Kekule von Stradonitz, August

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Geheimer Regierungsrat Prof. Dr. phil. Dr. med. h. c. Friedrich August Kekulé, 1890

Friedrich August Kekulé, seit 1895 Kekule von Stradonitz (Lebensrune.png 7. September 1829 in Darmstadt; Todesrune.png 13. Juli 1896 in Bonn), war ein deutscher Chemiker und Naturwissenschaftler, der die Grundlagen für die moderne Strukturtheorie der organischen Chemie legte. Er war Mitglied zahlreicher in- und ausländischer Akademien und Gelehrtengesellschaften. Er war 1878, 1886 und 1891 Vorstand bzw. Präsident der Deutschen Chemischen Gesellschaft zu Berlin.

Leben

Prof. Dr. Kekulé um 1880
K. gehört zu den erfolgreichsten Chemikern des 19. Jahrhunderts. In der Valenz- und Strukturlehre faßte er die gesamten chemischen Erfahrungen seiner Zeit zu einer Theorie zusammen, die auf Jahrzehnte hinaus die Grundlage aller deduktiven Forschung im Gebiete der organischen Chemie bildete (J. Volhard). Durch die Aufstellung der Strukturformel des Benzols hat er den Bereich der aromatischen Verbindungen erschlossen. Über Ereignisse und Begegnungen, die seinen Werdegang beeinflußt haben, liegen autobiographische Auskünfte vor. Sein langjähriger Assistent und späterer Nachfolger R. Anschütz hat eigene Erfahrungen, Berichte und Dokumente zu einer ausführlichen Biographie verarbeitet. Briefwechsel mit Fachgenossen, Schülern und Freunden sind erhalten. Im Hause einer angesehenen Familie verlebte K. eine sorglose, glückliche Jugend. Als erfolgreicher Schüler schloß er die Schulzeit auf dem Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt im Herbst 1847 mit dem Abitur ab. Mit Interesse und Eifer begann er in Gießen das Architekturstudium, einem Vorschlag des mit berühmten Architekten (unter anderem Georg Moller) befreundeten Vaters folgend, der dem Sohn aufgrund guter Leistungen in Mathematik und im Zeichnen eine besondere Begabung für dieses Fach zuschrieb. Aber Liebigs Vorlesungen über Experimentalchemie (SS 1848) „verführten“ ihn zur Chemie. Dem Wunsche umzusatteln, trat die Familie, deren finanzielle Lage sich durch den Tod des Vaters (1847) verschlechtert hatte, wegen Aussichtslosigkeit des Chemiestudiums mit Vorbehalten entgegen. Nach einer Bedenkzeit, während der er unter anderem seine chemischen Kenntnisse an der Höheren Gewerbeschule in Darmstadt unter F. Moldenhauer erweiterte, begann K. im SS 1849 seine Studien in Liebigs Laboratorium in Gießen. Er hörte außer chemischen Vorlesungen auch solche physikalischen Inhalts sowie unter anderem Mineralogie, Geologie und bei H. Kopp Kristallographie.
Zum Grundstock der praktischen Ausbildung in der organischen Chemie gehörte die von Liebig zu einem zuverlässigen Hilfsmittel ausgebaute Elementaranalyse, die zur empirischen „Summenformel“ führte, einer Angabe, in welchen Gewichtsverhältnissen die an einer chemischen Verbindung beteiligten Elemente darin vertreten sind. Um aber die Fülle organischer Verbindungen, die schon in wenigen Jahrzehnten ins Unübersehbare angewachsen war, sinnvoll ordnen und gliedern zu können, wurden aufgrund der Eigenschaften und des chemischen Verhaltens der Körper „rationelle Formeln“ aufgestellt, die diesen Gegebenheiten Rechnung tragen sollten. Die für die anorganische Chemie so fruchtbare elektrochemisch-dualistische Vorstellung von Berzelius, die jeden Körper aus einem elektropositiven, basischen und einem elektronegativen, sauren Partner bestehend annahm, wurde von ihrem Urheber auch für die organische Chemie erwogen; denn gewisse Atomkomplexe, die sich bei chemischen Umsetzungen als relativ stabil erwiesen – sie wurden in Analogie zur anorganischen Chemie als „zusammengesetzte Radikale“ bezeichnet; zu ihnen zählte das Cyan sowie die von Liebig und Wöhler bearbeitete Gruppe Benzoyl C6H5-CO und das Äthyl C2H5 (alle Formeln in moderner Schreibweise) –, spielten im chemischen Geschehen der organischen Verbindungen eine ähnliche Rolle wie die Radikale (zum Beispiel die Metalle) im anorganischen Bereich. Aber die Entdeckung, daß elektropositive Elemente, zum Beispiel Wasserstoff, gegen elektronegative, zum Beispiel Chlor, austauschbar (substituierbar) sind, ohne daß der chemische Charakter der Verbindung sich dadurch wesentlich ändert, stand im Widerspruch zur dualistischen „Radikaltheorie“. Besonders die französischen Chemiker J. B. A. Dumas, A. Laurent und Ch. Gerhardt stellten dem elektrochemischen Antagonismus „unitarische“ Systeme gegenüber. Zu K.s Studienzeit war die Kontroverse über dieses Thema in vollem Gange. Da aber Liebig seit Ende der 30er Jahre seine ganze Arbeitskraft der Agrikulturchemie und der physiologischen Chemie widmete, stand in Gießen der Meinungsstreit über Konstitutionsfragen nicht im Vordergrund. K. absolvierte analytische und präparative Lehrgänge unter Liebigs Mitarbeitern Th. Fleitmann und H. Will. Eine wenn auch nur routinemäßige Experimentalarbeit „Über die Amyloxydschwefelsäure und einige ihrer Salze“ (in: Annalen der Chemie und Pharmazie 75, 1850, S. 275-93) erledigte er zur vollen Zufriedenheit Wills. Sie wurde zwei Jahre später der Promotion zugrunde gelegt. Im Wintersemester1850/51 arbeitete K. in Liebigs Privatlaboratorium, und zwar, dem damaligen Gebiet Liebigs entsprechend, über Kleber und Weizenkleie, ein Thema, das dem zu theoretischen Überlegungen neigenden K. nicht ganz entsprach.
Die Möglichkeit, durch einen Hochschulwechsel den Gesichtskreis zu erweitern, bot sich durch K.s Halbbruder Karl, der dem Jüngeren die finanzielle Unterstützung für einen einjährigen Auslandsaufenthalt zusagte. Liebig riet zu Paris, der Sprachkenntnisse wegen. Chemie werde K. dort nicht viel lernen. Die Prognose bewahrheitete sich nicht. Mit Empfehlungsschreiben von Liebig traf K. im Mai 1851 in Paris ein. Durch Besuch chemischer und physikalischer Vorlesungen fand er Zugang zu den großen Bildungsanstalten: Sorbonne, École de Médecine, Collège de France, Conservatoire des Arts et Métiers. Er hörte unter anderem bei Dumas, dem Begründer der unitarischen, auch als ältere Typentheorie bezeichneten „Substitutionstheorie“, die jede Verbindung als geschlossenes Ganzes erklärte und vom Zwange der Bipolarität frei hielt. Er trat in freundschaftliche Beziehung zu A. Wurtz, dem Entdecker der Alkylamine, der von Liebig vorausgesagten Substitutionsprodukte des Ammoniaks. Vor allem machte er „durch Zufall die Bekanntschaft und erwarb die Freundschaft von Gerhardt, der in jener Zeit gerade die wasserfreien Säuren entdeckte und das schon fertig vorliegende Manuscript seines berühmten Lehrbuchs zum Druck vorbereitete“. K. hatte auf der Anreise bereits Gerhardts Schrift „Introduction á l'étude de la chimie par le Système unitaire“ (1848) studiert. Nun erhielt er durch den persönlichen Umgang einen Überblick über das gesamte Gebiet der organischen Chemie, und er nahm als unmittelbarer Zeuge an einer Systematisierung der organischen Körper teil. Die neue „Typenlehre“ war Gerhardts letzter Entwurf einer umfassenden Klassifikation. 