Diskussion:Deutsch als Wissenschaftssprache
Deutsch als Wissenschaftssprache
Der Boykott der deutschen Sprache nach dem Ersten Weltkrieg
Über die Ursachen des Ersten Weltkrieges ist viel geschrieben worden. Zu einem besonderen, bisher kaum beachteten Punkt, dem alliierten Boykott des Deutschen als Wissenschaftssprache, ist jedoch erstmals mehr als 90 Jahre nach dem damaligen Geschehen von Roswitha REINBOTHE eine ausführliche Monographie erschienen, 1) die ganz neue Erkenntnisse vermittelt und deswegen einer Richtigstellung gleichkommt.
Die Sprachwissenschaftlerin geht in dieser Habilitationsschrift der Universität Duisburg-Essen aus dem Jahre 2006 zunächst der großen Bedeutung des Deutschen als Wissenschaftssprache im 19. Jahrhundert nach und zeigt deren führenden Stellenwert für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg auf. Insbesondere weist sie auf die Menge der wissenschaftlichen Zeitschriften in deutscher Sprache, die Zahl und das Ansehen der deutschen Akademien und die zahlreichen internationalen Vereinigungen mit Sitz im Deutschen Reich hin. Viele Ausländer veröffentlichten damals in deutschen Zeitschriften in deutscher Sprache. Vor allem für die Astronomie, die Erdmessung, Seismologie, Geographie und Chemie wird die führende deutsche Stellung materialreich belegt. Auf internationalen Tagungen und in überstaatlichen Wissenschaftsvereinigungen galten Französisch, Englisch und Deutsch als die drei gängigen und gleichberechtigten Wissenschaftssprachen.
Doch schon vor dem Ersten Weltkrieg traten in Frankreich und England einflußreiche Stimmen auf, die die deutsche Sprachvorherrschaft in einigen Fachbereichen kritisierten, auf die politischen Folgen derselben hinwiesen und eine Beschränkung des Deutschen im Wissenschaftsbereich forderten.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges gewannen diese Bestrebungen an Einfluß, insbesondere, als viele deutsche Wissenschaftler sich hinter die Politik der Reichsregierung stellten, etwa in dem Aufruf »An die Kulturwelt« von 93 Forschern, der am 4. Oktober 1914 in deutschen Zeitungen veröffentlicht wurde. 2) So gab der britische Chemienobelpreisträger (1904) William RAMSEY 3) kurz darauf eine Gegenerklärung ab. Nach seiner Ansicht gehe es um einen »Krieg der Humanität gegen Inhumanität... des Rechtes gegen Unrecht« (»of right against wrong«) die - von der britischen Kriegspropaganda erfundenen, wie sich später herausstellte -Greueltaten der Deutschen in Belgien und Frankreich seien ein Rückfall Deutschlands in die Barbarei (»relapsing into barbarism«). Deren Ursache sei der autoritäre, »teutonische Charakter« und das Weltmachtstreben der Deutschen. »Ihr Ideal... ist, die Weltvorherrschaft für ihre Rasse zu sichern... >Deutschland über Alles in der Welt<. deswegen der krieg.« unter dem leitwort »niemals wieder« müßten die alliierten alles tun, um diesen gefährlichen deutschen despotismus, der wie ein krebsgeschwür sich in die moral der deutschen nation eingefressen habe, ein für allemal zu vernichten. 4)
Knapp ein Jahr später forderte er den Ausschluß der deutschen Wissenschaftler von internationalen Tagungen: »Internationale Versammlungen zu wissenschaftlichen Zwecken werden ganz sicher auch künftig stattfinden, aber nur unter der Bedingung, daß deutsche und österreichische Vertreter ausgeschlossen werden.« 5)
Und so kam es dann auch. Franzosen und Engländer setzten sich, teilweise gegen den Widerspruch aus neutralen Ländern, durch: »Nach dem Ersten Weltkrieg verhängten die alliierten Akademien der Wissenschaften gegen Deutschland und die mit ihm verbündeten Länder einen Wissenschaftsboykott. Eng verknüpft damit war ein Boykott gegen Deutsch als internationale Wissenschaftssprache. Aus internationalen Wissenschaftsverbänden wurden die deutschen und österreichischen Wissenschaftler und mit ihnen die deutsche Sprache ausgeschlossen. Die Folge davon war ein Statusverlust und Rückgang des Deutschen als internationale Wissenschaftssprache.« 6)
Schon während des Krieges hatten einige Akademien und wissenschaftliche Gesellschaften den Ausschluß ihrer deutschen Mitglieder beschlossen. 7) 1917 forderte der französische Mathematiker und Sekretär der Académie des Sciences in Paris, Emile PICARD, die Auflösung der alten internationalen Vereinigungen und die Gründung neuer ohne deutsche Beteiligung. 8)
Schon während des Krieges wurden dazu die ersten Schritte unternommen, die zu einer interalliierten Konferenz der Akademien der Wissenschaften vom 9. bis 11. Oktober 1918 in London sowie vom 26. bis 29. November 1918 in Paris führten. Diese beschlossen insbesondere den Aufbau neuer internationaler Fachunionen der Astronomie, Geophysik und Chemie — früher deutsche Domänen —, bei denen die Deutschen nun ausgeschlossen waren. Die Gründung dieser Fachunionen und des Internationalen Forschungsrates (>Conseil international de recherches<) fand auf der alliierten wissenschaftskonferenz vom 18. bis 28. juli 1919 in brüssel statt, zu der nicht einmal neutrale staaten eingeladen waren. die statuten des forschungsrats, die den ausschluß der deutschen und mit diesen verbündet gewesener staaten vorsahen, sollten mindesten bis ende 1931 reichen. 9) als amtliche sprachen waren französisch und englisch vorgesehen, deutsch war verboten.
