Brasch, Thomas

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Thomas Brasch, 1993

Thomas Brasch (* 19. Februar 1945 in Westow/Yorkshire; † 3. November 2001 in Berlin) war ein jüdischer ultraroter Schriftsteller, Dramatiker, Drehbuchautor, Regisseur und Lyriker.

Werdegang

Herkunft

Thomas Brasch wurde 1945 in England geboren, wohin seine jüdisch-marxistischen Eltern geflüchtet waren.[1] Sein Vater, Horst Brasch (* 1922; † 1989) war ein Metallarbeiter, wurde 1944 Mitglied der Exil-KPD. 1947 übersiedelte die Familie nach Deutschland in die damalige Sowjetische Besatzungszone (SBZ).

Der Vater machte in der späteren DDR als SED-Funktionär, Staatssekretär sowie erster stellvertretender Minister für Kultur (1965-1968) Karriere. Thomas Braschs Mutter war Journalistin und veröffentlichte Mitte der 1950er Jahre in einer Kottbuser Lokalzeitung Braschs erstes Gedicht. 1950 wurde sein Bruder Klaus Brasch geboren, 1955 der Bruder Peter Brasch und 1961 die Schwester Marion Brasch. Braschs jüngster Bruder Klaus starb 1980 nach einer nur kurzen Filmschauspielerkarriere („Solo Sunny“). Im Juni 2001 starb sein Bruder Peter, der sich als Lyriker, Erzähler und Regisseur einen Namen gemacht hatte.

Ausbildung

Thomas Brasch besuchte ab 1951 in Cottbus die Schule und war 1956 bis 1960 auf der Kadettenschule der Nationalen Volksarmee in Naumburg (Saale). Nach deren Auflösung wechselte er an die Gerhart-Hauptmann-Schule in Ost-Berlin, an der er 1963 Abitur machte. Nach einem einjährigen Praktikum als Schriftsetzer, Meliorationsarbeiter und Schlosser in der Produktion begann er 1964 in Leipzig ein Journalistikstudium. Nebenher spielte er als Schlagzeuger in der Gruppe „Jackets“ mit.[2] Brasch studierte an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg[3] und 1964 bis 1965 studierte er Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Wegen „Verunglimpfung führender Persönlichkeiten der DDR“ wurde er exmatrikuliert und arbeitete erneut unter anderem als Kellner und Straßenbauarbeiter.

Wirken

Mißglückte Etablierung als „Künstler“

In den 1960er Jahren kam es zum Zank zwischen ihm und den SED-Kulturbonzen. Die Kommunisten warfen ihm »linksradikale (!) Tendenzen« vor. 1966 wurde die Inszenierung seines Vietnam-Programms „Seht auf dieses Land“ an der Berliner Volksbühne verboten. 1967 bis 1968 absolvierte Brasch ein Studium für Dramaturgie an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg.[4] Nachdem er gegen die Besetzung der CSSR 1968 protestiert hatte, wurde er verhaftet.[3] Wegen der Verteilung von Flugblättern gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in der CSSR musste er sich gemeinsam mit Frank Havemann, Florian Havemann, Rosita Hunzinger, Sanda Weigl, Erika-Dorothea Berthold, Hans-Jürgen Uszkoreit und Bettina Wegner vor Gericht verantworten.[5] Er wurde zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt und 1969 auf Bewährung entlassen. Danach wurde er als Erziehungsmaßnahme als Fräser im Berliner Transformatorenwerk (TRO) Oberschöneweide beschäftigt.

Auf Vermittlung von Helene Weigel arbeitete er 1971–72 am Ost-Berliner Brecht-Archiv, wo er an einer Arbeit saß, die die Strukturelemente des Westerns mit denen des russischen Revolutionsfilms verglich. Anschließend versuchte er sich als freiberuflicher Schriftsteller und bestritt seinen Lebensunterhalt als Übersetzer. Mehrere Dramen, die zwischen 1970 und 1976 entstanden, wurden wegen ihrer Thematik und ihrer häufig experimentellen Form zu Recht nicht aufgeführt oder nach kurzer Zeit abgesetzt, so z. B. die gemeinsam mit Lothar Trolle verfaßten Lehrstücke „Das beispielhafte Leben und der Tod des Peter Göring“ und „Galileo Galilei – Papst Urban VIII.“

