Freundeskreis Sneyssens e.V.
Freundeskreis Sneyssens e.V. war von 1950 bis 2016 ein flämischer Verein von ehemalige Freiwillige der Waffen-SS.
Geschichte
„Wir wollen aufhören, wenn es am schönsten ist“, so sprach Oswald Van Ooteghem bei seiner Rede auf dem Treffen des Freundeskreises Sneyssens e.V. am 12. März 2016. An diesem Tag fand das letzte Treffen der Flamen statt, die ehemalige Freiwillige der Waffen-SS waren. Obgleich der inzwischen seit 2006 aufgelöste Sint-Maartensfonds e.V. der vielleicht bekannteste flämische Verein solcher Art in Deutschland war, kann Sneyssens auf eine Vergangenheit von 65 Jahren zurückblicken.
In der Nachkriegszeit wurden verschiedene derartige Organisationen von ehemaligen Freiwilligen für ehemalige Freiwillige gegründet. Der Name Sneyssens bezieht sich auf Fähnrich Cornelis Sneyssens, einen Fahnenträger der Stadtmiliz aus der flämischen Stadt Gent, der im Jahre 1452 als letzter Genter auf dem Schlachtfeld blieb, um zu verhindern, daß die Fahne in Feindeshand fiel. Dabei starb er unter den Schwerthieben der Feinde und wurde später im Gedicht Sneyssens des flämischen Lyrikers und Romantikers Albrecht Rodenbach (1856-1880) verewigt. So war der Freundeskreis Sneyssens e.V. in der Tat in Gent aktiv, denn die Mitglieder kamen aus Gent und dem Umland.
Der Freundeskreis wurde nicht nostalgischer Gründe wegen gegründet, sondern aus der bitteren sozialen Not der ehemaligen Freiwilligen und ihrer Familien heraus. Bereits im Zweiten Weltkrieg hatten die flämischen Freiwilligen der Waffen-SS geahnt, daß sie im Falle einer deutschen Niederlage ein bitteres Schicksal erwarten sollte, denn „Radio London“ sendete täglich Todesurteile in Abwesenheit wegen „Waffentragens gegen den belgischen Staat oder dessen Verbündete“. 1945 begann dann eine Hexenjagd, die teilweise auf sehr zweifelhaften neuen Gesetzen fußte, die für ruckwirkend geltend erklärt wurden. Die belgische Exilregierung - obgleich nicht vom belgischen König anerkannt - hatte in den Kriegsjahren in London einen wahren Rache und Verfolgungsplan gegen die Freiwilligen entworfen, der umgesetzt werden sollte. Dazu gehörten Todes-, Gefängnis- und enorme Geldstrafen sowie Berufsverbote. Die Freiwilligen sollten bitter für ihren Einsatz bezahlen, und dies führte vor allem zu großer sozialer Not in den betroffenen Familien, unter diesen Umstanden begann die Arbeit für Sneyssens im Jahre 1950.
Eine kleine Gruppe ehemaliger Freiwilliger, die frühzeitig aus belgischer Internierung freigelassen worden waren und oft noch unter Polizeiuberwachung standen, traf sich jetzt regelmäßig und faßte den Entschluß, daß ihre selbstgesteckte Aufgabe, der Einsatz für die Gleichberechtigung der flämischen Sprache und Kultur in Belgien, nicht mit dem Untergang des Deutschen Reiches eingestellt werden dürfe. Zugleich war also ein sozial-politisches Ziel mit der Gründung des Vereins verbunden, obwohl dies in erster Linie nicht das Hauptziel war.
Viele Kriegskameraden saßen noch in belgischen Gefängnissen oder waren schwer kriegsbeschädigt aus dem Krieg heimgekehrt und konnten keinerlei Ansprüche auf staatliche Hilfe erwarten. Das politische Ziel - die politische Anerkennung flämischer Rechte innerhalb des belgischen Staates - wurde friedlich und unter voller Beachtung der demokratischen Staatsverfassung verfolgt. Viele Mitglieder, darunter hauptsächlich ehemalige Freiwıllıge der Waffen-SS, nahmen nach dem Krieg politische Mandate wahr und haben jahrzehntelang zum Ausbau des Sozıalstaats beigetragen. Dies wurde von den Medien oder in der sonstigen Berichterstattung oft verschwiegen.
Bei den Gründungsmitgliedern der ersten Stunden des Jahres 1950 fällt auf, daß darunter viele bekannte Namen waren: Es waren allesamt Männer, die bereits das vorkriegspolitische Leben bewußt gestaltet hatten und sich bereits 1941 mit der ersten Welle flämischer Freiwilliger gemeldet hatten. Am 27. Januar 1951 fand mit einer Gedenkfeier für Reimond Tollenaere die erste öffentliche Veranstaltung der ehemaligen flämischen Freıwıllıgen statt.
