Schlingensief, Christoph

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Christoph Schlingensief

Christoph Maria Schlingensief (* 24. Oktober 1960 in Oberhausen; † 21. August 2010 in Berlin) war ein deutscher Regisseur und Aktionskünstler.

Leben

Herkunft

Christoph Maria Schlingensief, katholisch, wurde am 24. Oktober 1960 in Oberhausen geboren. Der einzige Sohn eines Apothekers und einer Kinderkrankenschwester wuchs eigenem Bekunden zufolge in einem „extrem kleinbürgerlichen Elternhaus“ auf.[1]

Ausbildung

Schon als Grundschüler (1967–1971) erprobte sich Schlingensief mit der Kamera. Als Gymnasiast (1971–1980) gründete er das Jugendfilmteam Oberhausen (1972), das unter seiner Leitung bis 1978 sieben Super-8-Filme mit Spielfilmhandlung produzierte. Nebenher realisierte er 1973–1975 vier eigene dokumentarische Filmarbeiten. Im Keller seiner Eltern veranstaltete er „Kulturabende“, bei denen junge Künstler wie Helge Schneider oder Theo Jörgensmann auftraten. Nach dem Abitur bewarb sich Schlingensief zweimal vergeblich an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film. Ein 1981 aufgenommenes Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in München brach er nach sieben Semestern ab. Während der Studienzeit arbeitete Schlingensief als Kameraassistent bei Franz Seitz' „Doktor Faustus“ mit und drehte die experimentellen Kurzfilme „Für Elise“ und „Wie würden Sie entscheiden?“. Er verfaßte überdies Kurzgeschichten für das literarische Magazin „Mode und Verzweiflung“, gründete die Musikgruppe „Vier Kaiserlein“ und im Herbst 1982 die Firma DEM FILM.[2]

Wirken

Christoph Schlingensief gilt als einer der umstrittensten und irritierendsten Vertreter des deutschsprachigen Kultur- und Medienbetriebes. Er wird als „heiliger Narr und genialer Wüterich verehrt und als zynischer Provokateur verachtet“, wie DER SPIEGEL einmal schrieb. Man lobte seine Fähigkeit zur öffentlichen Provokation oder lehnte ihn als begnadeten Selbstdarsteller ab.

Zunächst etablierte sich Schlingensief im künstlerischen Untergrund. In Oberhausen hatte er Ende 1982 Werner Nekes kennengelernt und an dessen Filmen in wechselnden Funktionen mitgearbeitet. Im gleichen Jahr begann er eine „Trilogie zur Filmkritik“ unter dem Titel „Film als Neurose“, mit der er eine Art Sehsportprogramm entwarf, das die unmündige Position des Zuschauers bewußt machen und auch zu einem lustvollen, assoziativen Umgang mit dem Medium Film animieren sollte. Neben den Kurzfilmen „Phantasus muss anders werden!“ und „What happened to Magdalena Jung?“ bestand die „Trilogie“ aus Schlingensiefs erstem abendfüllendem Spielfilm „Tunguska – Die Kisten sind da“. Auch der Nachfolgefilm „Menu total“ (1985/86) wollte die narrativen Fesseln der serienverdorbenen Zuschauerwahrnehmung sprengen, ohne jedoch dem tödlichen Ernst einer aufklärerischen Avantgardekunst zu verfallen.[2]

Zwischen 1983 und 1986 nahm Schlingensief Lehraufträge an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach sowie an der Kunstakademie Düsseldorf wahr. „Grauenhafte Erfahrungen“ machte er nach eigenen Angaben 1986/87 als Aufnahmeleiter der Fernsehserie „Lindenstraße“. Erstmals setzte er für den im Winter 1986 auf Langeness gedrehten Doktor-Faustus-Traktat „Egomania – Insel ohne Hoffnung“ professionelle Schauspieler ein. Im Auftrag des ZDF verfilmte er für „Schafe in Wales“ (1988) zum ersten Mal ein fremdes Drehbuch, brach allerdings wegen Differenzen mit der Produktion die Regie ab und zog seinen Namen vor der Ausstrahlung zurück.

1993 debütierte er als Regisseur an der Berliner Volksbühne. Später war er dort Hausregisseur.

Zum Teil heftige Kontroversen löste Schlingensief bei der Fachkritik und dem Publikum mit seiner Deutschlandtrilogie („100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker“, „Das deutsche Kettensägenmassaker“ und „Terror 2000 – Intensivstation Deutschland“, 1989–1992) aus, mit der er erstmals größere Bekanntheit als Regisseur erlangte. Im November 1997 startete in den deutschen Kinos Schlingensiefs Spielfilm „Die 120 Tage von Bottrop – Der letzte Neue Deutsche Film“. Dieser melancholische Abgesang auf die „Fassbinder“-Ära und ihre Protagonisten, mit deutschen und internationalen Theater- und Fernsehstars in nur sechs Drehtagen und mit minimalem Budget realisiert, beschreibt den Versuch der letzten Überlebenden des Neuen Deutschen Films, eine Neuverfilmung von Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“ auf dem Potsdamer Platz zu drehen.

Schlingensief führte Schauspieler, Behinderte und Laien zu einer Truppe zusammen. Sein Stück „Schlacht um Europa“ wurde 1997 von „Theater Heute“ zum besten deutschsprachigen Stück gekürt. Zu einem Eklat kam es bei der Documenta 1997, als Schlingensief das Plakat „Tötet Helmut Kohl!“ präsentierte.

