Bierce, Ambrose

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Ambrose Gwinnett Bierce (Lebensrune.png 24. Juni 1842 im Meigs County, Ohio; Todesrune.png 1914 mutmaßlich in Chihuahua, Mexiko) war ein US-amerikanischer Schriftsteller und Journalist. Er gilt neben E. A. Poe als früher Meister der amerikanischen Kurzgeschichte. Seine Werke sind gekennzeichnet durch bissigen Humor, makabre Inhalte und präzise Beschreibungen psychischer Ausnahmesituationen.

Leben

Herkunft und Karrierebeginn

Ambrose Bierce, der Sohn eines Farmers im US-Bundesstaat Ohio, lief mit 15 Jahren von zu Hause weg. Als Freiwilliger in einem Pionierbatallion der Unionsarmee im Bürgerkrieg wurde er mehrfach verwundet und ausgezeichnet. Er geriet in Gefangenschaft, konnte sich aber selbst befreien. An einer Expedition durch Indianer-Territorium 1866 nahm Ambrose Bierce als Landvermesser teil. Er wurde danach Journalist in San Francisco und stieg im Hearst-Pressekonzern bald zum national bekannten Hauptstadt-Korrespondenten zunächst in London, dann in Washington D.C., auf.

Tod in Bürgerkriegswirren

1913 begab sich der 71jährige nach Mexiko, mitten in die Mexikanische Revolution hinein, weil er sein wollte, „wo etwas los ist, oder wo überhaupt nichts los ist“. Ende 1913 soll er noch einmal in Durango gesehen worden sein; man nimmt an, daß er 1914 im Gefolge des Revolutionärs Pancho Villa in den Wirren des mexikanischen Bürgerkriegs umgekommen ist.[1] Bierces letzter erhaltener Brief begründete die Vermutung, daß er damit rechnete, standrechtlich erschossen zu werden.

Vielen seiner Zeitgenossen galt Bierce als Menschenfeind. Andere schrieben ihm unverstellte Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft zu. Sein privates Leben im reifen Alter war überschattet von schwerem Asthma, dem Tod beider Söhne, einer gescheiterten Ehe und Alkoholproblemen.

Werke

Als genauer Kenner der politischen Sitten, hatte Bierce eine denkbar schlechte Meinung vom Berufsstand des Politikers. Er wurde früh zu einem pointiert geistreichen Beobachter mit Blick für die zynische Seite aller Phraseologien. Zu Lebzeiten blieb er als bedeutender nationaler Schriftsteller weitgehend unbeachtet. Das änderte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg.

Klassiker der Aphoristik

Heute sind vor allem seine mustergültigen Kurzgeschichten gängige Schulbuchlektüre in englischsprachigen Ländern. Bei nicht historisch interessierten Lesern ist er berühmt für seine zynisch-witzigen Definitionen aus „The Devil's Dictionary“, die zwischen 1881 und 1906 entstanden. Diese sind am ehesten vergleichbar mit Lichtenbergs berühmten „Sudelbüchern“ oder mit dem Dialogstil in Oscar Wildes Stücken.

Eine Sonderstellung innerhalb der aphoristischen Literatur nehmen die Arbeiten von Ambrose Bierce dadurch ein, daß er das Stilmittel der ironischen Definition zur höchsten Höhe führt. Bierce definiert also: „Zukunft: Jene Zeit, da unsere Geschäfte gedeihen, unsere Freunde treu sind und unser Glück gewiß.“[2] Eine solche aphoristische Definition kann auf den ersten Blick fast harmlos wirken. Seine Verfahrenweise der mechanischen Umkehrung von Sinngehalten ist ja sogleich offenkundig, und sie steht — als rhetorisches Werkzeug — grundsätzlich etwa auch schlechten Bierzeltunterhaltern zur Verfügung. Sobald man sich jedoch auf die Lektüre vieler Biercescher Definitionen einläßt (z.B. definiert er den Begriff „Selbstachtung“ mit dem Begriff „Fehleinschätzung“),[3] stellt sich heraus, daß diese Texte eben nicht auf der Suche nach dem Kalauer sind, sondern daß sie desillusionieren wollen – und genau dies auch bewirken.

