Keyserling, Hermann Graf

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Hermann Alexander Graf von Keyserling (Lebensrune.png 20. Juli 1880 in Koenno in Livland; Todesrune.png 26. April 1946 in Innsbruck) war ein deutscher Philosoph.

Leben

Er wurde als Deutschbalte geboren und war ähnlich wie Houston Stewart Chamberlain ein Vertreter einer idealistischen, teleologisch-organischen Weltanschauung. Nach dem Studium in Genf, Dorpat, Heidelberg und Wien promovierte er zum Dr. phil. Seit 1908 lebte er bis zur Enteignung des deutschbaltischen Adels durch die sowjet-bolschewistische Revolution 1917 teils in Livland, teils auf Reisen in der ganzen Welt. Der literarische Niederschlag dieser Zeit findet sich in dem „Reisetagebuch eines Philosophen“. Nach dem Ende der Adelsherrschaft in Livland auf Grund des Ersten Weltkriegs gegen Deutschland fand er eine erste Zufluchtsstätte in Friedrichsruh, dem Landsitz des Fürsten Bismarck. Hier heiratete er 1919 Maria Gödela Gräfin von Bismarck-Schönhausen (1896–1981), eine Enkelin des Reichskanzlers. Er gründete und leitete die „Schule der Weisheit“ in Darmstadt und entwickelte eine metaphysisch begründete „Philosophie des Sinns“.

Philosophie

In der Welt besteht ein Analogen mathematischer Verhältnisse. Das Ich ist das „Gesetz des Menschengeistes, seine platonische Idee“. Es gehört zum ideal-formalen Zusammenhang, den es außer sich schaffen muß, um die Welt zu verstehen. Die Idee überhaupt ist das Gesetz der Erscheinung. Die Kraft ist die „Möglichkeit zu Bewegungen“, eine Potenz, deren Wesen in der Kontinuität liegt. Das Lebensprinzip erschöpft sich nicht in der raum-zeitlichen Individualexistenz. Unsterblich ist das unpersönliche, überpersönliche, ewige Leben, die allem zugrunde liegende göttliche Kraft.

Rolle der Frau

1925 veröffentlichte er das „Ehe-Buch“, eine Anthologie mit zahlreichen Aufsätzen prominenter Autoren. Keyserling schreibt, die Ehe sei in einer „furchtbar ernsten“ Krise, an deren Überwindung die „ganze bessere Zukunft“ der Menschheit hänge. Dies Buch lehre die Menschen, durch „reine Erkenntnis selbständig den richtigen Weg“ zu finden.

„Obgleich ich, wie schon gesagt, von Natur Patriarch im Gegensatz zum Matriarchen bin, nie in der Frau ein höheres Wesen sah und unter allen geltenden Konventionen gerade die, welche das Weibliche überwerten und in ihm ein primär Heiliges und jeder Bevorrechtung Würdiges sehen, am wenigsten anerkennen konnte – mir war von Jugend auf jeder Mensch in erster Linie Mensch, das Geschlecht trat bei mir dann erst in den Vordergrund des Bewußtseins, wenn eine erotische Beziehung zu einer bestimmten Frau in mir wirksam wurde – hatte ich von früh auf Freude allein am weiblichen Verkehr.“[1]

Verhältnis zur nationalsozialistischen Weltanschauung

Der nationalsozialistischen Weltanschauung stand er nach dem Wahlsieg der NSDAP 1933 positiv gegenüber und hielt deren Elemente für durchaus akzeptabel:

„Wirklich wäre das, was 1933 siegte, ohne alles Vorhergehende ganz und gar unmöglich gewesen. Denn nicht in der Gegenbewegung gegen Versailles und dessen Folgen liegt das historisch wirksame Wesen des Nationalsozialismus, auch nicht in der Weltanschauung, die er vertritt, sondern in dem neuen Menschentypus, in der unter Hochdruck entstandenen neuen psychochemischen Verbindung, die mit ihm zur geschichtlichen Macht zu erwachsen begonnen hat. Also ist auch das Eherne und Harte am Nationalsozialismus das Geschöpf eben der ursprünglichen Weichheit, welche den Deutschen einige Jahre entlang bewog, sich allzuviel gefallen zu lassen. Von hier aus erscheint sogar die typisch deutsche Untreue nicht als Hemmnis auf dem Wege seines Aufstiegs.“[2]