1856 starb er im vierzigsten Lebensjahr. Seine theoretischen Vorstellungen hat er im 4. Teil seines Lehrbuches „Tratté de chimie organique“ zusammengefaßt. Danach werden alle chemischen Verbindungen auf 4 einfache Stammkörper, nämlich H2O, HCl, NH3 und HH bezogen. Die organischen Verbindungen erhält man durch Austausch von Wasserstoffatomen der Stammkörper durch organische Radikale, zum Beispiel C2H5-OH (Wassertypus), H-CH3 (Wasserstofftypus). Zu diesen Hauptreihen existieren Nebenreihen, ableitbar aus verwandten Körpern, etwa H2S, HBr und HJ, PH 3. Um auch kompliziertere Verbindungen einordnen zu können, werden durch Vervielfachung der einfachen Typen die „multiplen Typen“ gebildet. Hatten die Untersuchungen der Amine durch Wurtz und A. W. Hofmann den Ammoniaktypus nahegelegt, so erfuhr der Wassertypus, den schon Laurent den Alkoholen und Äthern zugrunde gelegt hatte, durch die Ätheruntersuchungen des Engländers A. Williamson eine besondere Bestätigung. Auch die Essigsäure und die von Gerhardt gerade entdeckten Säureanhydride ließen sich diesem Typus zuordnen. Damit wurden experimentelle Ergebnisse der jüngsten Zeit in Betracht gezogen.
Die Begegnung mit Gerhardt wurde bestimmend für K.s spätere Forschungsart und -richtung. Die Typenlehre wurde zur Ausgangsbasis seiner eigenen Theorien. Indem er sie anwandte und an ihrer Erweiterung teilnahm, erkannte er ihre Grenzen und Schwächen und fand den Weg, der zu einer umfassenden Lösung führte. Gerhardts System lehnt an Vorstellungen von Dumas und Laurent an. Zentraler Begriff ist das „Radikal“, hier jedoch nicht wie im Dualismus eine fest bestehende, isolierbare Atomgruppe, sondern ein Komplex, der bei gewissen Umsetzungen erhalten bleibt, bei anderen aber Spaltungen erleiden kann. Auch Atome, zum Beispiel Wasserstoff oder Chlor, spielen die Rolle von Radikalen. Damit lassen sich die Stammkörper zwar alle aufeinander beziehen; die Einteilung nach den 4 angegebenen Mustertypen bleibt aber dennoch zweckmäßig. Wichtig ist, daß den Radikalen ein bestimmter „Substitutionswert“ zugeordnet wird, ihre „Atomigkeit“. „Einatomig“ sind Radikale, die 1 Atom Wasserstoff in einer Verbindung ersetzen (Beispiel: C2H5-OH im Wassertyp). Entsprechend gibt es „zweiatomige“, „dreiatomige“ Radikale (Beispiele: SO2 beziehungsweise PO in multiplen Wassertypen). Liebigs Lehre von der einfachen und mehrfachen „Basizität“ der Säuren (1838) erfuhr hier eine Fortsetzung. Andrerseits war die Atomigkeit der Vorläufer der Begriffe „Wertigkeit“ und „Valenz“, Wortprägungen, die auf E. Erlenmeyer (1860) beziehungsweise C. H. Wichelhaus (1868) zurückgehen. Gerhardt unterschied, fußend auf Laurent und gestützt auf das Avogadrosche Gesetz und chemische Umsetzungen, die Begriffe Äquivalent, Atomgewicht, Molekulargewicht, und er drückte infolgedessen das Wasser durch die Formel H2O und die Formeln der organischen Verbindungen durch die damals noch kaum gebräuchlichen Atomgewichte H = 1, O = 16, C = 12 aus, Darstellungsweisen, die K. den Weg zur Strukturtheorie ebneten. Neuartige und aussagereiche Formelbilder machten die Umsetzungsmöglichkeiten, die in einer Verbindung steckten, deutlich. Die „typische“, besonders bei multiplen Typen mehrzellige Formel enthielt einerseits das Radikal als Hinweis auf die „genetische Beziehung“. Der dem Typus angepaßte restliche Bestandteil zeigte dann den chemischen Charakter der Substanz (zum Beispiel Alkohol, Säure oder Amin) an. K. war von den Klassifikationsmöglichkeiten, die aus Gerhardts Lehre resultierten und deren eigentliches Ziel ausmachten, tief beeindruckt. Mit den neuen Hilfsmitteln waren Wege geschaffen, eine große Zahl organischer Körper übersichtlich und leicht faßbar schematisch einzuordnen. Indem Gerhardt im Hauptteil des „Traité“ zunächst eine Ordnung nach „homologen Reihen“, dann in einer Unterteilung nach den Typen vornahm, im 4., dem theoretischen Teil, aber die Typeneinteilung der Untergruppierung nach homologen Reihen vorangehen ließ, exerzierte er verschiedene Ordnungsprinzipien vor.
K. kehrte im April 1852 nach Darmstadt zurück, erwarb im Laufe des Sommersemesters den Dr. phil. in Gießen und nahm anschließend eine Tätigkeit als Privatassistent bei dem Schweizer Liebigschüler A. von Planta an, wo er während eines anderthalbjährigen Aufenthalts auf dessen Schloß in Reichenau bei Chur „reichlich Muße (hatte), das, was (er) durch Einblick in jenes noch nicht veröffentlichte Manuscript (Gerhardts) gelernt hatte, selbständig zu verarbeiten“. Außerdem entstanden gemeinsam mit Planta einige Experimentaluntersuchungen, darunter 2 Arbeiten über die Alkaloide Nikotin und Coniin. Ende 1853 siedelte K. nach London über, und zwar wurde er – wieder durch Liebigs Vermittlung – Privatassistent von J. Stenhouse, Professor am Bartholomew's Hospital. Zwar war die Arbeit bei Stenhouse, Analyse von Drogen, wenig befriedigend. Doch fand K. durch seinen einstigen Studiengenossen, den Liebigschüler Reinhold Hoffmann, jetzt Assistent bei A. Williamson, ebenfalls Liebigschüler und Professor der Chemie am University College in London, Zugang zu einer um Williamson geschahen Gruppe etwa altersgleicher englischer und deutscher Chemiker, die sich intensiv mit Konstitutionsfragen beschäftigten. Williamson war Anhänger der Typenlehre, machte aber Vorbehalte. In Abweichung von Gerhardt, der betonte, daß die rationellen Formeln nicht wie in der dualistischen Theorie den inneren Aufbau des Moleküls ausdrücken, sondern nur auf die möglichen Umsetzungen der Körper sowie auf gewisse Analogien und Beziehungen untereinander hindeuten sollten, gab Williamson diesen Formeln einen konstitutionellen Sinn als Abbilder der Atomanordnung, vergleichbar einem Planetarium als Abbild des Planetensystems. Die chemischen Formeln drückte er in Gerhardtschen Atomgewichten aus, hob aber die Zeichen für zweiatomige Elemente durch Querstriche gegen die Äquivalentbezeichnungen ab (zum Beispiel = 16 gegenüber O = 8). Vor allem demonstrierte er an Beispielen, daß es mehratomige Radikale seien, die in multiplen Typen den Zusammenhalt der Bestandteile bewerkstelligen. Um die Substitutionswerte der Elemente und Radikale augenfällig zu machen, hat Williamsons Schüler W. Odling, ebenfalls akademischer Lehrer in London, als Markierungen kleine hochgestellte Striche eingeführt, zum Beispiel H', Cl', CH3) ' (Substitutionswert 1), O“, S“, CH2“ (Substitutionswert 2), Ausdrucksformen, die K. übernahm. K. begegnete auch dem ehemaligen Mitarbeiter des Marburger Ordinarius H. Kolbe, Eduard Frankland, der 1852 die Tendenz der Elemente Stickstoff, Phosphor, Arsen und Antimon feststellte, Verbindungen zu bilden, in welchen 3 oder 5 Äquivalente anderer Elemente enthalten sind.