Als religiöse Lehrmeinung — etwa einer buddhistischen Schule —, die Menschen auffordert, sich zu lösen vom ihrem naiven, schwachen und unsinnigen „Verhaftetsein“ den Dingen und falschen Erwartungen gegenüber, haben ganz ähnliche Anschauungen auf geborene Optimisten in aller Regel keine sonderliche Wirkung. In dieser literarischen Form aber, in der Ambrose Bierce eine sehr ähnliche Einstellung gegenüber der Alltagserfahrung wirklich durchhält, muß auch dem typischen amerikanischen Lebenskünstler, in Augenblicken wenigstens, klar werden, wie probehaft, wie unsicher und wie fragwürdig viele seiner entschiedenen Alltagsbekenntnisse doch in Wahrheit sind.

Klassiker der satirischen Groteske

Selbst in lexikalischen Werken kann man mitunter die falsche Behauptung lesen, Ambrose Bierce sei — gemeinsam mit Edgar Allan Poe und H.P. Lovecraft — als Erfinder der modernen Horrorliteratur anzusehen. Bierce und Poe, sowie Lovecraft, haben jedoch, außer dem Umstand, amerikanische Autoren zu sein, keine literarische Verwandtschaft miteinander. Während Poe Gruselgeschichten konstruierte (und Lovecraft die magische Fiktion kultivierte), bediente Ambrose Bierce sich schauriger Bilder, um Wesenszüge menschlicher, wirtschaftlicher und politischer Kultur satirisch darzustellen.

In der Kurzgeschichte „Hundeöl“ — in der Sammlung „Mein Lieblingsmord“ — beispielsweise, beschäftigt ein gewissenloser Ölproduzent seinen Sohn damit, streunende Hunde einzufangen, um sie zu Öl zu verarbeiten. Die Nebenbeschäftigung der Mutter besteht aus dem illegalen Abtreiben von ungewollten Kindern. Diese entsorgt der Sohn über längere Zeit, bis er eines Tages einer dieser Föten in den Kochkessel für die Hundeölherstellung entsorgt. Entgegen seinen Befürchtungen wurde das Öl damit nicht etwa verdorben, sondern vielmehr in seiner Qualität so verbessert, daß ihn seine Eltern nun damit beauftragten, erst weitere Föten auf diese Weise zur Ölproduktion zu verwenden und später sogar Bewohner der Umgebung dafür zu beschaffen. Diese Geschichte erfährt ein jähes Ende durch die gegenseitige Ermordung der Eltern (der Vater springt samt Mutter in den Ölkessel); der Sohn trauert darüber, daß das einst so kommerziell erfolgreiche Unternehmen so ein tragisches Ende nahm. Bei dieser Short Story geht es — typisch für Erzählungen von Bierce — also gerade nicht um Schauereffekte zur Unterhaltung des Lesers, sondern um die überspitzte Darstellung der Skrupellosigkeit gewisser Geschäftsmodelle der industriellen Frühzeit.

Literarhistorisch besteht hier deshalb eine enge Verwandtschaft zu den Meisterwerken eines Jonathan Swift und damit zur Tradition der satirischen Groteske, die Ambrose Bierce zu drastischen Texten führt.

Nachwirkung

Der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes schrieb ein Buch über Ambrose Bierce, „Gringo Viejo“ (Der alte Fremdling), eine romanhafte Schilderung über sein spurloses Verschwinden. Dieses wurde später mit Gregory Peck in der Titelrolle verfilmt (Old Gringo, 1989). Die Rolle des Schriftstellers im dritten Teil des Films „From Dusk Till Dawn“ ist ebenfalls Bierce nachempfunden.

Die Kurzgeschichte Ein Vorfall an der Owl-Creek-Brücke scheint Filme wie Tanz der toten Seelen (Carnival of Souls) (1962), Jacob's Ladder (1989), The Sixth Sense (1999) und Yella (2007) inspiriert zu haben. Diese Kurzgeschichte ist ein Extrembeispiel für das Auseinanderklaffen von erzählter Zeit und Erzählzeit, da sie die wenigen Sekunden eines Erhängten zwischen dem Fall und dem Genickbruch ausdeutet.

