Biologisch-dynamische Landwirtschaft
Unter biologisch-dynamischer Landwirtschaft wird Landbau, Viehzucht, Saatgutproduktion und Landschaftspflege nach anthroposophischen Grundsätzen verstanden. Produkte können unter der Marke Demeter vertrieben werden.
In den 1920er Jahren gaben manche Landwirte, Gutsbesitzer und Lebensmittelverarbeiter, die der Anthroposophie Rudolf Steiners nahe standen, an, dass die Nahrungsmittel, mit denen sie täglich zu tun hatten, weniger gut schmeckten als die, die sie noch in der Kindheit genossen hätten. Beim Getreide und anderen Kulturen sei ein Nachlassen der Vitalität/Qualität zu bemerken. Dieses Gefühl der Qualitätsverschlechterung entstand in einer Zeit, in der die mineralische Stickstoffdüngung, lange nach dem Erscheinen des Hauptwerks Justus Liebigs ("Die Organische Chemie in Anwendung auf Agrikultur und Physiologie", 1840), gerade aufgegriffen wurde und sich langsam die Massenproduktion von Nahrungsmitteln entwickelte.
In Wissenschaft und Praxis waren damals wenig Ambitionen zur Erhaltung der Nahrungsmittelqualität und der Widerstandsfähigkeit der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge zu verzeichnen, und so erhoffte sich ein zunächst kleiner Kreis von Menschen aus der Anthroposophie neue Impulse für den Landbau.
Die Anthroposophie bemüht sich, die Welt und den Menschen als "mehrdimensionale Wesen" zu begreifen und zu erkennen und erhebt den Anspruch, die moderne, vorherrschende "materialistische Weltanschauung" durch eine "geistige Sichtweise" zu ergänzen. Es wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch in der Lage ist, durch Meditation und Arbeit eigene geistige Erfahrungen zu machen. Der Anthroposophie-Begründer Rudolf Steiner versuchte selbst Zeit seines Lebens seine geistigen Forschungsergebnisse in eine modernen Menschen zugängliche und nach seiner Ansicht wissenschaftliche Form zu bringen.
1924 entschloss sich Steiner auf Einladung von Johanna Gräfin und Karl Graf von Keyserlingk und auf Bitten anderer Landwirte und Gutsbesitzer, einen Landwirtschaftlichen Kursus abzuhalten, der die "geisteswissenschaftlichen Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft" legen sollte. Dieser Kurs fand zur Pfingstzeit 1924 auf dem Gut Koberwitz nahe Breslau statt. Vor etwa 100 Teilnehmern hielt Steiner acht Vorträge, an die sich jeweils eine Diskussion anschloss. Es wurden Themen wie das "Zusammenleben von Erde und Kosmos" und die "planetarischen Wirkungen auf die Erde und deren Bewohner" behandelt.
Die Idee des "landwirtschaftlichen Organismus", die heute auch außerhalb der biologisch-dynamischen Richtung gepflegt wird, wurde hier entwickelt. Eine erweiterte, "wesensgemäße" Erkenntnis der physischen Stoffe und deren Aufgabe als "Träger geistiger Kräfte" wurden als wichtige Grundlage genannt. Auch zum richtigen Verhältnis zwischen Feldwirtschaft, Obstwirtschaft und Tierhaltung, zur Bedeutung des Waldes und der Bildung von Biotopen wurden Angaben gemacht. Die wesensgemäße Fütterung der Tiere, aber auch die menschliche Ernährung waren Thema. Als besonders wichtig wurde die Belebung des Bodens und die Förderung und Erhaltung einer dauerhaften Fruchtbarkeit herausgearbeitet. Dazu wurden neue Ideen für Düngerwirtschaft und Kompostherstellung entwickelt.
Die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise konnte sich in der Zeit des Nationalsozialismus längere Zeit behaupten und zunächst einem Verbot entgehen, was einerseits durch Zugeständnisse von Seiten der Vertreter der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise, andererseits durch das Interesse einzelner Personen des Nationalsozialismus möglich war. Das Interesse an der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise schloß jedoch durchgehend die Anthroposophie aus und beschränkte sich auf die Zielsetzung einer nachhaltigen Landbauweise.