In diesem Kreise erhielt K. die Anregung zu seiner ersten selbständigen Experimentalarbeit „Notiz über eine neue Reihe schwefelhaltiger organischer Säuren“ (Annalen 90, 1854, S. 309-16). Anlaß waren Zweifel, die H. Kolbe, Anhänger der dualistischen Vorstellung und Gegner der Gerhardtschen Typenlehre, gegenüber den Williamsonschen, dem Wassertypus zugeordneten Formeln von Alkohol, Äther und Essigsäure erhob. K. schlug Parallelversuche mit der Schwefelreihe (Typus H2S) vor, die „vollständig der Reihe des Wassers gleich laufen müssen“ und, falls das Experiment positiv ausfiel, Williamsons Auffassung erhärten würden. Es gelang ihm, durch Reaktion von Phosphorschwefel mit Alkohol, Äther und Essigsäure die entsprechenden Schwefelhomologen herzustellen. Bemerkenswert über die Synthese neuer Körper, unter ihnen die Thiacetsäure CH3COSH, hinaus ist die Schlußbetrachtung. Die Ergebnisse werden als Beweis für die Zweiatomigkeit der Elemente Schwefel und Sauerstoff gewertet. Es ist anders nicht einzusehen, warum Phosphorsulfid und Alkohol das einheitliche Merkaptan C2H5SH liefern, während die Parallelreaktion mit Phosphorchlorid zwei getrennte Produkte, nämlich C2H5Cl + HCl ergibt. Dabei wird die neue Gerhardtsche Schreibweise (in Atomgewichten) den Gegebenheiten besser gerecht als die alte Schreibart (in Äquivalenten). „Es ist eben nicht nur Unterschied in der Schreibweise, vielmehr wirkliche Tatsache, daß 1 Atom Wasser (hier gleichbedeutend mit Molekül) 2 Atome Wasserstoff und nur 1 Atom Sauerstoff enthält; und daß die Einem unteilbaren Atom Sauerstoff äquivalente Menge Chlor durch 2 teilbar ist, während der Schwefel, wie Sauerstoff selbst, zweibasisch ist, so daß 1 Atom äquivalent ist 2 Atomen Chlor.“ Auf diese Abhandlung, in der K. als erster die Verschiedenheit in der Valenz der Elementaratome zum Ausdruck bringt, in der er ausspricht, daß es einbasische und mehrbasische Elementaratome gebe, stützt er später Prioritätsansprüche auf die Grundzüge der Valenztheorie.
Weiterem eigenständigem Experimentieren seines Privatassistenten räumte Stenhouse offenbar keinen Spielraum, auch nicht vor Dienstbeginn ein. Indessen führten theoretische Überlegungen K. zu tiefen Einsichten. Die organischen Körper wurden allgemein als Verbindungen kohlenstoffhaltiger Radikale behandelt, deren Konstitution zu ergründen dringende Aufgabe, aber bisher nicht gelungen war. K. faßte nach eigenen Angaben bereits in London den Gedanken, daß der Lösungsweg in der Vieratomigkeit des Kohlenstoffs und in dessen Fähigkeit, Ketten zu bilden, zu suchen sei. Auf nächtlicher Heimfahrt durch die öden Straßen der Weltstadt, auf dem Dache eines Omnibusses sitzend, so erzählt er später, versank er in Träumereien. „Da gaukelten vor meinen Augen die Atome. Ich hatte sie immer in Bewegung gesehen, jene kleinen Wesen, aber es war mir nie gelungen, die Art ihrer Bewegung zu erlauschen. Heute sah ich, wie vielfach zwei kleinere sich zu Pärchen zusammenfügten, wie größere zwei kleine umfaßten, noch größere drei und selbst vier der kleinen festhielten, und wie sich Alles in wirbelndem Reigen drehte. Ich sah, wie größere eine Reihe bildeten und nur an den Enden der Kette noch kleinere mitschleppten. … Der Ruf des Conducteurs: „Clapham road“ erweckte mich aus meinen Träumereien, aber ich verbrachte einen Theil der Nacht, um wenigstens Skizzen dieser Traumgebilde zu Papier zu bringen. So entstand die Strukturtheorie.“ K.s Selbstvertrauen und Selbständigkeit hatten im Umgang mit dem Londoner Gelehrtenkreis sehr gewonnen. Trotz günstiger Angebote konnte er sich nicht für eine Tätigkeit in der englischen Industrie entscheiden und beschloß, an einer deutschen Universität Hochschullehrer zu werden.
Mit diesem Ziel kehrte K. 1855 nach Deutschland zurück. In Heidelberg, wo Bunsen mit großer Schülerschar vorwiegend anorganische und physikalische Chemie betrieb, hoffte er als Organiker einen Hörerkreis zu finden. Die Habilitation fand im März 1856 unter Bunsen statt. Aussicht auf weitere Unterstützung von seiten der Universität konnte nicht gewährt werden. In einer beengten, selbstgemieteten Arbeitsstätte – Bruder Karl half wieder finanziell, das Mobiliar war von der Universität geliehen – versammelte sich eine erlesene Gemeinde junger Chemiker. Etliche kamen später zu Rang und Namen, unter anderem E. Erlenmeyer, Adolf Baeyer, H. Landolt, F. Beilstein, →Lothar Meyer, L. von Pebal, H. E. Roscoe. Mit einer überzeugenden, durchsichtigen Art des Vortrags der geborene akademische Lehrer, begeisterte K. durch seine Vorlesungen und machte die Schüler mit den Theorien Gerhardts und Williamsons vertraut. Wie die Vorlesungsmitschrift eines Hörers aus dem Wintersemester1857/58 ausweist, führte er schon damals seine eigenen graphischen Strukturformeln vor, die erst in seinem „Lehrbuch“ zum Druck kamen.
K.s wissenschaftliches Anliegen war der Ausbau der in London konzipierten Strukturtheorie. Ein zusammenfassendes Manuskript wurde über ein Jahr in eine Schublade verbannt, denn „eines von beiden“, so dachte er, „ist noch nicht reif, entweder die Theorie oder die Zeit“. Erste Andeutungen seiner neuen Ideen brachte er in einer Experimentaluntersuchung „Über die Constitution des Knallquecksilbers“ (Annalen 101, 1857, S. 200-13). Darin wird die Analogie dieser Verbindung und anderer bekannter organischer Körper, unter anderem Chlormethyl CH3Cl, Chloroform CHCl3, Acetonitril CH3-CN, mit dem von ihm hier eingeführten Formeltypus des Sumpfgases CH4 aufgezeigt. Die Vierwertigkeit des Kohlenstoffs wird in dieser Publikation schon implizit behauptet. Zwei theoretische Abhandlungen folgten. Äußerer Anlaß waren in der Literatur auftretende Formulierungen der Sulfosäuren (Limpricht, von Uslar, Mendius), zu denen K. kritisch Stellung nimmt. In der ersten Schrift „Über die so genannten gepaarten Verbindungen und die Theorie der mehratomigen Radicale“ (Annalen 104, 1857, S. 129-50) bezieht sich K. auf „leitende Ideen“ von Williamson und auch auf Odling und verwendet deren Symbolik. In dem Abschnitt „Idee der Typen“ wird eine Einteilung der Elemente nach ihrer Basizität oder Atomigkeit in einatomige (zum Beispiel H, Cl, K), in zweiatomige (zum Beispiel S) und dreiatomige (zum Beispiel N, P, As) vorgenommen. In diesem Zusammenhang wird der Kohlenstoff, allerdings nur in einer Anmerkung, explizit von K. als vieratomiges Element bezeichnet: „Der Kohlenstoff ist, wie sich leicht zeigen läßt und worauf ich später ausführlich eingehen werde, vierbasisch oder vieratomig; das heißt 1 Atom Kohlenstoff = Є = 12 ist äquivalent 4 At. H. Die einfachste Verbindung des Є mit einem Element der ersten Gruppe, mit H oder Cl zum Beispiel ist daher: Є H4 und Є Cl4.