Reutlinger Geiselmorde

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Als Reutlinger Geiselmorde ging die willkürliche Erschießung im April 1945 von vier Reutlinger Bürgern in die Geschichte ein. Anlaß für die Exekutionen war der Tod eines französischen Besatzungssoldaten. Daß der französische Soldat an Reutlingens Grabenmühle wirklich das Opfer eines Anschlags geworden ist, wird heute bezweifelt. Unzweifelhaft ist dagegen, daß die Erschossenen mit seinem Tode bestimmt nichts zu tun hatten und demnach dafür auch nicht verantwortlich waren. Eine wesentliche Mitschuld traf den Oberbürgermeister Kalbfell (SPD).

Opfer

Als Geiseln wurden von Maquis-Truppen der 1. Französischen Armee erschossen:

  • Oberfeldarzt der Reserve Dr. Wilhelm Egloff (fünf Kinder),
  • Schreinermeister Jakob Schmid (sieben Kinder)
  • Schriftleiter Ludwig Ostertag (sieben Kinder)
  • Bautechniker Wilhelm Schmid.

Vorgeschichte

Oskar Kalbfell war beim Einmarsch der Franzosen Verantwortung am 20. April 1945 dem Kampfgruppenlärm entgegengegangen und hatte sich in Bretzingen kapitulierend auf den Kommandopanzer geschwungen. Als Kopfbürge für eine ungestörte Besetzung der Stadt wurde er kommissarischer Landrat und Oberbürgermeister. Dem tat auch der Umstand keinen Abbruch, daß am 21. April doch auf die Franzosen geschossen wurde. Der Werwolf bezahlte dafür mit annähernd hundert Gefallenen.

Hergang

Der Tod des französischen Soldaten an der Grabenmühle hatte noch zur Nacht Verhaftungen zur Folge. Morgendliche Vorsprachen beim Kommandanten Ma Rouché, später Professor der Germanistik in Bordeaux, und die Fürsprache des Soldaten Georges, der als Kriegsgefangener in Reutlingen gewesen war und sich nun für die Inhaftierten verwandte, bewirkten die Freilassung der ersten Verhafteten. Dafür wurden dann von französisch-deutschen Hilfskommandos die Erschossenen eingebracht. An Hand einer Geiselliste. Auf dieser in Maschinenschrift verfaßten Liste standen u. a. der frühere Oberbürgermeister Dr. Dederer, der Architekt Klonk und der Prokurist Wiesenpfad. Da sie jedoch zu Hause nicht angetroffen wurden, konnten sie auch nicht mitgenommen und nicht erschossen werden. Die Liste enthielt aber auch die Namen des Schriftleiters Ostertag und des Bautechnikers Schmid. Man traf sie an und nahm sie mit. Den Oberfeldarzt Dr. Egloff, Leiter der Lazarette in und um Reutlingen, hatte man schon tags zuvor einbestellt gehabt. Den Schreinermeister Schmid inhaftierte man, als er in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Sarggenossenschaft bei Kalbfell vorsprach und um einen Lkw zum Sargtransport für die Werwolf-Opfer bat.

Hinrichtung

Den Arzt Dr. Egloff hat man mit der Rot-Kreuz-Binde auf der Uniform, den Verwundeten Wilhelm Schmid in seinen Verbänden auf Reutlingens "Schönem Weg" vor das Peloton gestellt. Helmut Holzer aus Essen erhielt, aus einem KZ kommend, den PKW Egloffs.

Nachher hatten die Gemeindediener den Kommandanturtext anzuschlagen: "Ein französischer Soldat ist in Reutlingen in der Nacht vom 23. auf den 24. April ermordet worden. Die Verantwortlichen wurden erschossen. Der Gemeinde wurde eine Geldstrafe von 200.000 Mark auferlegt." Sie klebten die Plakate gerade zu der Abendstunde, als Oberbürgermeister Kalbfell im requirierten Hotel "Harmonie" dem Captaine Rouché zuprostete. Jakob Staiger, Selterswasserhändler und Gemeinderat im südwürttembergischen Pfullingen, bezichtigt den Oberbürgermeister des benachbarten Reutlingen, den SPD-Landtags- und Bundestagsabgeordneten Oskar Kalbfell, der Mittäterschaft am Geiselmord: "Für mich ist es keine Frage, daß Kalbfell die Leute ausgesucht hat."

