Buch
Titel:
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Im Kraftfeld von Rüsselsheim
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Autor:
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Heinrich Hauser
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Verleger:
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Verlag Knorr und Hirth
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Erscheinungsjahr:
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1940
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Umfang:
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219 Seiten
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Im Kraftfeld von Rüsselsheim ist ein Buch von Heinrich Hauser aus dem Jahre 1940 mit 80 Farbphotos von Dr. Paul Wolff.
Rezeption
„Im Kraftfeld von Rüsselsheim“ erschien 1940 im Verlag Knorr und Hirth in München. Der Autor und der Fotograph besuchten die Opel-Werke in Rüsselsheim, um die verschiedenen Produktionsbereiche der Automobilherstellung aufzunehmen. Aber nicht nur die eigentliche Produktion, sondern auch die Rohstoffgewinnung und –verarbeitung werden porträtiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zwei Fortsetzungen herausgegeben, die unter den Titeln „Bevor dies Stahlherz schlägt“ und „Dein Haus hat Räder“ weitere Teile der Automobilproduktion darstellten.
Heinrich Hausers „Im Kraftfeld von Rüsselsheim“ war eine buchtechnische Pioniertat. Das lag zunächst aber vor allem an den 80 Farbfotos von Dr. Paul Wolff, die dem Text kongenial zur Seite gestellt waren.
Nur vier Jahre zuvor war der erste Farbfilm für die Kleinbildkamera auf den Markt gekommen. Zwei Jahre später gelang es dem Verlag Knorr und Hirth in München die Farbnegative schon direkt im Buchdruck zu reproduzieren. Für eine Industriereportage schien das Verfahren allerdings noch lange nicht tauglich. Das lag vor allem am Licht. Das natürliche Licht in den Fabriken reichte für die kurzen Belichtungszeiten der Reportagefotographie nicht aus. Gleichzeitig war der Farbfilm entweder für Tages– oder für Kunstlicht ausgelegt, was bedeutete, daß Paul Wolff ausschließlich mit Kunstlicht arbeiten konnte und damit riesige Lichtbatterien aufbauen mußte.
Farbphotos
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Im Kraftfeld von Rüsselsheim
Stahlstäbe kommen weißglühend aus dem Ofen — und aus der Warmpresse kollern die fertigen Muttern.
Der elektrische Wärmeofen, gespickt mit Rundstählen in allen Farbenspielen zwischen Stahlblau, Kirschrot und Weiß, ist so geheimnisvoll wie nur irgend ein Alchimistenofen des Mittelalters.
Die Schmiedemaschine, von Schmieröl glänzend, schmiedet dem warmen Rundstahl den kantigen Bolzenkopf. Ihre Hämmer werden durch den großen Hebel in Tätigkeit gesetzt.
Fertige Bolzen mit Muttern, während der Herstellung stark verölt, werden in ein „Entfettungsbad“ getaucht. Nur ein feiner Ölhauch muß als Rostschutz haften bleiben.
Diese große Schneidmaschine zerschneidet sieben Stahlstäbe von verschiedener Dicke zu sieben verschiedenen Längen, automatisch und in einem Arbeitsgang. Die abgeschnittenen Stücke gleiten über den „Rangierbahnhof“ einer Sortiermascine, fallen in Behälterwagen; dann wandern sie in die Bolzenfabrikation.
Eine hungrige Maschine wird gefüttert. Mit einem Stahlfinger greift sie sich aus dem großen Teller, der vor ihrem Mund rotiert, Bolzen um Bolzen heraus und schneidet Gewinde
„Nur eine Schraube“ –, trotzdem wandert jedes Stück, bevor man es verpackt, durch viele Hände, vorbei an vielen Augen und Meßinstrumenten, wird geprüft und abermals geprüft. Von solchen „Pfennigwerten“ in einem Kraftfahrzeug hängen Menschenleben ab.
So einfach wie Essenausgabe aus der Gulaschkanone steht es aus, aber es ist eine schwere Kunst: das Kolbengießen. Keine Maschiene kann den Gießer ersetzen. Er muß die Kolbenform beobachten und in dem Grade, wie die Luft aus ihr erweicht, absolut gleichmäßig das flüssige Aluminium gießen.
Zum Thema „Mensch und Automat“. Die große Bohrmaschine arbeitet wohl automatisch, trotzdem ist das Endergebnis durchaus abhängig vom Feingefühl der Hand, die sie steuert. Die überaus genauen Bohrungen im Kolben sind das Ergebnis einer Gemeinschaftsleistung von Mensch und Maschine.