Ausreise nach Berlin (West)

1976 war Brasch Mitunterzeichner der Resolution gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Nachdem die Publikation von Prosatexten durch staatliche Stellen verweigert worden war, stellte er einen Ausreiseantrag. Brasch wurde die Ausreise aus der »DDR« (mit Recht auf Wiedereinreise) gewährt.[6] Er übersiedelte gemeinsam mit seiner damaligen Konkubine Katharina Thalbach und deren Tochter Anna Thalbach nach West-Berlin.[7] Sein noch in der DDR entstandener und kurze Zeit später beim Rotbuch erschienener Prosaband „Vor den Vätern sterben die Söhne“ wurde ein großer Erfolg bei der linken Kritik.

In Westdeutschland (BRD) engagierte er sich ultralinks und veröffentlichte bei den roten Verlagen Suhrkamp und Rotbuch Gedichte, Romane, Hörspiele. Selbst von konservativ geltender Seite wurde er reichlich gefördert (u. a. Literaturpreis der FAZ, Bayerischer Filmpreis). Beim Bayerischen Filmpreis erklärte er, wie unangenehm es ihm sei, die Auszeichnung von Strauß zu erhalten. Das seien eben Widersprüche für Künstler »im Zeitalter des Geldes schlechthin«. Er nahm den Preis.

Ebenfalls politisch lediglich linke Anerkennung fand der 1988 gedrehte Film „Der Passagier“ (Buch: Thomas Brasch/Jurek Becker), in dem Tony Curtis einen jüdischen Regisseur spielte, der als Emigrant in Hollywood Karriere gemacht hatte und nach 40 Jahren nach Berlin zurückkehrte, um einen Film über seine Vergangenheit zu realisieren.

Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Lieber Georg“ und „Lovely Rita“. Er schuf auch etliche Werke zur „NS-Bewältigung“. Das „Autorenlexikon“ von rororo attestierte ihm ein „anarchisches Lebensgefühl“.[3]

Er erhielt im Westen zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen. Im bundesdeutschen Autorenlexikon des rororo-Verlages wird ihm bescheinigt, er pflege ein „anarchisches Lebensgefühl“.

Weiteres

Im Westen wurde er als linker Jude mit Preisen überhäuft. 1978 erhielt er den Ernst-Reuter-Preis und 1979 ein Villa-Massimo-Stipendium. Er wurde 1982 Mitglied des PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland und wurde für den Film „Engel aus Eisen“ mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. 1983 lebte er für ein Jahr in Zürich, wo er für den Film „Domino“ den Occhio del Pardo d’argento erhielt. Sein Hörspiel „Robert, ich, Fastnacht und die anderen“ wurde mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet. Ab 1986 übersetzte er mehrere Theaterstücke William Shakespeares ins Deutsche. 1992 erhielt er den Kritikerpreis der Berliner Zeitung.

Nachdem Brasch seit dem Fall der Berliner Mauer für viele Jahre verstummt war und sich Gerüchte über Alkohol- und Drogenmissbrauch gemehrt hatten, überraschte er im Jahr 1999 mit seinem neuen Prosaband Mädchenmörder Brunke, der aus einem Manuskript von ursprünglich mehr als 10.000 Seiten entstand. Im selben Jahr kam es zur Uraufführung der Dramen „Stiefel muß sterben“ und „Die Trachinierinnen des Sophokles oder Macht Liebe Tod“, im Jahr 2000 folgte „Frauenkrieg. Drei Übermalungen“. Sein letztes Stück, „Eine Märchenkomödie aus Berlin“, blieb unvollendet. Thomas Brasch starb am 3. November 2001 in der Berliner Charité an Herzversagen. Das Grab des Schriftstellers befindet sich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte.

Aus seiner Verbindung mit der Schauspielerin Katharina Thalbach hatte er eine Tochter.[3]

Dokumentation einer Debatte aus dem Jahre 1987

Macht Verfolgung kreativ? Polemische Anmerkungen aus aktuellem Anlaß: Christa Wolf und Thomas Brasch. Von Marcel Reich-Ranicki

Daß die in Ost-Berlin lebende Autorin Christa Wolf in der DDR ein hohes Ansehen genießt und auch viel Zulauf hat, ist nicht verwunderlich: Wo es an Wolle und Seide fehlt, da lassen sich auch mit Baumwolle und Kunstseide gute Geschäfte machen. Daß aber diese Schriftstellerin, deren künstlerische und intellektuelle Möglichkeiten eher bescheiden sind, im Westen ebenfalls nicht ohne Andacht behandelt wird, ja mittlerweile sogar als gesamtdeutsche Mahnerin vom Dienst gilt, ist schon weniger verständlich. Doch hat es Gründe - und sie sind keineswegs mysteriös.

