Benutzer:Wilhelm Schmitz/Ostpommern

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Ostpommern im März 1945

Kolberg ist bereits von feindlichen Landstreitkräften umgeben. Die Stadt wird von den Sowjets beschossen. Erhebliche Brände entstehen und dehnen sich ungehindert aus. In den Parks und Straßen die ersten Leichen von Mensch und Tier.

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Behörden und Dienststellen beginnen zu räumen, und, nach den Worten von Kolbe, »es musste ihnen mit allen Mitteln klargemacht werden, dass es sich keineswegs um die Abbeförderung von Gerät und umfangreichen Privatsachen handeln könne, sondern lediglich um den Abtransport von Menschen mit geringstem Gepäck.« Die ersten 2200 besteigen die »Heluan«, »Heidelberg«, die »Saar«, »Merkur«, zwei Schlepper und verlassen den kleinen Hafen an der Persante- Mündung. Trotzdem besteht noch keine akute Gefahr für die Stadt, sodaß Fregattenkapitän Kolbe beschließt, die nach dem Fall von Schlawe vom russischen Ansturm unmittelbar bedrohten östlichen Pommernhäfen aufzusuchen. Das Flugsicherungsboot »FLB 434« trägt ihn nach einem kurzen Zwischenstopp in Rügenwalde, nach Stolpmünde, das er in wenigen Stunden am Nachmittag des 6. März erreicht. In dieser Stadt an der Mündung der Stolpe in die Ostsee, ist es noch immer ruhig. Selbst das Zollamt an der Stadtseite des Hafens geht noch seinen Geschäften nach, und auch der einzige Lotse ist auf dem Posten. Im Kopfsteinpflaster stehen Bäume mit den ersten Ansätzen von Frühlingsknospen. Die Giebel sehen auf die vorbeiströmende Stolpe. Zwischen den Molen blaut die Ostsee, die bei Gegenwinden die Ausfahrt versanden lässt und immer Weder ausgebaggert werden muss. Fischkutter trocknen ihre Netze, und am Kai haben ein paar Meine Schiffe festgemacht, die aussehen, als wollten sie wie im Frieden Getreide, Futtermittel und Baustoffe laden. Einige ältere Männer schlurfen dahin, was den Eindruck des Gemütlichen erhöht.

