Quelle / Das Volk will Barabbas

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Wilhelm Reich über Jesus Christus:

Quelle
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Das Volk will Barabbas

Kein Machthaber herrscht von sich aus über das Volk, sondern er wird vom Volk in diese Rolle gezwungen.

Pilatus ordnet zwar die Kreuzigung Christi an, aber er wird vom Volk dazu gezwungen. Pilatus begreift, daß die Pest einen Unschuldigen ans Kreuz geliefert hat. Angesichts dessen, was er mit eigenen Augen sieht, glaubt er nicht daran, daß Christus je die Absicht hatte, den Kaiser zu bezwingen. Die Pest ist es, die dies behauptet, und mit ihr auch Pilatus, gegen seine eigne Überzeugung.

Es spielt nicht die geringste Rolle, ob die Einzelheiten des Berichts wahre, historisch belegbare Ereignisse wiedergeben oder nicht. Sie würden wahr sein, selbst wenn es den Menschen gelungen wäre, in einem weiten Teil der Welt eine solche Geschichte zu ersinnen. Die Geschichte Christi bleibt die wahre Geschichte der Menschheit, selbst wenn keine einzige der geschilderten Begebenheiten wirklich geschehen wäre. Selbst wenn Christus nicht einmal in Fleisch und Blut existiert hätte, wäre seine Tragödie immer noch das, was sie ist: Die Tragödie der Menschheit unter der Herrschaft der wohlgehüteten emotionalen Pest. Jede Einzelheit wäre wahr, auch wenn sie nur dem Traum eines einzigen Menschen entsprungen wäre, weil sich dasselbe täglich und zu allen Zeiten im Leben der Menschen abspielt.

Der Schmerz des unterdrückten Lebens ist ebenso real und quälend, wenn er im Traum erfahren wird wie im richtigen Leben.

Das ganze Gezeter um die Frage, ob Christus wirklich gelebt hat oder nicht, ob seine Geschichte eine bloße Erfindung des frühen Papsttums war, ob er ein einfacher Jude oder aber der Sohn Gottes, wie »IHR ES SAGT«, ist, all das ist demnach nur ein weiterer Beitrag zum fortgesetzten Christusmord. Es dient dem Ziel, den wahren Christus nicht zu finden, sich selbst und die eigenen alltäglichen Schandtaten nicht sehen zu müssen. Das ist das sich ständig perpetuierende Verhalten aller Schriftgelehrten, gleichgültig, was sie heute sagen oder tun. In dem Augenblick, in dem sie dieses Buch über den Christusmord lesen, werden sie unweigerlich wieder zusammensitzen und einen neuen Christusmord aushecken, und die Menschen, die gestern »Hosanna in der Höhe« riefen, werden morgen verlangen, daß nicht Christus, sondern Barabbas freigelassen wird.

Das Volk will immer Barabbas, weil es Christus fürchtet und sich darum weigert, ihn zu begreifen. Die Menschen lassen es immer zu, daß sie von Barabbas beherrscht werden. Barabbas versteht es, einen weißen Hengst zu reiten und das Schwert zu ziehen; er weiß, wie man eine Ehrengarde abschreitet und wie man lächelt, wenn man als Held dieser oder jener Schlacht mit Orden dekoriert wird. Hat man je gesehen, daß Barabbas eine Mutter ausgezeichnet hätte, weil sie die Liebe des Lebens in ihrem Kind gegen den Bastard der Obszönitäten in der FRIEDENSGESELLSCHAFT der Volksdemokratien in Schutz genommen hat? Man hat es nicht, und man wird es auch nie sehen.

So wie die Menschen beschaffen sind, brauchen sie sowohl Barabbas als auch Christus. Barabbas, der ihren irdischen Paraden auf einem weißen Hengst voranreitet, und Christus, den sie nach seiner Ermordung im Himmel anbeten. Das hat seinen Grund darin, daß die Seele im Diesseits ebenso genährt werden muß wie im Jenseits. Und so wird das Mechanistische durch das Mystische ergänzt.

Aber dem ewig lebendigen Sohn der Liebe wird es nicht gestattet sein, ihr Leben zu lenken, solange er sich ihrer Art der fleischlichen Lust nicht angepaßt, dieser prostituierten Liebe, die sie dann als Sünde abstempeln, von der die Menschheit nur durch den Tod Christi erlöst werden kann.

Pilatus hegt die Hoffnung, daß das Volk erkennt, wer der wahre Mörder ist und den Tod am Kreuz verdient. Er hofft, daß sie Christus als den sehen, der er in Wirklichkeit ist: in seinen Augen einer, der das Leben kennt, wie es ist, und in ihren Augen wahrscheinlich ein Träumer, der ein paar Dummheiten begangen hat, dies aber in aller Unschuld.

Wenn gepanzerte Menschen den leibhaftigen Christus erblicken, können sie nur rot sehen. Er ist, was sie verloren haben, wonach sie sich ihr ganzes Leben lang sehnen und was sie vergessen müssen, weil sie es nie wieder erlangen werden. Christus ist ihre verlorene Liebe und längst vergessene Hoffnung. Christus ist die Regung der Zärtlichkeit, die Entsetzen in ihrem erstarrten Fleisch verbreitet, von dem nur noch Haß und Wut, nicht aber Mitleid angesichts des stillen Leidens Christi ausströmen kann. Aus diesem Grunde liefern sie Christus ans Kreuz und nicht Barabbas.

Das Märchen von den Hohenpriestern, die das Volk gegen Christus aufhetzten, ist eine Erfindung des Freiheitsscharlatans. Wie könnten zehn Priester die Massen gegen irgend etwas aufbringen, wenn das, was gegen Christus ins Feld geführt werden kann, nicht schon in den Menschen gewesen wäre.

Hört auf, euch für die Menschen und ihre Taten zu entschuldigen. Bevor sie auch nur daran denken können, Christus frei ins Gesicht zu schauen, müssen sie erst einmal sich mit ihrem eigenen wahren Charakter und Verhalten konfrontieren. Nur die lästigen Freiheitsscharlatane idealisieren die Menschen.

Die Liebe des Lebens wurde im Stich gelassen. Wo sind die vielen Freunde und Bewunderer Christi in diesem Augenblick? Kein einziger Freund, kein einziger Bewunderer läßt sich blicken. Wo sind die Massen, die dem Sohn Davids zugejubelt haben: »Hosanna in der Höhe!« – »Seht und schaut; da kommt der Sohn Davids.« Alle Bewunderer und Hosanna-Rufer sind verschwunden. Kein einziges »Hosanna« ist zu hören, wenn das Volk Barabbas wählt.

Was ist Freundschaft, was ist Bewunderung wert? Man kann sie für dreißig Silberlinge haben, sofern man sich nicht in einer ähnlichen Lage befindet wie Christus in diesem Augenblick. Zum ersten Mal nimmt Christus die Kluft wahr, die ihn von seinen Landsleuten und von seiner Zeit trennt.

Quelle: Wilhelm Reich: Christusmord – Die emotionale Pest des Menschen. (engl. Orig.: The Murder of Christ, 1953). Zweitausendeins, 1997. S. 245–248.


Siehe auch

Verweise