Als die SED es 1976 für erforderlich hielt, den Sänger und Poeten Wolf Biermann auszubürgern, hat Christa Wolf einen unter den damaligen Verhältnissen in der DDR ganz ungewöhnlichen Protest zahlreicher Schriftsteller und Künstler sehr wohl unterzeichnet - und ihre Unterschrift rasch und in aller Form wieder zurückgezogen. Wir haben nicht das Recht, ihr dies vorzuwerfen, aber wir dürfen sagen, daß es eine für sie bezeichnende Handlungsweise war: Mit der einen Hand beanstandet sie (eher vorsichtig) gewisse Maßnahmen der SED-Kulturpolitik, mit der anderen beteuert sie (und zwar mit Nachdruck) ihre Treue und Zuverlässigkeit. Immer wieder bewährt sie sich als DDR-Staatsdichterin. die man schon zweimal mit dem Nationalpreis ausgezeichnet hat. Zugleich läßt sie gern durchblicken, sie sei gar nicht so linientreu. wie sie sich gibt, sie müsse nur - wie in Deutschland oft üblich - manches, was ihr mißfällt, hinnehmen, um Schlimmeres verhüten zu können. Mut und Charakterfestigkeit gehören nicht zu den hervorstechenden Tugenden der geschätzten Autorin Christa Wolf.

Indes sollten wir nicht vergessen, daß wir ihr eines der markantesten Bücher der sechziger Jahre verdanken - den Roman „Nachdenken über Christa T.“. Was sie später verfaßt hat („Kindheitsmuster“, „Kassandra“, „Störfall“), wurde, so gut gemeint es auch war, zusehends blasser und geschwätziger: Es kam zu gewichtig daher, um wichtig zu sein. Nach Witz und Ironie werde man in ihrer Prosa (schrieb Uwe Wittstock in der F.A.Z. vom 14. April 1987) vergeblich Ausschau halten. In der Tat, von Esprit spürt man hier kaum einen Hauch, vom Urbanen kann beim besten Willen keine Rede sein, unverkennbar bleibt vielmehr eine Mentalität, die sich noch am ehesten mit der (allerdings ungenauen) Vokabel „provinziell“ andeuten läßt. Den Ruf, Deutschlands humorloseste Schriftstellerin zu sein, kann ihr niemand streitig machen.

Freilich hat das der erfolgreichen Erzählerin und Essayistin überhaupt nicht geschadet. Denn immer noch ist man in Deutschland bereit, den Mangel an Charme und Scharfsinn zu verzeihen, wenn man genießen (um nicht zu sagen: konsumieren) darf, wonach sich viele sehnen, heute wie eh und je: das Getragene und das Weihevolle, elegisches Pathos und priesterlicher Ernst, erhabene Klischees und erbauliche Banalitäten. So hat Christa Wolf auch in der Bundesrepublik eine ansehnliche Gemeinde gefunden, sie ist längst eine Kultfigur, verehrt von Feministinnen und DDR-Anhängern, von Linken ohne Heimat und Kritikern ohne Geschmack.

Die Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung hat früh die Zeichen der Zeit erkannt: Schon in den siebziger Jahren fragte man Christa Wolf (vertraulich, versteht sich), ob ihr der Georg-Büchner-Preis genehm wäre; sie jedoch ließ die Akademiker wissen, dies sei für sie angesichts der Spannungen zwischen Bonn und Pankow nicht opportun. 1980 war sie bereit, die Ehrung zu akzeptieren. Seitdem werden ihr westliche Preise in regelmäßigen Abständen verliehen, eben erst hat sie den Geschwister-Scholl-Preis erhalten. Es finden dann, wie es des Landes Brauch ist, würdevolle Feierstunden statt mit einer würdevollen Dankansprache der Preisträgerin: Sie wird nicht müde, uns zu belehren, daß es im Westen eher scheußlich und schrecklich sei, in der DDR hingegen, allen Makeln und Schwächen zum Trotz, eher hold und hoffnungsvoll. Die alte Weise .,Kein schöner Land“ klingt, von Christa Wolf angestimmt, nicht nur traurig, sondern auch nachdenklich. Die Gemeinde jubelt allemal.

