Quelle / Der Gefangene des Kreml (1942)
Der Gefangene des Kreml ist ein Aufsatz Joseph Goebbels’ vom 23. August 1942.
Wir machen Mr. Churchill keinen Vorwurf daraus, daß er in seinem Verhältnis zum Bolschewismus seit dem 22. Juni 1941 aus einem Saulus ein Paulus geworden ist. Zwar hatte er vom Beginn der Sowjetunion an bis zu diesem Tage zu den glühendsten Hassern der Moskauer Lehre und Praxis gehört und keine Gelegenheit versäumt, über ihr den publizistischen Bakel zu schwingen, zwar wurde er mit dem Eintritt der Sowjetunion in den Krieg gegen die Achsenmächte fromm wie ein Lamm, verbrannte alles, was er vorher angebetet und betete alles an, was er vorher verbrannt hatte, aber was macht ein Mann seines Kalibers sich schon daraus! Er gehört nicht zu jenen Politikern, die sich den Luxus einer charakterfesten Haltung leisten, und wenn es darauf ankommt, wechselt er wie ein Chamäleon seine Farbe. Und im übrigen ist England zurzeit nicht in der Situation, um sich seine Freunde und Alliierten nach der Gleichartigkeit der politischen und sittlichen Anschauung zu wählen. Mr. Churchill steht einfach vor dem Dilemma, wie der Vogel im Sprichwort, zu fressen oder zu sterben. Er mag sich wohl auch darauf hinausreden, daß es im Kriege ein reiner Glücksfall ist, wenn Bundesgenossen neben ihren gemeinsamen Interessen wie bei uns auch gemeinsame Ideale vertreten. Kurz und gut: Wer wirft den ersten Stein auf ihn?
Das ist auch nicht das Ausschlaggebende. Politik und Kriegführung gehorchen im allgemeinen nicht den Grundsätzen bürgerlicher Moral, sondern vielmehr denen der reinen Zweckmäßigkeit. Es steht deshalb nicht zur Debatte, wie Mr. Churchill sich moralisch, sondern wie er sich politisch verhalt, das heißt in diesem Falle, ob sein Zusammengehen mit dem Bolschewismus auf die Dauer dem britischen Empire mehr Nutzen oder mehr Schaden gebracht hat und noch bringen wird. Es kann nicht bestritten werden, daß England seit Beginn dieses Krieges neben schwersten Einbußen militärischer und machtpolitischer auch solche prestigemäßiger Art erlitten hat, die sich vielleicht einmal viel verhängnisvoller als jene auswirken werden. Es ist nicht mehr die Weltmacht, als die es sich gern aufspielen möchte. Zur See hat es einen großen Teil seines weitreichenden Einflusses an die USA., zu Lande an die Sowjetunion abgeben müssen. Es hat zwar durch sein Verfahren, andere Völker für sich den Krieg führen zu lassen, an Blut gespart, aber in eben demselben Maße an Leben verloren.
Dieser Prozeß ist durch sein Zusammengehen mit dem Bolschewismus eher beschleunigt als verlangsamt worden. Es ist das an einer Reihe von Symptomen festzustellen, die dem Mann von der Straße in London heute zwar in der Not und im Drang der Stunde nicht auffallen, die England jedoch in normalen Zeiten in Raserei versetzt haben würden, und deshalb, weil daraus ohne viel Mühe zu ersehen ist, daß die britische Regierung und Kriegführung nicht mehr Herr ihrer eigenen Entschlüsse ist, sondern in den wichtigsten und ausschlaggebenden Fragen von außerenglischen Kräften unter Druck gesetzt und zu entscheidenden Handlungen, und seien sie auch noch so töricht und kurzsichtig, gezwungen werden kann.