Spektakulär war Schlingensiefs Debüt als „Talkmaster“ im September 1997. Seine bei RTL ausgestrahlten acht Folgen von „Talk 2000“ mit Gästen wie Hildegard Knef, Udo Kier oder Helmut Berger erzielte Marktanteile von bis zu 14 Prozent. Ab November 2000 drehte Schlingensief für den Musiksender MTV in einem fahrenden Abteil der Berliner U-Bahn acht Spontan-„Talkshows“ mit dem Titel „U3000“, bevor er im Frühjahr 2001 zur Musiksenderkonkurrenz Viva wechselte. Ein neues, von Arte in Auftrag gegebenes „Talkformat“ mit dem Titel „Die Piloten. Formate von morgen für das Fernsehen von früher“ und prominenter Besetzung präsentierte Schlingensief ab Januar 2007 in der Berliner Akademie der Künste. Ein Zusammenschnitt der sechs nie ausgestrahlten Folgen kam im Januar 2009 unter dem Titel „Christoph Schlingensief – Die Piloten“ in die Kinos.[2]

Mit der Aktion „Ausländer raus – Bitte liebt Österreich“ vor dem Wiener Opernhaus sorgte er ebenfalls für Schlagzeilen. In Anlehnung an „Big Brother“ waren in Baucontainern Asylbewerber untergebracht. Die Aktion dominierte über Wochen die politische, mediale und öffentliche Diskussion in der Alpenrepublik. Der Sieger bekam die Option, durch Heirat österreichischer Staatsbürger zu werden.[3]

2001 inszenierte er in Zürich „Hamlet“, in das er aussteigewillige „Neonazis“ integrierte. Die Schweizer Kritiken waren höflich bis vernichtend. Bemängelt wurde – anders als später in der Bundesrepublik Deutschland – nicht der Einsatz der „Neonazis“, sondern die inkohärente Inszenierung.

Auch „Attabambi Pornoland“ (2004) sorgte für viel Aufruhr. Die Aufführung wurde von einer Anzeige der Zürcher Stadtpolizei überschattet, die Schlingensief wegen angeblicher Ruhestörung büßen wollte. Dieser sah sich einer Kampagne von Gegnern seiner Arbeit ausgesetzt und setzte sich nach Wien ab. Ein Teil der Vorstellungen fiel ins Wasser.

Schlingensief inszenierte aber auch 2004 in Bayreuth Richard Wagners „Parsifal“. Mit seiner Krebserkrankung setzte sich Schlingensief auf der Bühne und mit dem Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ auseinander. Außerdem engagierte er sich für den Aufbau eines Festspielhauses im afrikanischen Burkina Faso.

Im Januar 2007 sagte Schlingensief zu Helge Schneiders Filmrolle in „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“:

Den Film von Dani Levy habe ich noch nicht gesehen. Aber ich bin mit Helge Schneider ja lange befreundet, und ich weiß, daß er entsetzt war über einige Entscheidungen, als der Film geschnitten wurde. Er hat sich da wohl heftig gewehrt, und einige andere Schauspieler auch.“ (Tagesspiegel)

Zusammengerechnet habe er knapp 80 Stücke, Theater und Aktionen – ohne die ganzen Filme und Installationen, Objekte, Bilder und Skulpturen – geschaffen, sagte Schlingensief Anfang Januar 2010. Er sei stolz auf das Archiv, das seine Freunde erstellt haben. Die filmischen Arbeiten hätten immer im Zentrum seines Denkens gestanden. „Ich glaube, es geht nichts verloren, Das hab ich als größte Erleichterung.[4]

Der Parteigründer

Im Spannungsfeld von politischer Kunst und theatralischer Politik positionierte sich Schlingensief mit „Chance 2000“, der von ihm in Berlin im März 1998 gegründeten „Partei der Arbeitslosen und von der Gesellschaft Ausgegrenzten“, die mit dem Wahlspruch „Scheitern als Chance!“ bei der Bundestagswahl vom 27. September erfolglos antrat. Starkes Medieninteresse begleitete im August 1998 Schlingensiefs Aufruf an alle vier Millionen deutschen Arbeitslosen, durch gleichzeitiges Baden im Wolfgangsee in Österreich das Urlaubsdomizil des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) zu fluten. Wenig später mußte Schlingensief das finanzielle Ende für die „Chance 2000“ und ihren „Verkauf“ (Parteien sind käuflich!) bekanntgeben.[2]

Auszeichnungen

Mitgliedschaften

Schlingensief war im Februar 2009 Jurymitglied der Berlinale und wurde im April desselben Jahres von der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig für fünf Jahre auf die Professur „Kunst in Aktion“ berufen.

Familie

Am 1. August 2009 heiratete Schlingensief seine langjährige Lebensgefährtin, die Kostümbildnerin Aino Labarenz. Er lebte am Prenzlauer Berg in Berlin und gab u. a. das Reisen als Freizeitbeschäftigung an.

Siehe auch

Fußnoten

  1. Internationales Biographisches Archiv 43/2009
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Munzinger-Archiv GmbH, 2009
  3. 20min.ch, 21. August: „Der Theaterregisseur und Drehbuchautor Christoph Schlingensief ist nach zweieinhalbjähriger Krankheit einem Krebsleiden erlegen.
  4. tagesanzeiger.ch, 21. August: Christoph Schlingensief ist gestorben