Gewaltpornographie

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Als Gewaltpornographie wird jede Darstellung derjenigen Praxis von Sexualität bezeichnet, die vorrangig auf die Präsentation von Mißhandlung, von Erniedrigung und von physischer Verletzung ausgerichtet ist. Wie Pornographie generell, geht auch der Ausdruck „Gewaltpornographie“ auf das altgriechische Wort für „Hure“ zurück – und zwar in dem weiten sprachlichen Sinn: „Alles, was in den Wirkungsbereich der Hure fällt“!

Der naive Begriff einer sogenannten „natürlichen“ Sexualität

Um Pornographie zu verstehen, ist es völlig falsch, von eigenen Abneigungen, eigenen Vorlieben oder Kenntnissen auszugehen, sondern die nüchterne Begutachtung ist zunächst allein ausschlaggebend: Der Pornographiemarkt ist strikt segmentiert. Es ist festzustellen, daß alle Menschen dieses oder jenes dieser Segmente massiv anwidert. Unstrittig widern manche Menschen überhaupt alle diese Segmente an. – Daraus folgt, daß die Sache selbst zu erkennen ist, bevor individuelle Abneigungen, individuelle Gefühle, ausgesprochene oder unausgesprochene Interessen irgendeine Rolle dabei spielen können.

Die bekannte Feministin Alice Schwarzer stellte in diesem Zusammenhang zutreffend fest, daß es Berge höchst anstößiger Gewaltpornographie gibt, die außerdem konditionierende Wirkung hat. Die Konditionierung besteht darin, daß das Erleben von physischer Sexualität – durch mediale Vermittlung – Vorprägungen, Verengungen und Umkehrungen erfahren kann, die pathologisch sind. Noch wichtiger aber ist es, verstanden zu haben, daß eine naturwüchsige Sexualität nirgendwo (in keiner Realität) ohne gesellschaftlich-kulturelle Vorprägungen existiert. Der naive Glaube, eine sogenannte „natürliche“ Sexualität werde bloß abgebildet durch Pornographie, ist selber ein pornographisches Klischee.

Massenproduktion von Gewaltpornographie

Die überbordende Massenproduktion von Gewaltpornographie erscheint so gleichsam als ewiger Schatten einer „marktgerechten“ Pornographie. Vieles davon kann nur in weitgehend kriminellen Zusammenhängen so entstehen. Dazu gehören Videos, in denen in gefesselte, geknebelte Frauen unzählige Metallnadeln in die Haut geführt werden, Hautfalten mit etlichen Metallklammern gepreßt werden, heißes flüssiges Wachs auf die Haut aufgebracht wird oder (dem Genre gemäß) bekleidete Herren mit Elektroimpulsgeräten diese Frauen zusätzlich traktieren. In etlichen dieser Filme werden die Atmungsorgane der Frauen dann so abgedichtet, daß sie scheinbar oder tatsächlich versterben. Sehr erstaunlich ist die unüberschaubare Massenproduktion solcher Filme obwohl ja, in Zeiten der Datenpiraterie, nicht annähernd der gewerbliche Nutzen aus Pornographieproduktionen gezogen werden kann, wie noch zu Zeiten der rigiden Verbote im vergangenen Jahrhundert.

All dies sind Erscheinungen, die medienwissenschaftlich erst ansatzweise verstanden werden und die politisch ignoriert und unter sogenannten, linken Fortschrittsphrasen begraben werden, etwa in dem Sinn, gegen den „Fortschritt“ der Weltnetz-Industrie gebe es kein Mittel oder Pornographie sei grundsätzlich als „befreiend“ zu verstehen.

Heinrich Böll prophezeite 1969 die Heraufkunft eines „Sexualfaschismus“

In einem bilanzierenden Essay zu 20 Jahren Bundesrepublik schrieb Heinrich Böll 1969 die hier im Zusammenhang zitierten, prophetischen Sätze nieder. Man muß dabei gar nicht seine politischen Vorurteile (gegen jede Art von Autorität) teilen, um zu sehen, daß die von ihm charakterisierte APO (die bekannte „Außerparlamentarische Opposition“ eines Rudi Dutschke und der Generation seiner Mitläufer) tatsächlich genau der unreflektierte, unkritische – und in die künftige Geschichte naiv, und mit einem völlig verkehrtem Menschenbild ausgerüstet, hineinstolpernde – Haufen von Ahnungslosen war, als den Böll die berüchtigte APO hier kennzeichnet. Böll schrieb wörtlich:

“Was mich beunruhigt und was ich für lebensgefährlich halte, ist die Verbindung von Sexwelle und außerparlamentarischer Opposition. Ich glaube, daß da ein nicht mehr pseudo-kommerzielles Element hineinkommt und daß eine Art Sexualfaschismus entsteht. Ich nenne das ohne jede Einschränkung so. Die proklamierte Promiskuität ist keine Lösung für die Menschen und auch keine demokratische Lösung; es ist eigentlich eine Elite-Lösung. Die Eliten haben sich immer Promiskuität erlauben können und erlaubt – ganz gleich, unter welchem religiösen Vorzeichen die jeweilige Kultur stand. Und ich glaube, eine außerparlamentarische Opposition, deren erklärtes Ziel eine Demokratisierung der Gesellschaft und eine Abschaffung oder Beseitigung aller Autoritäten ist – wofür ich sehr bin, einschließlich der Abschaffung kirchlicher Autoritäten, der gesellschaftlichen sowieso –, schafft, indem sie sich an die Sexwelle anhängt oder von ihr überronnen ist, so viel „violence“ – ich kann da nur das englische Wort gebrauchen –, daß sie wieder, obwohl theoretisch gegen die sogenannte „Repression“, neue Repression schafft. Ich glaube, die Sexwelle ist inzwischen ein Konsumgegenstand, der durchaus Eingang in alle bürgerliche Welt hat, sogar im Grunde bürgerlichen Ursprungs ist. Wenn sich die außerparlamentarische Opposition nicht bald, und zwar sehr artikuliert zu diesem Problem äußert, sehe ich sie untergehen in dieser bürgerlichen Promiskuität. Die Auffassung von der Sexualität ist entscheidend. [...] Auch die publizistischen Organe der außerparlamentarischen Opposition sollten sich klar darüber sein, daß sie im Grunde dabei sind, einen bürgerlichen Sexualfaschismus zu fördern.“[1]

Wie aber sind diese prophetischen Worte Bölls in anderer Hinsicht (als bloß im Hinblick auf seine APO-Kritik) heute zu bewerten? Denn tatsächlich hat die kleinbürgerliche Pornographie ja buchstäblich alles zur Seite gespült, was an leeren, linken Behauptungen über das „kritische Potential“ der Pornographie von Reichianern, Freudo-Marxisten – und anderen komplett Ahnungslosen – seinerzeit propagandaförmig verbreitet wurde. Tatsächlich ist die Medienindustrie heute so durch und durch pornographisiert, daß auch der konsequente Boykotteur ihrer Produkte in der gewöhnlichen Industriereklame und in gewöhnlichen Fernsehserien fortwährend mit pornographischen Vorprägungen, Anspielungen und Standards belästigt wird.

Und tatsächlich stehen Sozialbeziehungen generell heute in der realen Gefahr, zu bloßen Spiegelungen der in der pornographischen Industrie erzeugten Klischees abzusinken. Die langfristigen Auswirkungen der Alltagspornographie (also der unter jungen Leuten gewohnheitsmäßig gewordenen Abfilmerei der eigenen Sexualität) können nicht einmal annähernd genau gemutmaßt werden. Auch die klare Beobachtung Bölls, daß es eine Sexwelle überhaupt nicht geben kann ohne einen gleichzeitigen Ausbruch von Repression, von überspitzter Rangordnung und flächenmäßiger, gewohnheitsmäßig erzeugter Gewalt, trifft ja offensichtlich zu.

Die APO ist noch schneller in terroristischer Gewalt versunken, als selbst Böll dies wohl für möglich hielt. Das von APO-Ideologen hergestellte Feld sozialer, sittlicher und geistiger Verwüstung aber hat überlebt, hat sich der Fortschrittsphraseologie nun selber bemächtigt – und will mit vollem Ernst mittlerweile uns belehren, wie „unmodern“, wie „unflexibel“ und wie böse „protektionistisch“ wir doch seien, wenn wir uns der Planierung und Ausradierung unserer Kulturwelt entgegenstemmen.

Literatur

  • Montgomery Hyde: Geschichte der Pornographie. Ullstein-Verlag, Frankfurt a. M., Berlin 1969 [damals noch keine ISBN]
  • Goulemot, Jean Marie: Gefährliche Bücher. Erotische Literatur, Pornographie, Leser und Zensur im 18. Jahrhundert. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt 1993, ISBN 978-3-499-55528-2
  • Barbara Vinken (Hg.): Die nackte Wahrheit. Zur Pornographie und zur Rolle des Obszönen in der Gegenwart. Deutscher Taschebuch Verlag (dtv), München 1997, ISBN 978-3-423-30630-0
  • Ariadne von Schirach: Der Tanz um die Lust. Goldmann Verlag (München) 2008, ISBN 978-3-442-15502-6

Fußnoten

  1. Heinrich Böll: Schwierigkeiten mit der Brüderlichkeit. Politische Schriften. – Darin: Deutsche Meisterschaft, S. 53–58, hier: S. 55f. Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv), München 1977 [Zuerst abgedruckt in dem Sammelband: Zensuren nach 20 Jahren Bundesrepublik (Verlag Wissenschaft und Politik, Köln 1969)]