Wir wollen schweigen von den schimpflichen Begleiterscheinungen eines solchen Zustandes der politischen Gefangenschaft. Als Mr. Churchill kürzlich seinen Besuch in Moskau machte – überhaupt der erste Besuch, den ein britischer Premier der russischen Hauptstadt je abstattete – und nach tagelangem anstrengendem Flug anlangte, fand er auf dem Flugplatz zu seinem Erstaunen nur untergeordnete sowjetische Persönlichkeiten zu seinem Empfang bereitstehen. Das Reuter-Büro machte die Sache noch schlimmer, indem es zur Entschuldigung hinzufügte, Stalin sei nicht gekommen, weil er im Kreml zu tun gehabt habe. Man stelle sich die Peinlichkeit der Situation vor, die offenbar von den Sowjets als offene Brüskierung gemeint war, um den Herren Engländern sehr drastisch vor Augen zu führen, daß ihr Premier nicht, wie die Londoner Blätter in ihrer Naivität glauben machen wollten, als Fordernder, sondern als Bittender kam.
Mr. Churchill suchte diese Peinlichkeit durch eine seiner bekannten Clownerien zu überbrücken und erhob die Hand grüßend mit zu einem „V“ gespreiztem Zeige- und Mittelfinger, und das sollte nach englischem Zeremoniell Victoria heißen. Die auf dem Flugplatz versammelten bolschewistischen Würdenträger aber verstanden das mit Absicht falsch und behaupteten nicht ganz ohne Witz, das habe eine Zwei bedeutet und heiße soviel wie zweite Front. Sie traten das auch noch zu allem Überfluß in ihren Zeitungen breit, um Mr. Churchill gleich zu Beginn seines Besuches dahin zu belehren, daß er nicht hoffen dürfe, die Sowjets durch seine bekannten Märchen von ihren berechtigten Forderungen ablenken zu können.
Er mußte nun unter den Klängen der Internationale die Front einer Abteilung der Roten Armee abschreiten, um dann vier Tage von Stalin und seinen Spießgesellen in die Mache genommen zu werden. Man brauchte dabei nicht Mäuschen zu spielen, um zu wissen, was ihm bedeutet worden ist. Er hatte anfänglich die Absicht, den Sowjets klarzumachen, daß eine zweite Front im Augenblick nicht errichtet werden könne; statt dessen aber ist ihm klargemacht worden, daß eine solche unerläßlich notwendig sei und vom Kreml kategorisch gefordert werde. Alle seine Überredungskünste und gewundenen Erklärungen nutzten ihm offenbar nichts. Er wurde unter Druck gesetzt, sein Versprechen, das er allerdings unter ganz anderen Voraussetzungen beim Besuch Molotows in London gegeben hatte, zu halten und baldigst wahr zu machen. Stalin ist sicherlich nicht der Mann, der mit sich spaßen läßt, und im übrigen befinden sich die Sowjets in einer so katastrophalen Lage, daß ihnen gar nichts anderes übrigbleibt, als von England Entlastung zu fordern, koste sie, was sie wolle.
Die britischen Zeitungen suchten nach Churchills Besuch in Moskau den Eindruck zu erwecken, als sei ihr Premier dort sozusagen als Ankläger gegen den sowjetischen Botschafter in London, Maisky, aufgetreten, der ihm durch ziemlich dreiste Anzapfungen in Richtung zweite Front die Straße rebellisch macht und dadurch erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Davon kann natürlich gar keine Rede sein. Die englischen Kommunisten agitieren auf Maiskys Geheiß auch nach Churchills Besuch in Moskau in Versammlungen und mit Plakaten in erhöhtem Umfang für die zweite Front, und die britische Regierung muß sich zähneknirschend dareinfügen. Sie sitzt zwischen zwei Stühlen: einerseits weiß sie so gut wie wir, daß der Versuch der Errichtung einer zweiten Front nur mit einem politischen und militärischen Selbstmord zu vergleichen ist; andererseits wird sie von der Straße in London deshalb in den Bauch und vom Kreml in den gegenüberliegenden Körperteil getreten.
