Der Mantel (Gedicht)
Der Mantel ist ein Gedicht des deutschen Schriftstellers Gerd Honsik.
Text
- Abschied von Onkel Fidel.
- Nach dem Bericht des Nachtportiers Graf Alexander Palffy.
- 1. Teil – Alexander
- War schäbig auch sein Anzug anzusehn,
- er selbst ein Männchen – unansehnlich klein,
- so konnt’ er doch als Edelmann bestehn,
- auch wenn’s nach Fusel roch und rotem Wein.
- Die achtzehntausend Hektar, die verloren,
- die dreißig Güter alle, die verspielt,
- schienen entrückt. Und nach der Art der Toren
- pflegt er zu lächeln – gütig und beglückt.
- Mild blieb sein Lächeln, wenn ihm aufgetragen
- die Hausknechtsarbeit wurde, Nacht für Nacht.
- Nur einmal, als ein kleiner Hund geschlagen,
- ist jäh der Ritter in ihm aufgewacht.
- Er warf dem Täter furchtlos sich entgegen:
- Der Muselman erschrak und wich und schwieg.
- Ein Don Quichotte – nur ohne Roß und Degen –,
- genoß er damals, fauchend, seinen Sieg.
- Auf stiegen Bilder mir aus fernen Tagen:
- Sah seine Ahnen reiten für das Reich.
- Sah sie im Sturm den Doppeladler tragen
- am fernsten Wall des alten Österreich.
- Und dachte, wie Graf Palffys Reiter stießen
- in schwerster Stunde zu des Kaisers Reihn,
- und hör’s von Wien her, wie Kartaunenschießen
- und hunderttausendfaches „Allah“-Schrein.
- Und einen greisen Grafen seh ich neigen
- sich an das Ohr der jungen Kaiserin
- um rettend schnell – zu Preßburg – aufzuzeigen,
- wie zu gewinnen wär’ der Ungarn Sinn.
- Und in des Habsburgreiches letzten Wehen
- seh, für Franz Joseph haltend Totenwacht,
- ich einen Palffy treu und einsam stehen
- für seinen Kaiser in der finstern Nacht.
- Hat dieses Land kein bessres Los gefunden
- für solchen edlen Ungarnfürsten Sproß?
- Ich stamm’ von Kutschern! Doch in manchen Stunden
- fühl ich die Schuld an ihm bedrückend groß.
- Die hohen Herrn, die ihm seither befahlen,
- dünken sich hocherhaben und gerecht,
- doch in der Haltung, in den Gesten allen,
- da blieben Krämer sie und blieben Knecht.
- Und alle Tugenden, die Männer preisen,
- er trug sie mühelos in sich vereint.
- Doch er verbarg sie. Wollte nichts beweisen.
- Nur dann und wann bewies er sich dem – Freund.
- Und eines Tags, da hat er mir berichtet,
- wie er von Onkel Fidel Abschied nahm,
- und wie der Edle damals ward gerichtet.
- Sein Lächeln wich – für Bitternis und Gram.
- 2. Teil – Alexanders Bericht
- In jenen Tagen, da das Reich gefallen,
- in Bombenhagel und Tatarenflut,
- da riß es mit die treuesten Vasallen
- in einem Strudel von Gewalt und Blut.
- Zwar – Onkel Fidel war die Flucht gelungen,
- er hatte Salzburg glücklich schon erreicht,
- doch hat ein Wort ihn dann zurückgezwungen:
- „Es ist kein echter Palffy, wer entweicht.“
- Die alte Mutter war’s, die ihn beschworen:
- „Beweise ihnen, daß du schuldlos bist.“
- Er ging nach Budapest und war verloren
- als Exminister, Edler und Faschist.
- Ich schlief mit meinem Vater in dem Stalle,
- wo unsre Rosse einstens eingestellt.
- Der Pöbel zechte oben in der Halle
- in dieser auf den Kopf gestellten Welt.