So war es auch unlängst in Frankfurt, als der Kleist-Preis vergeben wurde. Diesmal jedoch trat Christa Wolf in einer anderen Rolle auf- nicht als Preisträgerin, vielmehr als die von einer Jury ausgewählte Richterin, deren Aufgabe es war, den Träger der hohen Auszeichnung zu bestimmen und ihre Entscheidung in einer Lobrede zu begründen. Sie hat es sich nicht leichtgemacht. Denn ihre Wahl fiel auf einen Autor, der 1976 der DDR den Rücken gekehrt hat - auf Thomas Brasch. Wie das? Die Antwort lautet schlicht und einfach: Gorbatschow und die Folgen.

Eine Situation nicht ohne Pikanterie. Denn jedermann verstand, daß die Lobrede weniger an die in Frankfurt Versammelten gerichtet war als an die Genossen in Ost-Berlin. Um so bemerkenswerter die bedächtig zelebrierte Introduktion dieser Rede. Sie könne sich, berichtete Christa Wolf, sehr wohl an den Besuch Braschs in ihrer Wohnung erinnern. Damals, vor elf Jähren, habe er gesagt, „er wolle weggehen“. Und: „Er war nicht der erste, der da saß, aber er war der erste, dem ich nicht mehr abraten konnte.“

Insofern sei Thomas Braschs Schritt auch, für sie, Christa Wolf, „ein Einschnitt“ gewesen: „Plötzlich gab es eine neue Frage, die hieß: Warum bleiben?“ Ja, in der Tat, warum? Sie begnügt sich mit dem Hinweis, daß eine solche Frage „hauptsächlich arbeitend beantwortet werden“ mußte, „denn nur die Produktion kann jene innere Freiheit hervorbringen, die den Zweifel über die Wahl des Lebens- und Arbeitsortes aufhebt“.

Das ist zwar umständlich, doch unmißverständlich. Sicher ist also, daß es bei Christa Wolf einen „Zweifel über die Wahl des Lebens- und Arbeitsortes“ gab und offenbar noch immer gibt und daß nicht der real existierende Sozialismus zwischen der Elbe und der Oder diesen Zweifel aufzuheben vermag, sondern nur auf dieses „nur“ kommt es hier an, die eigene, die schriftstellerische Produktion. Dies ist aber keine neue Einsicht unserer Autorin, das wußte sie schon vor zehn, vor zwanzig Jahren, neu ist bloß, daß sie sich dazu jetzt öffentlich bekennt. Wie gesagt: Gorbatschow und die Folgen.

Doch kaum hat sie ihren Zweifel vor dem westlichen Auditorium zu erkennen gegeben, da nimmt die Lobrednerin schon, gleichsam im selben Atemzug, den von ihr gewählten Preisträger für die DDR in Anspruch. Wie das? - fragen wir wieder. Nun, sie schlägt einen Haken, den man sich simpler kaum vorstellen kann: Brasch sei einer von denjenigen, „die nicht aufhören können, sich mit ihren Erfahrungen auseinanderzusetzen, nachdem sie das Land verlassen haben“.

Aber ja doch: Brasch hat seine ganze Kindheit und Jugend in der DDR verbracht, dort wurde er Kommunist, dort hat er gedichtet, gekämpft und im Gefängnis gesessen. Er war immerhin schon 31 Jahre alt, als er sich gezwungen sah, zu kapitulieren und in den Westen zu gehen. Natürlich kann er nicht aufhören, sich mit seinen Erfahrungen auseinanderzusetzen, und natürlich wird er an ihnen bis zum Ende seiner Tage leiden. Doch daraus abzuleiten, er sei im Grunde ein DDR-Bürger im Exil, ist so billig wie lächerlich.