Dazu eine kam eine »Ächtung der deutschsprachigen Fachpublikationen«. 10) In den USA wurden sogar deutsche Fachbücher verbrannt. Die angesehene Fachzeitschrift Science stellte am 20. Dezember 1918 fest: »In Buße verbrennen wir nun unsere deutschen Bücher und vermeiden eifrig, irgend etwas in dieser Sprache zu lesen. Wir sind überrascht zu bemerken, wie gut wir ohne irgend etwas in dieser Sprache auskommen können und für wie wenig wir in Wirklichkeit dieser Sprache verpflichtet sind.«
»An den 14 internationalen (wissenschaftlichen) Kongressen des Jahres 1919 nahmen überhaupt keine deutschen Wissenschaftler teil.« 11) Noch 1925 wurden auf 34 von 52 internationalen wissenschaftlichen Tagungen der Alliierten die Deutschen ausgeschlossen. Bis 1926 waren deutsche Teilnehmer selbst von den internationalen Tuberkulosekonferenzen verbannt. Erst ab 1927 konnten sich gemäßigtere Stimmen in den alliierten Ländern durchsetzen, und der Boykott wurde langsam aufgegeben.
Das Ergebnis dieser Entwicklung war ein wesentlicher Rückgang der Bedeutung des Deutschen als Wissenschaftssprache, Englisch und Französisch gaben in Zukunft den Ton an, auch in den vor dem Ersten Weltkrieg von Deutschen angeführten Fachbereichen. Während noch 1915 in den USA 24,4 Prozent der Schüler an den öffentlichen High-Schools Deutsch lernten, waren es 1922 nur noch 0,7 Prozent. 12)
Abschließend stellt REINBOTHE fest: »Mit Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg, dem Vertrag von Versailles, der Errichtung des Völkerbunds und zentraler internationaler Wissenschaftsorganisationen hatten sich die Machtverhältnisse grundlegend verschoben. Das spiegelt sich im internationalen Status der Sprachen wider: Französisch und Englisch waren die Sprachen des Versailler Vertrags, des Völkerbunds und der von den Alliierten neu gegründeten internationalen Wissenschaftsverbände. Deutsch verlor seine vormals privilegierte Stellung als dritte offizielle Spreche im internationalen Wissenschaftsbetrieb.« 13)
Der Zweite Weltkrieg mit der Zerschlagung des Deutschen Reiches setzte diese Entwicklung fort.
- R. K. -
1) Roswitha REINBOHE, Deutsch als internationale Wissenschaftssprache und der Boykott nach dem Ersten Weltkrieg, Peter Lang, Frankfurt 2006.
2) In Auszügen zitiert ebenda, S. 97. Die Verfasserin geht von der Kriegsschuld Deutschlands am lasten Weltkrieg aus — der einzige größere Nachteil des Buches.
3) William RAMSAY, »Germany's Aims and Ambitions« (Deutschlands Ziele und Bestrebungen), in: Nature, 8.10.1914.
4) REINBOTHE, aaO. (Anm. 1), S. 101.
5) Zitiert ebenda, S. 102, aus: Süddeutsche Monatshefte, August 1915, S. 829.
6) Ebenda, S. 11.
7) Ebenda, S. 107.
8) Ebenda, S. 129.
9) REINBOTHE, aaO. (Anm. 1), ebenda, S. 143.
10) Ebenda, S. 176.
11) Ebenda, S. 194.
12) Ebenda, S. 204.
13) Ebenda, S. 445. -- Unsignierter Beitrag von Liberator germaniae
- Das ist ja an sich ergiebiges Material, um den Artikel mal aufzupäppeln. --Thore 21:47, 24. Brachet (Juni) 2013 (CEST)