Die Jüngeren sind irgendwo im Kriege oder kreuzen mit der Sicherungsdivision auf See. Stolpmünde hat Ausgebombte aus Stettin und anderen Großstädten aufgenommen. In den letzten Tagen benutzten einige Einwohner die Gelegenheit, um sich nach Westen abzusetzen. Andere sind vom Lande hereingekommen, und es heißt, dass jetzt in und um Stolp etwa 120 000 versammelt sein sollen und sich zur Küste begeben. Es ist, als höre man ihre Schritte in der Nacht. Am Mittwochmorgen haben die engen Straßen schlagartig ein anderes Gesicht und sind von einer dichten Menschenmenge gefüllt, so dass man das Hafengebiet absperren muss. In aller Eile zusammengezogene Flaksoldaten, Zollbeamte, Matrosen der Sicherungsdivision und die beiden Ortspolizisten, drängten die Flüchtlinge von der Bollwerkkante zurück. Ein Fernschreiben von General Weiß, dem Oberbefehlshaber der 2. Armee, schränkt den Kreis der Fliehenden ein und besagt unmissverständlich: Kein kampffähiger Mann verlässt den Raum Pommern! Ein Auffangkommando macht sich bereit, die an Bord Gehenden zu kontrollieren und hat vor allem ein Auge auf zurückflutende Soldaten, die sich einzeln und in kleinen Einheiten schon einstellen. Und so, während gleichzeitig zwischen Maas und Rhein große Kämpfe toben, während der Wehrmachtbericht wieder steigende Erfolge der deutschen U-Boote und der Luftwaffe meldet, die im Vormonat Februar 288000 BRT an feindlichem Schiffsraum im Atlantik versenkten, beginnt hier an der pommerschen Küste der Auszug. Vielleicht hat der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Josef Goebbels, von den Begleitumständen eine gewisse Vorstellung, wenn er seinen wöchentlichen Leitartikel im »Reich« mit einer sinngemäßen Bericht beschließt: Ohren Steifhalten, fest auf den Beinen stehen, und bei noch so hohem Seegang nicht über Bord springen, da das den sicheren Tod bedeuten würde. Unentwegt auf den Steuermann schauen und mit vereinter Kraft dem Ziel entgegen . . . « Als die Schiffe einlaufen und nacheinander am Bollwerk festmachen, werden sie von der tausendköpfigen Menschenmenge jubelnd begrüßt. Es ist eine Armada, wie sie der kleine Hafen in seiner besten Zeit kaum gesehen hat, aber eine Armada im Taschenformat und auf die örtlichen Verhältnisse zugeschnitten: »Söderhamn«, »Reiher«, »Pickhuben«, Karlsruhe«, »Amrum«; die in Stolpmünde beheimateten »Martha Geiß« und »Kolberg«, die »Nautik«, »Nordpol«, »Oktant«, Sextant«, »Nadir«, »Bernd« und »Viking 2«. Der Größte hat alles in allem knapp fünfzehnhundert Tonnen, und der Kleinste ganze 198. Es sind die Pendler, die kleinen Nord- und Ostseefahrer, die bisher nicht genannt wurden, weil sie nicht spektakulär genug sind. Die teilweise sogar ihren eigentlichen Namen verleugnen, und umbenannt als Ausbildungsschiffe der Navigationsschule der Marine in Gotenhafen dienen. Die aber in jedes kleine Loch hineinkriechen können und nun zeigen, was sie leisten. Es ist die Stunde der Küstenfahrer, der Schlickrutscher, und der Seetransport hat ihnen eine angemessene Aufgabe gegeben.

Was jetzt folgt, das sind die gleichen Bilder, wie sie in allen anderen Häfen auch zu sehen sind. Nur erscheinen sie in der räumlichen Enge dieser pommerschen Städtchen wie mit der Lupe betrachtet ins Überdimensionale projiziert, sozusagen als Großaufnahmen. Eine Woge von Menschenleibern wälzt sich über schmale Landgänge an Bord, die unter ihrem Gewicht durchbiegen. Die Menge stößt und schiebt, sie schlägt um sich. Kinderreiche sollen bevorzugt werden, Ledige zuletzt einsteigen; was für die Erhaltung des deutschen Volkes notwendig und was nicht mehr wünschenswert ist, wurde reglementiert. Doch angesichts dieser Flut werden die Verhaltungsvorschriften für die Katz und das Ausleseverfahren utopisch.

Der Donnerstagmorgen graut, es wird höchste Zeit. Die Kapitäne legen mit ihren vollgestopften Schiffen schwerfällig ab. Noch auf dem Oberdeck stehen die Menschen dicht an dicht. Es kann ihnen kein Geleitschutz mehr gestellt werden. Die Kapitäne dampfen auf eigene Gefahr und müssen mit russischen Angriffen zu Wasser und. aus der Luft rechnen. Ihr Herz ist schwer, vielleicht treten sie die letzte Reise an. Im Kielwasser der Dampfer folgen Fischkutter und die Boote und Fährprähme der Marine. Eines nach dem anderen verlässt den Hafen von Stolpmünde und geht auf Westkurs.