Es kommt noch schlimmer: Brasch habe den Boden verlassen, „der ihn - sei es durch Engagement, Übereinstimmung, Mitarbeit, Anstrengung, Reibung, Widerspruch, Widerstand - kreativ gemacht“ habe. Das, wahrlich, könnte einem die Stimme verschlagen. Was verbirgt sich denn hinter solchen hier undeutlich-vielsagenden Worten wie „Reibung“ oder „Widerstand“? Christa Wolf weiß es genau, und sie erwähnt auch einmal, daß Brasch in der DDR inhaftiert war. Dennoch ist ihre Wortkargheit erstaunlich. Daher müssen wir jetzt nachtragen, was die Rednerin ausgespart hat.

1961 wird dem (damals sechzehnjährigen) Brasch mit der Verweisung vom Gymnasium gedroht, weil er sich geweigert hat zu unterschreiben, er werde freiwillig in der Nationalen Volksarmee dienen. Nach dem Abitur arbeitet er als Setzer und Schlosser, hat aber „Schwierigkeiten in den Betrieben wegen Nichtteilnahme an paramilitärischen Übungen“. Dann studiert er in Leipzig Journalistik, wird jedoch 1965 zwangsexmatrikuliert. Begründung: „existentialistische Anschauungen“: Er schlägt sich als Packer und Kellner durch und auch beim Straßenbau. Ein von ihm 1966 im Jugendtheater der Volksbühne Ost-Berlin inszeniertes Vietnamprogramm wird gleich nach der Generalprobe untersagt. Begründung: „linksradikale Tendenzen“. Braschs Studium der Dramaturgie an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg endet mit abermaliger Zwangsexmatrikulation. Kurz darauf verurteilt man ihn zu 27 Monaten Gefängnis. Begründung: „staatsfeindliche Hetze“. Auf Bewährung aus der Haft entlassen, muß Brasch in einem Transformatorenwerk als Fräser arbeiten.

Sein 1970 uraufgeführtes Stück „Sie geht, sie geht nicht“ wird nach der zweiten Vorstellung verboten: Verboten werden auch (unmittelbar nach den Premieren) Braschs Stücke ,.Das beispielhafte Leben und der Tod des Peter Göring“ und „Galileo Galilei - Papst Urban VIII.“. Für seine nächsten Stücke gibt es keinen Bühnenverlag. sein Jazz-Oratorium hat der DDR-Rundfunk aufgezeichnet, aber nicht gesendet. Das Stück „Lovely Rita“ wird vom Berliner Ensemble geprobt, doch müssen die Proben abgebrochen werden. Braschs Erzählungsband „Vor den Vätern sterben die Söhne“ kann in der DDR nicht erscheinen (Begründung: „grobe Verzerrung der DDR-Arbeitswelt“), die Veröffentlichung des Buches außerhalb der DDR wird von den zuständigen Behörden verweigert. Im Dezember 1976 erhält Brasch die Genehmigung für eine „einmalige Ausreise zwecks Übersiedlung aus der DDR“. Reicht das?

Aber Christa Wolf erklärt uns, die DDR habe Thomas Brasch kreativ gemacht. Wie soll man das nennen: Zynismus, Heuchelei oder ganz einfach Unverfrorenheit? Auf komplizierten ästhetischen Wegen sei Brasch zu „höchst fragwürdigen Figuren“ gekommen, mit denen „eine immer gefährdete Identifikation, Teilidentifikation“ möglich geworden sei. Er habe keine Berührungsfurcht vor „kaputten Typen“ gezeigt. - Schon richtig, gerade sie ziehen ihn an, das hat jedoch nichts mit ästhetischen Wegen zu tun, sondern mit seinen Leiden in dem Land, in dem man seine Arbeiten weder drucken noch spielen wollte, wo er schikaniert und tyrannisiert wurde und aus dem man ihn schließlich vertrieben hat. Und was geschah mit ihm hierzulande? Frau Wolf teilt es uns mit: „Brasch trifft im Westen auf die Macht des Geldes, auf Konsumzwang, und er trifft auf den Markt.“ Er habe vor der Frage gestanden, „ob er künstlerische Erkenntnis produzieren oder den Markt bedienen will“. Das trifft zu - und das eben ist einer der Unterschiede zwischen dem Leben in der Bundesrepublik und in der DDR: Hier kann er zwischen diesen beiden Möglichkeiten wählen, während beide ihm dort versperrt blieben.