Unter der Mikrometerschraube. Der ideale Kolben ist nicht rund. „Unrund“ muß er sein, wenn auch nur um Hundertstel eines Milimeters, weil er sich dann im Betrieb durch thermische Beanspruchung ungleich dehnt. In der verfeinerten Körperform moderner Kolben steckt die Lebensarbeit großer Ingeneure.
In einem stillen Raum, fern von den lärmenden Maschinensälen, legt jeder Kolben sein „Examen“ ab. Mit Fühlern und mit Sonden wird ihm das Maß genommen; jede Bohrung muß sich „lupenrein“ erweisen wie ein Diamant. Hier wird Fabrikarbeit zur Wissenschaft.
Das Perlenhalsband einer Kaiserin? – In den fünf konzentrischen Ringen einer Schleifmaschiene werden tausend Stahlkugeln im letzten Arbeitsgang „egalisiert“.
Sanfte Massage in einem rotierenden Faß voll Sägemehl reinigt die stählernen Kugeln und verleiht ihnen den schönsten Silberglanz.
Der Pergamentschirm dämpft das grelle Lampenlicht. Die oberen Hälften der blanken Kugeln erscheinen wie mattiert. Über dem Lichtschirm neigt sich tagaus, tagein durch viele Stunden das stille Gesicht der jungen Prüferin. Ihr Auge vermag mehr als die besten Prüfmaschinen. In diesem Licht erkennt es winzigste Polierfehler auf der Kugelfläche.
Still und bedachtsam werden Kugeln und Ringe hier zum Kugellager vereinigt zu einer Ehe für die ganze Lebensdauer eines Wagens, zu Fahrten, die um den ganzen Erdball führen könnten. Ein Mann, der solche „Ehen" schließt, trägt viel Verantwortung.
Die „Lehre“ trägt nichts zu der Erschaffung des Werkstücks bei und trotzdem ist sie unentbehrlich. Die Lager, die der Prüfer kontrolliert, gleichen durchaus den schon geprüften. Und doch besteht ein großer Unterschied: die einen sind vielleicht maßhaltig, die andern sind es bestimmt.
Die hohen Burgen der Zechentürme, Schlote und Kokereien, die hohen Säulen von durchleuchtetem Dampf erscheinen geisterhaft in der Abenddämmung des Ruhrreviers – gewaltiges Werk von Menschenhand und doch nur eine schwache Oberflächenkräuselung bewegt von den Schätzen, die in den Tiefen der Erde ruhen.
Schmelzendes Eisen verlangt Männer von Stahl!
Tor zu einem Höllenrachen! Ein Siemens-Martinofen, frisch beschickt. Die Stahtlür sinkt, Man meint, das Brausen der Flammen zu hören.
Die letzte Probe vor dem Abstich. Lange Asbesthandschuhe schützen die Hände, blaues Glas die Augen.
Urkraft feurig–flüssigen Metalls, wie sie tief im Herzen unserer Erde schlummert, bricht im Abstich aus dem Leib des Ofens, strömt unter Glutwolken und spritzendem Funkenflug in die riesige Gießpfanne.
Die klobige Masse des Elektro–Ofens neigt sich beim Abstich wie zum Sturz
Die Gießpfanne ist ausgeleert. In den Kokillen brodelt noch lange die Glut des Stahls.
Aus der Kakille gehoben rollt vor das erste Walzenpaar der plumpe, ungefüge Block ...
... und nach dem ersten „Stich“ — der Block hat sich gelängt, gestreckt, er ist zum Balken geworden ...
... jetzt aber, unter dem zermalmenden Zugriff des dritten Walzenpaars, reckt sich die lange Stahlzunge flammenspeiend auf. Aus dieser leuchtenden „Platine“ wird die Stahlhaut eines Autos werden.
Beim Walzen der „Platinen“. Die strahlende Hitze ist ungeheuer, Drahtgaze schützt die Gesichter. Schwerere Arbeit gibt es wohl kaum. Arbeitskameraden geben ihre Lebenskraft für die „stählerne Haut“, die uns schützt.
Der kalte, nüchterne Glanz der fertiggewalzten Stahlbleche, die nun vermessen und zu Platten zerschnitten werden, spiegelt nichts mehr von den vulkanischen Gewalten ihres Werdegangs.