Fast Hals über Kopf fallen sie in die Laderäume, wo sie zu viert auf einem Quadratmeter Platz finden, wie man es mit Nachdruck verlangt. Ein Kindertransport gelangt nur inmitten von Versehrten an Bord, alleine gelassen, würde man die Kleinen zertrampeln. Alte Leute brechen zusammen, werden an die Oberfläche geworfen und weitergereicht. Ein Herzschlag rührt hier kaum ein Herz; wer fällt, der fällt und treibt beiseite. Die Angst sitzt ihnen im Nacken; der Russe kommt stündlich näher und Schlawe ist schon gefallen. Nur der Anblick von Uniformen weckt bei ihnen ein wenig die Vernunft. Dabei weiß man selbst bei den Uniformen nicht mehr genau, wo sie herkommen und was sie machen. Versprengte Soldaten, Angehörige von Stäben und Wehrmachtgefolge tauchen mit Hochbepackten Fahrzeugen auf und mischen sich unter die Flüchtlinge. Der Auffangstab >Heldenklau< siebt nach Kräften, kann aber nicht überall zugleich sein. Von den 120 Mann einer Arbeitsdienstabteilung des, laut Führerbefehl freigestellten, Jahrgangs 1927, werden gleich achtzehn begleitende höhere Vorgesetzte zurückbehalten. Auf Dampfer »Reiher« muss es sich ein Generalarzt gefallen lassen, dass man seine Marschpapiere eingehend betrachtet, bevor man ihn passieren lässt. Im Motorenraum der kleinen »Amrum« wird ein Oberleutnant aufgestöbert und an Land gejagt. Zwischen Flüchtlingsfrauen kommen ein paar verschlafene Landser zum Vorschein, die sich schon in Sicherheit wähnten. Eine Schwerbewaffnete »Brigade Göring«, von der einzelne Leute unter Vorwänden abzuspringen versuchen, hält sich im Hintergrund und verheißt nichts Gutes. Eine Stolpmünder Reederei hat ihren eigenen Dampfer für sich reserviert. Nach kurzem Wortwechsel werden sie vor die Wahl gestellt, noch zweihundert Flüchtlinge zusätzlich mitzunehmen oder dazubleiben. Alle Schiffe und Boote liegen mit der Nase nach See zu, um jeden Augenblick loswerden und auslaufen zu können. Die Menschen strömen an Bord. Weitere Schnellboote laufen ein und beteiligen sich an der Aktion. Eine »Rette-sich-wer-kann«-Stimmung kommt auf. Die letzte Nacht bringt Nordoststurm und beißende Kälte. Tausende haben sich bereits eingeschifft, aber im Windschutz der Häuser kauert noch immer eine dunkle, erschöpfte Menschenmasse. Während sie sich aufraffen und an Bord tappen, zerreißen heftige Detonationen die Nacht. Der Marinenachrichtenoffizier sprengt die Funkstation und setzt sich verabredungsgemäß nach Osten ab. Auch der nahe gelegene Schießplatz der Flakschule meldet sich nicht mehr. Ein Zeichen, dass Oberst Gürke schon auf dem Marsch in den Dariziger Raum ist. Mit Rügenwalde und Kolberg besteht keine Verbindung mehr. Alles verläuft wie erwartet und bedeutet, dass nunmehr Stolpmünde an der Reihe ist und das Eintreffen der Russen nur noch eine Frage von Stunden sein kann. Von Zeit zu Zeit lässt sich die KMD Danzig über eine Sonderleitung Bericht erstatten.