Anfänglich äußerte er sich auch kritisch über das zersetzende Judentum:

„Die sozialpolitischen Grundgedanken des Nationalsozialismus streben dem richtigen Ziele zu. Aber die ungeheure Gefahr dieser Zeit ist die große Zahl der Zählenden und in Betracht Kommenden. (...) Aus Kasteins Buch ersieht man nun, daß die Prinzipien des Nationalsozialismus, welche Geist und Blut in notwendige Beziehung setzen, welche Beziehung Moses zuerst statuiert hat, durchaus durchführbar sind. Sehr ähnliche Gedankengänge sind es, welche einstmals das so unvergleichlich zähe Judentum schufen und heute ein festes und widerstandsfähiges Deutschtum zu schaffen unternehmen.“[3]

Eine Wiederbelebung des Deutschtums hielt er für unausweichlich:

„Aber nicht nur die Organisationsfähigkeit ist germanisches Urgut: auch die Art Gesellschaftsbau scheint es zu sein, welche heute in der nationalsozialistischen Ordnung neu auflebt. Wie ich bei Gautier von der Lebensform der Germanenstämme mit deren Fürsten unter römischer Oberhoheit las, da war ich wieder und wieder frappiert von der Ähnlichkeit des Damaligen, scheinbar so Fernen, mit dem Heutigen… Neuerdings hat C. G. Jung in seiner Studie Wotan einen weiteren Nachweis dessen erbracht, wieviel Ur-Germanisches in den Deutschen heute neuaufwacht. Wotan entpuppt sich unter seiner Analyse als der eigentliche Geist der nationalsozialistischen Bewegung. Die jungen Generationen der Deutschen sind, nach Jung, wahrhaftig vom alten Gotte, der ein paar tausend Jahre geschlummert und sich indessen ausgeruht und erholt hat, neu ergriffen worden.“[4]

Sein kosmopolitisches Denken verwehrte ihm jedoch den Blick auf die inneren Probleme Deutschlands, so daß er sich immer mehr isolierte. Bereits vor dem Wahlsieg der NSDAP hatte er sich in widersprüchlicher Weise auch kritisch über die nationalsozialistische Weltanschauung geäußert:

„Gerade die Ideologie des Nationalsozialismus bedeutet keinen echten Ausdruck: das war das eine, was ich beim Bedenken dieser Bewegung von mir aus sicher wußte; eine Lebensauffassung, welche das Einseitige des Preußentums übertreibt, römische Vorbilder nachahmt, vor allem aber durch ihre Blut-Ideologie das anerkannte Deutschtum mehr einschränkt, als es jemals aristokratischer Kastengeist getan, kann unmöglich das Integral einer umfassenden Volksbewegung darstellen; nur im Sinne einer ersten vorläufigen Arbeitshypothese, welche als solche natürlich besser als gar keine ist, war, so wußte ich längst, des Nationalsozialismus wachsende Werbekraft zu verstehen.“[5]

Letztlich zog er sich mehr und mehr zurück und bedauerte sogar den Umzug des jüdischen Physikers Albert Einstein oder des Deutschenhassers Thomas Mann in die VSA. Dr. Hermann Graf Keyserling verstand es somit, sich zwischen alle Stühle zu setzen.[6]

Nachlaß

Die Nachlässe des Philosophen Hermann Graf von Keyserling und seines Großvaters Alexander Graf von Keyserling[7] (1815–1891) befinden sich in der Handschriften- und Musikabteilung der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) der TU Darmstadt.