Trotz des Verbots der Anthroposophischen Gesellschaft im November 1935 und der Ablehnung der Anthroposophie durch den Nationaloszialismus konnten einzelne Organisationen, die sich nur mit angewandter Anthroposophie beschäftigten, bestehen bleiben.
Der Versuchsring anthroposophischer Landwirte nannte sich 1936 in Versuchsring für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise um. Zu den Zugeständnissen gehörte die weniger häufige Erwähnung des anthroposophischen Hintergrundes. Einige Jahre verhinderte die Fürsprache von Rudolf Heß ein vollständiges Verbot der biologisch-dynamischen Organisationen. Laut Alwin Seifert war er der Schirmherr der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise. Heß drängte auch auf vergleichende Versuche, um das Leistungspotential der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise feststellen zu können. Auf seine Initiative ging ein Betriebsvergleich durch die Landwirtschaftliche Betriebsprüfungsstelle zurück. Allerdings war sein Engagement in der NS-Führung umstritten und rief heftigen Widerspruch hervor. Sein Stellvertreter Martin Bormann lehnte die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise ebenso ab wie Hermann Göring und Reinhard Heydrich. Ab der Jahreswende 1939/1940 erfuhr die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise trotz Ablehnung des anthroposophischen Hintergrundes Unterstützung durch Walther Darré, der sich vom ökologischen Landbau die Schonung der Bodenfruchtbarkeit erhoffte. Darré gefiel die Betonung einer nachhaltigen Bewirtschaftung des Bodens, die Erzeugung hochwertiger Lebensmittel. Er lehnte auch Mineraldünger und Pestizide ab. Sein Ziel war die Entwicklung eines ökologischen Landbausystems, einer lebensgesetzlichen Landbauweise das naturwissenschaftlich fundiert sein sollte und auf die anthroposophischen Grundlagen verzichtet. Darré hatte jedoch zuvor im Laufe der 1930er Jahre kein Interesse für ökologische Landwirtschaft gezeigt und trat erst nach seiner faktischen Entmachtung als Minister 1939 im Juni 1940 erstmals öffentlich für die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise ein.[1]
Endgültig verboten wurden der Reichsverband für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise im Zuge der Aktion gegen Geheimlehren und sogenannte Geheimwissenschaften im Juni 1941, zudem wurde anthroposophische Literatur beschlagnahmt und einzelne Mitglieder des Reichsverbands zeitweise inhaftiert. Heinrich Himmler, der wie Darré die chemisch-technische Intensivierung der Landwirtschaft skeptisch sah, ordnete ebenfalls im Juni 1941 an, Düngeversuche auch mit einer biologisch-dynamischen Variante durchzuführen. Die Versuche wurden auf landwirtschaftlichen Gütern der "Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung" durchgeführt, die der SS zugeordnet und 1939 gegründet worden war. Zur Versuchsanstalt gehörte auch die Heilkräuterplantage des Konzentrationslagers Dachau.[2]
1946 wurde der "Forschungsring für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise" neu gegründet , aus dem das 1950 in Darmstadt von Josef Blockhuys, Kurt Eisele, Hans Heinze, Ernst Meyer, Nicolaus Remer, Immanuel Voegele, Kurt Willmann und Brunhild-Erika Windeck gegründete Institut für biologisch-dynamische Forschung hervorging. Erste Schritte wurden unternommen, um die Vermarktung aufzubauen. 1954 wurden die Warenzeichenrechte an den "Demeter-Bund" übertragen und 1956 Richtlinien erarbeitet und erlassen. Bis 1988 war der Demeterverband der mitgliederstärkste Bio-Anbauverband.
In den 1990er Jahren beschloß der Demeter-Bund, die Produkte mit seinem Markenzeichen überwiegend über den Fachhandel, das heißt über Naturkostläden, zu vertreiben. Die Positionierung ihrer Waren als "Premium-Produkte" wurde offenkundig, als der Demeter-Bund gemeinsam mit einem weiteren Anbauverband (Bioland) aus der Arbeitsgemeinschaft für Ökologische Landwirtschaft (AGÖL) austrat.