuls der Erweckungsbewegung ihn und manchen seiner Freunde in die Politik geführt, wo sie aber „von Individuellen zur Basileia, vom Pietismus zum Kirchentum“ vorstießen und endlich einen ganz hierarchisch-orthodoxen Kirchenbegriff vertraten. So fand er sich 1828 mit dem orthodoxen Lutheraner →A. W. Hengstenberg bei der Gründung der Evangelischen Kirchenzeitung. 7 Jahre später schreibt er im Rückblick: „1819 und die folgenden Jahre wollten wir das Christentum herrnhutisch haben, in der stillen Kammer, unbekümmert um die, welche draußen sind. Jetzt soll das christliche Bewußtsein Kirche und Staat umfassen“. Mit →F. J. Stahl vertrat er später die Forderung des „Christlichen Staates“, der „Reich und Staat aus Gottes Schöpfung und Geboten“ sein soll. G.s äußere Berufslaufbahn war inzwischen über diese Etappen gegangen: 1820 Assessor beim Oberlandesgericht zu Naumburg, 1829 Landesgerichtsdirektor in Halle, 1834 Nachfolger seines Bruders als Oberlandesgerichtspräsident in Frankfurt/Oder. 1842 wurde er zum Mitglied des Staatsrates ernannt und in die Savignysche Gesetzgebungskommission berufen, wo er außer Abgabe von Gutachten über das geplante Pressegericht Referent für die Reform des Ehescheidungsrechtes wurde. 1844 wurde der angesehene, wegen seiner Objektivität und unbeugsamen Gerechtigkeit auch bei politischen Gegnern beliebte Jurist Präsident des Oberlandes- und Appellationsgerichtes in Magdeburg, bis er 1874 wegen Beleidigung Bismarcks in seiner letzten Schrift „Die Civilehe und der Reichskanzler“ zu einer Geldstrafe verurteilt wurde und auf sein Ansuchen sang- und klanglos den Abschied erhielt. Die politischen Interessen G.s erwachten früh; stets aber hat er sich mehr als Mann der Kirche, deren politischen Öffentlichkeitsanspruch er vertrat, denn als Mann des Staates gefühlt, da sein ganzes politisches Denken durch ein institutionell-theokratisch verstandenes Christentum formiert wurde. Er erkannte daher zeitlebens auch in der von Interessen bestimmten Tagespolitik kein anderes Handeln als das nach der Idee und dem Gesetz des Gewissens an. Deshalb schwebte ihm vor, der „Christliche Staat“ solle mit der Kirche zusammen an der Formung des Gottesreiches arbeiten; in Konfliktsituationen hat er wegen ihres höheren Ranges die Freiheit der Kirche vom Staat und seinem drohenden Omnipotenzanspruch verfochten. Ebenso geht seine ökumenische Tendenz, Protestanten und Katholiken zu einer gemeinsamen konservativen Politik zu vereinigen, bis in seine Anfänge zurück. Nach dem Scheitern des unter diesem Aspekt gegründeten Berliner Politischen Wochenblatts am Kölner Kirchenstreit hat er derartige Versuche immer wieder unternommen (zum Beispiel Erfurter Konferenz 1860), bis er sich 1873 als bewußter Protestant von der Zentrumspartei (ohne ihr anzugehören) in den Preußischen Landtag und 1877 in den Reichstag wählen ließ, um diese ökumenische Position lebensmäßig zu realisieren. Nur die wenigsten seiner alten Freunde haben diesen Schritt noch verstehen können, der aber in der Situation des beginnenden Kulturkampfes nur mutig und konsequent war. Seine kirchenpolitische Leitlinie hat er einmal 1862 dem Historiker H. Leo gegenüber schön so formuliert: „Es ist ganz richtig, daß Evangelische Katholizität der Spezialberuf Preußens ist … Gerade indem man den Konfessionen Gerechtigkeit widerfahren läßt, neutralisiert und tilgt man