SS-Untersturmführer Tollenaere war 1942 als Zugführer der SS-Freiwilligen-Legion „Flandern“ gefallen und vor dem Krieg ein wichtıger flämischer Politiker aus Gent gewesen. Diese Gedenkfeier war ein konsequenter Schritt zur öffentlichen Wiederbelebung der alten Ziele von flämischer Selbstbestimmung. Doch die ersten Schritte waren nicht einfach, denn die Reaktivierung flämisch-orientierter Politik wurde vom belgischen Staat nur ungern gesehen und zum Tabu erklärt. So stürmte l953 belgische Polizei das Lokal, in dem gerade eine Versammlung stattfand, verhaftete alle Anwesenden und führte sie zum Verhör in eine Polizeikaserne.
Im Jahre 1958, dem Jahr der Weltausstellung in Brüssel, fand am 8. März ein großer Kameradenball statt. Dazu wurden auch viele ehemalige deutsche Angehörige der Waffen-SS der HIAG eingeladen, die mit Autos und Bussen zahlreich angereist waren. Doch als das Fest in Gent gerade auf Hochtouren lief - viele Herren tanzten im Gehrock mit ihren Begleiterinnen -, fiel die Polizei bewaffnet und in Einsatzmontur in das Lokal ein. Alle Anwesenden wurden kontrolliert, die deutschen Gäste mit strenger Hand aus dem Lokal entfernt und über die Grenze nach Deutschland zurückgebracht.
Das Vereinsleben von Sneyssens bestand aber nicht nur aus Festbällen. In den Anfangsjahren dominierten die sozialen Aufgaben. Sneyssens fing die frisch aus den Gefängnissen Entlassenen auf. Viele hatten keine Bleibe mehr oder waren wegen ihrer Zugehörigkeit zur Waffen-SS bei ihren Familien nicht mehr willkommen. Die oft noch sehr jungen Freiwilligen waren häufig frisch von der Schule weg in die Waffen-SS eingetreten und hatten keinen Beruf gelernt. Durch die langen Jahre des Krieges und der sich anschließenden belgischen Internierung war ihre Jugend vergangen. Wer freigelassen wurde, wurde durch den Verein mit Kleidung versorgt und konnte so lange bei Vereinsmitgliedern wohnen, bis er auf eigenen Beinen stehen konnte.
Sneyssens erhielt zahlreiche Pakete von Unterstützern für noch Inhaftierte. So machten sich Mitglieder mit großen Säcken voller Spenden auf und gaben diese an den Gefängnistoren ab. Im Vereinslokal von Sneyssens - dem „Roeland“ in Gent - wandelte sich der zweite Stock zu einer regelrechten Kleiderkammer. Außerdem wurde durch verschiedene Anwälte unaufhörlich bis tief in die 1950er Jahre hinein versucht, die Freılassung Internierter auf gesetzlichen Wegen zu erwirken Dıe Insassen wurden besucht und sozial betreut. Vor allem der Ankauf von Prothesen erwıes sich als wichtige Angelegenheit für schwer Kriegsgeschädigte. Diese waren oft nıcht nur aufgrund der zum Teıl ausgesprochenen Berufsverbote, sondern auch wegen der körperlichen Einschränkungen nicht ın der Lage, sich eıne eıgene Existenz aufzubauen. So rief Sneyssens eine Aktion ins Leben, die sich „Anteile an Prothesen“ nannte. Diese Kampagne übertraf alle Erwartungen - sogar zwei Rollstühle für schwer Gehbehinderte konnten geben werden. Darüber hinaus spielte auch der Suchdienst eine wichtige Rolle: Es fanden große Treffen statt, das Schicksal vermißter Kameraden aufzuklären. Jahrelang wurden zahlreiche Fotos von Vermißten im Vereinslokal aufgehängt, eine ständige Erinnerung an den hohen Preis, der für den flämischen Einsatz an deutscher Seite zu zahlen war.
Die Jahre vergingen, auch die letzten Inhaftierten waren wieder auf freiem Fuß, und so änderten sich auch die Aufgaben und Ziele des Vereins. Viele Kameraden hatten inzwischen eine Familie gegründet und die Älteren das Pensionärsalter erreicht. Durch ein Austauschprogramm mit HIAG-Mitgliedern in Westdeutschland wurde den Kindern der ehemaligen Freiwilligen ermöglicht, ihre Ferien kostenlos im Sauerland zu verbringen, und zu runden Geburtstagen wurde den Jubilaren immer eine Flasche Sekt überreıcht. Doch daneben gab es auch noch weıtere wichtige Initiativen. Eine davon war der Start einer Bücher-Serıe über dıe eigene Geschichte. Initiator war der ehemalıge SS-Obersturmführer Ortair Uyttersprot.