Niemand hat ihm hier gesagt, was und wie er schreiben soll, wohl aber hat man dafür gesorgt, daß er sich frei entscheiden kann. Die Freiheit des Schriftstellers; des Künstlers beruht vor allem auf seiner Unabhängigkeit; nämlich von den Auftraggebern. Dazu benötigt er Geld. Um Brasch vom Markt, vom Konsumzwang unabhängig zu machen, hat man den Neuankömmling reichlich - und das war gut so - mit Preisen bedacht: In den ersten Jahren seines Aufenthalts im Westen. erhielt er den Förderpreis zum Gerhart-Hauptmann-Preis, das Stipendium zum Lessing-Preis, den Ernst-Reuter-Preis, das Villa-Massimo-Stipendium, den F.A.Z.-Literaturpreis, die Fördergabe zum Schiller-Gedächtnispreis und den Bayerischen Filmpreis.

Es stimmt schon - so Frau Wolf -, daß sich Brasch mit seinen hier entstandenen. Arbeiten „dem Bedürfnis des bürgerlichen Kunstkonsumenten nach Genuß“ widersetzt habe. Aber wer hat ihm dies ermöglicht? Die westliche, die bürgerliche, die kapitalistische Gesellschaft. Thomas Brasch weiß es, auch wenn er es nicht öffentlich zugeben möchte. Und Christa Wolf? Sie sollte einmal darüber nachdenken.

Thomas Brasch: Antwort auf Marcel Reich-Ranicki

Zu Marcel Reich-Ranickis Artikel "Macht Verfolgung kreativ?" in der gestrigen Ausgabe erreicht uns folgende Stellungnahme von Thomas Brasch:

Kenntnisnehmend von der Denunziation Christa Wolfs durch Marcel Reich-Ranicki, erkläre ich: Ich bin nach wie vor Bürger der DDR, und alle zurückliegenden Konflikte zwischen mir und verschiedenen Institutionen meines Landes waren immer Konflikte über das Wie des Sozialismus, nie über eine Alternative zu ihm. Die so oft schmerzhaften Auseinandersetzungen, an denen auch Christa Wolf teilnahm, bedürfen so wenig des Kommentars des Literaturchefs der FAZ wie ich dessen Schutzes bedarf. Daß ich in West-Berlin lebe, heißt nicht, daß ich mich zum Anhänger der Geldgesellschaft zurückpervertiert habe, sondern daß ich wie viele Schriftsteller aus vielen Ländern den Ort meiner Jugend für eine Zeit verlassen habe um nicht zu stagnieren. Wie Christa Wolf bin auch ich davon überzeugt, daß eint Gesellschaft, die sich unter großen Schwierigkeiten und in ständiger Veränderung der jahrhundertealten Last der Ausbeutung entledigt, die einzige produktive Möglichkeit in sich birgt. Daß Christa Wolf mir in diesem Jahr den Kleist-Preis zusprach, ist eine große Ehre für mich. Daß der Obengenannte sie beleidigt, sollte eine Ehre für sie sein.

Ist der Umzug mißlungen? Ein offener Brief von Günter Kunert an Thomas Brasch

Am Freitag dem 13. November 1987 antwortete der Schriftsteller Thomas Brasch auf Marcel Reich-Ranickis Artikel „Macht Verfolgung kreativ?“. Braschs Replik ist Anlaß für Günter Kunerts oberen Brief:

Lieber Thomas Brasch, nachdem ich Deinen „Offenen Brief“ in der F.A.Z. gelesen hatte, war ich, wie ich gestehe, etwas betroffen, denn ich meinte, Dich einigermaßen zu kennen, Deinen Witz, Deine ironische Weltsicht. Nun auf einmal Formulierungen wie „mein Land“, wie der Verweis auf die Konflikte mit der DDR als „hausinterne“, wie die „jahrhundertealte Last der Ausbeutung“, derer sich die Gesellschaft entledigen könne, um die „einzige produktive Möglichkeit“ zu realisieren. Das alles wollte nicht zu Dir und Deinem Denken, wie ich es kenne, passen. Und weil unsere Erfahrungen eine gewisse Gemeinsamkeit aufweisen, wir beide, wie Du schreibst, den „Ort der Jugend“ verließen, habe ich, nach der ersten Überraschung, mich gefragt, was diese großen und so merkwürdig unzeitgemäßen Worte wohl bedeuten könnten. Denn daß sie Signalcharakter haben, dessen bin ich ganz sicher.