Gründe für die Auswahl der Opfer

1933 hatte Schmid den Parteisozialisten Kalbfells ins politische Anhaltelager eskortiert. Kurz vor dem Franzoseneinmarsch hatte er mit Kalbfell auch eine scharfe Auseinandersetzung wegen Sargnägeln gehabt. Den Dr. Egloff kennt sein Sanitätsunteroffizier Kalbfell als den Vorgesetzten, dem er disziplinare Bestrafung verdankt. Mit Ostertag hatte es wegen des Aufrufs "Werwolf heraus" in der Reutlinger Zeitung Auseinandersetzungen gegeben, worauf Kalbfell die von Frau Elsa Enzle, Reutlingen, Rattenhalde 1, beschworene Äußerungen tat: "Der Ostertag gehört erschossen".

Dieserhalb und anderer Indizien wegen ist sich Jakob Staiger sicher, daß Oskar Kalbfell die Geiseln den Franzosen benannt hat. Der Reutlinger Stadtpfarrer Keicher, dem sich die Todeskandiaten anvertraut hatten, wahrte das Beichtgeheimnis. Aber da sind auch noch die von Stadtpfarrer Keicher den Hinterbliebenen ausgehändigten Abschiedsbriefe. Jakob Schmid schrieb an Ehefrau Maria: "K. hat es so bestimmt und mich ausgesucht". Wilhelm Schmid an Ehefrau Margarete noch deutlicher: "Mit noch drei Männern werde ich in einer halben Stunde erschossen, auf Veranlassung von Herrn Kalbfell." Kalbfell erklärte "feierlich und öffentlich, daß ich die vier Personen, die wegen eines auf eine französische Militärperson verübten Attentats erschossen werden sollten, nicht benannt habe". Er erklärte, von der Erschießung erst nach Vollzug unterrichtet worden zu sein.

Lügner Kalbfell

Feierlich und öffentlich hatte Kalbfell auch schon behauptet, nie das Abzeichen der NSDAP getragen zu haben. Selterswasserhändler Staiger allerdings bot dafür Beweise an. Das von Kalbfell gegen Staiger angestrengte Verleumdungsverfahren wurde vom Landgericht Tübingen unter A 9/48 am 18. Februar 1948 eingestellt, "da mit Sicherheit zu erwarten ist, daß der Beschuldigte Jakob Staiger aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht verurteilt werden kann".

Feierlich und öffentlich hatte Kalbfell erklärt, niemals einen Haftbefehl gegen den Metzinger Bürger Feuchter unterschrieben zu haben, als ihn Feuchter wegen 45er Inhaftnahme verklagte. Selterswasserhändler Staiger trieb das Original des Haftbefehls auf. Es trug die Unterschrift Kalbfells.

Der im ersten Verleumdungsverfahren (wegen des Partei-Abzeichens) wider Willen aus der Anklagebank gedrückte Jakob Staiger versuchte in der Folge ein zweites Mal, Angeklagter in Sachen Kalbfell zu werden. Er machte am 1. April 1948 dem südwürttembergischen Landtag Mitteilung davon, daß Kalbfells Mitwirkung am Geiselmord bewiesen werden könne und daß deshalb ein Disziplinarverfahren am Platze sei, worauf Innenminister Renner ein neues Verleumdungsverfahren gegen Staiger veranlaßte. Staiger stieg freudig ein, doch als er gerade im besten Beweisen war, schalteten sich die Franzosen ein. Vor dem Mittleren Militärgericht in Reutlingen verhandelten sie weiter. Am 14. April 1950 wurde Einstellung des Verfahrens verfügt, "weil die Straftat des Jakob Staiger unter die von der Bundesregierung verkündete Amnestie vom Dezember 1949 fällt". Der wieder um den Anklagestatus geprellte Staiger wunderte sich, daß die Besatzungs-Justiz ein Bundesgesetz anwandte und machte einigen Lärm in der Öffentlichkeit. Pressediskussionen bedrängten daraufhin Kalbfell derart, daß er mit Schreiben vom 31. August 1950 um Aufhebung seiner Immunität als Bundestags- und Landtagsabgeordneter ersuchte. Dem Ersuchen kam man nach. Im Landtag hatte mit dem Schwenninger Kommunisten Acker nur noch der Staatspräsident Dr. Gebhard Müller gegen die Aufhebung der Immunität gestimmt. Der Abgeordnete Mende vom Immunitäts-Ausschuß des Bundestages ersuchte die Franzosen, alles zu tun, um die Ehre des Abgeordneten Kalbfell wieder herzustellen. Staiger hat dem Abg. Mende öffentlich gefragt, was er unter der Ehre des Oskar Kalbfell verstehe: "Das ist ein Mann, der in allen Sätteln reitet. Erst war er in der KPD, dann in der SPD, dann im KZ, dann in der NSDAP, dann beim Werwolf. Dann wieder in der SPD. Das alles kann ich beweisen.

