Totentanz (Goethe)
Totentanz ist eine Ballade Johann Wolfgang von Goethes, die 1815 erstmals veröffentlicht wurde. Sie handelt davon, wie ein Türmer beobachtet, wie auf dem Friedhof die Toten zur Mitternacht aus ihren Gräbern kommen und dort einen Tanz aufführen. Er kommt daraufhin auf die Idee, eines der Laken der Toten zu entwenden. Als er dies getan hat, klettert jedoch der beraubte Tote den gotischen Turm hinauf, um sein Laken wiederzuerlangen. Der bedrängte Türmer wird jedoch durch das Schlagen der Turmuhr gerettet, woraufhin das Gerippe des Toten auf dem Boden zerschellt.
Entstehung
Die Ballade entstand 1813 während der französischen Fremdherrschaft, als Goethe sich auf dem Weh nach Teplitz befand. Er schickte die Ballade am 22. Mai 1813 per Brief an seinen Sohn August, 1815 wurde sie dann erstmals gedruckt.
Text
- Der Türmer, der schaut zu Mitten der Nacht
- Hinab auf die Gräber in Lage;
- Der Mond, der hat alles ins Helle gebracht;
- Der Kirchhof, er liegt wie am Tage.
- Da regt sich ein Grab und ein anderes dann:
- Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann,
- In weißen und schleppenden Hemden.
- Das reckt nun, es will sich ergetzen sogleich,
- Die Knöchel zur Runde, zum Kranze,
- So arm und so jung, und so alt und so reich;
- Doch hindern die Schleppen am Tanze.
- Und weil hier die Scham nun nicht weiter gebeut,
- Sie schütteln sich alle, da liegen zerstreut
- Die Hemdlein über den Hügeln.
- Nun hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein,
- Gebärden da gibt es vertrackte;
- Dann klippert's und klappert's mitunter hinein,
- Als schlüg' man die Hölzlein zum Takte.
- Das kommt nun dem Türmer so lächerlich vor;
- Da raunt ihm der Schalk, der Versucher, ins Ohr:
- Geh! hole dir einen der Laken.
- Getan wie gedacht! und er flüchtet sich schnell
- Nun hinter geheiligte Türen.
- Der Mond, und noch immer er scheinet so hell
- Zum Tanz, den sie schauderlich führen.
- Doch endlich verlieret sich dieser und der,
- Schleicht eins nach dem andern gekleidet einher,
- Und, husch, ist es unter dem Rasen.
- Nur einer, der trippelt und stolpert zuletzt
- Und tappet und grapst an den Grüften;
- Doch hat kein Geselle so schwer ihn verletzt,
- Er wittert das Tuch in den Lüften.
- Er rüttelt die Turmtür, sie schlägt ihn zurück,
- Geziert und gesegnet, dem Türmer zum Glück,
- Sie blinkt von metallenen Kreuzen.
- Das Hemd muß er haben, da rastet er nicht,
- Da gilt auch kein langes Besinnen,
- Den gotischen Zierat ergreift nun der Wicht
- Und klettert von Zinne zu Zinnen.
- Nun ist's um den armen, den Türmer getan!
- Es ruckt sich von Schnörkel zu Schnörkel hinan,
- Langbeinigen Spinnen vergleichbar.
- Der Türmer erbleichet, der Türmer erbebt,
- Gern gäb er ihn wieder, den Laken.
- Da häkelt – jetzt hat er am längsten gelebt –
- Den Zipfel ein eiserner Zacken.
- Schon trübet der Mond sich verschwindenden Scheins,
- Die Glocke, sie donnert ein mächtiges Eins,
- Und unten zerschellt das Gerippe.