Augur
Ein Augur (Pl. Auguren, lat. augures, vollständige Amtsbezeichnung: Augures Publici Populi Romani Quiritium; davon abgeleitet: augurieren [weissagen, aus Anzeichen schließen oder vermuten], und: auguriös [vorbedeutsam]) war bei den alten Römern ein Mitglied eines bis gegen Ende der Republik hochangesehenen Priesterkollegiums, das mittels der Augurien oder Auspizien, d. h. der Beobachtung des Flugs und des Geschreis der Vögel (aves, davon Auspizien), des Blitzes und anderer Vorzeichen, den Willen der Götter in Bezug auf das Gelingen oder Mißlingen eines Unternehmens zu erforschen hatte.
Inhaltsverzeichnis
Aufgaben und Bedeutung des Amts
Die Auspizien zerfielen in solche, die ausdrücklich in bestimmten Formeln von den Göttern erbeten wurden, und in solche, durch die sie ungefragt ihren Willen zu erkennen gaben. Bei letzteren trat der Einfluß der Auguren als fachmäßige Kenner am meisten hervor. Insbesondere konnten sie die Vertagung jeder Volksversammlung mit ihrer Ankündigung, daß ein ungünstiges Zeichen stattgefunden habe, bewirken. Weiter hatte das Kollegium der Auguren das Recht, in betreff irgendeiner offiziellen Handlung, z. B. Beamtenwahlen, durch einen Beschluß zu erklären, daß störende Auspizien vorgekommen seien, daß dieselben demnach nach den Regeln ihrer Wissenschaft mit einem Fehler behaftet, also rückgängig zu machen seien.
Auspizien von Staats wegen anzustellen, hatten nur die Magistrate das Recht, während die Auguren dabei nur als Sachverständige tätig sein konnten. Ihre Mitwirkung bestand in erster Linie darin, daß sie für die Beobachtung der Zeichen das templum abzugrenzen hatten, d. h. einen engeren Raum, von wo aus, und einen weiteren, innerhalb dessen die Götterzeichen beobachtet werden sollten. Der Augur zog dabei mit seinem Stab (lituus) zunächst zwei Linien (eine von Süd nach Nord, den cardo, und eine diese kreuzende von Ost nach West, den decumanus) in Gedanken über das zu begrenzende Beobachtungsfeld bis zu bestimmten Endpunkten hin und grenzte schließlich durch vier Linien, die durch diese Endpunkte gezogen wurden, das ganze Feld rechtwinklig ab. Dann erst konnte der Magistrat, der mit bedecktem Haupte gegen Osten oder Süden gekehrt innerhalb des engeren Templums saß, so daß er Norden oder Osten zur Linken hatte, in vorgeschriebener Weise die Auspizien anstellen.
In Rom waren für die meisten regelmäßigen Auspizien dauernd solche templa abgegrenzt, so auf dem Kapitol, auf dem Forum und im Marsfeld für Komitien (lat. Comitia). Die Abhaltung von Senatssitzungen geschah regelmäßig in Gebäuden, die für Auspizien eingerichtet waren, und ebenso waren die meisten Göttertempel auf solchen templa errichtet, in denen deshalb auch Senatssitzungen gehalten werden konnten. Die Zahl der Auguren betrug in der ältesten Zeit 4, dann 6; seit dem Jahre 300 v. Chr. waren es 9; Sulla erhöhte die Zahl auf 15, Cäsar auf 16. War ein Augur gestorben, so erwählte das Kollegium selbständig ein neues Mitglied; erst in der Zeit des Sulla ging das Wahlrecht auf das Volk, später auf die Kaiser über.
Berühmte Amtsinhaber
- Appius Claudius Pulcher (Konsul 143 v. Chr.)
- Marcus Tullius Cicero (Staatsmann)
- Publius Petronius: ab 7 n. Chr. (Staatsmann)
- Gaius Plinius Caecilius Secundus („Plinius der Jüngere“, Staatsmann, Schriftsteller)
- Sextus Iulius Frontinus (Schriftsteller, Curator aquarum)
Siehe auch
Literatur
- Nissen: Das Templum (Berlin 1869)
- Mommsen: Das römische Staatsrecht (In: Marquardt und Mommsen: Handbuch der römischen Altertümer, Bd. 1, 3. Aufl., Leipzig 1887)
- Georg Wissowa (Hrsg.): Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Neue Bearbeitung, 1890
Verweise
- Augur (Theoria Romana)