Es fängt an wie ein Märchen. Es war in Deutschlands schlimmster Notzeit –, da suchte ein arbeitsloser Bergmann, Otto Rompf, auf den einsamen Höhen des Siegerlandes nach einem uralten Stollen, der seit fünfzig Jahren verschüttet und vergessen war. Er hat ihn gefunden und in jahrelanger Arbeit wieder augeschlossen.
...Dreihundert Meter tief im Berg fand der Bergmann eine gewaltige Höhle. Hier haben nach Erschöpfung der reichsten Erzadern vor fünfzig Jahren die Bergknappen die Arbeit eingestellt. Otto Rompf aber setzte seinen Meißel in die Bohrlöcher seiner Vorgänger und fand ...
... Kupfer, das wie grünes Eis aus dem Gestein quoll, schimmerndes Zink, stumpfe Bleiadern und— dreißigprozentiges Eisenerz! Allein, nur mit der Hilfe seines Sohnes, hat er bisher 5 000 Tonnen Erz für den Vierjahresplan aus „seinem“ Berg herausgeholt.
Die Bohrmaschine und ihr Preßluft–Antrieb, mit geborgtem Geld gekauft, sind heute abbezahlt. Das Bohrloch für die Sprengpatrone liegt im Deckgestein einer großen Höhle, das bei der Sprengung losgelöste Erz wird mit Donnerkrachen in fünfzehn Meter Tiefe fallen.
Aus Klebsand hat der Former, über einem Metallmodell das „Negativ“ eines Vier-Zylinder-Olympiamotors geprägt. Der Handkran hat den Formkasten vom Modell abgehoben.
Kernstücke werden in die Formen des Zylinderblocks geschoben. Die Gestalt des künftigen Motors ist aus solchen Formen schwer zu erkennen. „Was hohl ist, wird voll, und was voll ist, wird hohl, nur der Former weiß, was draus werden soil.“ (Max Eyth.)
In ständigem Fluß entströmt dern Schmelzofen hochwertiges Gußeisen. Von einem schwenkbaren Kessel wird es aufgefangen, der nun eine Gießpfanne nach der andern füllt. Am Kran eilen die Pfannen zum Guß.
Die Geburt jedes Motors ist von einem zauberhaften Feuerwerk begleitet. Unter dem Sturz des flüssigen Eisens brechen aus der Form eingeschlossene Gase hervor, entzündet zu wabernden Flammenzungen.
Im Hammerschlägen wird das Gußstück aus dem Formkasten herausgeklopft, „Trümmerstücke“ zu Füßen der Arbeiter, im Sand halb vergraben, werden die lebendigen, starken Herzen von Automobilen sein.
Fast jeder Fluß im Schwabenland umrahmt ein Städtebild, wo unberührt vom Wandel der Jahrhunderte eigenwillig gewachsene Häuser sich in den stillen Wassern spiegeln. Die schwäbischen Flüsse gehören nicht zu den großen deutschen Strömen, aber sie sind die Flüsse der deutschen Innigkeit und die Heimat eines der besten deutschen Facharbeiter.
Im Bauernkittel seiner Väter treu und gewissenhaft der Arbeit hingegeben –, er ziseliert die Gußform eines Kühlergitters.
Mit einem Druck von 500 Atmosphären hat die Spritzgußmaschine flüssiges Metall in die Rinnen der Form „geschossen“. Das Kühlergitter ist gelungen. Der dünne Metallschleier, der den oberen Teil des Stücks bedeckt, kann leicht losgebrochen werden.
Das silberweiße Kühlergitter ist für den schwäbischen Ingenieur ein Ehrenschild. Es galt als technische Unmöglichkeit, die komplizierte Form aus der „Kanone“ einer Spritzgußmaschiene zu schießen, aber –, „ein echter Schwabe forcht’ sich net.“
Für den Laien sind es goldene Helme, für den Mathematiker Verkörperungen der reinsten „parabolischen Form.“ — Für den Kraftfahrer sind es Scheinwerferspiegel, die eine große Friktionspresse prägt.
In geheimnisvollen, chemischelektrischen Bädern bekommen die Scheinwerferspiegel ihre strahlende Silberhaut.
Kein Ritter hat je einen so glänzenden Armpanzer getragen wie der Arbeiter, der verchromte Scheinwerfer–Deckelringe zum Polieren von der Stange streift.