- Da hörten Kolben wir auf Bohlen krachen
- und schreckten hoch aus unserm Bett von Stroh:
- Im Morgengrauen harrten unsrer Wachen
- und brachten uns die Nachricht, kalt und roh:
- „Ihr Bruder hat noch vierundzwanzig Stunden,
- sein Todesurteil sprach das Volksgericht.
- Ein Grund zur Gnade wurde nicht gefunden.“
- Sie schrien es meinem Vater ins Gesicht.
- Da brachen auf wir zu dem schweren Gange.
- Ich hielt mich mühsam an den Krücken fest
- und Schmerz trieb Schweiß mir über Stirn und Wange:
- Die Wunde aus der Schlacht um Budapest!
- Und Vater tauschte seinen Diamanten
- für eine Thermosflasche voll Kaffee
- (bei einem Juden, den uns Freunde nannten)
- nach langem Feilschen, gnadenlos und zäh.
- Dann sind vor Onkel Fidel wir gestanden,
- ade zu sagen ihm für alle Zeit.
- Wir quälten uns, auf daß wir Worte fanden,
- und haben uns vor deren Klang gescheut.
- Nach dem Kaffee da langte nun der Posten:
- Er müsse prüfen, ob nicht Gift drin wär.
- Er setzte an und fuhr dann fort zu „kosten“,
- bis schließlich bald die halbe Flasche leer.
- Als er sie endlich Onkel Fidel reichte,
- da goß ihm der den Rest ins Angesicht:
- „Die letzte Sünde, eh ich morgen beichte!
- Mit Schweinen trinken Grafen Palffy nicht.“
- Der Posten wagte nicht, sich drum zu rächen
- und Onkel Fidel warf mit schneller Hand –
- wie’s Ungarnsitte sonst bei frohem Zechen –
- das Trinkgefäß aufbrausend an die Wand.
- Und als bezähmt er seines Zornes Beben,
- da hat er Gruß um Gruß durch uns bestellt,
- an die, die ihn begleitet durch sein Leben.
- So nahm er sorgsam Abschied von der Welt.
- Bis schließlich er sein karges, letztes Eigen,
- das er besaß, bedacht an uns verschenkt.
- Wir zwangen mühsam uns dazu zu schweigen,
- aus Angst, ein Einwand hätte ihn gekränkt.
- „Den Ring, den sollt ihr meiner Mutter geben.
- Du, Bruder Stefan, nimmst die Uhr von Gold.
- Und hast du Hunger, tausch’ für Brot sie eben.
- Ihr mögt das Bißchen nützen, wie ihr wollt.“
- So fuhr er fort, verteilend seine Habe.
- „Hier das Rasierzeug und die Lederschuh!“
- Für jeden hatt’ er eine kleine Gabe.
- „Die Stiefel, Alexander, die nimmst du!“
- Doch plötzlich hielt er inne im Verschenken,
- fast schien er mir verlegen und verschämt.
- „Den Mantel brauch’ ich. Sollt mir’s nicht verdenken!“
- (Ein gutes Stück, mit teurem Fell verbrämt.)
- „Doch wißt, wenn sie mich morgen werden führen,
- den letzten Weg, durch all der Gaffer Reihn,
- ist’s mir nicht recht, müßt’ ich die Kälte spüren!
- Denn sollt’ ich zittern, würd’s den Pöbel freun.
- Die solln nicht glauben, daß aus Angst ich bebe!
- Ich fürcht’ die Kugel nicht, die mir bestimmt.
- Laßt mir den Mantel drum, solang ich lebe,
- auch wenn ihn morgen sich ein andrer nimmt.“
- Der Pöbel kam und johlte, grölte, höhnte!
- Wie gut, daß er den Mantel nicht verschenkt!
- Doch statt der Kugel, die bestimmt er wähnte,
- ward langsam er an einem Pfahl erhängt.