Zitate

  • Sprache: Die Musik, mit der wir die Schlangen beschwören, die einen fremden Schatz bewachen.
  • Dozent: Einer, der seine Hand in deine Tasche, seine Zunge in dein Ohr und seine Hoffnung in deine Geduld steckt.[4]
  • Ehe: Weiblicher Kniff zur Durchsetzung des Schweigens, wobei eine Frau den guten Ruf eines Dutzends weiterer Frauen hütet. Zustand oder Befindlichkeit einer Gemeinschaft, die aus einem Herren, einer Herrin und zwei Sklaven besteht, insgesamt also aus zwei Personen.[5]
  • Gottlosigkeit: Dein Mangel an Ehrfurcht gegenüber meiner Gottheit.[6]
  • Opiat: Offene Tür im Gefängnis der Identität; führt in den Gefängnishof.[7]
  • provozieren: Einem Mann ins Gesicht sagen, sein Vater sei Politiker gewesen.[8]
  • Unglaube: Am weitesten verbreitete der großen Weltreligionen.[9]
  • Ein Spezialist ist ein Experte, der von immer weniger immer mehr weiß, bis er schließlich von nichts alles weiß.
  • Sterblichkeit: Der uns bekannte Teil der Unsterblichkeit.

Literatur

Primärliteratur

  • Werke in vier Bänden, hg. von Gisbert Haefs, Haffmans Verlag, Zürich 1986–1989
  • Aus dem Wörterbuch des Teufels [The Devil’s Dictionary], Marix Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-86539-262-6
  • Tales of Soldiers and Civilians (1891)
  • The Monk and the Hangman's Daughter (1892) [dt.: Der Mönch und die Henkerstochter, Bertelsmann-Buchclubausgabe ohne Jahrgang und ohne noch ihne ISBN].
  • Can Such Things Be? (1893)
  • Fantastic Fables, satirische Skizzen 1899 (dt.: Phantastische Fabeln, 1963)
  • Twilight Stories [Langenscheidt Vlg. – ISBN 3-468-44014-6]
  • One of the Missing [AirPlay-Entertainment Vlg. – ISBN 3-935168-02-0]
  • Mein Lieblingsmord [Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. – ISBN 3-518-22205-8]
  • Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen [Claassen Verlag, Hildesheim – ISBN 3-546-00042-0]
  • Ein Mann mit zwei Leben [btb/Goldmann Verlag, München – ISBN 3-442-72403-1]

Sekundärliteratur

  • Lawrence I. Berkove: A prescription for adversity. The moral art of Ambrose Bierce. Columbus: Ohio State Univ. Press 2002, ISBN 0-8142-0894-0
  • Cathy Notari Davidson: The experimental fictions of Ambrose Bierce. Structuring the ineffable. Lincoln: University of Nebraska Press 1984, ISBN 0-8032-1666-1
  • Robert L. Gale: An Ambrose Bierce companion. Westport, Conn. u.a.: Greenwood Press 2001, ISBN 0-313-31130-7
  • Hans Gerhold: Medientransfer. Kurzgeschichten in Kurzfilmen. Der Civil war und seine künstlerische Verarbeitung dargestellt an den Short stories von Ambrose Bierce und ihren filmischen Adaptionen von Robert Enrico. Münster: Lit-Verlag 1983, ISBN 3-88660-062-9
  • Mary Elizabeth Grenander: Ambrose Bierce. New York: Twayne 1971. [= Twayne's United States authors series; 180]
  • Roy Morris: Ambrose Bierce. Allein in schlechter Gesellschaft. Biographie. Zürich: Haffmans Verlag 1999, ISBN 3-251-20286-3
  • Joe Nickell: Ambrose Bierce is missing and other historical mysteries. Lexington: The University Press of Kentucky 1992, ISBN 0-8131-1766-6
  • Richard O'Connor: Ambrose Bierce. A biography. London: Gollancz 1968
  • Vincent Starrett: Ambrose Bierce. Neuausgabe der ersten Auflage, Chicago 1920. Port Washington u.a.: Kennikat Press 1969

Fußnoten

  1. Ambrose Bierce: Des Teufels Wörterbuch. Haffmans-Verlag, Zürich, 1986, ISBN 3251200259; Nachbemerkung des Übersetzers Gisbert Haefs, S.130
  2. Ambrose Bierce: Aus dem Wörterbuch des Teufels [The Devil’s Dictionary], Marix Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-86539-262-6, S.150
  3. Ambrose Bierce: Aus dem Wörterbuch des Teufels [The Devil’s Dictionary], Marix Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-86539-262-6, S.118
  4. Wörterbuch, S. 30
  5. Wörterbuch, S. 33
  6. Wörterbuch, S. 58
  7. Wörterbuch, S. 93
  8. Wörterbuch, S.101
  9. Wörterbuch, S.135