Wer hätte geahnt, daß es in einem Fabrikbetrieb so zarte Anmut gibt? Und so zauberhafte Farben? Die Kittel der „Mädchen in Rot“ sind dem „Pariser Rot“ angepaßt, mit dem man versilberte Spiegel poliert
Silberne Spiegel, geschliffenes Glas, dünne Metallringe und elektrische Kontakte mit dem Gehäuse zum fertigen Scheinwerfer zusammenzubauen -, das ist eine Arbeit für die feinen und geschickten Finger der Frauenhand
Mit geschlossenem Auge, alle Aufmerksamkeit auf das Gehör gesammelt, belauscht er Lichtmaschinen bei ihrem tagelangem Dauer-Prüfungs-Lauf auf verborgene Lagzergeräusche.
Mit höchster Konzentration der Arbeit hingegeben — ruhig und sorgsam wie eine Medizinerin!
Millionen dünne Platten reiner Zellulose – sie waren einmal Bäume und wiegten sich im Wind.
In Laugenbädern aufgequollen, in Mühlwerken gemahlen, sind die Zelluloseplatten zu weiße Pulver geworden — „Alkali-Zellulose“.
Eine von vielen sechseckigen Trommeln, in deren luftverdünntem Raum Alkali-Zellitlose mit Schwefelkohlenstoff sich mischt. Die rotlich-gelbe feuchte Pulvermasse, die herausfällt, heißt „Xanthogenat“.
In Bädern von verdünnter Natronlauge verwandelt sich der Stoff in eine dicke, honiggelbe Flüssigkeit: die Viskose. Das Glas in den Händen des schlesischen Meisters enthält ein deutsches Wunder!
Jeder der Stahlzylinder enthält achtzehnhundert feinste Düsen. In unendlich dünnen Strahlen wird die Viskose in „FaIlbäder“ gespritzt. Aus dem Spinnbad steigen Fäden – Zellwolle ist geboren!
Endlos lang sind die Zellwollfäden. Aber vor dem Verspinnen zerhackt und kräuselt man sie, um sie der tierischen Wolle in ihrer Wirkung anzugleichen. Das Naturprodukt Schafwolle ist eine Umwandlung von organischen Futterstoffen im Körper des Tieres; Zellwolle ist eine Verwandlung der Pflanze im Körper der Fabrik: die beiden Stoffe sind einander viel ähnlicher, als der Laie glaubt.
Die Zellwolle wird gesponnen! — Eine einzige moderne Spinnmaschine trägt Hunderte von sausenden Spindeln; wie streifiger Regen gleiten die Fäden von den Spulen abwärts zu den Spindeln und werden „verzwirnt“.
Die Zellwolle wird gewebt! — An einem der sausenden Webstühle unserer Zeit entsteht das feine Fischgrätenmuster, das man zur Bespannung der Auto-Polstersitze liebt. — Aber auch im modernsten „Jaquardstuhl“ fliegt immer noch das alte Weberschiffchen mit dem Schußfaden durch die Kette.
In den großen deutschen Reifenfabriken lagert Urwald. Die vierkantigen Ballen, von denen der Lagermeister ein einzelnes Rohkautschuk-„Fell“ auf Reinheit prüft, sind aus indischen Plantagen gekommen. Die aufgeschnittenen, runden Ballen sind über einem Feuer in den Urwäldern Brasiliens entstanden. Ein halbwilder Indianer, mit gefeilten Eckzähnen und Zierknothen im Nasenknorpel, hat die Milch des wilden Gummibaumes an einem Stock im Feuerrauch gerinnen lassen.
Der Rohkautschuk wird zwischen Walzen geknetet und nach einem von den fünfzehntausend Geheimrezepten der Fabrik mit Chemikalien vermengt. Der Reifen enthält nur ein Drittel Kautschuk —, der Rest ist Draht, Gewebe und Chemie.
Auf dem Spulengatter wird das Cord-„Gewebe“ für den Unterbau des Reifens hergestellt. Zweitausend Fäden werden eng nebeneinander zu einem breiten Band zusammengeführt
Weiche Kautschukmasse, von Walzenpaaren flach geknetet, umhüllt jeden einzelnen Faden gleichsam mit einem „Mantel“. Wie Zeitungspapier von der Rotationspresse läuft dann das Cord-„Tuch“ zu den Schneidmessern. Aus schrägen Streifen dieses Tuchs wird in vielen Schichten der Körper des Reifen gewickelt.
Dem fertig gewickelten, aber noch nicht vulkanisierten Reifen wird vor seiner endgültigen Formgebung ein Herzschlauch eingelegt. Durch das Ventil an der rechten Hand des Arbeiters wird später Luft geblasen.