Schriften (Auswahl)

  • Das Gefüge der Welt, 1906 (HTML-Version)
  • Unsterblichkeit - eine Kritik der Beziehungen zwischen Naturgeschehen und menschlicher Vorstellungswelt, 1907 (PDF-Datei)
  • Individuum und Zeitgeist, 1909
  • Schopenhauer als Vorbilder, 1910
  • Prolegomena zur Naturphilosophie, 1910 (PDF-Datei)
  • Das Reisetagebuch eines Philosophen (PDF-Datei)
  • Deutschlands wahre politische Mission, 1921 (PDF-Datei)
  • Schöpferische Erkenntnis, 1922 (PDF-Datei)
  • Politik, Wirtschaft, Weisheit, 1922 (Netzbuch) Für Nicht-USA-Bewohner nur mit US-Proxy abrufbar!
  • Das Ehebuch. Eine neue Sinngebung im Zusammenklang der Stimmen führender Zeitgenossen, 1925 (HTML-Version)
  • Wiedergeburt, 1927 (HTML-Version)
  • Das Buch vom persönlichen Leben (1936) (HTML-Version)
  • Betrachtungen der Stille und Besinnlichkeit (1941) (HTML-Version)
  • Das Buch vom Ursprung (1947) (HTML-Version)
  • Kritik des Denkens (1948) (HTML-Version)
  • Reise durch die Zeit, Autobiographie (HTML-Version)
  • Das Spektrum Europas (Netzbuch)

Literatur

  • Horst E. Miers: Lexikon des Geheimwissens. Wilhelm Goldmann Verlag, München 1993, ISBN 3-442-12179-5, S. 344 f.

Verweise

Fußnoten

  1. Reise durch die Zeit
  2. Das Buch vom persönlichen Leben: VI. Weltfrömmigkeit
  3. Das Erbe der Schule der Weisheit, 23. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1934
  4. Das Erbe der Schule der Weisheit, 25. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1936
  5. Das Erbe der Schule der Weisheit, 21. Heft · Der Weg zur Vollendung - 1932
  6. Keyserling-Nachlaß (ULB)
  7. Der im Kurland geborene Alexander Graf Keyserling stammte aus einem alten, deutschen Geschlecht und war ein berühmter Naturwissenschaftler und Forschungsreisender. Er studierte in Deutschland, wurde ein Studienfreund Otto von Bismarcks und stand unter der Förderung Alexander von Humboldts. Graf Keyserling gilt als Mitbegründer der russischen Geologie. Er unternahm im Auftrag des Kaisers Nikolaus I. bedeutende Expeditionen in unerforschte Gebiete des Russischen Kaiserreichs und betrieb neben geologischen, paläontologischen, botanischen und zoologischen auch kartographische Studien. Als Universalgelehrter alten Stils interessierten ihn auch geisteswissenschaftliche Themen. Er beschäftigte sich mit philosophischen, pädagogischen und theologischen Fragen ebenso wie mit Politik und Rechtsfragen. Am russischen Kaiserhof fungierte er als Berater der Kaiserfamilie und Reisebegleiter der deutschen Adligen Großfürstin Helene. Im Jahr 1844 heiratete er eine Tochter des aus Hessen stammenden und in russischen Diensten stehenden Finanzministers Georg Ludwig Graf von Cancrin (1774–1845), dessen Reisetagebücher er später herausgab. Mit dieser Verbindung kam das estländisch-kurländische Gut Rayküll mit den beiden livländischen Gütern Könno und Kerkau in den Besitz der Familie Keyserling. Graf von Keyserling ist auch als reformatorischer Landespolitiker, Jurist und Pädagoge hervorgetreten: Er war u. a. Kirchspielsrichter, Kreisdeputierter (1851-57 u. 1872), Ritterschaftshauptmann (1857-1862), Landrat (1861-62 u. 1873-91), Präsident des Estländischen Landwirtschaftlichen Vereins (1848-1857 u. 1876-1879), Kurator des Dorpater Lehrbezirks (1862-69), kaiserlich russischer Oberhofmeister und Wirklicher Geheimrat.