Tradition
Tradition (von lateinisch tradere „hinüber-geben“ bzw. traditio „Übergabe“, „Auslieferung“, „Überlieferung“) bezeichnet die Weitergabe (das Tradere) von Handlungsmustern, Überzeugungen und Glaubensvorstellungen u. a. oder das Weitergegebene selbst (das Traditum, z. B. Gepflogenheiten, Konventionen, Bräuche oder Sitten). Tradition geschieht innerhalb einer Gruppe oder zwischen Generationen und kann mündlich oder schriftlich über Erziehung, Vorbild oder spielerisches Nachahmen erfolgen.
Inhaltsverzeichnis
Artikel aus dem staatspolitischen Handbuch
Folgender Text stammt aus dem Staatspolitischen Handbuch, Band 1: Begriffe. |
Tradition ist schon dem Wortsinn nach die »Überlieferung«, also die Menge dessen, was von den Vorfahren auf uns kommt. Traditionsbildung ist dabei etwas spezifisch Menschliches, da das Tier die Weitergabe des einmal Gewußten nicht sicherzustellen vermag. Die Sprache beziehungsweise deren Aufzeichnung durch Bild und Schrift sind entscheidende Grundlagen der Tradition Gemeinschaften, die unfähig waren, Tradition zu schaffen und zu erhalten, sind in der Menschheitsgeschichte regelmäßig ausgelöscht worden, das Festhalten der Tradition mußte schon deshalb als elementare Klugheitsregel gelten. Typisch ist der römische Bezug auf den mos maiorum – die »Sitte der Alten« – als entscheidendes Argument in jeder Debatte um das Wohl des Staates. Dieser Zusammenhang galt bis zum Beginn der Moderne unbestritten. Erst dann stellte der »Fortschritt« den Wert der Tradition grundsätzlich in Frage. Dabei ging es nicht nur um Zweifel an einzelnen Überlieferungsbeständen, sondern um das »Recht auf Vergangenheit« (Gustav Hillard), das heißt um die Infragestellung von Tradition zwecks Legitimation der Wertsetzungen oder Einrichtungen und deren Unterwerfung unter einen rationalen Begründungszwang. Ganz erfolgreich war dieser Vorstoß aber nicht, denn es erwies sich die Lebensfremdheit einer prinzipiellen Traditionsfeindschaft, die die »Begründungskapazität« (Odo Marquard) des Menschen als Individuum wie als Glied einer sozialen Einheit überschätzt. Die Kürze unseres Lebens und die Unübersichtlichkeit des gesellschaftlichen Gefüges machen es unmöglich, alles in Frage zu stellen, nur weil es qua Tradition Geltung beansprucht. Was aber noch schwerer wiegt, ist die Unfähigkeit zu schöpferischen Handlungen ohne Bezug auf die Tradition. Das gilt vor allem für den politischen und den religiösen Bereich. Die Erfahrungen, die auf diesen Gebieten mit radikalen Traditionsabbrüchen gemacht wurden, sprechen gegen solche Experimente. Hier wie dort geht es immer um ein Anknüpfen an die Überlieferung. Damit ist allerdings keine Geltung von Tradition per se verteidigt, die es auch in der Vergangenheit nicht gegeben hat. Jede Tradition entstand durch Auswahl dessen, was tradiert werden sollte. Insofern bleibt eine Grenze zu ziehen, nicht nur gegenüber den Neuerungssüchtigen, sondern auch gegenüber einem »objektiven« Traditionalismus, der entweder rein formal alles bewahren will oder einen bestimmten Zustand ohne Wenn und Aber für maßgeblich und »ewig« erklärt, so daß die Berufung auf die Tradition jede Erwägung über notwendige Veränderungen im Strom der Geschichte überflüssig macht. Letztlich hat es jede Traditionsbildung mit einer Entscheidung darüber zu tun, was der Erhaltung wert ist, weil es dauern sollte, und was diese Anstrengung nicht lohnt, weil es ohne dauernden Wert ist. |
Zitate
- „Tradition heißt nicht, Asche zu bewachen, sondern die Glut anzufachen.“ — Benjamin Franklin
- „Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Schüren der Flamme.“ — Jean Jaurès
- „Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.“ — Gustav Mahler
- „Tradition ist Weiterreichen der Glut, nicht der kalten Asche.“ — Ricarda Huch
- „Tradition heißt: Das Feuer hüten und nicht die Asche aufbewahren.“ — Johannes XXIII.
- „Tradition heißt nicht Asche sammeln, sondern Glut bewahren!“ — Arbeitsgemeinschaft Traditionsverbände Schlesischer Truppen
- „Eine Kultur oder Gesellschaft ist dann ‚traditionell‘, wenn sie sich nach Prinzipien ausrichtet, die die bloß menschliche und individuelle Ebene übersteigen, wenn jeder ihrer Bereiche von oben her und nach oben hin geformt und geordnet wird.“ — Julius Evola in: „Den Tiger reiten“
- „Die Tradition ist die Revolution, etymologisch und real. ‚Re-volve‘ ist zurückkehren zum Ursprung, aber nicht bevor der Zyklus vollständig durchlaufen ist. Die wahre Tradition hat nichts zu konservieren, aber alles zu zerstören, bewegt sich auf die ‚revolutionäre‘ Vervollständigung des Zyklus zu, um an einem Neuen Anfang anzukommen.“ — Carlo Terracciano in: „Revolte gegen die moderne Weltordnung“
Siehe auch
Literatur
- Wilhelm Windelband: Wesen und Wert der Tradition im Kulturleben, 1908 (PDF-Datei)
- Edmund Burke: Betrachtungen über die Revolution in Frankreich [1790], zuletzt Zürich 1987
- Marcel de Corte: Das Ende einer Kultur [1949], München 1957
- Gustav Hillard: Recht auf Vergangenheit [1966], zuletzt Hamburg 1970
- Leopold Ziegler: Überlieferung [1936], zuletzt München 1949
- Metropolit Hilarion von Wolokolamsk: Die Zukunft der Tradition. Gesellschaft, Familie, Christentum. ISBN 978-3-944872-34-6