Der Nordoststurm schlägt ihnen entgegen. Gleich außerhalb der Molen fangen sie an zu stampfen und nehmen viel Wasser über, später haben sie Rückenwind. In der schweren Grundsee vor der Einfahrt schneidet ein Fährprahm unter, und das letzte, was man von ihm sieht, sind auf- und eintauchende Köpfe wie auf alten Tafelbildern vom stürmisch aufgewühlten Meer— ORA PRO NOBIS. Dann sieht man nichts mehr. Die Armada entfernt sich langsam aus dem Blickfeld. Als Kapitän Kolbe sich mit den U-Jäger 120 absetzt, ist der Hafen leer. Er berichtet, dass ihn 18 310 Menschen verlassen haben. Es ist wohl eine der kürzesten Räumungen überhaupt gewesen. Der Kapitän gibt allerdings zu, dass noch etwa zweitausend bis dreitausend Menschen in der Stadt zurückgeblieben sind. Während 14 Schiffe mit den Geflüchteten dem Hafen von Swinemünde zustreben und am gleichen Tage dort eintreffen, wird die Partei die in Stolpmünde Zurückgebliebenen zu Fuß nach Osten am Strand entlang in Marsch setzen. Es ist eine verkehrte Welt, in der die Richtungen wechseln und der Feind in einem alles umfassenden Bogen diesmal von Westen kommt. »Das Bollwerk liegt voll fortgeworfener Gegenstände. Vom Rohrplattenkoffer bis zum Fahrrad, vom Schinken bis zum Kinderwagen stapelt es sich. Verlassene Wehrmachtfahrzeuge stehen herum. Durch die geisterhaft leere Stadt, in der die Zurückgebliebenen wie vom Erdboden verschwunden sind, kommen Nachzügler. Kleine Kinder, am Rockzipfel ihrer Mütter, jammern herzzerreißend. Die Mütter ringen verzweifelt die Hände: "Schießt uns doch tot, schießt uns doch bloß tot! Die Szene geht unter in den krachenden Einschlägen vereinzelter Granaten. Der Russe ist da!" Sie schießen wahllos von irgendwoher. Der Lotsenturm bekommt einen Zufallstreffer. Am Stadtrand steigt dichter Qualm hoch, vom Bahnhof. Bis sie sich vergewissert haben, daß mit Widerstand nicht mehr zu rechnen ist und in den Stadtkern eindringen, bleibt noch eine kleine Galgenfrist. Vielleicht wollen sie auch absichtlich den Letzten Gelegenheit geben, das Weite zu suchen. Je weniger Menschen ihnen in die Hände fallen, um so geringer ist die damit verbundene Arbeit. Ein U-Boot der 250-Tonnen-Klasse, das ahnungslos in den leeren Hafen einläuft, um einen Tauchschaden zu beheben, dreht erschrocken bei und entfernt sich mit äußerster Kraft nach Hela. Es nimmt den Offizier der KMD Danzig mit, der schon mit seiner Ordonnanz zu Fuß nach Osten marschieren wollte.

In der folgenden Nacht zieht der Dampfer »Hektor« vorbei. An Bord befindet sich unter vielen anderen auch Helene von Zitzewitz, geborene von der Markwitz. Sie hat das Gut Klein-Machmin im Kreise Stolp verlassen und ist nach Danzig geflohen. Ihre Hoffnung, vielleicht doch noch etwas von der heimatlichen Küste zu sehen, auf schmerzliche Weise erfüllt. »Nachts standen wir an Deck, als wir auf der Höhe von Stolpmünde an Land Brände erkennen konnten.« Als die 14 Schiffe Swinemünde erreichen, geraten sie in ein entsetzliches Gedränge. Die Flotte muß ihre Liegeplätze am Bollwerk frei machen, und 50 Schiffe sind auf der Reede versammelt. Bekannte Transporter und Lazarettschiffe sind darunter wie »Moltkefels«, »General San Martin«, »Mars«, »Masuren« und Oberhausen.« Obwohl man den meistbenutzten Flüchtlingslandehafen aufzulockern sich bemüht, ist Swinemünde unvorstellbar überfüllt. Die Brennstoffvorräte sind erschöpft, es gibt keine Bunkerkohle, die Dampfer können nicht weiter und warten länger als eine Woche. Es fehlt auch an Fisenbahnzügen, die Menschen müssen an Bord bleiben, wo Hungersnot entsteht und Typhus ausbricht. Der früher einmal so beliebte pommersche Badeort wird in diesen Märztagen von einer Welle von 30 000 Flüchtlingen überlaufen. Am jenseitigen Ufer der Swine, auf der Insel Wohin, sind weitere 40 000 aus Hinterpommern im Anmarsch. Danach erwartet man nochmals 25 000, notiert Korvettenkapitän Eschricht. Denn die russischen Truppen haben die alte Bischofsstadt Kammin erobert und das Stettiner Haff erreicht, die Bevölkerung flieht in hellen Scharen. Der Großschiffahrtsweg Stettin-Swinemünde kann nur nachts befahren werden, am Tage liegt er unter dem Feuer der feindlichen Artillerie. Alle Kabelverbindungen mit dem Osten sind unterbrochen. Um die Kampfhandlungen der Landfront im Raume