“ Zahlreiche Beispiele chemischer Verbindungen, systematisch von einfachen zu komplizierten aufsteigend, werden dann in typischen Formelbildern ausgedrückt. Vor allem soll die Rückführung auf multiple und auf die aus unterschiedlichen einfachen Typen kombinierten „gemischten“ Formeln demonstriert werden. Die multiplen und gemischten Formeln führten von dem ursprünglichen Typengedanken ab und bahnten den Übergang zur Strukturchemie an. In der 2. theoretischen Abhandlung „Über die Constitution und die Metamorphosen der chemischen Verbindungen und über die chemische Natur des Kohlenstoffs“ (Annalen 106, 1858, S. 129-59) nimmt K. Abstand von der Typenlehre. Um die Eigenschaften der chemischen Verbindungen erklären zu können, muß man zurückgehen bis auf die Elemente selbst, die die Verbindungen zusammensetzen. Es sei nicht mehr „Hauptaufgabe der Zeit, Atomgruppen nachzuweisen, die gewisser Eigenschaften wegen als Radicale betrachtet werden können, und so die Verbindungen einigen Typen zuzuzählen, die dabei kaum eine andere Bedeutung als die einer Musterformel haben“. Die Betrachtung muß sich auf die Konstitution der Radikale selbst erstrecken. Aus der Natur der Elemente ist sowohl die Natur der Radikale wie die ihrer Verbindungen herzuleiten. Dazu ist es nötig, sich zunächst eine Vorstellung über die Natur des Kohlenstoffs zu bilden. Die einfachsten Verbindungen des Kohlenstoffs, zum Beispiel CH4, CHCl3, COCl2, CS2 CNH, lassen erkennen, daß ein Atom Kohlenstoff 4 Atome eines einatomigen oder 2 Atome eines zweiatomigen Elementes und so weiter bindet, das heißt die Summe der mit einem Atom Kohlenstoff verbundenen chemischen Einheiten ist gleich 4. „Dies führt zu der Ansicht, daß der Kohlenstoff vieratomig (oder vierbasisch) ist.“ Anschließend geht K. auf die Kettenbildung ein. „Für Substanzen, die mehrere Atome Kohlenstoff enthalten, muß man annehmen, … daß die Kohlenstoffatome selbst sich aneinanderlagern, wobei ein Theil der Affinität des einen gegen einen ebenso großen Theil der Affinität des anderen gebunden wird.“ K. erörtert dann den Fall indirekter Bindung über die Brücke eines mehratomigen Elementes, das nur mit einer Einheit an Kohlenstoff hängt, zum Beispiel C2H5-OH oder C2H5-NH2 Eine große Anzahl organischer Verbindungen gehört dieser Klasse mit „einfachster“ Aneinanderlagerung der Kohlenstoffatome an. Doch gibt es andere, zum Beispiel Benzol und Naphthalin und ihre Abkömmlinge, die Kohlenstoff in „dichterer“ Aneinanderlagerung enthalten. Als Prinzip einer zeitgemäßen Klassifikation wird eine Einteilung nach diesen 3 Klassen, Fettkörper, aromatische Substanzen und Naphthalingruppe, angegeben; Gesichtspunkte von Unterteilungen sind Atomigkeit der Radikale, Vertretung von Wasserstoff im Radikal durch Sauerstoff und die homologen Reihen.
Für die Publikation der neuen Theorie, die im Mai 1858 im Druck erschien, war es höchste Zeit. Unabhängig von K. trat wenige Wochen später der in Paris bei Wurtz arbeitende Schotte A. S. Couper mit dem gleichen Gedanken der Vierwertigkeit des Kohlenstoffs und der Kettenbildung an die Öffentlichkeit. Da er K.s Schriften nicht kannte, erhob er Prioritätsansprüche, die K. widerlegte. Als erster hat Couper in seinen Formeln die Bindungen durch eine Art Striche, nämlich punktierte Linien, symbolisiert. K.s Abhandlungen enthielten damals noch keine graphischen Darstellungen. K.s theoretische Veröffentlichungen machten seinen Namen in Fachkreisen bekannt, und bereits im Herbst 1858 wurde er auf Anregung von J. S. Stas an die Universität Gent berufen. Ein glänzendes und geschickt abgefaßtes Empfehlungsschreiben Liebigs ebnete K. die Wege. Er hat die Erwartungen des Ministeriums, eine zeitgemäße Ausbildung von Chemikern nach Gießener Vorbild aufzubauen, voll erfüllt. Schon in der ersten, in französischer Sprache gehaltenen, durch sorgfältig vorbereitete Experimente belebten Vorlesung brach er den Widerstand der den Ausländer zunächst ablehnenden Studenten. Die ärmlichen Laboratoriumseinrichtungen seines Vorgängers wurden nach seinen Angaben verbessert, bauliche Erweiterungen bewilligt. Während die neuen Praktikumsräume erst 1860/61 gebrauchsfertig wurden, konnten Forschungsarbeiten sofort aufgenommen werden. Mitarbeiter im beengten Privatlabor waren unter anderem Baeyer, bis er 1860 zur Habilitation nach Berlin übersiedelte, G. Ch. Foster, ein Assistent von Williamson, E. Linnemann und H. Hübner, später Herausgeber der von K. mitbegründeten Zeitschrift für Chemie. Hauptthema waren die organischen Säuren, ihre Substitutionsprodukte, Umwandlungen, Isomerieerscheinungen, unter anderem Malein- und Fumarsäure. Einige dieser Arbeiten wurden vor dem Erscheinen in den Annalen erst im Bulletin de l'Académie Royale de Belgique publiziert.
Die Abende waren der Arbeit an einem schon in Heidelberg begonnenen Lehrbuch gewidmet. K. bekennt sich zu Gerhardt und seinem Werk, dessen Systematik „eine Übersichtlichkeit darbietet, wie sie kein anderes System vorher auch nur annähernd erreichte“. (Zeitschrift für Chemie 1, 1858.) Die theoretischen Abhandlungen der Heidelberger Zeit waren eine nützliche Vorarbeit und wurden erweitert und vertieft. Dem Stande der Kenntnisse entsprechend wird das dort vorgeschlagene Einteilungsprinzip gewählt. Die Grundbegriffe, ebenso die Typen, die Radikale, die typischen Formeln mit ihren Erweiterungen, die chemischen Metamorphosen werden mit großer Eindringlichkeit eingeführt und behandelt. Daß bei den häufig auftretenden Reaktionen mit „wechselseitiger Zersetzung“ der „doppelte Austausch“ stets in äquivalenten Mengen stattfindet, wird durch geeignete Klammern an den Umsetzungsgleichungen deutlich gemacht. Erstmalig übergibt K. in sparsamer Weise „graphische Formeln“ dem Druck. Den Atomen werden Kreise oder gestreckte Gebilde zugeordnet, deren Länge der Atomigkeit entspricht. Dies war für K. um so leichter möglich, als er jeder Elementart nur einen Wert der Atomigkeit zugestand. Einfache Verbindungen werden durch Aneinanderlagerung der Atomsymbole dargestellt, darunter auch Kohlenstoffverbindungen mit Kettenbildung, nachdem der Kohlenstoff als vierwertiges, kettenbildendes Element eingeführt ist. Der Gebrauch, den K. von der Kohlenstofftheorie in den nächsten Jahren machte – die Bezeichnung Strukturchemie geht auf A. Butlerow (1861) zurück –, bestand darin, den inneren Bau der Kohlenstoffradikale zu untersuchen und Rückschlüsse auf ihre Basizität zu ziehen. Als Formeln verwandte er in seinem Lehrbuch die erweiterten typischen Darstellungen mit ihrer großen Aussagekraft auch für strukturelle Zusammenhänge. Das „Lehrbuch der organischen Chemie“ (1. Band, 1861) fand starken Widerhall. Es trug wesentlich zur Überwindung der alten|Standpunkte bei. In gleichem Sinne wirkte ein internationaler Chemikerkongreß in Karlsruhe (1860), der auf K.s Initiative stattfand. Dem Chaos, das in bezug auf die Grundbegriffe herrschte, sollte abgeholfen und Übereinstimmung in Symbolverwendung und Formelsprache angestrebt werden, Ziele, die für K. als Verfasser eines Lehrbuches besonderes Gewicht hatten. Kernstück war ein Vortrag von Cannizzaro, der die Bedeutung des Avogadroschen Gesetzes ins Gedächtnis rief und sich für Gerhardts Ausdrucksweise in Atomgewichten aussprach. Ein allmähliches Überschwenken zu den neuen Formen war die Folge. Man beschloß, die durchstrichenen Symbole bis zur völligen Einigung beizubehalten.