Wie steht es eigentlich um uns, war meine anschließende Überlegung: „Uns“ meint hier die recht umfangreiche und noch ständig wachsende Schar der Autoren, welche die Bindung mit der DDR aufkündigten - oder denen gekündigt wurde. Ist uns unser Umzug, unser Platzwechsel mißlungen? Sind wir eigentlich Exilanten oder nur zeitweilig im Westen sich aufhaltende, in der Wolle gefärbte „Ossies“? Wird man die einzige Konditionierung nie los oder nur durch Überreaktion'? Sind wir nichts anderes als Geschöpfe wie die Pawlowschen Hunde mit ihren bedingten Reflexen? Ist die Ehe mit dem realen Sozialismus unauflöslich, so daß sie nur vom Tod geschieden werden kann? Vom Tod des Autors oder vom Tod der Sache?

Ich bin mir der Schwierigkeiten eines solchen Briefes an einen Autor bewußt, der mir unerwartet fremd und fern erscheint, weil er plötzlich Solidarität mit denen bekundet, deretwegen wir ja den Ort unserer Jugend aufgeben mußten, um ein ganz anderes; ganz neues Leben zu versuchen. Was den nun offenkundig notwendigen Diskurs über unser gemeinsames Schicksal erschwert, sind die blind machenden Eruptionen von Haß und Aggression, denen ich mich auf jeden Fall verweigere. Feindbilder abbauen, sei die Forderung der Stunde, wie man allgemein hört, doch da muß jeder zuerst bei sich selber anfangen. Ohne Emotionen gesagt und ohne Ressentiments: Die Konflikte von DDR-Autoren mit ihren Oberen waren und sind keine konzeptionsbedingten, sondern bloß die uralten von Geist und Macht in neuer Terminologie. „Zur Geldgesellschaft zurückpervertiert“ läßt utopisches Verlangen erkennen; nämlich das, es möge statt materieller Beziehungen Brüderlichkeit geben, und diese wiederum solle nicht sein, wie die zwischen Kain und Abel. Und daß einzig dann Produktivität möglich würde, wenn die „Last der Ausbeutung“, verschwände, ist ebenso illusorisch und wirklichkeitsfremd und verkennt, daß auch vor uns Kunst und Literatur produziert wurde und auch nach uns weiter produziert werden wird, entgegen jeglichem säkularisierten Glauben und entgegen jeder selbstsicheren Rationalität. Doch das Prinzip Hoffnung ist zu den Akten gelegt. Das einzusehen bereitet Unbehagen, vielleicht sogar Schmerz. Aber ich bin mir ziemlich sicher, daß der einzige, einem Dichter gebührende Ort für sein ganzes Dasein das Reich der Literatur ist; jede Fixation an Gesellschaftssysteme muß sich verheerend auf sein Schreiben auswirken. Merkwürdig: Schriftsteller haben es beim Schreiben (außer mit sich selber) mit Menschen zu tun, deren Gedanken und Regungen, Leiden und Sorgen sie unbedingt zu kennen meinen, um jedoch in der Wirklichkeit dieses ihr besseres Wissen zu ignorieren.

Zu fürchten ist, daß für manche, die sich vom Ort ihrer Jugend oder auch ihres reiferen Alters entfernt haben, dieser Ort zum verlorenen Paradies wird. Es handelt sich aber nach wie vor nur um den ersten Kreis der Hölle. Von einem leider gänzlich vergessenen Schriftsteller namens Ken Kaska gibt es die Variante einer berühmten Sentenz: „Die Vernunft ist die Fortsetzung des Traumes mit anderen Mitteln. Aus diesem gründlich aufzuwachen stünde uns gut an, denn die Schlafwandler werden immer aufs neue die Opfer aller Systeme.“

Fußnoten

  1. Thomas Brasch wurde 1945 als Sohn jüdisch-bolschewistischer Emigranten in Westow/England geboren.
  2. Internationales Biographisches Archiv 10/2002
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 David Korn: Wer ist wer im Judentum? - FZ-Verlag ISBN 3-924309-63-9
  4. Brasch studierte ab 1967 an der DDR-Filmhochschule Potsdam-Babelsberg.
  5. Weil er gegen die Besetzung der CSSR protestierte, mußte er 1968 in Haft.
  6. 1976 wurde ihm die Ausreise mit dem Recht auf Rückkehr genehmigt.
  7. Brasch lebte vorwiegend in West-Berlin.