In einem solchen Dilemma befand sich Mr. Churchill, als er zu dem Wahnsinnsunternehmen von Dieppe schritt. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß er es wider bessere Einsicht einmal versuchen wollte und die Amerikaner, Kanadier und de Gaullisten vorschickte, um den ärgsten Schreiern eine Lektion zu erteilen. Er bestreitet heute, eine Invasion großen Stils versucht zu haben; es sei nur ein Experiment gewesen, um Erfahrungen zu sammeln. Diese Erfahrungen sind mit 2095 Gefangenen, 28 zerschossenen Panzern, 127 verlorenen Flugzeugen und einer ganzen Menge von Kriegs- und Transportschiffen, die jetzt auf dem Grunde des Kanals ruhen, sehr teuer bezahlt.
Mr. Churchill hat bei Beginn des Unternehmens sicherlich gehofft, es könnte vielleicht doch ein Wunder geschehen und ein Erfolg eintreten, an den er selbst nicht glauben wollte. Das Wunder ist natürlich ausgeblieben. Die Invasionstruppen wurden innerhalb neun Stunden, wie auch die Engländer zugeben müssen, aus Europa hinausgefegt. Sie haben zweifellos einen Versuch zur Errichtung der zweiten Front gemacht. Aber wie wir vorausgesagt haben, ist auch der Versuch strafbar. Daß sie sich mehr, als sie erreichten, vorgenommen hatten, wird durch die Tatsachen erwiesen, insbesondere aber auch durch die guten Wünsche, die die britische und USA.-Presse dem Unternehmen mit auf den Weg gab, als es anfing. Daß diese an seinem schmählichen Ende den Spieß umdrehte, aus dem englischen Mißerfolg einen Erfolg und aus einem Rückzug einen Sieg machte, kann uns nach der bisherigen Londoner Praxis auf diesem Gebiet nicht wundernehmen. Die Beweise, die sie für ihre abnorme These anführt, sind wahrhaft bemitleidenswert. Daß das Unternehmen gelungen sei, könne man daraus ersehen, daß es pünktlich, wie geplant, nach neun Stunden abgebrochen werden konnte. Wären die Invasionisten nach sechs oder zehn Stunden hinausgefeuert worden, dann hätten die Engländer zweifellos, wie man sich leicht ausrechnen kann, sechs oder zehn Stunden geplant gehabt. Und hätten sie sich an der Kanalküste wider Erwarten festsetzen können, dann hätte vermutlich das in ihrem Plan gelegen. Man wird uns nachfühlen können, daß wir bei der Widerlegung solcher Stupiditäten das Bedürfnis empfinden, zu gähnen. Es ist zu dumm.
Die Kanadier, die nach der Flucht aus der Hölle von Dieppe nach England zurückkehrten, sahen aus wie erfrischte Riesen, meldete Radio London. Es ist bekanntlich die Eigenschaft von Riesen, erfrischt auszusehen. Und das breite Lächeln, das ein britischer Kommentator in den kritischen Stunden auf dem Antlitz Englands entdeckt haben will, ist mittlerweile auch dem Ausdruck einer hilflosen Verlegenheit gewichen. Die Demonstranten, die sich bei Bekanntwerden der ersten Nachrichten von Dieppe in den Straßen der amerikanischen und kanadischen Städte zu Festumzügen versammelten, haben ihre Stiefelsohlen umsonst strapaziert. Ihre Gesänge waren noch nicht verstummt, da befanden sich die tapferen Invasionssoldaten schon zerrissen und blutend in deutscher Gefangenschaft oder bedeckten als Leichen den Strand von Dieppe oder flüchteten, um einige Erfahrungen reicher, wieder nach Englands sicherem Boden zurück. „Die Alliierten haben mit diesem Angriff das Ziel verfolgt, die Moral der sowjetischen Truppen zu unterstützen“, meldete der Sender New York. Er drückte etwas unklar das aus, was wirklich gemeint war: daß nämlich Mr. Churchill in Moskau gezwungen worden ist, etwas zu tun, wenn nicht von seiten der Sowjets etwas Schlimmeres passieren sollte, und daß er mit verzogenem Gesicht in den sauren Apfel beißen mußte.