Erst nach einer längeren, vor allem durch den Tod der Frau bedingten Unterbrechung setzte K. seine Untersuchungsreihe über organische Säuren fort, unterstützt von seinem Mitarbeiter H. Wichelhaus und von seinem Assistenten Th. Swarts. Anlaß zu theoretischen Erwägungen gaben die ungesättigten aliphatischen Säuren. Wegen ihrer Neigung zu Anlagerungsreaktionen schrieb K. diesen – im Vergleich zu den gesättigten Fettkörpern – „wasserstoffärmeren“ Verbindungen „freie Affinitäten“, von ihm auch als „Lücken“ bezeichnet, zu. Obwohl die von ihm aufgestellten Formeln den Gedanken vom zweiwertigen Kohlenstoff greifbar nahelegten, ging er doch nicht von der Annahme ab, daß jeder Elementart eine und nur eine Atomigkeitsstufe zukäme.
Als besondere Klasse hatte K. in seinem Ordnungsschema die aromatischen Substanzen abgegrenzt. Sie umfaßten das Benzol und seine Verwandten, Verbindungen, die trotz höheren Kohlenstoffgehalts keine Tendenz zu Anlagerungen zeigten. 1865 legte K. eine geschlossene Theorie für diese Klasse vor. Seine Abhandlung „Sur la constitution des substances aromatiques“ veröffentlichte er als Mitglied der Société Chimique de Paris (seit 1859) in deren Bulletin (3, S. 98-110). Ergänzende Beiträge, unter anderem über die Substitutionsprodukte des Benzols, publizierte er – gewohnheitsmäßig – zunächst im „Bulletin de l'Académie Royale de Belgique“ (1865, [2], 19, S. 551-63), ehe er eine durch Experimentaluntersuchungen stark erweiterte Form in den „Annalen“ (137, S. 129-96) erscheinen ließ. Die Konstitution der Benzolkörper wird aus den gemeinsamen Merkmalen ihrer Vertreter erschlossen. Alle aromatischen Substanzen sind an Kohlenstoff verhältnismäßig reicher als die analogen Fettkörper. Auch die einfachsten aromatischen Verbindungen weisen mindestens 6 Kohlenstoffatome auf. Diese Sechsergruppe bleibt bei Umwandlungen erhalten, auch wenn tief eingreifende Reaktionen stattfinden. In den aromatischen Substanzen ist also offenbar ein aus 6 Kohlenstoffatomen bestehender fester Kern anzunehmen. Er enthält diese Atome in dichterer Aneinanderlagerung als die Fettkörper; denn er vermag nur 6 einatomige Elemente oder Radikale zu binden (C6H6). K. entwirft das Modell einer Sechserkette, in der Einfach- und Doppelbindungen sich abwechseln (C = C – C = C – C = C). Ihr kommen 8 freie Verwandtschaftseinheiten zu. Nimmt man an, daß sich die beiden endständigen Kohlenstoffatome durch einen Ringschluß gegenseitig binden, so sind 2 Affinitäten abgesättigt, und es entsteht ein ringförmiger Kern mit 6 freien Verwandtschaftseinheiten. Werden sie durch Wasserstoff abgesättigt, so liegt das Benzol vor. Die Wasserstoffatome können durch andere einatomige Substituenten ersetzt werden, zum Beispiel durch Brom. Unter der durch Experimente nahegelegten Voraussetzung, daß die Orte, die die 6 Wasserstoffatome im Kern einnehmen, gleichwertig sind, ist ein einziges Monobrombenzol zu erwarten, dagegen mehrere Dibrombenzole und so weiter. Isomerien lassen sich danach voraussagen und werden an einem Sechseck mit gekennzeichneten Ecken erläutert. Zwei- und dreiatomige Elemente binden sich nur mit einer Affinität an den Benzolkern, führen also notwendig noch andere Elemente in einer „Seitenkette“ in die Verbindung ein (zum Beispiel C6H5-OH; C6H5-NH2). Werden Radikale von Fettkörpern als Substituenten verwendet (zum Beispiel C6H5-CH3), so entstehen Seitenketten, an denen wiederum alle Reaktionen der Fettkörper vollzogen werden können. Unterschiede in der Bindungsweise sollen sich im Formelbild ausdrücken, zum Beispiel gegenüber C6H5-CH2Cl (Metamorphose in der Seitenkette). Dies bedeutet eine Abkehr von der bisherigen Schreibweise, besonders von Gerhardts „Dreiecksform der typischen Formeln“. Eine Tafel „graphischer Formeln“ ist beigegeben, stellt das Benzol jedoch nicht als Sechsring, sondern als gestreckte Kette dar. Die endständigen Affinitäten sind durch zwei Striche angedeutet, die man zum Ringschluß verbinden müßte. Die Atomigkeit der Elemente ist wieder durch die Länge ellipsenartiger Gebilde, Einfachbindungen sind durch kurze, Doppelbindungen durch längere Berührungsflächen symbolisiert. Ausgezeichnete Mitarbeiter unterstützten K. bei der experimentellen Prüfung seiner Theorie, unter ihnen C. Glaser, W. Körner und A. Ladenburg.
Zwischen der Konzeption und der Veröffentlichung der Theorie bestand auch diesmal ein Zeitraum von mehreren Jahren. Während seiner Junggesellenzeit, also vor September 1862, habe er, so erzählt K. später, abends an seinem Lehrbuch gearbeitet, „aber es ging nicht recht. … Ich drehte den Stuhl nach dem Kamin und versank in Halbschlaf. Wieder gaukelten die Atome vor meinen Augen. Kleinere Gruppen hielten sich diesmal bescheiden im Hintergrund. Mein geistiges Auge, durch wiederholte Gesichte ähnlicher Art geschärft, unterschied jetzt größere Gebilde von mannigfacher Gestaltung. Lange Reihen, vielfach dichter zusammengefügt; Alles in Bewegung, schlangenartig sich windend und drehend. Und siehe, was war das? Eine der Schlangen erfaßte den eigenen Schwanz und höhnisch wirbelte das Gebilde vor meinen Augen. Wie durch einen Blitzstrahl erwachte ich; auch diesmal verbrachte ich den Rest der Nacht um die Consequenzen der Hypothese auszuarbeiten.“ – Die Benzoltheorie, K.s größter Erfolg, war von epochemachender Wirkung. Ein unübersehbar großes Gebiet natürlicher und künstlicher organischer Verbindungen wurde der planvollen experimentellen Forschung erschlossen. Über Konstitutionen, über Isomerien wurde Klarheit gewonnen, der Erfolg von Synthesen ließ sich jetzt leichter abschätzen. Auch die chemische Technik, vor allem die Teerfarben- und Arzneimittelindustrie, verdankte nicht zuletzt der Benzoltheorie ihren kometenhaften Aufschwung. Indessen verdichtete sich seit 1865 die Aussicht auf den zunächst A. W. Hofmann angetragenen Lehrstuhl an der Universität Bonn. Nach dessen Verzicht erging 1887 der Ruf an K., der freudig zusagte. Die Zeit bis zu der mit Ungeduld erwarteten Entscheidung kam wichtigen experimentellen und theoretischen Arbeiten zugute. Die Konstitution des Diazobenzols und seine Umwandlung in das als Anilingelb bekannte Amidoazobenzol durch das „als Ferment“ wirkende Anilin wurde aufgeklärt. K. gelang die direkte Gewinnung des Oxyazobenzols aus Phenol und einem Salz des Diazobenzols. Arbeiten über Bildung und Konstitution der Sulfosäuren brachten das auch für die Technik, zumal für die Gewinnung der Azofarbstoffe, wichtige Ergebnis, auf dem Wege über die Kalischmelze hydroxylierte aromatische Substanzen zu gewinnen. Der 2. Band des Lehrbuches und ein Teil des 3. Bandes wurden noch in Gent zum Druck gebracht. Nach den noch ausstehenden aliphatischen Verbindungen, den Kohlehydraten und den Terpenen und Camphern folgten die aromatischen Substanzen. Die Publikationen seit 1865 leisteten wichtige Dienste als Grundlage. Neben graphischen Formeln in der dort beschriebenen Art taucht erstmalig bei K. ein Sechsring mit Doppelbindungen auf. Doch bleibt die Verwendung von graphischen Darstellungen sparsam. Die Schreibweise der Formeln wird den Erfordernissen der Benzolabkömmlinge angepaßt. Die Fülle des Materials zeugt von den Auswirkungen der Benzoltheorie, die die Chemiker allerorten in Forschung und Technik beschäftigte.
