Die Materialschlacht

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Die Materialschlacht ist der Titel einer Veröffentlichung Ernst Jüngers in der Ausgabe vom 18. Januar 1925 des Blattes „Der Stahlhelm“.

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Die Geschichte des Krieges schreitet fort mit der der Völker; alle Ausdrucksmöglichkeiten einer Kultur werden hier in eine düstere, heroische Sprache übersetzt. Jeder friedliche Fortschritt stellt zugleich eine kriegerische Möglichkeit dar, der Stil einer Epoche offenbart sich in einer Schlacht ebenso klar, wie in einem Kunstwerk oder in dem Gesicht einer Stadt. Daher ist kein Krieg wie der andere, in jedem wird in neuen Formen und mit neuen Mitteln um neue Ziele gekämpft, und in jedem tritt ein neuer Menschenschlag auf die blutige Bühne des Geschehens.

So stellte sich auch im letzten Kriege ein für den verhältnismäßig kurzen Zeitabstand ungeheurer Unterschied zwischen der Struktur unserer Zeit und der unserer Großväter heraus, die 1870 zu Felde zogen. Im Aufmarsch hochentwickelter Industriestaaten gegeneinander wurden die Heere und ihre Machtmittel massenhafter und intensiver zugleich, der Wettlauf von Produktion, Organisation und differenzierter Arbeitsteilung wurde auf den Kampf übertragen, und so bildete sich die Form der Materialschlacht heraus, die für diesen Krieg typisch ist, und die in ihrer Eigenart vielleicht nie wieder in die Erscheinung treten wird. Denn der Siegeszug der Maschine war ein so überraschender und explosionsartiger, daß die eigene Schöpfung über den Menschen hinauswuchs, der ihr gegenüberstand wie der Zauberlehrling, der die durch ihn selbst in Bewegung gesetzten Kräfte nicht mehr zu bändigen weiß. Wie im Frieden die Maschine die wirtschaftlichen, sozialen und staatlichen Bindungen und Schichtungen verändert und weite Gebiete der Kultur verwüstete, ohne daß man diesen Wirkungen Einhalt zu tun wußte, so schuf sie auch im Kriege eine Form der Schlacht, die den Menschen unter seinen eigenen Mitteln zu erdrücken schien, und ein Gefühl der Sinnlosigkeit in seiner Seele hervorrief, von dem wohl jeder alte Materialkämpfer zu berichten weiß. Und wie die Fabrik das Handwerk und seine Eigenart zu vernichten drohte, so schien auch in einer irrsinnigen Flut des Materials alles Glänzende und Heldische zu versinken, das einem gesunden männlichen Gefühl von jeher den Kampf als eine stolze Probe der Kraft und als die prächtigste Äußerung des Lebens einer unmittelbaren Vernichtung gegenüber erscheinen ließ. Denn überall. wo die Masse mit ihren Mitteln auftritt, verlieren die besonderen Gefühle an Wert, und in der Materialschlacht ist die Ritterlichkeit ebensowenig mehr zu Haus wie die Romantik im maschinenmäßig geebneten Gewühl einer modernen großen Stadt.

Die Entfaltung von Masse und Material trat nicht gleich zu Anfang des Krieges hervor. In den ersten großen Bewegungsschlachten gab die Maschine noch nicht den Ausschlag. Erst als die Staaten ihre volle Kraft in das große Unternehmen gesteckt hatten, erst als man zu erkennen begann, daß nicht zwei bis drei große Entscheidungsschläge, sondern eine systematische Verwendung und Ausbeutung der vorhandenen Energien mit Zielen auf weite Sicht zum Siege führen konnte, bekam die Schlacht ihr neues und eigenartiges Gepräge. Erst als man begann, die großen Programme aufzustellen, alle Kräfte und Einrichtungen des Staates untereinander zum Endzweck der Gewalt zu verzahnen, trat die besondere Art, in welcher der moderne Mensch an den Orten des blutigen Austrages auftritt, klar hervor. Sie deutete sich an in der wütenden Offensive auf Verdun und wurde historisch in den unvergeßlichen Kämpfen an der Somme.