Swinemünde-Stettin zu unterstützen, werden der Schwere Kreuzer »Lützow« (ex Panzerschiff »Deutschland«) mit diesem und jenem Zerstörer und Torpedoboot dem Admiral Westliche Ostsee in Swinemünde unterstellt. Zu ihnen gehört auch »Z 34«, Kommandant Korvettenkapitän Hetz, später Admiral in der Bundesmarine. Der Zerstörer, Anfang des Jahres im Verband der 4. Zerstörerflottille noch im hohen Norden eingesetzt, hilft in der zweiten Märzwoche bei der Verteidigung Kolbergs und schlägt sich mit der russischen Luftwaffe herum. Die eingeschlossene Stadt liegt unter den rollenden Angriffen sowjetischer Bomber, die in Wellen halbstündlich anfliegen, ohne daß sich die Stadt merklich gegen sie wehren kann. In den Kampfpausen übernimmt der Zerstörer Flüchtlinge und Verwundete, die ihm Pendler längsseit bringen. Am 12. März, gegen 4.00 Uhr, wird »Z 34« durch Funkspruch nach Swinemünde zurückgerufen. Als Kapitän Hetz mit vielen Zivilisten an Bord um 11.00 Uhr die Swinemünder Ansteuerungstonne erreicht und sich kurz darauf innerhalb der Molen befindet, wird auf allen Signalstellen Fliegeralarm gezeigt: Die UK-Welle meldet große Bomberverbände im konzentrischen Anflug auf Swinemünde. Später stellte es sich heraus, daß es 700 Bomber der 8. USAAF vom Typ B 17 und B 24 waren, die ihre tödliche Last von 1435 Tonnen auf den überfüllten Hafen und Badeort abwarfen. Es ist einer der schwersten Schläge überhaupt gewesen, die dem Seetransport zugefügt wurden, und seine Notwendigkeit ist noch heute umstritten. Unglücklicherweise war kurz zuvor ein Konvoi von 11 vollbeladenen Schiffen eingelaufen und hatte festgemacht. Uber ihm und allen anderen zog sich das Unheil zusammen. Korvettenkapitän Hetz berichtet: "Auf der Brücke Totenstille. Uber den tiefliegenden Wolken hört man schon das dumpfe Dröhnen zahlreicher schwerer Bomber. Zum Umkehren ist es zu spät. Aus dem Hafen setzt eine panikartige Flucht von Fahrzeugen aller Art ein, die mit Höchstfahrt an uns vorbeirauschen, um noch rechtzeitig vor Beginn des Angriffs die rettende freie See zu erreichen. Uns bleibt zunächst keine andere Wahl als weiterzulaufen, wenn mich auch der Gedanke an die vielen Menschen unter Deck zu einer vorschnellen Aktion verleiten möchte. Aber mein Entschluß steht fest: Wir werden bis zur Badeanstalt durchlaufen und dort versuchen, so schnell wie möglich kehrtzumachen. Hoffentlich lassen uns die Flieger dazu noch Zeit. Jetzt werden die Minuten bis zum Drehpunkt zur Ewigkeit. Jeder auf der Brücke sieht geradeaus, um nicht dem Kameraden in die Augen sehen zu müssen. Da endlich kann ich die erlösenden Kommandos geben. In diesem Moment bestätigt sich wieder einmal, daß nichts umsonst ist, was man einmal geübt hat. Die unzähligen An- und Ablegemanöver auf der Swine in Friedenszeiten gaben mir die Sicherheit, den Zerstörer mit wenigen Maschinen- und Ruderkommandos auf Gegenkurs zu bringen.