Die Zurückhaltung im Gebrauch graphischer Ausdrucksmittel mag mit den Beschränkungen zusammenhängen, die K. in ihnen sah. Hatte er im 1. Bande seines Lehrbuches zu wiederholten Malen gemahnt, die rationellen Formeln nur als Umsetzungsformeln, aber nicht als Konstitutionsformeln aufzufassen, so hatte er mit noch mehr Nachdruck betont, „daß man die Stellung der Atome im Raum, selbst wenn man sie erforscht hätte, nicht auf der Ebene des Papiers durch nebeneinandergesetzte Buchstaben darstellen kann; daß man dazu mindestens einer perspektivischen Zeichnung oder eines Modells bedarf“. In der Vorlesung dienten ihm zur Veranschaulichung Tetraedermodelle, gefertigt aus unterschiedlich gefärbten Kugeln, je nach Atomigkeit mit Bohrungen versehen und durch Messingverbindungen zusammensetzbar. Diese Modelle mögen van't Hoff, der 1872/73 in K.s Institut in Bonn arbeitete, zu seiner Theorie vom asymmetrischen Kohlenstoffatom angeregt haben. In der Folgezeit wurden von anderen Autoren, besonders in England, räumliche Modelle und ebene Strukturformeln entwickelt, die in der Regel nicht ohne Einwände blieben. Bei der Übersiedlung nach Bonn im Oktober 1867 verblieb K. nur die Inneneinrichtung des nach A. W. Hofmanns Plänen erstellten, großzügig angelegten Institutes, das 1868 eröffnet wurde. Bonn wurde nun Anziehungspunkt für in- und ausländische Studenten. Den Unterrichtsassistenten war große Selbständigkeit auferlegt, da K. besonders in späteren Jahren wenig Zeit für den Praktikumsbetrieb aufbrachte. Für Forschungsarbeiten standen außer Assistenten etliche fortgeschrittene Chemiker, darunter zahlreiche Ausländer, zur Verfügung, die sich unter K. weiterbilden wollten. →Th. Zincke, Schüler von →Wöhler und →Fittig, |→Th.E. Thorpe, →A. P. N. Franchimont, →H. Schrötter, →A. Fleischer, J. dos Santos e Silva, →R. L. Claisen, →J. Bredt, →H. Klinger. Als wichtigste Persönlichkeit kam 1870 →O. Wallach für fast zwei Jahrzehnte an das Bonner Institut. 1875 trat →R. Anschütz in das Institut ein.
Die Bonner Jahre waren vorwiegend der Prüfung und Bestätigung der Benzoltheorie gewidmet. Synthesen neuer Körper, Aufklärung von Konstitutionen und Reaktionsabläufen, kritische Stellungnahmen und Nachprüfungen der Ergebnisse von Fachkollegen (unter anderem Arbeiten über aromatische Säuren, Isatin, Aldehydkondensationen, Triphenylmethan, Anthrachinon, die Camphergruppe) waren jedoch nie Selbstzweck. Noch weniger lag ein Interesse an technischer Ausnutzung vor. „Sobald eine Reaktion theoretisch nichts Neues mehr zu bieten schien, verlor sie für K. jeden Reiz.“ (Anschütz). Lebenslang beschäftigte K. die Frage nach der Konstitution des Benzolkerns. Die 1866 gelungene Synthese des Benzols aus Acetylen (Berthelot) und die von Baeyer bearbeitete Kondensation des Acetons zu Mesitylen, dem Trimethylbenzol, sprachen für den Ring mit 3 Doppelbindungen, für eine Formel, der K. trotz eigener Zweifel unter mehreren Möglichkeiten aus chemischen Gründen immer wieder den Vorrang gab. Andrerseits schien es bedenklich, im festen Benzolkern Doppelbindungen, die in Fettkörpern immer eine schwache Stelle bedeuteten, anzunehmen. Auch resultierte aus K.s Formelbild ein Unterschied zwischen der 1.2-Substitution und der 1.6-Substitution, der sich experimentell nicht ergab. Unter etlichen anderweitigen Vorschlägen, die zum Teil leicht widerlegbar waren, fanden die „Diagonalformel“ von A. Claus und die „Prismenformel“, das heißt ein dreiseitiges Prisma, von Ladenburg viele Anhänger. K.s Plan, durch Kondensation gesättigter und ungesättigter Aldehyde einen seinem Modell entsprechenden Benzolkern schrittweise aufzubauen (Annalen 162, 1872, S. 77-123, 125-50, 309-90) führte zwar nicht zum Ziel. Doch konnte auch keiner der anderen Vorschläge auf die Dauer mehr Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen, und Betrachtungen anderer Autoren, die mit seiner Benzolformel unvereinbar erschienen, konnte K. durch den Nachweis von Fehlern und Trugschlüssen widerlegen. Um das Fehlen zweier unterschiedlicher Substitutionsprodukte in 1.2- und 1.6-Stellung zu erklären, erwog K. eine intramolekulare Bewegung der Atome um eine Gleichgewichtslage, und zwar sollten die Atome „in einer im Wesentlichen geradlinigen Bewegung an einander (anprallen), um sich, als elastische Körper, wieder von einander zu entfernen“. Er glaubt, auf diese Weise der Wertigkeit der Atome eine mechanische Deutung geben zu können, indem er die Verwandtschaftseinheiten in Zusammenhang bringt mit der „Anzahl der Stöße, welche ein Atom in der Zeiteinheit durch andere Atome erfährt“. Auf das Benzolmodell übertragen, bedeutet dies: Dem vierwertigen Kohlenstoffatom kommen in der Zeiteinheit viermal soviel Stöße zu wie dem einwertigen Wasserstoffatom. Nimmt man an, daß das mit 1 bezifferte Kohlenstoffatom im Benzolring in der ersten Zeiteinheit die Stöße 2, 6, h, 2, in der nächsten Zeiteinheit die Stöße 6, 2, h, 6 ausführt (h bedeutet Zusammenstoß mit dem zugehörigen Wasserstoffatom), so ist es abwechselnd mit dem einen, dann mit dem anderen der benachbarten Kohlenstoffatome in doppelter Bindung. Die Formel drückt natürlich nur eine Phase dieses Vorganges aus. Diese später als „Oszillationstheorie“ bezeichnete Vorstellung traf auf Widerspruch, weil sie nicht auf alle organischen Körper übertragbar war. Dennoch behielt K.s Benzolformel die Oberhand und zog in die Lehrbücher ein.
Wissenschaftliche Anregungen bot der Bonner Kollegenkreis. Den Physiker R. Clausius und den Physiologen E. Pflüger gewann K. zu Freunden. Er wurde einflußreiches Mitglied der Bonner chemischen Gesellschaft, die er als besondere Sektion an die Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde anschloß. Nach Liebigs Tod (1873) übernahm K. gleichzeitig mit A. W. Hofmann die Mitredaktion der jetzt „Liebigs Annalen der Chemie“ genannten Zeitschrift, deren Redaktionsgeschäfte seit 1871 E. Erlenmeyer, von 1879 an J. Volhard besorgte. Indessen wuchsen die Belastungen. Ein Erweiterungsbau des Institutes wurde 1873 notwendig. Wöchentlich 8 Stunden Vorlesung, der Unterricht in überfüllten Praktikumssälen, Mitarbeit an Fehlings „Handbuch der Chemie“, Weiterarbeit am Lehrbuch, Verwaltungsgeschäfte, zeitweise als Mitglied des Gemeinderats, ließen ihn mit Publikationen in Verzug kommen. Seit 1874 machte sich eine Überbeanspruchung bemerkbar. Eine Berufung nach München als Liebigs Nachfolger (1875) lehnte K. ab. Eine 2. Ehe (1876) brachte keine Erleichterung. Häusliches Ungemach, Sorgen um Familie und Kindererziehung beeinflußten die wissenschaftliche Tätigkeit auf die Dauer ungünstig. Als Nachwirkung einer Erkrankung an Masern