Marxismus und Industrielle Revolution

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Marxismus und Industrielle Revolution ist ein Werk des Historikers Ernst Nolte.

Inhalt

Es war stets Ernst Noltes Überzeugung, daß der Faschismus nicht ohne das ältere Phänomen des Marxismus verstanden werden kann. Als Erwiderung auf Max Horkheimers Diktum: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“, postulierte Nolte, „daß vom Faschismus schweigen soll, wer nicht vom Marxismus reden will.“ Entsprechend durchzieht die Auseinandersetzung mit Marx das gesamte Lebenswerk des Faschismusforschers. Bereits Noltes Dissertation behandelte das Problem der „Selbstentfremdung und Dialektik im Deutschen Idealismus und bei Marx“. Als programmatisches Werk aber ragt „Marxismus und Industrielle Revolution“ heraus, in dessen ambitionierter Problemstellung nicht zuletzt Noltes Respekt vor dem historischen Recht und der geistigen Größe des Marxismus zum Ausdruck kommt.

Nolte arbeitet die bis zur Selbstwidersprüchlichkeit reichende Vielschichtigkeit des marxistischen Denkens heraus, die im Zuge dessen leninistischer Dogmatisierung eingeebnet worden war. So blieb das an die Engelssche Katechisierung der Marxschen Lehre anknüpfende Dogma Lenins, diese stelle eine Synthese aus deutscher Philosophie, französischem Sozialismus und englischer Nationalökonomie dar, nicht nur für die ideologische Selbstauffassung des Marxismus, sondern auch für dessen historische Erforschung bestimmend. Nolte hingegen weist Lenins Fixierung von „drei Quellen und drei Bestandteilen des Marxismus” als simplifizierend zurück und trägt die architektonischen Schichten des marxistischen Lehrgebäudes behutsam ab, um es von seinen verdrängten Strebungen und verborgenen Fundamenten her neu zu erschließen.

In solcher Anatomie des Marxismus ist ein Erkenntnisinteresse am Werk, das Nolte selbst auf die bekenntnishafte Formel brachte: „Die unerschlossenen Fragen im Werk von Marx sind interessanter als die allbekannten Irrtümer.“ Zu diesen Fragen zählen insbesondere „die konservativen Züge des Marxismus“, die in der Forschung noch immer kaum Beachtung finden, obgleich sie dem Marxismus seinen komplexen Charakter verleihen, der ihn von den übrigen, zumeist trivialen Sozialismen unterscheidet. Nach dieser Maßgabe stuft Nolte die französische Traditionslinie des „utopischen Sozialismus“ in ihrer Bedeutung herab und bringt der von einem „reaktionären Antikapitalismus“ geprägten englischen Linie eine umso höhere Wertschätzung entgegen, zumal es gerade die englischen Verhältnisse waren, die Marx und Engels als exemplarisches Modell des Industriekapitalismus vor Augen standen.

Noltes Werk basiert indessen auf einer umfassenden Recherche aller Voraussetzungen und Vorläufer des Marxismus. Deren Ergebnisse rauben diesem jedoch einen Teil seiner Originalität, denn nahezu alle charakteristischsten Topoi, Theoreme und Thesen von Marx waren bereits zuvor etabliert: Die Aufhebung der Ausbeutung durch Abschaffung der Arbeitsteilung hatten bereits die Saint-Simonisten gefordert; die Utopie einer staaten- und klassenlosen Gesellschaft schwebte schon Thomas Paine und Etienne Cabet vor; und Theorien vom Mehrwert und vom Klassenkampf waren bereits von François Babeuf, Robert Owen und James „Bronterre“ O’Brien entwickelt worden.