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Mit 15 Seemeilen Fahrt wird wieder ausgelaufen. Eben ist der Leuchtturm passiert, da rauscht der Bombenteppich auf Stadt und Hafen nieder. Gerade in unserem Drehpunkt, den wir vor kurzem verlassen haben, steht die hohe weiße Wand einer schweren Bombensalve. Allmählich löst sich die lähmende Spannung an Bord, und als wir die Molen auslaufend wieder passiert haben, erscheinen an Deck zwei Fhüchtlingskinder, die sich an den Händen halten und ahnungslos fröhlich lachen. Dieses Lachen war wohl der glücklichste Augenblick seit langer Zeit. Es schien mir der unbewußte Dank für eine Rettung aus höchster Gefahr, in der wir — Menschen und Schiff — nur Werkzeuge einer höheren Macht waren . . Es gibt bei diesem Angriff eine große Menge Leidtragender, die nichts mehr darüber sagen können, weil sie ihn nicht überlebt haben. Alleine sieben der dicht an dicht liegenden deutschen Handehsschiffe gingen verloren: Die »Jasmund« (276 BRT), »Hilde« (491 BRT), »Ravensburg« (1069 BRT), »Heihigenhafen« (1923 BRT), »Tolina« (2000 BRT), »Andros« (3048 BRT) und die »Cordilhera« (12 055 BRT) der Hamburg-Amerika Linie, als Wohnschiff eingesetzt. Die schwersten Verluste gab es auf der » Andros«, einem Frachter der Deutschen Levante-Linie. Sie hatte etwa 570 Tote und sank am Bollwerk. Die Andros hatte, nach stürmischer Überfahrt mit 2000 Pillauer Flüchtlingen an Bord, Swinemünde erreicht. In qualvoller Enge wie es heißt, ohne Verpflegung und Trinkwasser, hatten zumeist Frauen und Kinder Tage und Nächte auf See zugebracht, immer in Erwartung eines Torpedos oder einer Mine. Chaotische Wochen der Flucht, die verwüstete Heimat und die Gefahren der See lagen hinter ihnen, der rettende Hafen war erreicht. Erleichtert atmeten sie auf und kamen an Deck. Sie wußten nicht wie ihnen geschah, als der Fliegeralarm einsetzte und sie wieder hinuntermußten. Nach dem ersten Treffer fingen die Kabinen, in denen Ärzte und Schwestern lagen, Feuer. Das Licht erlosch. Aus den dunklen Laderäumen führte eine einzige große Leiter nach oben. Ein Teil der Insassen drängte in panischem Schrecken hinauf, ein anderer wich vor den krachenden Einschlägen zurück. Manche wollten ihre hetzte Habe reifen und griffen zum Gepäck. Ein Kommando wurde durchgesetzt: »In Ruhe und ohne Gepäck das Schiff verlassen!« Ein Junge rief: »Mama, der Dampfer sinkt!« Herr Artur Krüger erreichte das Zwischendeck, als gerade eine neue Welle ihre Bomben warf: »Mit Entsetzen sah ich, daß der Bug des Schiffes in Rotglut stand. Im nächsten Augenblick vollzog sich die Katastrophe. Die Nieten gaben nach und der Schiffsbug klaffte auseinander. Wasser kroch ins Innere. Ein Verzweiflungsschrei von Hunderten angsterfüllter Menschen ertönte, unmittelbar darauf eine unheimliche Stille. Das eisige Wasser war über die Menschen hinweggegangen. In diesem Augenblick warf mich der Luftdruck einer Bombe zu Boden und mir schwanden die Sinne. Ich wachte einige Zeit später wieder auf und bemerkte, daß der Dampfer sank. Die Bombe hatte eine Trennwand aufgerissen, durch die ich mich auf das Oberdeck drängte.«