ihre Einseitigkeit und Kraßheit. Dasselbe gilt von den Römern. Man muß den Lutheranern und Römern ihre Beschwerden, die sie so sehr lieb haben, zum Teil leidenschaftlich lieb, nehmen durch Gerechtigkeit; das ist der Weg zur Evangelischen Katholizität. Preußen akzentuiert die Konfessionen nicht, sondern erlaubt ihnen, sich zu akzentuieren“. Politisch ist G.s Bedeutung an die von ihm betriebene Gründung der Konservativen Partei Preußens und ihres Organs der „Neuen Preußischen Zeitung“ oder „Kreuz-Zeitung“ im Jahre 1848 geknüpft, deren „Rundschauer“ er durch viele Jahre (erst monatlich, dann vierteljährlich) gewesen ist. Hier hat er persönlichen Mut, sammelnde Kraft und organisatorisches Talent bewiesen, als es ihm galt, die konservativen Ideale seines Lebens zu fundamentieren und der Revolution die „Reaktion“ entgegenzusetzen. Seine praktische Einflußnahme auf die Politik ist meist über seinen Bruder Leopold erfolgt, mit dem er in allen wesentlichen Fragen konform ging. Als Haupt der äußersten Rechten und als Fraktionsführer in den Kammern (1849 Erste Kammer, 1850 Unionsparlament, 1851-58 Abgeordnetenhaus) ist es G. jedoch nicht gelungen, Konservative Partei und Regierung zu gemeinsamer Aktion zusammenzuführen, obwohl sein faktischer Einfluß zeitweise stärker war als der Manteuffels, zu dessen „Bürokratismus“ er kritisch stand. Die „kleine, aber mächtige Partei“ hat ihre Stärke nie voll ausgenutzt. Aus dem Empfinden, keine Kompromisse schließen zu können, hat G. sich der Verantwortung eines Ministeramtes stets entzogen, obwohl er bei geplanten Regierungsumbildungen mehrfach als Justizminister, Außenminister und einmal sogar als Ministerpräsident vorgesehen war. In der Außenpolitik fand seine dauernde heftige Polemik gegen Napoleon III. nicht immer den Beifall von König und Kabinett. Über Preußen hinaus hat er auf Verfassungsrevisionen in Hamburg und Anhalt im konservativen Sinne eingewirkt. Mit Beginn der Neuen Ära erlosch sein Einfluß, der ganz an die Regierung Friedrich Wilhelms IV. und an die Stellung seines Bruders gebunden war. Während der Konfliktzeit hat Bismarck sich auf G.s juristisches Gutachten gestützt, das zur Verschärfung des Konflikts mit den Liberalen beitrug. Der Krieg gegen Dänemark als Ausdruck des Verzichtes auf eine wirkliche Rechtslösung wurde ihm eine „große Gewissenserprobung“. Bei der Entwicklung der österreichischen Frage schieden sich seine Wege endgültig von denen Bismarcks. Der Krieg von 1866 erschien ihm als gegen den Sinn der deutschen Geschichte geführt und als Verrat an der Idee der Heiligen Allianz; durch die Annexion von Hannover, Nassau, Frankfurt und Kurhessen war für ihn die Streitfrage der Herzogtümer ganz in den Schatten gestellt. Mit der Annexionspolitik habe Bismarck gegen die 10 Gebote verstoßen und pseudopatriotische Gesinnungen in Preußen künstlich hochgepeitscht. So sehr der deutsch-französische Krieg und Napoleons, der „inkarnierten Revolution“, Sturz in sein Weltbild paßten, hat G. doch auch diesen großen Triumph am Ende negativ bewertet: Die Reichsgründung sei erkauft worden mit dem Ausschluß Österreichs aus Deutschland nach erfolgtem Bruderkampf. Mehr als ein Viertel deutschen Ländergebiets sei für das übrige Deutschland nunmehr staats- und völkerrechtlich Ausland geworden. Österreich werde zwangsläufig slawisiert und magyarisiert werden. Der Deutsche Bund