Gleichwohl stellt Nolte den Marxismus nicht als ein rein eklektisches Denksystem dar. Dank der formgebenden Tradition der deutschen Philosophie ist sein Ganzes weit mehr als die inhaltliche Summe seiner Teile, und dieser gleichsam marxistische Mehrwert besteht in der Bildung einer philosophischen Synthese der vorgefundenen Bestandteile. Vor allem suchte Marx die ambivalente Erfahrung der modernen Geschichte als Fortschritt und Dekadenz in die historische Dialektik von Selbstentfremdung und Wiederaneignung einzuspannen. Nolte zufolge ist Marx in seinem zum Scheitern verurteilten Versuch, die dialektische Methode vom idealistischen Kopf auf materialistische Füße zu stellen, jedoch hinter Hegels objektiven Idealismus in einen bloß subjektiven Idealismus Fichtescher Prägung zurückgefallen, zumal auch sein revolutionärer Voluntarismus den fundamentalen Widerspruch zwischen zwei gegenstrebigen Tendenzen seiner Lehre nicht aufzuheben vermochte: Einerseits präsentiert sich die Marxsche Revolutionslehre als eine radikal moderne Gestalt prozivilisatorischen Fortschrittsdenkens, die sich von der industriellen Revolution getragen weiß. Andererseits mobilisiert Marx’ Entfremdungskritik den antizivilisatorischen Dekadenzgedanken, um die antikapitalistischen Reaktionen auf die traumatischen Modernisierungsfolgen der Entwurzelung und Verelendung einer radikal reaktionären Sozialreligion dienstbar zu machen, deren theologische Aufrüstung zu einem proletarischen Messianismus sich aus der prophetischen Tradition des alten Judentums speist.

Angesichts dieser unauflösbaren Ambivalenz deutet Nolte den Marxismus als eine ebenso revolutionäre wie konservative Reaktion auf die progressive industrielle „Fundamentalrevolution“. Dabei unterscheidet Nolte kategorial zwischen dem „realsoziologischen“ Trauma der Industrialisierung und dessen marxistischer Bewältigung durch eine „idealsoziologische“ Theorie des Kapitalismus, welche die konkrete Erfahrung der industriellen Umwälzungen in ein allzu abstraktes Schema gezwängt hat. Ähnlich verhält es sich mit der Marxschen Revolutionsidee, der keine revolutionären Realitäten jemals entsprochen haben. Durch den französischen „Bonapartismus“, bei dem die Reaktion das Programm der Revolution zu exekutieren schien, wurde Marx selbst auf das paradoxe Phänomen einer „konservativen Revolution“ gestoßen. Unter Verweis auf den Wortsinn von „Re-volutio“ legt Nolte schlüssig dar, daß noch alle neuzeitlichen Revolutionen eine solche „Rück-wendung“ vollzogen, indem sie sich immer auch an der Wiederherstellung einer besseren vergangenen Ordnung ausrichteten. Marx sprach mit Blick auf Rußland von der „Geburt des Sozialismus aus dem Geist der Dorfgemeinde“, nicht ohne damit bereits den russischen Sonderweg zu antizipieren, und bezeichnenderweise sollten sowohl Lenin wie Stalin von unorthodoxen Marxisten des Bonapartismus bezichtigt werden. Die Marxsche Analyse weist indessen nicht nur auf den Sowjetkommunismus, sondern auch auf den Faschismus voraus, den schon der dissidente Kommunist August Thalheimer als eine Erscheinungsform des Bonapartismus interpretiert hatte.

Auf diesem Wege gelangt Nolte schließlich zur Erkenntnis einer befremdlichen Wesensverwandtschaft zwischen der marxistischen Revolution und der faschistischen Gegenrevolution, denn beide stellten als „irreguläre Revolutionen“ ambivalente Reaktionen auf die verstörende Fundamentalrevolution der entfesselten Industrialisierung dar, welche die gesellschaftliche Moderne insgesamt als ein Zeitalter der Angst erscheinen läßt.

„Marxismus und Industrielle Revolution“ wird von Nolte selbst zurecht als sein gelehrtestes Werk angesehen. Aber gerade die historische Komplexität und der philosophische Horizont der umfangreichen Studie haben ihrer wissenschaftlichen wie geschichtspolitischen Rezeption enge Grenzen gesetzt. So stellt dieses gelehrteste zugleich das am wenigsten gelesene Buch Noltes dar.

Literatur

  • Ernst Nolte: Marxismus und industrielle Revolution, Klett-Cotta, Stuttgart 1983, ISBN 978-3-608-91128-2 [656 S.]
  • Thomas Nipperdey / Anselm Doering-Manteuffel / Hans-Ulrich Thamer (Hgg.): Weltbürgerkrieg der Ideologien. Antworten an Ernst Nolte. Festschrift zum 70. Geburtstag; Propyläen Verlag, Berlin 1993, ISBN 3-549-05326-6
  • Siegfried Gerlich: Ernst Nolte. Portrait eines Geschichtsdenkers, Antaios, Schnellroda 2009, ISBN 978-3-935063-24-1