Der Schuttabladeplatz der Zeit
Der Schuttabladeplatz der Zeit ist ein Lied des Sängers Reinhard Mey, das 1966 auf der EP „Die Drei Musketiere“ erschien.
Text
- Im Herzen von Chronosopol, zwei Megawatt nach Omega
- Zehn hoch zwölf Angström gegen Süd, liegt, was bisher kaum jemand sah –
- Mit Ausnahme von drei Redakteuren
- Die einer Zeitschrift angehören
- Die Spürsinn für Affären hat –
- Da also liegt, vom Eis befreit
- Der Schuttabladeplatz der Zeit
- Die Halde reinlich eingesäumt, wächterbewacht, rosenbesteckt
- Ein Monticulum, das sich bis fast an den Horizont erstreckt
- Geschützt durch nied're Maschenzäune
- Gesellschafts- und Verwaltungsräume
- Vereinszimmer und Buchhaltung –
- Kein schöner Land in dieser Zeit
- Als der Schuttabladeplatz der Zeit
- Der Styx als bill'ger Wasserweg, ward eigens hier kanalisiert
- Den Umschlaghafen weist ein Schild, das den Besucher informiert:
- „Hier könn' Familien Kaffee kochen!“ –
- Ein Schild, das nicht nur ausgesprochen
- Sondern auch überflüssig ist –
- Vom Ufer scheint er eher breit
- Der Schuttabladeplatz der Zeit
- Kurz nach halb Uhr war es soweit, ein Wächter schlief beim Wachen ein
- Des Schildes ungeachtet, drang ich längs des Hafens landwärts ein
- Und fand, wie nicht anders zu erwarten
- Drei Herren, die im Abfall scharrten
- Die Redakteure wohlgemerkt –
- In Bergeshöh'n und Tälern weit
- Im Schuttabladeplatz der Zeit
- Acht Augen sehen mehr als sechs, und also wühlten wir zu viert
- Und fanden staunend, aufgeregt, in gutem Zustand konserviert:
- Den Gordischen Knoten – aufgerissen!
- Ein' Sisalteppich – angebissen
- Und die Guillotine des Herrn Guillot –
- Bewältigte Vergangenheit
- Am Schuttabladeplatz der Zeit!
- Da lag der von der Vogelweide bei dem Kätchen von Heilbronn
- Die hohe Messe in h-moll neben einem Akkordeon
- Neben gescheiten Argumenten
- Die Reden eines Präsidenten
- Pornographie und Strafgesetz –
- In friedevoller Einigkeit
- Am Schuttabladeplatz der Zeit
- Dann wurde eine Kiste voll Papier beim Wühlen umgekippt –
- Zwei Redakteure weinten leis' – der dritte fraß sein Manuskript
- Weil sie Zeitungsartikel fanden
- Bei denen ihre Namen standen –
- Sie schämten sich so gut es ging
- Sie knieten nieder, bußbereit
- Am Schuttabladeplatz der Zeit
- Seit gestern bin ich auf der Flucht, draußen vom Walde komm' ich her
- Und daß ich wiederkommen durfte, muß ich sagen, freut mich sehr!
- Das sei mir Lehre für mein Streben:
- Warum soll ich mir noch Mühe geben?
- Es landet alles – ganz egal
- Ob saublöd oder ob gescheit –
- Am Schuttabladeplatz der Zeit . . .