Die Hinterbliebenen

Dem Staatspräsidenten lag damals bereits über ein Jahr die Petition der Hinterbliebenen vom 5. Mai 1949 vor, ohne daß er sie einer Antwort gewürdigt hätte. In der Eingabe hieß es: "Wir haben uns bisher vergeblich bei der Stadtverwaltung Reutlingen um unsere Versorgungsansprüche bemüht. Unseres Erachtens handelt es sich um ein Kriegsereignis, dem unsere Männer unschuldig geopfert wurden. Seit der Währungsreform befinden wir uns in einer solchen Notlage, daß wir nunmehr auf eine rasche Entscheidung drängen müssen. Wir bitten den Staatspräsidenten und die Südwürttembergische Regierung ergebenst, sich doch unserer Sache anzunehmen."

Tatsächlich hatten die Hinterbliebenen der Reutlinger Geiseln bei Kalbfell vergeblich angeklopft. Wieder holte Schreiben (21. September 48, 5. März 49) und Vorsprachen blieben ohne Antwort. Wenn sie die Äußerung "Jedes Eingreifen wird als Eingeständnis meiner Schuld angesehen" nicht als Antwort nehmen wollten. Die hinterbliebene Frau Egloff, Stuttgart-Stillenbuch, Mendelssohnstraße 92, lebte bis zur Währungsreform vom Verkauf hinterlassener ärztlicher Instrumente. Dann wandte sie sich an das Internationale Reute Kreuz und das Bundesjustizministerium mit der Bitte um Betreuung. Sie erhielt zur Antwort, daß nach Anordnung der französischen Besatzung Ersatzansprüche nur für später zugefügte Besatzungsschäden geltend zu machen seien. Die hinterbliebene Margarete Schmid, Reutlingen, Rattenhalde 5, lebte von Fürsorgeunterstützung (zehn Mark wöchentlich). Die hinterbliebene Frau Ostertag lebte überhaupt nicht mehr. Sie ist an Entbehrung verstorben und am 6. November 1950 beerdigt worden. Die hinterbliebene Frau Maria Schmid, Reutlingen, Kanzleistraße 3, wird von ihrem schreinernden Sohn ernährt. Eine Mahnung des städtischen Steueramtes hat sie mit dem Hinweis beantwortet, sie könne keine Steuern bezahlen und man solle sie doch bei denen holen, die ihren Mann töten ließen und noch an der Spitze der Stadtverwaltung stünden. Das hat ihr eine Strafverfolgung eingebracht.

Weitere Haftbefehle

Staiger gibt auch an, daß die in französischer Gefangenschaft verstorbenen 18jährigen Manfred Halde und Alfred Trudel zum Abtransport nach Frankreich von Kalbfell bestimmt worden seien. Am 16. September ließ Staiger im Reutlinger Generalanzeiger ein großes Inserat einrücken: "Offene Fragestellung an Oberbürgermeister Kalbfell. Sie haben im Jahre 45 Haftbefehle gegen deutsche Männer erlassen. Sie haben im Jahre 45 bei verschiedenen in der Bundeshalle in Reutlingen stattgefundenen Überprüfung deutsche Männer in großer Zahl zum Abtransport nach Frankreich persönlich ausgesucht. Wer gab Ihnen zu obigen Handlungen das Recht? Eine Antwort erbittet Jakob Staiger." Er bat vergeblich. Staiger veröffentlichte am 10. November 50 ein zweites Inserat gleicher Güteklasse: "Ich ersuche Sie, meine öffentliche Fragestellung vom 16. September öffentlich zu beantworten."

Quelle

  • DER SPIEGEL 46/1950