Hieraus entstanden dıe zweı Sonderhefte „Vlamingen aan het Oostfront“ (Flamen an der Ostfront) sowie die siebenteilige Reıhe „Vlaanderen in Uniform“ (Flandern in Uniform), dıe noch ımmer als Standard-Referenzwerke gelten.
Ab den 1980ern erschien die Vereinszeitschrift Sneyssens in einem neuen Format und zum Teil mit neuen Inhalten, dazu gehörten zum Beispiel Politiknachrichten aus aller Welt, Ankündigungen von Treffen sowie eine kritische Betrachtung von Berichterstattungen in den Medien über flämische Freiwillige. Vor allem Oswald Van Ooteghem erwies sich als ein wahrer Sherlock Holmes mit findiger Spürnase und tiefsitzendem Sinn für Gerechtigkeit. Sobald irgendwo die üblichen „Standard-Vorurteile“ über die ehemaligen Freiwilligen in den Medien erschienen, konnten die jeweiligen Verfasser umgehend mit einem Schreiben von Senator Van Ootegheir rechnen.
Ab den 1990ern waren die meisten Mitglieder mittlerweile in den Ruhestand getreten, und das Ziel von Sneyssens änderte sich nochmals: Das soziale Zusammensein bei regelmäßigen Treffen war jetzt für die Jahre gekommenen Kameraden wichtig.
Oft kamen auch die Kinder, die inzwischen selber schon Familie hatten, mit zu den Treffen oder nahmen an gemeinsamen Reisen nach [Frankreich] oder Holland teil. Hierin zeigt sich, wie sehr das Engagement für Flandern eine Familientradition ist. Häufig waren drei Generationen aus einer Familie bei den Zusammenkünfte anwesend.
Auch konnte der Verband in diesen Jahren endlich mit einer breıten gesellschaftlichen Akzeptanz rechnen, was sicherlich eine Folge der Föderalisierung des belgischen Staates sowıe des Wegfalls alter Tabus war.
1992 sprach der Dekan von Gent, Robert Vandenbossche (1928–2008) anläßlich einer Gedächtnis-Messe für den gefallenen Reimond Tollenaere:
- „Immer schon haben die Idealisten, die sich nicht in der Bequemlichkeit des Alltages ausruhen, sondern mit prophetischen Blick in die Zukunft schauen, Gegenwind bekommen. Sie werden nicht verstanden, sie werden verleugnet, mißachtet, zensiert und verlieren oft ihren Arbeitsplatz. Aber echte Idealisten kalkulieren das zugleich mit ein, sie haben ein Ideal und damit ein edleres, schöneres Leben vor Augen.“[1]
Das sogar offizielle Vertreter der katholischen Kirche zur solchen Stellungsnahmen bereit waren, macht den Sinneswandel deutlich, der mittlerweile in Belgien stattgefunden hatte.
In den letzten Jahren wurden immer mehr Nachrufe veröffentlicht und jedem wurde bewußt, daß eines Tages der Zeitpunkt zum Einstellen der Aktivitäten kommen mußte. Auf den letztem Treffen im März 2016 waren unter den immer noch fast 100 Anwesenden lediglich noch fünf ehemalige Freiwillige. Darunter auch die ehemalige DRK-Schwester Lucie Lejeune, eine von nur zweı ausländischen Frauen, die das Eiserne Kreuz 2. Klasse verliehen bekommen hatten. Sie erwarb es sich im Jahre 1945 in der eingeschlossenen schlesischen Hauptstadt Breslau, wo sie die verwundeten deutschen Soldaten in den Kellergewölben versorgte. Als sie sich strikt weigerte, mit den letzten Flugtransporten aus der Stadt evakuiert zu werden, war SS-Obersturmbannführer Georg-Robert Besslein, Kommandeur des SS-Festungs-Regiments, so sehr davon angetan, daß er Lejeune das EK II an Ort und Stelle verlieh.
Durch das fortgeschrittene Alter der letzten Freiwilligen sowie ihre häufige Immobilität beziehungsweise ihr Leben in einem Altenheim sind die regelmäßigen Treffen nun zu Ende gegangen. Nach dem feierlichen Festessen und einer Rede, in der Oswald Van Ooteghem die vorangegangenen Jahre noch einmal an den Zuhörern vorbeiziehen ließ, wurde mit dem gemeinsamen Singen des von Hans Baumann geschaffenen Liedes „Gute Nacht, Kameraden“ nicht nur die letzte Veranstaltung für beendet erklärt, sondern wurden gleichzeitig auch die Tätigkeiten des Vereins „Sneyssens“ offiziell eingestellt. Damit geht ein Stück Zeitgeschichte zu Ende, und gleichzeitig melden sıch die letzten Angehörigen der Kriegsgeneration ab.