blieb lebenslang eine Anfälligkeit für Katarrhe zurück. Mit zunehmendem Alter stellte sich Schwerhörigkeit ein. Das Amt des Rektors (1877/78, mit dem 60jährigen Stiftungsfest der Universität Bonn) gab K. Gelegenheit, bekenntnishaft zu dem Thema „Die wissenschaftlichen Ziele und Leistungen der Chemie“ Stellung zu nehmen. Diese Antrittsrede (18.10.77) mündet in einer Rechtfertigung der spekulativen Forschung. Von allen Vorstellungen über das Wesen der Materie, das sich jedem direkten Studium entzieht, hat nur die atomistische Hypothese zu einer verständlichen Erklärung der Tatsachen geführt. Davon zeugen zahlreiche Errungenschaften der neueren Zeit, unter ihnen die Theorien vom „chemischen Wert der Atome“ und von der „Verkettung der Atome“ im Sinne der Strukturchemie, die Vorstellung über die räumliche Lagerung der Atome, die auf Molekularattraktion rückführbaren Erscheinungen, die periodisch wiederkehrenden Eigenschaften der Elemente als Funktion ihrer Atomgewichte. Es ist unbestritten, daß der menschliche Geist in der positiven Erkenntnis des Tatsächlichen keine volle Befriedigung findet. Höheres Ziel der Naturwissenschaften ist es, das Wesen der Materie und die ursächlichen Zusammenhänge aller Erscheinungen zu erkennen.
Es traf K. nicht schwer, daß diese Rede die Kritik Kolbes hervorrief, der in Briefen an Kollegen und öffentlich in dem von ihm redigierten Journal für praktische Chemie wegen „grober Styl- und Gedankenfehler“ K. die Gymnasialbildung abzusprechen suchte. Anwürfe Kolbes, in denen in polemischer Form die Typenlehre, die Strukturchemie und erst recht die Stereochemie (van't Hoff) als „leeres Formelspiel“, „leichtfertige Hypothesen“, „unwissenschaftliche Spielereien“, „Verirrungen des menschlichen Geistes“ und so weiter bezeichnet worden waren, hatte K. mehrmals mit Stillschweigen übergangen. 1881 aber entschloß er sich zu Entgegnungen. Kolbe hatte unter dem Druck der Entwicklung selbst in die Bahnen der Typenlehre eingelenkt, indem er die Kohlensäure zum Stammkörper aller organischen Verbindungen erklärt und um 1870 in seiner Formelsprache die Gerhardtschen Atomgewichte anstelle der alten Äquivalentgewichte eingeführt hatte. In seinen letzten Lebensjahren erhob er in einer Aufsatzfolge „Meine Betheiligung an der Entwicklung der theoretischen Chemie“ Prioritätsansprüche auf die Vierwertigkeit des Kohlenstoffs. K. war Prioritätsstreitigkeiten nach Möglichkeit aus dem Wege gegangen. Er wolle grundsätzlich für theoretische Ansichten keine Prioritäten reklamieren, solange es sich irgend vermeiden lasse, schrieb er 1859 an Wurtz. Nach Kolbes letzter Herausforderung verfaßte er zwei historische Skizzen, „Zur Geschichte der Benzoltheorie“ und „Zur Geschichte der Valenztheorie“. Als bester Sachkenner begegnet er mit Scharfsinn den Ansprüchen Kolbes und daran anschließend Ansprüchen Franklands auf die Entwicklung der Valenztheorie. Er weist nach, daß seine beiden Rivalen von Begriffsbildungen und -unterscheidungen, die für die Valenztheorie unerläßlich waren, zur maßgeblichen Zeit noch weit entfernt waren. Überdies spricht auch eine genaue Verfolgung der Publikationsdaten gegen Kolbe. Zum Bedauern von K.s Freunden kamen die druckfertigen Aufsätze nicht zur Veröffentlichung. Auf dringenden Rat von Volhard, dem damaligen Redakteur der Annalen, der neue Streitigkeiten mit Kolbe fürchtete, zog K. die Abhandlungen zurück. Anschütz, der diese Entscheidung für verfehlt hielt, weil das Schweigen K.s Schüler und Anhänger bedrücken und enttäuschen mußte, hat beide Schriften aus dem Nachlaß in voller Länge in seiner K.-Biographie (I, S. 540-69) zum Druck gebracht. 1965 sind beide Aufsätze in einer Monographie erschienen.
K.s Lehrbuch der organischen Chemie blieb zum Bedauern der Fachwelt unvollendet. Die Fortsetzung des 3. Bandes erschien 1882. Anschütz, G. Schultz, K.s Assistent 1876/77, und W. La Costa waren maßgebliche Mitautoren. Eine Weiterführung kam zum Erliegen, da Schultz die Mitarbeit einstellte und La Costa starb. Eine Um- und Neugestaltung des gesamten Werkes, dessen bisherige Form wegen des ständig anwachsenden Stoffes nicht aufrechtzuerhalten war, lehnte K. ab. Höhepunkt von Ehrungen für K. war das 1890 von der Deutschen Chemischen Gesellschaft veranstaltete „Benzolfest“ in Berlin. Am Vortage der Feier lieferte K. auf einer regulären Sitzung der Gesellschaft einen einstündigen Bericht über die Konstitution des Pyridins. Der Vortrag wurde von K. nicht mehr zu Papier gebracht, sondern von Anschütz postum veröffentlicht. Auf dem Festakt im Berliner Rathaus würdigte K.s Schüler A. Baeyer die Verdienste seines Lehrers. Den Gedanken, daß die Atome des Kohlenstoffs Ringe bilden können, habe die Erfahrung nicht nur bestätigt, sondern auch gezeigt, daß diese ringförmigen Gebilde in der organischen Natur die größte Bedeutung haben. In dem Gebäude der von K. geschaffenen Strukturchemie bilde die Benzolformel den Schlußstein. Somit feierten die versammelten Scharen zu Ehren des kühnen Architekten das „Richtfest der Strukturchemie“. In der anschließenden autobiographischen Rede sucht K. die Ovationen aufs rechte Maß zurückzudämmen. Die Benzoltheorie sei nur eine Konsequenz der Valenz- und Strukturtheorie. Gewisse Ideen lägen zu gewissen Zeiten in der Luft. Wenn der eine sie nicht auspreche, tue es kurz nachher ein anderer. Ein Bericht von seinen „Träumereien“ legt Art und Zeitpunkt fest, die für seine Konzeptionen maßgeblich waren. Ursprünglich Schüler von →Liebig, sei er zum Schüler von →Dumas, →Gerhardt und →Williamson geworden. Dieser Umstand und ein unwiderstehliches Bedürfnis nach Anschaulichkeit, das er mit dem früheren Architekturstudium in Verbindung bringt, seien offenbar die Ursache, daß die umherschwirrenden Ideen gerade in seinem Kopfe geeigneten Boden fanden. In den 80er und 90er Jahren wurde K.s Zeit in wachsendem Maße durch Gutachten und Schiedssprüche in Anspruch genommen. Land- und Forstwirtschaft beschwerten sich über Schädigungen durch chemische Betriebe. Vor allem aber gaben die Erfindungen der organisch-chemischen Industrie Anlaß zu Patentstreitigkeiten. Fand K. auch mehrfach sachkundige Unterstützung, besonders durch den ebenfalls zugezogenen H. Caro von der Badischen Anilin- und Sodafabrik, so gaben doch seine scharfsinnigen und klaren Stellungnahmen häufig den Ausschlag. Als Jahrzehnte nach K.s Tode der Sechsring und der ebene Bau des Benzolmoleküls sich bestätigten und die Stabilität des Kerns quantenmechanisch begründet wurde, bewunderte die Nachwelt K.s Weitblick, sein konstruktives Denken, sein sicheres Abwägen im Wechselspiel zwischen Theorie und Erfahrung. Im Andenken seiner Schüler blieb er nach A. von Baeyers Worten der hinreißende Lehrer, der seine ganze Gefolgschaft durch seine lebhafte Persönlichkeit und seinen funkelnden Geist beherrschte und ein einheitliches System der organischen Chemie begründet und mit der Begeisterung eines Propheten der Welt verkündet hat.[1]

