Quelle / Belgische Staatskrise

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Quelle
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Belgien befindet sich seit den Parlamentswahlen vom Juni 2007 im Zustand einer chronischen Regierungskrise. Es handelt sich um die längste Regierungskrise in der Geschichte des seit 1830 existierenden belgischen Staates. Seit über einem Jahr versucht Yves Leterme als Chef der flämischen Christdemokraten, ein handlungsfähiges Kabinett zusammenzubringen und mit diesem eine Reform des beinahe lahmgelegten belgischen Gesamtstaates herbeizuführen. Nach neunmonatiger Blockade gelang es Leterme im März 2008, eine Fünfparteienkoalition aus Christdemokraten und Liberalen beider Sprachgruppen sowie den wallonischen Sozialisten und auf die Beine zu stellen. Bereits im Juli kam dann das Aus für die Regierung, da man sich nicht auf eine Verfassungsreform einigen konnte. König Albert II. lehnte das Rücktrittsgesuch ab. Leterme wurde mit weiteren, bis heute anhaltenden Koalitionsverhandlungen betraut.

Die Frage der Verfassungsreform wurde allerdings an ein Gremium abgegeben, dem u.a. die Ministerpräsidenten Flanderns und Walloniens, Kris Peeters und Rudy Demotte, angehören. Dieses Gremium ist bislang nicht funktionstüchtig, da die personelle Zusammensetzung umstritten ist. Die Wallonen fordern die Einbeziehung des Ministerpräsidenten der zweisprachigen Sonderregion Brüssel, Charles Picqué, was von den Flamen mit Nachdruck abgelehnt wird. Auf das Problem Brüssel werden wir gleich zurückkommen. Für Unmut in Flandern sorgte eine Entscheidung des belgischen Königs: Eine Troika sollte die flämische Seite kompromissbereit stimmen und Vorschläge der Frankophonen ausloten. Die französische Schlagseite der belgischen Krone zeigt sich darin, dass dem Trio zwei wallonische Politiker und der Ministerpräsident der deutschen Autonomieregion angehören, aber kein einziger Flame.

Weiter erschwert wurde die Situation, als die in Flandern mit den Christdemokraten koalierende nationalliberale Neue Flämische Allianz NVA ihren Ausstieg aus den Koalitionsverhandlungen erklärte und den Gang in die Opposition ankündigte. Damit steht ebenso die amtierende flämische Regierung unter Peeters (Christdemokraten) zur Disposition. Gemeinsam hätten in Flandern die in den letzten Jahren stark in Richtung des flämischen Nationalismus gerückten Christdemokraten, die NVA, die rechtspopulistische Liste Dedecker und der politisch geächtete Vlaams Belang übrigens eine knappe, aber ausreichende Regierungsmehrheit. Ohnehin zeugt es von einem etwas seltsamen Demokratieverständnis, im Gegensatz zu sämtlichen demokratischen Gepflogenheiten mit dem VB die stärkste politische Kraft der Region von der Regierungsverantwortung auszuschließen.

Im Hintergrund der Krise stehen Streitigkeiten zwischen den französischsprachigen Wallonen und den niederländisch sprechenden Flamen im Norden des Landes, die etwa 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Das Flämisch-Niederländische wurde erst 1873 als Unterrichtssprache anerkannt, aber die Diskriminierung nahm im Grunde erst mit der Regionalisierung Belgiens Anfang der 60er Jahre ein Ende. Weitere Wunden riss die brutale Verfolgung flämischer Nationalisten nach den beiden Weltkriegen durch die frankophon orientierte Zentralregierung.

Beide Seiten ringen um mehr Einfluss. Viele Flamen fordern mehr Zuständigkeiten für ihre Region und wollen vor allem im Bereich der Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik mehr Entscheidungen auf regionaler Ebene treffen. Die französisch sprechenden Belgier in Brüssel und der strukturschwachen Wallonie befürchten wiederum Nachteile, wenn die zentralen Einrichtungen des Staates geschwächt werden. Nach jahrzehntelanger ökonomisch-politischer Dominanz Walloniens hat sich seit den 60er Jahren das Gewicht innerhalb Belgiens verlagert: Die Schwerindustrie und der Bergbau Walloniens erlebten einen weitgehenden Niedergang, während sich umgekehrt im flämischen Norden eine moderne Dienstleistungsgesellschaft etablierte, die zudem mit Antwerpen einen der wichtigsten europäischen Häfen als ökonomisches Rückgrat hat. Heute erbringt das einst als unterentwickelt und provinziell verlachte Flandern 57 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (Wallonien 25 Prozent, der Rest entfällt auf die Region Brüssel). Wallonien hingegen kämpft mit einer Arbeitslosenquote von 18 Prozent, und statistisch gesehen zahlt Flandern für jeden Wallonen täglich 2,50 Euro an Transferleistungen. Genau dieser „Länderfinanzausgleich“ soll in flämischen Augen drastisch reduziert, wenn nicht ganz abgeschafft werden. Zeichnet die politische Landschaft Flanderns sich durch einen ausgesprochenen politischen Rechtsdrall aus, so dominieren in Wallonien nach wie vor die Sozialisten.

