Genetik
Unter Genetik (= Vererbungslehre) versteht man die Wissenschaft von der Vererbung bzw. die Lehre von der Vererbung. Die Genetik ist ein Teilgebiet der Biologie. Sie beschäftigt sich mit dem genetischen Code, d. h. mit den Regeln, nach denen die Basensequenzen der DNS (der in jeder Körperzelle vorhandene Bauplan des einzelnen Lebewesens) bzw. der mRNS (die zur Ablesung des einfachen Keimzellencodes nötigen Sequenzen) in eine Abfolge von Aminosäuren übersetzt werden. Die Vererbungslehre des Menschen wird Humangenetik genannt. Ihr anthropologischer Zweig (der sich mit Rassenkunde und mit dem Kausalverhältnis von Rasse und Zivilisation befaßt) wurde in jüngerer Zeit an den deutschen Universitäten stark zurückgedrängt zugunsten einer einseitigen Erforschung von monogenen und polygenen Erbleiden im Rahmen der medizinischen Humangenetik.
Inhaltsverzeichnis
Genotyp und Phänotyp
Unter Phänotypus (= Merkmalsbild, Erscheinungsbild) versteht man in der Biologie die Summe aller Merkmale eines Einzelwesens, die sich aus dem Zusammenwirken von Erbanlagen und Umwelt ergeben. Die Beschreibung des Begriffs als „äußeres Erscheinungsbild“ ist in biologischer Hinsicht jedoch insofern irreführend, als daß der Phänotyp eigentlich auch alle nicht von außen sichtbaren Merkmale umfaßt. In der definitorischen Abgrenzung zum Genotyp ist zu bedenken, daß sich nicht alle Erbanlagen im Phänotyp offenbaren. In der medizinischen Fachliteratur findet sich allerdings auch ein anderer, in seiner Bedeutung eingeschränkter, Gebrauch des Begriffs Phänotyp, und zwar dergestalt, daß hierunter tatsächlich nur das äußere Erscheinungsbild verstanden wird – der Begriff Phänotyp wird also in zwei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet.
Übersetzung und Bauplan
Die gesamte genetische Information einer Zelle wird Genom genannt. Der genetische Code ist ein Übersetzungsschlüssel oder eine Vorschrift zur Übersetzung, die angibt, wie eine Organfunktion oder die biologische Substanz – ein funktionelles Produkt – selber aufzubauen ist. Unter einem Gen versteht man einen (jeweils unterschiedlich langen) Abschnitt der DNS, der die Information für ein funktionelles Produkt trägt, bzw. diese „codiert“. Große Teile der DNS-Kette codieren überhaupt keine Gene. Das Gen hat die Information als Abfolge der Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin gespeichert. Als Genaktivität bezeichnet man den Umstand, daß ein Gen aktiv ist, wenn es abgelesen (transkribiert) und in ein Protein umgesetzt (translatiert) wird.
Wesentlich ist, daß jeweils eine Abfolge von drei Nucleotiden (= drei Basen) den Code für eine Aminosäure liefert. Diese Abfolge von drei Basen bzw. drei Nucleotiden bezeichnet man als Basentriplett oder Codon. Für die meisten Aminosäuren stehen nicht nur ein, sondern zwei oder mehrere Codewörter zur Verfügung. Der Triplett-Code ist infolgedessen nur in einer Richtung eindeutig: Man kann nur von einem Basen-Triplett auf eine Aminosäure schließen, aber nicht von der Aminosäure eindeutig auf das Triplett. Als „Universalität des genetischen Codes“ wird der Umstand bezeichnet, daß der Informationsgehalt der Basenabfolge – Adenin, Cytosin, Guanin, Thymin – von allen Lebewesen auf molekularer Ebene in gleicher Weise verstanden und zumindest für Strukturgene (die bereits erwähnten Regulator-Gene) identisch umgesetzt wird.
Das funktionelle Produkt kann z. B. ein bestimmtes Protein (Eiweiß) sein. Eine Vielzahl von Genen dient aber auch dazu, die Aktivität anderer Gene zu regulieren (→ Regulator-Gene). Wurde die genetische Information verändert – etwa durch Strahleneinwirkung, durch chemische Intoxikation oder durch zellbiologische Alterungsprozesse –, dann spricht man von einer Mutation am Erbgut. Als „Gameten“ (= Geschlechtszellen oder Keimzellen) bezeichnet man die Fortpflanzungszelle: Das Spermium beim Mann; die Eizelle bei der Frau. Die Keimzelle ist beim Menschen im Normalfall haploid. Eine Zelle wird „haploid“ genannt, wenn sie nur einen Satz an Chromosomen besitzt (jedes Chromosom ist nur einmal vorhanden). Gameten (Keimzellen) des Menschen sind haploid. Wenn männliche und weibliche Gameten miteinander verschmelzen, entsteht eine befruchtete Eizelle (Zygote) mit einem diploiden Chromosomensatz – und in der Folge entwickelt sich hieraus ein diploider Organismus. Einige einfachere Organismen sind – anders als z. B. Menschen – in all ihren Zellen haploid (etwa auch männliche Bienen [= Drohnen]).