Tod

August Kekule von Stradonitz verstarb am 13. Juli 1896 und wurde auf auf dem Poppelsdorfer Friedhof am Abhang des Kreuzberges bei Bonn beigesetzt. Sein Grabdenkmal trägt in roten schwedischen Granit eingelassen ein von dem Bonner Universitätsbildhauer Professor Küppers modelliertes ausgezeichnetes Bronzerelief, das die Züge des gealterten Gelehrten auf das treuste wiedergibt.

Familie

August Kekulé wurde als Sohn einer Darmstädter Beamtenfamilie mit adeligen böhmischen Vorfahren geboren. Sein Vater Ludwig Karl/Carl Emil Kekule (1773–1847), der sich noch ohne „é“ schrieb, war Oberkriegsrat und Rosenzüchter. Seine Mutter war Marie Margarethe, geb. Seyb (1793–1852).

1862 heiratete Dr. Kekulé seine Verlobte Stephanie Alexandrine Drory (1842–1863) – Tochter von George William Drory (1800–1879) und der Stéphanie Marie Drory van Aken (1811–1897) aus Gent –, die im Kindbett zwei Tage nach der Geburt des Sohnes Stephan verstarb. 1876 heiratete er seine Hausangestellte Luise Högel (1845–1920), aus dieser Ehe sind weitere drei Kinder (ein Sohn und zwei Töchter) entsprossen. Als 1895 im Deutschen Reich der alte böhmische Adel anerkannt wurde, konnte sich die Familie Kekule von Stradowitz nennen.

Auszeichnungen und Ehrungen (Auszug)

  • Ehrenmitglied der Turnerschaft im Vertreterconvent Cimbria Bonn (heute Bonner Turnerschaft im CC Cimbria-Istaevonia)
  • 1868 Dr. med. h. c. zum 50jährigen Jubiläum der Universität Bonn
  • 1877/78 Rektor der Universität Bonn
  • 1885 Copley-Medaille der britischen Royal Society
  • 1889 Huygens-Medaille der Holländischen Gesellschaft der Wissenschaften
  • 1890 Preußischer Kronen-Orden, II. Klasse
  • 1890 Bayerischer Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst
  • 1892 in die National Academy of Sciences gewählt
  • 31. Mai 1893 Aufnahme in den Orden „Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste
  • 1893 in die American Academy of Arts and Sciences gewählt
  • 27. März 1895 durch Diplom Seiner Majestät dem Kaiser und König Wilhelm II., der als Prinz Wilhelm im Sommersemester 1878 bei Kekulé Experimentalchemie gehört hatte, wurde der ausländische Adel unter dem von seinen böhmischen Vorfahren geführten Namen „Kekule von Stradonitz“ nebst dem überkommenen Wappen anerkannt und erneuert.
  • Das Universitätsinstitut für Organische Chemie und Biochemie (heute in Bonn-Endenich angesiedelt) wurde ihm zu Ehren „Kekulé-Institut“ benannt.
  • An der Technische Universität Darmstadt ist der Haupt-Hörsaal des Fachbereichs Chemie nach ihm benannt.
  • 2010 wurde der Asteroid (13254) Kekulé nach ihm benannt.

Schriften (Auswahl)

Literatur

Verweise

Fußnoten