Die Konfliktparteien konnten sich wie gesagt nicht auf eine Umverteilung von Kompetenzen des belgischen Zentralstaates auf die Regionen einigen. Der Hauptstreitpunkt ist jedoch der zweisprachige Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde (BHV), der wie gesagt rund 20 Prozent des BIP erbringt. Nur hier kandidieren wallonische wie flämische Parteien. Hatte die Landeshauptstadt noch 1910 beinahe ausgeglichene Anteile von Flamen und Frankophonen, so erfolgte seitdem eine massive Verdrängung des flämischen Elements. Flämische Parteien erhalten in BHV mittlerweile nur noch um die 15 Prozent der Wählerstimmen. Infolge des Niederganges der Brüsseler Stadtbezirke zogen in den letzten Jahrzehnten vermehrt Frankophone in die flämisch dominierten Landgemeinden. In flämischen Kreisen ist vom „Ölfleck“ Brüssel die Rede, von dem ausgehend der flämische Charakter des Umlandes unterminiert wird. Infolge der ethnischen Veränderungen mussten bereits in einer Reihe von Gemeinden Sonderregelungen getroffen werden, die den Wallonen eine sprachlich-kulturelle Gleichstellung sichern.

Von flämischer Seite, und zwar von beinahe allen Parteien, wird vehement eine Aufteilung von BHV gefordert. Als Kernstück der Verfassungsreform gilt den Flamen folgende Neuregelung: Der Wahlkreis soll entlang der Grenzen zwischen den Regionen Flandern und Wallonien geteilt werden. Vorgesehen ist die Abtrennung der Arrondissements Halle-Vilvoorde und Löwen (unter dem Namen Flämisch-Brabant), die wie Brüssel eigenständige Wahlkreise werden sollen. Beide Regionen sollen wie BVH als zweisprachig definiert werden. Damit würde sich die Anzahl der belgischen Regionalparlamente vergrößern, von denen es bisher vier gibt: Flandern, Wallonien, Brüssel und die „Deutschsprachige Gemeinschaft“ (als Autonomieregion innerhalb Walloniens). Folge der Neuordnung wäre jedoch, dass die frankophonen Bewohner in Flämisch-Brabant infolge der erdrückenden flämischen Bevölkerungsmehrheit politisch absolut marginalisiert wären und nicht einen einzigen eigenen Parlamentskandidaten durchbekommen würden. Zudem würden die rund 125.000 betroffenen Frankophonen ihre sprachlich-kulturellen Sonderrechte verlieren. Durch Abtrennung des flämischen Umlandes hätten allerdings auch die in Brüssel verbliebenen Flamen mit entsprechenden Nachteilen zu rechnen.

Diese Aufteilung von BHV wird von den französischsprachigen Parteien rundweg abgelehnt, womit wieder die Selbstblockademechanismen der belgischen Verfassung greifen, die wichtige Abstimmung nur auf föderaler Ebene zulässt. Die Flamen wiederum wiesen einen wallonischen Gegenvorschlag zurück, der die durch Zuzug mehrheitlich frankophon gewordenen Gemeinden der Region Brüssel zuschlagen würde. Damit würde die Landeshauptstadt durch einen „Sprachkorridor“ mit Wallonien verbunden werden.

In Flandern grassiert mittlerweile offene Diskriminierung frankophoner Bevölkerungsteile, was der Regionalregierung unlängst eine geharnischte Rüge des Europarates einbrachte. In manchen Gemeinden ist auf öffentlichen Märkten der Handel in französischer Sprache verboten. In Schulen und Kindergärten setzt es mitunter Strafmaßnahmen, wenn die Kinder ihre eigene Muttersprache sprechen. In den mehrheitlich frankophon gewordenen, aber offiziell zu Flandern gehörenden Gemeinden kommt es zu heftigen Konflikten, wenn im Gemeinderat oder im Wahlkampf verbotenerweise Französisch gesprochen wird. Umgekehrt ist die wallonische Seite bemüht, ihre Mitspracherechte für eine Blockadepolitik gegenüber jeglicher Forderung aus Flandern einzusetzen. Für Furore sorgte im Dezember 2006 eine Aktion des staatlichen Fernsehsenders RTBF, der in den Abendnachrichten die Unabhängigkeitserklärung Flanderns und die Flucht des belgischen Königs ins Exil verkündete. Bezeichnenderweise nahm die Mehrheit der „Belgier“ die Nachricht für bare Münze. Die strikte Trennung zwischen Flamen und Wallonen hat mittlerweile dazu geführt, dass die einstmals weit verbreitete Zweisprachigkeit in weiten Landesteilen der Vergangenheit angehört: Die belgische Jugend verständigt sich in solchen Fällen auf Englisch, da man einander nicht mehr versteht.

Der Druck auf dem flämischen Dampfkessel wächst immer weiter an. Viele Christdemokraten, Vlaams Belang, die mit den Nationalisten wetteifernde rechtspopulistische Liste Dedecker (eine NVA-Abspaltung), die NVA und Teile der Sozialdemokraten fordern mit Nachdruck eine Staatsreform. Flämische Unternehmerkreise sind einer erweiterten Autonomie oder gar einer Abspaltung nicht abgeneigt, da eine rechtsgerichtete flämische Regionalregierung mit erweiterten Kompetenzen eine neoliberale Politik durchsetzen und die Macht der Gewerkschaften brechen könnte. Die flämischen Sozialisten wiederum fordern Neuwahlen, wobei angesichts der aufgeheizten Stimmung ist mit weiteren Zugewinnen für VB, NVA und Liste Dedecker zu rechnen. Angesichts einer seit 15 Monaten anhaltenden Dauerkrise und der faktischen Handlungsunfähigkeit der belgischen Zentralregierung muteten für viele Beobachter die Worte des belgischen Königs am 178. Jahrestag der offiziellen Ausrufung des Königreiches als ungutes Omen an: „Wir müssen neue Wege des Zusammenlebens finden.“

In seiner gegenwärtigen Gestalt ist Belgien jedenfalls nicht mehr lebensfähig.

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