Daß Kautschuk mit Schwefel sich unter Einwirkung von Wärme zu Gummi wandelt, wurde durch einen Zufall entdeckt; die Vulkanisation vollzieht sich in der... modernen Fabrik in Hunderten von „Backöfen“. Wird nach Stunden ein Ofen geöffnet, so tritt der Reifen frisch, warm und völlig gebrauchsfertig an das Tageslicht.
Die Deckel der Vulkanisiertrommeln, in denen Riesenluftreifen hergestellt werden, sind so schwer, daß sie nur mit Hebezeugen abgehoben werden können.
Rote Kautschukmischung für Schläuche wird geknetet, in Streifen von der Walze geschnitten und der Schlauch-Spritzmaschine zugeführt.
In kurzen Abständen springen die Vulkanisieröfen automatisch auf; die aufgeblasenen frisch vulkanisierten Schläuche werden zur Prüfung in ein Wasserbad geworfen. Jeder dieser roten Gummischlangen soll schwere Lasten über viele tausend Kilometer tragen.
Das Werden des „gepanzerten Kristalls“ beginnt wie ein Glashüttenmärchen aus alter Zeit ..
Die tönerne Wanne, in der Quarzsand erschmolzen wird, erscheint geheimnisvoll durchglüht.
Wie dickes Öl gleitet das flüssige Glas aus der Wanne über das „Wehr“ der Bicheroux-Maschine. Gleich wird der Plattenwagen die leuchtende „Schleppe“ rauschend davontragen, und die schräg auflagenden Fallbeile werden Schlag auf Schlag das ausgeflossene Glas zu Platten schneiden.
Grünblau, wie ein in Frost erstarrter See, liegt das erkaltete Rohglas in großen Flächen. Ein Lampenwägelchen durchleuchtet seine jetzt noch trübe Tiefe. Jeder Gußfehler, von scharfen Augen entdeckt, wird mit Kreide eingekreist.
Stahlrädchen, an Härte fast dem Diamanten gleich, werden an Linealen entlanggeführt und schneiden aus der großen Glastafel die gewünschten Stückgrößen heraus.
...Tanz bei der Arbeit ? — Ja, hier nimmt der Arbeitsrhythmus tänzerische Formen an...
... im Stampftritt tanzen die Männer die Rohglasplatten in die flüssige Gipsmasse ein.
Ausschnitt aus dem riesigen Karusell der Schleifmaschine. Die Schleifscheibe mit ihren scharfkantigen Stahlrippen hat sich auf die Glasplatten gesenkt. Sausender Stahl und Wasserfluten, mit Sand gemischt, verrichten die Schleifarbeit.
Wie mit Rauhreif überzogen erscheint das Rohglas nach dem ersten Schliff. Jetzt gleiten Hunderte von Polierscheiben, mit dicken Filztüchern bespannt, über den Glastisch. Das Poliermittel „Pariser Rot“ fließt aus den gebogenen Rohren.
Wenn eine Seite geschliffen und poliert ist, muß Platte auf Platte gewendet werden. Vorsichtig wird das kostbare Kristallspiegelglas mit Hilfe von Gummisaugfüßen transportiert. Das Hebezeug, ähnlich dem Arm eines Tintenfisches, wird der Glasplatte aufgelegt, die Luft im Hohlraum der Saugnäpfe wird abgesogen, und die große Platte schwebt, mit voller Sicherheit getragen.
Wasser ist farblos — Glas ist farblos. Aber wenn wir ins Meer blicken, so erscheint es dunkelgrün. Und auch ein Bündel von Windschutzscheiben schimmert grün wie ein riesiger Smaragd, der geheimnisvolle Spiegelbilder zaubert.
Die Rundungen der Windschutzscheiben werden vor dem „Sekurisieren“ mit dem Diamanten geschnitten. Später, wenn der Kristall gepanzert ist, kann selbst der Diamant ihn kaum bearbeiten.¬ Gegen die gefährliche Berührung mit den messerscharfen Kanten schützt man Handgelenke und Leib mit dickem Lederpanzer.
Vor Jahrmillionen brandete die Nordsee an eine andere Küste dort, wo heute tief im Lande Aachen liegt. Der gepanzerte Kristall, durch den du im Fahren blickst, ist hervorgegangen aus dem Quarz, den damals Urgewalt zahlloser Stürme zu weißem Sand zermahlen hat.
Siehe auch
Erich Retzlaff: Niederdeutschland – Landschaft und Volkstum, Verlag Knorr & Hirth, München 1940