Kanzelparagraph

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Zeitgenössische Karikatur: Bismarck führt nach der Reichsgründung die junge Germania durch eine Schlangenhöhle - rechts ein Schlangenkopf mit Tiara (damalige päpstliche Krone)

Der Kanzelparagraph war von 1871 bis 1953 (BRD) bzw. 1989 (DDR) eine Vorschrift des deutschen Strafgesetzbuchs, die es Religionsfunktionären in der Ausübung ihrer Tätigkeit verbot, öffentlich vor einer Menschenmenge Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zu erörtern oder entsprechende Schriften auszugeben. Als Strafe war Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Festungshaft angedroht; das Strafmaß veränderte sich im Lauf der Zeiten und Systeme.

Geschichte

Deutsches Reich

Gesetzliche Regelung

Während des Kulturkampfes wehrte sich das Deutsche Kaiserreich unter Führung Otto von Bismarcks gegen die Agitation, die Kirchenfunktionäre unter Ausnutzung ihrer bevorrechtigten Stellung als kirchliche Amtsträger gegen das Reich und seine Politik führten. Auf Initiative Bayerns wurde am 10. Dezember 1871 für das ganze Reich ein neuer § 130a in das Strafgesetzbuch eingefügt. Er untersagte diesen Kanzelmißbrauch, der insbesondere von der Führung der katholischen Kirche ausging und von ihr als politisches Instrument gehandhabt wurde. Die Bestimmung lautete:

Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes öffentlich vor einer Menschenmenge; oder welcher in einer Kirche oder an einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte vor Mehreren Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängniß oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft.[1]

Eine Ergänzung vom 26. Februar 1876 bezog auch die Verbreitung von Schriften ein:

Gleiche Strafe trifft denjenigen Geistlichen oder anderen Religionsdiener, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes Schriftstücke ausgibt oder verbreitet, in welchen Angelegenheiten des Staats in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Erörterung gemacht sind.[2]
Katholische Reaktion

Auf den Erlaß dieser und weiterer Schutzvorschriften gegen übergroßen kirchlichen Einfluß auf die Staatsangelegenheiten reagierte die katholische Kirche mit Negierung der Gesetze und offener Kampfansage. In einer ihrer Reaktionen maßte sich der Papst an, die von 1871 bis 1875 erlassenen einschlägigen rechtlichen Regelungen des Deutschen Reiches als „nichtig“ zu verrufen und drohte allen Kirchenangehörigen, die sich an diese staatlichen Gesetze hielten, die Exkommunikation an.[3] Er erreichte damit, daß der Reichstag ein Gesetz beschloß, das sämtliche Staatsleistungen für die katholische Kirche strich.[4][5]

Bundesrepublik Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland wurde der Paragraph durch Artikel 2 Nr. 18 des Dritten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 4. August 1953 aufgehoben.[6] Treibende Kraft hinter der Aufhebung der Strafbestimmung war die damals stark klerikal beeinflußte Blockpartei CDU, die seinerzeit den Ersten BRD-Bundestag (1949–1953) dominierte.

Siehe auch

Fußnoten

  1. Gesetz, betreffend die Ergänzung des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich. Vom 10. Dezember 1871
  2. Gesetz, betreffend die Abänderung und Ergänzung des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich (1871) vom 15. Mai 1871 und die Ergänzung desselben. Vom 26. Februar 1876
  3. Verlautbarung Quod numquam vom 5. Februar 1875. Ihr Verfasser, Pius IX., wurde im Jahr 2000 von dem später heiliggesprochenen Papst Johannes Paul II. seliggesprochen.
  4. Gesetz, betreffend die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln für die römisch-katholischen Bisthümer und Geistlichen. Vom 22. April 1875.
  5. Staatsleistungen in Milliardenhöhe für die katholische Kirche wurden später wieder aufgenommen, stark ausgeweitet und entgegen dem unter dem Grundgesetz fortgeltenden Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung bis heute nicht beendet.
  6. Drittes Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953, Bundesgesetzblatt Teil I 1953 Nummer 44 vom 6. August 1953, Seite 735–750