sei durch widerrechtliche Sprengung geheiligter Vertragsverhältnisse zertrümmert worden. Die Krone habe durch die widerrechtliche Annexion fremden Besitztums ihre eigene Rechtsgrundlage untergraben. Die neue Bismarcksche Reichsverfassung beurteilte er füglich als eine bonapartistische Willkürschöpfung und den Kulturkampf, mit dem die politische Geschichte des 2. Reiches beginnen sollte, als folgerichtigen Ausdruck der Bismarckschen Zerstörung der auf die Rechtsidee bauenden konservativen Staatsgesinnung. Der Evangelischen Kirche moralische Zerrüttung sah er als Folge ihrer charakterlosen Unterwerfung unter die Kulturkampfgesetze herannahen. – Den besorgten Vorwurf seines Jugendfreundes A. von Thadden, daß er sich mit solch kompromißloser Kritik doch ganz abseits in den Kassandrawinkel stelle, nahm er auf, obschon Kassandra eine „Heidin“ gewesen sei, indem er trübe bemerkte: „Sie weissagte bekanntlich richtig“. Da G. mit der Verschärfung des Kulturkampfes zufolge des Bündnisses Bismarcks mit den Nationalliberalen in seiner alten Partei keine Möglichkeiten mehr für eine echte „Politik aus dem Glauben“ sah – schon 1866 hatte er mit ihr und der Kreuz-Zeitung gebrochen –, trat er trotz mancher Kritik am demokratischen Klerikalismus zur katholischen Zentrumspartei über. Bismarck rechnete in seiner Landtagsrede vom 17.12.1873 mit dem alten Lehrmeister und Paten seines Sohnes Herbert („Onkel Ludwig“) ab und höhnte: „Da besitzt er nun endlich eine isolierte Säule, auf der kein anderer neben ihm Platz hat und wo er ganz sicher ist, die Unannehmlichkeit nicht zu erleben, daß jemand mit ihm gleicher Meinung ist“. G. als Gesamterscheinung wirkt in der Tat als „Doktrinär“ und als ein „Fanatiker des Prinzips“, der seine Weltanschauung letztlich nicht in die politische Praxis übersetzen konnte. Er hat seine weltanschaulichen Prinzipien auf alle Gebiete des öffentlichen Lebens anzuwenden versucht und oft auch treffsichere Formulierungen gefunden. Den Nationalismus hat er mit Emphase abgelehnt, weil er an der älteren Reichsidee orientiert blieb und Deutschland in der Mannigfaltigkeit von Einzelstaaten nach ständischer Gliederung erhalten sehen wollte. Den negativen Freiheits- und abstrakten Gleichheitsglauben des Liberalismus hat er verworfen, weil er stets auf eine potenzierte Bürokratie hinauslaufen würde. Für die großen Wahrheiten des Liberalismus: Gewaltenteilung, Repräsentation, Pressefreiheit und so weiter ist er aber immer wieder als „positive christlich-germanische Freiheiten“ eingetreten, konkret zum Beispiel für die Gewissensfreiheit kirchlicher Dissenters wie der separierten Lutheraner, als sich keine liberale Stimme zu ihren Gunsten erhob. – Die Verfassung von 1850 hat er nach anfänglichen Reservationen letztlich bejaht. In der sozialen Frage war G. gegen jeden sozialen Eigennutz und gegen die Einmischung von Interessentengesichtspunkten in die Politik. So wandte er sich April 1858 bei der Behandlung der Zuckerrübenfrage im Landtag ohne Rücksicht auf seinen agrarischen pommerischen Wahlkreis gegen den Interessentenstandpunkt mit den Worten: „Der Junker wolle sich hier eine Sauce bereiten aus Schnaps und Konstitutionalismus“. Die Rede bezeichnete er selber in der Kreuz-Zeitung (9.4.1858) als seinen politischen „Grabgesang“; er wurde dann auch nicht wiedergewählt. Die Wirtschafts- und Gesellschaftsfragen