Mem
Ein Mem bezeichnet nach der Memtheorie einen einzelnen Bewußtseinsinhalt (zum Beispiel einen Gedanken oder ein erzähltes Geschehen), der durch Kommunikation weitergegeben und damit vervielfältigt werden kann. Das Wort Mem ist ein Kunstwort, ebenso das Wort Memplex, welches die Vernetzung von einander bedingenden Memen erfassen soll. Es ist etymologisch dem englischen Wort gene (Gen) nachempfunden.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltliche Bestimmung
Die englische Bezeichnung meme wurde 1976 von dem Evolutionsbiologen Richard Dawkins vorgestellt[1]; er nannte als Beispiele dazu: „Ideen, Überzeugungen, Verhaltensmuster“. Dawkins unterscheidet nicht, ob eine Information sich auf einem DNS-Abschnitt befindet, als Gedanke im Gehirn abgespeichert, als Satz in einem Buch abgedruckt oder als gesprochenes Wort von Mensch zu Mensch unterwegs ist.
Informationen vermehren sich nach Dawkins, egal, ob als Gen durch die Zellteilung und die damit einhergehende Replikation des DNS-Strangs oder mittels Kommunikation beim Mem. Die Übertragung des Mems durch Kommunikation ist dabei nicht als Kopie („Blaupause“) eines Gedankens von Gehirn zu Gehirn zu verstehen, sondern – indem der wesentliche Kern der Botschaft erfaßt und weitergegeben wird – eher wie ein „Backrezept“ zur Reproduktion desselben Gedankens aufzufassen.
Als Memetik wird das daraus abgeleitete Prinzip der Informationsweitergabe bezeichnet. Das Mem findet seinen Niederschlag in der „Memvorlage“ (im Gehirn oder in einem technischen Speichermedium) und der „Memausführung“ (zum Beispiel Kommunikation). Die Vernetzung von einander bedingenden Memen wurde von Dawkins zunächst als „koadaptiver Mem-Komplex“ bezeichnet, was später zum Kunstwort Memplex zusammengezogen wurde.
Anwendung
Religion
Zur Veranschaulichung des Mem-Konzepts nennt Dawkins die monotheistische Festlegung auf einen Gott einen erfolgreichen kulturellen Replikator (gemessen z. B. an seiner Verbreitung), während z. B. der Glaube an die Wirkung von Regentänzen sich nicht global durchsetzen konnte, irgendwann sogar einer kulturellen Auslese zum Opfer fiel und nun ein Nischendasein führt. Dabei kann das Mem „nur ein Gott“ als Teil eines außerordentlich großen autokatalytischen Verbandes, der Religion, gesehen werden.
Soziologie
Nach der Mem-Theoretikerin Susan Blackmore ist die Essenz eines jeden Memplexes die, daß sich Meme in ihrem Inneren als Teil der Gruppe besser replizieren als auf sich allein gestellt. Als Beispiel für einen Memplex nennt sie den Kettenbrief, der typischerweise folgende Ideen enthält:
- eine beliebige unwahre oder sinnlose Information
- vermeintliche Indizien für die Seriosität der Informationsquelle
- die Behauptung, daß die Information für den Empfänger wichtig sei
- die Behauptung, daß die Information für weitere Personen wichtig sei
- die Aufforderung, den Brief an diese Personen weiterzusenden
Für sich alleine hätte jedes dieser Meme relativ schlechte Chancen, sich innerhalb einer Gesellschaft zu verbreiten. Als Gruppe sind sie jedoch häufig geeignet, eine gewisse Anzahl von Personen von der Wichtigkeit ihrer Verbreitung zu überzeugen.
Siehe auch
Literatur
- Richard Dawkins: Das egoistische Gen. Spektrum, Akad. Verl., Heidelberg/Berlin/Oxford 1994 (Originaltitel: The Selfish Gene, übersetzt von Karin de Sousa Ferreira), ISBN 3-86025-213-5. [Erstveröffentlichung 1976]
- Susan Blackmore: Die Macht der Meme oder Die Evolution von Kultur und Geist. Spektrum Verlag, 2000 [Buchbesprechung von R. Schäfer in: Skeptiker 1/2004, S. 33–34]
- Christopher von Bülow: Artikel Mem, in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, 2. Aufl., Bd. 5, Stuttgart/Weimar: Metzler 2013
- Scott Atran, The Trouble with Memes, in: Human Nature 12, 4 (2001), S. 351 ff.
- Robert Aunger: The Electric Meme. A New Theory of How We Think, Free Press, New York, NY 2002, ISBN 0-7432-0150-7
- Antoinette Becker, C. Mehr, H. H. Nanu, G. Reuter, D. Stegmüller (Hrsg.): Gene, Meme und Gehirne. Geist und Gesellschaft als Natur. Eine Debatte. Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Band 1643, Frankfurt am Main 2003, ISBN 978-3-518-29243-3
- Rolf Breitenstein: Memetik und Ökonomie. Wie die Meme Märkte und Organisationen bestimmen, LIT, Münster 2000, ISBN 3-8258-6246-1
- Richard Brodie: Virus of the Mind, Integral Press, Seattle 1996; ISBN 0-9636001-1-7
Verweis
- Vera F. Birkenbihl: Video-Vortrag „Viren des Geistes“