Wir brauchen nicht mehr zu wiederholen, was wir von der zweiten Front und ihren Möglichkeiten und Aussichten halten. Das ist so ausgiebig geschehen, daß wir uns nur wiederholen könnten. Unsere früheren Prognosen sind bei dem Unternehmen bei Dieppe vollauf bestätigt worden. Wir brauchen davon nichts zurückzunehmen und nichts mehr hinzuzufügen. Wir fühlen uns nur veranlaßt, einen Zustand aufzuzeigen, der für England ebenso gefährlich wie demütigend ist. Die britische Politik und Kriegführung befindet sich seit Churchills Besuch in Moskau vollends im Schlepptau der Sowjets. London ist nicht mehr Herr seiner Entschlüsse. Wenn es im Kriege schon mißlich ist, die Regierung unter den Druck der eigenen Straße zu setzen, wie verheerend muß es dann erst sein, sie den Erpressungen eines fremden Landes, und dazu noch der Sowjetunion, auszuliefern.
Mr. Churchill ist der Gefangene des Kremls. Am 22. Juni 1941 wurde aus dem Antibolschewisten ein Freund der Sowjets. Bei seinem Besuch in Moskau wurde er ihr Werkzeug. Er hat sich zwar im Laufe des Krieges vom Unterhaus emanzipiert, trägt nun aber das Joch des Bolschewismus, das von Tag zu Tag drückender wird. Er muß nach der Pfeife der Sowjets tanzen. Er versucht die zweite Front nicht, wenn er das für zweckmäßig und durchführbar hält, sondern wenn der Kreml das befiehlt. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Und da über all seinen Entschlüssen die Erhaltung seiner Machtstellung steht, schreckt er auch nicht davor zurück, Menschenleben in beliebiger Zahl einzusetzen und zu opfern für ein Unternehmen, das nur dem Zwang oder dem Wahnsinn entsprungen sein kann.
Es war einigermaßen belustigend, in der vergangenen Woche zu beobachten, wie die englische Presse jeden Tag eine neue Entschuldigung für das katastrophal mißglückte Unternehmen von Dieppe fand. Einmal war es tatsächlich eine Invasion, dann nur der Versuch dazu, dann ein Experiment und dann ein Raid, um Erfahrungen zu sammeln. Einmal war es eine See-, einmal eine Luftschlacht und einmal eine Landoperation. Man sieht an diesen schwankenden Angaben, wie unsicher sich die britischen Kommentatoren fühlen. Mittlerweile hat sich nun auch, wie wir erwartet hatten, in London der Katzenjammer eingestellt, und mehr und mehr wird man sich auch hier klar darüber, daß es wahrscheinlich doch eine Pleite gewesen sein muß. Als die ersten Nachrichten von dem britisch-amerikanischen Unternehmen kamen, haben wir zwar geschwiegen, aber innerlich triumphiert. Wir wußten nur zu genau, daß wir noch am selben Tage den totalen Zusammenbruch der Aktion würden melden können. Mit größter Genugtuung haben wir in den darauffolgenden Stunden beobachtet, wie die Engländer sich nicht nur militärisch, sondern auch publizistisch zurückzogen. Am Abend blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Verlautbarung des OKW. kommentarlos wiederzugeben. Das tun sie immer, wenn sie solche Schläge bekommen haben, daß sie sich genieren, sie selbst einzugestehen.
Wenn ein Narr bei Sonnenschein behauptet, es regnet, und darauf bestehen bleibt, so tut man gut daran, ihm nicht mit logischen Beweisen zu kommen. Die Sonne beweist sich selbst. Wenn die Engländer nach einer grauenvollen Niederlage von einem Sieg sprechen und stumpfsinnig dabei verharren, so soll man sie in Ruhe lassen. Auch ein Sieg beweist sich selbst.
Mr. Churchill muß Stalins Befehle ausführen. Er sucht sich dabei vor dem englischen Volk ein Alibi zu verschaffen. Uns kann das kalt lassen. Die rächende Nemesis wird ihn doch eines Tages ereilen. Wer vom Bolschewismus frißt, der stirbt daran. Auch Dieppe war dafür nur ein Beweis mehr.