haben ihn aber immer nur weltanschaulich interessiert, soweit sie Betätigungsfelder christlicher Ethik sind. Die Eigenständigkeit der sozialen Probleme sah er überhaupt nicht, während die jüngere Generation der Sozialkonservativen unter Herrman Wagener bereits von den faktischen Veränderungen der Sozialstruktur im 19. Jahrhundert ihren Ausgang nahmen. Charakteristisch für G. ist sein stark ausgeprägtes Rechtsgefühl, das ihn gegen Bismarcks „Realpolitik“ protestieren ließ, „die sich losgemacht [habe] von den Geboten Gottes als der Quelle allen Rechtes und von der Wurzel des Staates“ (Annexionen, S. 3). Nur ein auf die Gebote Gottes gebauter „Christlicher Staat“ könne Gerechtigkeit und Freiheit garantieren, weshalb er gegen jeden Versuch protestierte, „das Königreich Gottes hinauszuverweisen aus dieser Welt nach jenseits der Wolken“ (Das neue Deutsche Reich, 1872, S. 16). Daher geißelte er die Interessenpolitik, die „selfish pettiness“ der Konservativen, die den Liberalen an Idealismus unterlegen wären. Schon im Revolutionsjahr 1848 rief er seinen Parteigängern zu: „Wir sollten der Revolution immer mit Rechtsideen, nie mit bloßen Ordnungs- und Sicherheitstendenzen entgegentreten“ (Kreuzzeitungsrundschau Oktober 1848). Die Konservativen sollen „eine Partei für das Recht, aber nicht für den Geldbeutel“ sein (Aufzeichnungen II, S. 174). Da ihm aber Rechtsordnung mit ständischer Gesellschaftsgliederung zusammenfiel, während sich die bürgerliche Gesellschaft des mittleren 19. Jahrhunderts bereits eindeutig nach Erwerbsarten und Besitzverhältnissen gliederte, mußte er in einen hoffnungslosen Widerspruch zum Zeitgeist geraten, der ihn auf die Dauer politisch unfruchtbar werden ließ. Alles in allem war G. ein weniger historisch als systematisch orientierter Geist, jedoch kein Mann der objektiven Wissenschaft; dazu war sein Hang zur Überspitzung und Konsequenzmacherei zu stark, schwelgte er doch förmlich in der Freude an gut formulierten Paradoxien. Im letzten muß er wohl als systematischer Theokrat gesehen werden, seines Zeichens wohl der einzige in der modernen Geschichte. Er glaubte an das Reich Gottes und betrachtete es als ein politisches System; er sah auf das Treiben des Tages und hielt ihm die ewigen Forderungen Gottes entgegen – als politische Parolen. Nur von dieser Erkenntnis aus erschließt sich das Verständnis des Mannes und seines Wirkens. Jede nur politisch-historische Kritik versagt demgegenüber, weil es ihm um Metapolitisches ging, um etwas, das mehr als Geschichte ist.[2]

Tod

Sein letzter großer Erfolg war seine Wahl in den Reichstag 1877. Aber es war ihm nicht vergönnt, auch die folgende Legislaturperiode mitzugestalten. Am Abend des 16. Februar 1877 geriet er beim Überqueren der Schöneberger Brücke unter die Räder einer vorbeifahrenden Kutsche und starb an den Folgen dieses Unfalls am 18. Februar 1877.

Ehe

Von Gerlach war zuerst mit Auguste (1802–1926), Tochter des Landrates Heinrich von Oertzen auf Trieglaff verheiratet. Nach dem frühen Tod seiner Gemahlin (nach nur viermonatiger Ehe) heiratete er 1828 in Berlin Luise (1805–1858), Tochter von Henning von Blanckenburg auf Zimmerhausen und der Wilhelmine, geb. von Mellin. Auch diese Ehe blieb kinderlos.

Auszeichnungen und Ehrungen (Auszug)

  • Eisernes Kreuz (1813), II. Klasse
  • Ehrenmitglied der katholischen Zentrumspartei, 1871

Fußnoten