Beim Menschen befinden sich in jeder normal ausgebildeten Keimzelle (Eizelle, Spermium) 23 Chromosomen (wovon 22 Autosomen sind, eines ein Gonosom in Form eines X-Chromosoms oder Y-Chromosoms ist). Der Begriff Chromosom (= Farbkörperchen) rührt von der Forschungsgeschichte her, da die Chromosomen besonders leicht einfärbbar sind. Sie gehen von Natur aus besonders leicht chemische Verbindungen ein, was mit ihrer Funktion als Informationsspeicher zu tun hat.
Stammesgeschichte
Die in der Entwicklungsgeschichte der Lebewesen (→ Stammesgeschichte) einfachsten Gameten kommen bei Einzellern und niederen Pflanzen vor. Bei ihnen findet man noch keine äußerlich erkennbaren Unterschiede in Form und Größe, sie unterscheiden sich lediglich in ihrer Funktion. Da männliche und weibliche Gameten dort die gleiche Gestalt aufweisen, nennt man diese Gameten „Isogameten“. Geschlechtlichkeit gilt als produktiver Evolutionsfaktor, weil er die mögliche Rekombination von verschiedenen Allelen vervielfacht (und damit die genetische Resistenz gegenüber Erkrankungen verbessert, aber auch die genetische Variabilität erhöht).
Forschungsgeschichte
Die schwierig zu entscheidende Frage der nachträglichen Veränderung von Genen durch die Lebensweise untersucht die Epigenetik. In der Forschungsgeschichte setzte sich zunächst Charles Darwin durch, der in der ersten Auflage seines klassischen Werkes „Die Entstehung der Arten“ (1859) eine Deutung nach Lamarck strikt ablehnte (also die Vererbung erworbener Eigenschaften zurückwies). Gregor Mendel zeigte vor 1900 anhand seiner Mendelschen Erbregeln das einfache mathematische Muster, nach welchem monogene Eigenschaften sich im Erbgang übertragen. Seine Forschungern – die Darwin persönlich vorlagen, von diesem aber nicht beachtet wurden – erlangten erst nach dem Tode Mendels weltweite Anerkennung. In der jüngeren Zeit, namentlich im Anschluß an Forschungen von Barbara McClintock (Nobelpreis 1983) über „springende Gene“ bei niederen Lebensformen, werden epigenetische Forschungsergebnisse nicht mehr als Angriff gegen Darwin verstanden, sondern als zutreffende (oder eben im Einzelfall auch nicht zutreffende) Befunde wahrgenommen.
Gendrift
Unter Gendrift (Alleldrift, genetischer Drift, Sewell/Wright-Effekt) versteht man die zufällige, nicht durch Selektion bewirkte Änderung der Zusammensetzung des Genpools. Gendrift ist also die Veränderung von Allelfrequenzen in einer gegebenen Population, die nicht auf Selektionsvorteilen oder Selektionsnachteilen, sondern auf zufälligen Ereignissen beruht.
Gendrift wirkt sich in kleinen Populationen am stärksten aus (→ „Gründereffekt“). Stirbt der Großteil der Tiere einer Population (z. B. infolge von Dürre, Seuchen oder anderen Naturkatastrophen) und steigt die Zahl der Individuen dieser Population danach wieder an, spricht man von einem Flaschenhalseffekt, bzw. einem „genetischen Flaschenhalseffekt“. Mit dem Tod werden auch die Gene (bzw. die Allele der gestorbenen Tiere) aus dem Genpool eliminiert. Die wenigen verbleibenden Tiere besitzen innerhalb ihrer Restpopulation somit nur noch einen geringen bis sehr geringen und zufälligen Teil der zuvor vorhandenen Gene, bzw. Allele: Es kommt durch den Flaschenhalseffekt folglich zu einer drastischen Reduzierung der genetischen Vielfalt – man spricht daher häufig auch von einer „genetischen Verarmung“ der betroffenen Population.
Gentechnik
Der künstliche Eingriff in den Erbgang wird Züchtung genannt, die modernen Verfahren der manipulativen Neukombination von Genen (auch über die Artenschranke hinaus oder sogar über die Tier-Pflanze-Schranke hinaus) wird Gentechnik genannt. Die Züchtung von unfruchtbaren Nutzpflanzen (zur Ertragssteigerung, aber auch zur Monopolbildung von Samenanbietern; → Hybride) zählt zu den am stärksten umstrittenen Technikperspektiven der Gegenwart.
Literatur
- Volkmar Weiss: Das IQ-Gen – verleugnet seit 2015: Eine bahnbrechende Entdeckung und ihre Feinde, Ares Verlag, 2017, ISBN 978-3902732873 [160 Seiten]
- Wilhelm Seyffert (Hg.): Lehrbuch der Genetik. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg / Berlin 2003. 2. Auflage, XXVI, 1230 S. mit zahlreichen Abbildungen, ISBN 3-827-41022-3
- Terence A. Brown: Gentechnologie für Einsteiger. 3. Aufl. XIII, 409 S. Aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Vogel. Spektrum Akademischer Verlag Verlag, Heidelberg / Berlin 2002, ISBN 3-827-41302-8