Denk ich an Deutschland in der Nacht ...

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Denk ich an Deutschland in der Nacht ...“ ist der Beginn des Gedichts Nachtgedanken des jüdischen Schriftstellers Heinrich Heine, das dieser im Jahr 1843 schrieb.

Heute wird der Gedichtanfang häufig verwendet, um tatsächlich oder vermeintlich negative Zustände in Deutschland zu kritisieren. Tatsächlich geht es in den Nachtgedanken aber sehr konkret darum, daß der in Paris lebende Heine seine betagte Mutter, Betty Heine, schon zwölf Jahre nicht mehr gesehen hatte.

Text

Quelle
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Nachtgedanken

Denk ich an Deutschland in der Nacht,

Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen,
Und meine heißen Tränen fließen.

Die Jahre kommen und vergehn!
Seit ich die Mutter nicht gesehn
Zwölf Jahre sind schon hingegangen;
Es wächst mein Sehnen und Verlangen.

Mein Sehnen und Verlangen wächst.
Die alte Frau hat mich behext,
Ich denke immer an die alte,
Die alte Frau, die Gott erhalte!

Die alte Frau hat mich so lieb,
Und in den Briefen, die sie schrieb,
Seh’ ich wie ihre Hand gezittert,
Wie tief das Mutterherz erschüttert.

Die Mutter liegt mir stets im Sinn,
Zwölf lange Jahre flossen hin,
Zwölf lange Jahre sind verflossen,
Seit ich sie nicht an’s Herz geschlossen.

Deutschland hat ewigen Bestand,

Es ist ein kerngesundes Land,
Mit seinen Eichen, seinen Linden,
Werd’ ich es immer wiederfinden.

Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wär;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.

Seit ich das Land verlassen hab’,
So viele sanken dort in’s Grab,
Die ich geliebt – wenn ich sie zähle,
So will verbluten meine Seele.

Und zählen muß ich – Mit der Zahl
Schwillt immer höher meine Qual,
Mir ist als wälzten sich die Leichen
Auf meine Brust – Gottlob! sie weichen!

Gottlob! durch meine Fenster bricht
Französisch heit’res Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.

Quelle: Heinrich Heine. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, Hoffmann und Campe, Bd. 2, S. 129f. (Heinrich-Heine-Portal)