Schon steigt ihm die Flut bis zu den Hüften. Unter großen Bemühungen holt man die Leute von Bord, während der Luftangriff weitergeht. Einer erklettert die Brücke und findet dort einen einsamen Mann mit Ärmelstreifen, vermutlich der Kapitän. Dann liegt die »Andros« unter Wasser und kein Leben macht sich mehr bemerkbar. Wer das Land gewinnen und sich retten konnte, tauchte in irgendeinem Luftschutzkeller oder Splittergraben unter. Auch draußen unbeschreibliche Zustände. Flammen überall, die ganze Strandsiedlung war ein Feuermeer. Die Tanks waren getroffen, und der Hafen lag unter dicken schwarzen Rauchwolken. Sämtliche Flakstellungen waren ausgebrannt und verlassen. Die Stadt brannte an vielen Stellen. Tausende waren zugrunde gegangen. Der Kurpark war voller Toter, Arme und Beine und Köpfe lagen herum. Auf dem Kaiserbollwerk erhielt ein abfahrtbereiter Personenzug einen Volltreffer, die Leichenteile flogen bis in die Baumkronen. Die nach Swinemünde hereinkommenden Flüchtlingstrecks wurden auch noch von Tieffliegern dahingemäht. Es waren ja fast keine Männer dabei, die hatte man schon zum Volkssturm geholt, und so lagen neben den erschossenen Pferden fast nur tote und verwundete Frauen und Kinder. Auf dem Wasser ist ein unvorstellbares Getümmel. Die Flieger kreisen und die Schiffe zick-zacken. Auf der »Heinz Horn« werden Schwimmwesten verteilt, und die Flüchtlinge schwitzen Blut und Wasser, so sagt Gertrud Schiffer. Die »Tolina« sinkt nach zwei Treffern auf ebenem Kiel, der Schlepper »Vorsetzen« übernimmt die Leute. Kapitän Falk liegt im Bauhafen und sieht, wie sein Eisbrecher von der Gewalt der Detonationen zwei Meter angelüftet wird. Else Flußner aus dem Kreise Behgard hat noch das »Urräh« der Russen in den Ohren, als sie fliehend bei Horst die Pommersche Küste erreicht, wo sie in das Artiulerieduell zwischen Land und See gerät. Ein Marinefährprähm trägt sie nach Swinemünde und direkt in den Angriff, den sie in allen Phasen erlebt. Sie findet ihn »genauso gemein wie den auf Dresden; denn die, die auf den Meeresgrund geschickt wurden, hatten ja ohnehin schon alles verloren, und die waffenlosen Soldaten, die dabei waren, waren genauso wehrlos wie wir.« Sie schließt mit der akademischen Frage: »Mit wieviel Jahren Zuchthaus oder Hängen werden die bestraft, die das taten -2« Als alles vorbei ist, ist Swinemünde nicht mehr wiederzuerkennen. Ganze Straßenzüge liegen in Trümmern, die Anlagen sind umgepflügt, die schönen alten Bäume zersplittertes Brennholz. Die unter ihnen, halb von Sinnen, Schutz suchten, düngten den Boden mit ihrem Blut. Das alte Swinemünde starb. Der Verfasser hat später Mühe, hinter all den Schuttbergen sein Haus zu finden.

Der Kapitän des Lloyd-Dampfers »Lappland«, der den Angriff auf der Reede übersteht, muß gleich danach in die Stadt. Fr weigert sich, zu erzählen, wie er sie vorfand und schreibt nur: »Was ich am Hafen erblickte, kann ich nicht schildern. Es war wohl das Grauenhafteste, was ich in meinem Leben gesehen habe . . . « Und diese alten Lloydkapitäne und vielleicht noch Ostasienfahrer haben zuweilen allerlei gesehen, nicht zuletzt die Greuel der chinesischen Bürgerkriege. Doch alle Schreckensbilder verblassen gegen jenes Inferno von Blut und Feuer, in dem Preußen untergeht. Die tapfere kleine »Nautik«, die als eines der 14 Schiffe Stolpmünde verließ, übersteht alles fast ungeschoren, während ringsum alle Schiffe ausbrannten, sanken oder kenterten. Und ehe sich Swinemünde noch von dem lähmenden Entsetzen erholt hat, läuft sie schon wieder zu neuem Einsatz aus, nach Kolberg.

Verweise