Auf diesen Feldern, auf denen sich hunderttausende von jungen, ausgesuchten Männern begegneten, hinter denen der ganze verzweigte Apparat moderner Großstaaten fieberhaft arbeitete, zeigte sich, daß der Mensch der Maschine noch nicht gewachsen war. Keiner von jenen Männern – und fast jeder alte Frontsoldat zählt zu ihrer Schar – wird je den Eindruck vergessen, mit dem die Erlebnisse dieser Zeit die Seele belasteten. Schon der erste Anmarsch gegen die weithin sichtbaren Feuerwände, gegen ein Getöse, das mit jedem Schritte vernichtender wurde, rief die zweifelnde Frage wach, wie es überhaupt möglich wäre, daß in diesem höllischen Tumult ein lebendes Wesen existieren könnte. Und dann, während eines wochenlangen Aufenthaltes in einem Gelände, dessen Verwüstung alle Schrecken übertraf, die die zügelloseste Phantasie ersinnen konnte, wurde es jedem klar, daß er inmitten einer Landschaft stand, die die Welt noch nie gesehen hatte und wohl auch nie wieder sehen würde. Diese Landschaft war von einer Eintönigkeit, wie sie nur die Maschine hervorbringen kann, hier hatte dieselbe Kraft, welche die unendlichen, mit Motorpflügen bestellten Weizenfelder Nordamerikas und die grauen Fabrikstädte der Steinkohlenbezirke hervorgebracht hatte, ihre Übersetzung in die mechanische Vernichtung erfahren. Und jeder junge Mensch, der mit großen und farbigen Vorstellungen hinausgezogen war, erkannte in dieser Umgebung, daß er selbst diesem Prinzip unterworfen war. In diesem Chaos verschwand die kühne Einzeltat, hier wurde das Leben durch immer neue und wütendere Feuerstürme gesiebt und wieder gesiebt und das Überlebende durch brutale Einbrüche hundertfach überlegener Massen überschwemmt. Und wenn auf wenigen, der mechanischen Einwirkung entronnenen Inseln der Mensch sich auch schlug, wie er sich wohl niemals geschlagen hat, so war das ein Protest der seelischen Kraft gegen die Maschine, der uns immer mit Begeisterung erfüllen wird, der aber geschichtlich nicht von Bedeutung war. So rollten diese gewaltigen Schlachten ab als eintönige Erscheinungen des Materials, und schon ihr Endergebnis, der Gewinn oder Verlust weniger Quadratkilometer zerstampften Geländes und einiger Dörfer, die nur noch dem Namen nach existierten, deutete darauf hin, daß hier hauptsächlich eine Messung mechanischer Gewalten, eine Wägung von Munitionsmengen das Wesentliche war, bei der auch der Mensch nur als Masse in Frage kam. Und doch verdanken wir diesen Schlachten einen neuen Menschenschlag, eine härtere und kühnere Rasse, an alles Furchtbare gewöhnt durch den Aufenthalt in einer Landschaft, in der nur eiserne Herzen aushalten konnten. ohne zu verzagen. Und es schadet nichts, daß hier unsere Jugend gelernt hat, den Wert des menschlichen Lebens gering zu achten, der im Zeitalter des Materialismus eine lächerliche Überschätzung erfahren hatte. Wohl hatte das Material sich übermächtig erwiesen, aber den Geist hatte es nicht zerstören können.

Wie der Mensch, zuerst den Gewalten der Natur unterworfen, sich im Laufe seiner Geschichte eine immer größere Herrschaft über sie zu erringen wußte, so begann er auch schon in den letzten Abschnitten dieses Krieges mit dem Versuch, sich über das Material zu erheben, indem er versuchte, die reine Masse beweglicher zu machen, sie zu vergeistigen und sich wirklich zum Herrn der Kräfte zu erheben, die in seine Hand gegeben waren. Er schuf eine neue Taktik, eine neue Verwendung der Fernwaffen, und vor allem bildete sich eine neue Generation, die den Geist des modernen Menschen auch auf die Schlacht zu übertragen verstand. So bietet schon die Doppelschlacht bei Cambrai ein neues, beweglicheres Bild, dessen Züge dann in den deutschen Offensiven des Jahres 1918 und in dem französischen Angriff bei Reims klar zu erkennen sind. Es tritt eine ganz andere Methodik hervor, rollende Maschinen und beweglichere Massen haben sich ihr angepaßt. Natürlich spielt das Material auch hier seine mächtige Rolle, aber es ist doch wieder zum Werkzeug geworden, zu einem Werkzeug, wie es unserer Zeit entspricht, bei dem schon die größere Feinheit und innere Verbindung der größeren Masse sich gegenüberstellt. Noch sind nur die Anfänge dieser Entwicklung festzustellen, es hängt von Gange der Geschichte ab, wann und wie sie sich fortsetzen werden. Aber die Materialschlacht in dem Sinne, in dem wir sie durchkämpfen mußten, gehört für immer der Vergangenheit an. Wir wollen hoffen, daß das Land auch in Zukunft immer eine Jugend besitzen möge, stets bereit, mit allem, was sie ist und hat, mit der ganzen Persönlichkeit, der seelischen Kraft und dem Arsenal von Machtmitteln, das ihrer Zeit entspricht, sich einzusetzen, wenn der Ruf ergeht. Und wir wollen auch hoffen, daß es dann gelingt, in höheren ausgebildeteren Formen des Kampfes das zu erreichen, was uns zu erreichen noch nicht möglich war.

Quelle: Ernst Jünger: Die Materialschlacht, in: „Der Stahlhelm“, 18. Januar 1925