Jugendrevolte am 7. Oktober 1977 auf dem Alexanderplatz

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Berliner Fernsehturm am Alexanderplatz 1972

Am 7. Oktober 1977 fand auf dem Berliner Alexanderplatz eine Jugendrevolte statt, wobei insgesamt 468 Verhaftungen erfolgten, 87 Haft- und 16 Bewährungsstrafen ausgesprochen und 83 Personen verletzt wurden.

Bericht eines Zeitzeugen aus zweiter Hand

Im Bereich des Alexanderplatzes war eine Bühne aufgebaut, auf der die geradeso bekannte Gruppe Express spielen sollte. Dort fanden sich vor allem Fußballanhänger des 1. FC Union Berlin ein, die in jener Zeit noch das Sagen in Sachen Gewalt in der Stadt hatten. Dem Veranstalter fiel es dann ein, den Auftritt der Gruppe Express kurz vor dem Auftritt abzusagen. Dafür trat anschließend eine sowjetische Folkloreformation auf. Daraufhin pfiffen die Unioner den Veranstalter aus und skandierten „Russen raus!“. Es erschienen dann einige Volkspolizisten, die die Unioner zum Verlassen der Veranstaltung aufforderten. Dem kamen die Unionanhänger aber nicht nach. Infolge dessen gab es Ausschreitungen zwischen der Polizei und den Unionern.

Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit

Daran anschließend ist dann am umfassendsten der nachfolgende Bericht des MfS. Hierbei unterschlägt das MfS aber die Absage der Gruppe „Express“ und den geplanten Ersatz durch sowjetische Künstler. Anmerkend dazu sind unter Jugendliche vornehmlich Fußballanhänger des 1. FC Union Berlin zu verstehen.

Untersuchungsakten zur Aufklärung der Vorkommnisse während des Volksfestes am 7.10.1977 in der Hauptstadt der DDR - Zusammenfassung

Am 7. Oktober 1977 gegen 19 Uhr sind während eines Konzertes der Rockgruppe „Express“, neun Jugendliche in einen mehrere Meter tiefen Lüftungsschacht am Fernsehturm gestürzt. Weil die Krankenwagen wegen der Menschenmassen nicht zu der Unglücksstelle vordringen konnten, versuchten Polizeieinheiten, einen Weg durch die Menge zu bahnen. Plötzlich kamen Sprechchöre auf: „Nieder mit dem Bullenpack“. Als die Polizisten gegen die Rufer vorgehen wollten, eskalierte die Situation. Gehwegplatten und Papierkorbeinsätze aus Plastik wurden gegen die Polizisten geschleudert. Die Polizei ging mit Gummiknüppeln vor und schlug auch auf Unbeteiligte ein. Die Sprechchöre der Jugendlichen aber wurden immer schärfer: „Nieder mit der DDR“, „Mauer weg“, „Honecker raus - Biermann rein“, „Was ist Deutschlands größte Schande - die Honecker-Bande“, protokollierten die Stasi-Ermittler. Gegen 23.30 Uhr hatte die Polizei die Lage unter Kontrolle. 313 Jugendliche waren bis dahin festgenommen worden. An den folgenden Tagen durchkämmte die Stasi Krankenhäuser, um an die Personalien von jungen Leuten zu kommen, die sich am Abend des 7. Oktobers oder am Tag darauf wegen Platzwunden oder Prellungen hatten behandeln lassen. An den folgenden Tagen meldeten sich zudem Jugendliche bei Stasi und Polizei, die Zeugen der Zusammenstöße waren und Beteiligte an Hand von Fotografien identifizieren wollten.

Insgesamt wurden „im Zuge nachfolgender Ermittlungen“ bis Anfang November weitere 155 Personen festgenommen, meldete die Stasi. Fast alle der Festgenommenen gehörten der Jugendorganisation FDJ an. Die Hälfte von ihnen waren Lehrlinge und Facharbeiter, von denen bislang kaum einer „negativ-dekadent“ aufgefallen war. Das einzige Stasi-Klischee, das ein Drittel der Festgenommenen erfüllte, war die Zugehörigkeit zum Anhang des bei der SED-Führung unbeliebten Fußballclubs Union Berlin. Dafür fanden sich unter den Eltern der Jugendlichen, die sich an den „staatsfeindlichen“ Sprechchören beteiligt hatten, Mitarbeiter des Zentralkomitees, Angestellte in SED-Kreisleitungen und DDR-Ministerien, hochrangige Offiziere, DDR-Botschafter, Journalisten und Parteisekretäre. Die Motivation vieler Jugendlicher, sich an dem spontanen Protest zu beteiligen, umschrieb die Stasi mit der ihr eigenen Formulierungskunst: „gestörte Beziehungen in den Elternhäusern, erheblicher Einfluß der politisch-ideologischen Diversion des Gegners, unkontrollierte Freizeitgestaltung und Anschluß an negativ-dekadente jugendliche Gruppierungen in den Wohngebieten“. Für erwähnenswert hielten die Ermittler zudem, daß einige Jugendliche angaben, sie hätten sich das im amerikanischen Spielfilm "Blutige Erdbeeren" dargestellte Verhalten zum Vorbild genommen. Der Film war Mitte der 70er-Jahre ein Kultfilm der DDR-Jugend. Er erzählt die Geschichte der amerikanischen Studentenproteste gegen den Vietnamkrieg und ihre Niederschlagung durch Polizei und Nationalgarde. Der Streifen war nicht zuletzt wegen der Filmmusik von Bands wie Crosby, Stills, Nash & Young, seinerzeit im Osten kaum gespielt, ein Dauerbrenner. In den Wochen nach der verkorksten DDR-Geburtstagsfeier wurden 64 Jugendliche wegen Tätlichkeiten, negativer Äußerungen oder Diskriminierung zu Haftstrafen zwischen vier Monaten und drei Jahren verurteilt. Weitere 23 mußten für sechs Wochen in Haft, 16 erhielten Bewährungsstrafen. Stasi-Minister Mielke wies seine Leute an, stärker als bisher die DDR-Jugend unter Kontrolle zu nehmen. Dazu sollte die IM-Basis unter den Heranwachsenden erheblich ausgebaut werden; „negativ-dekadente jugendliche Gruppierungen“ sollten „zersetzt“, die Anreise verdächtiger Personen zu Großveranstaltungen künftig verhindert werden. Und der Film „Blutige Erdbeeren“ wurde kurz nach den Unruhen am Fernsehturm aus den Kinos genommen. Die offizielle Begründung lautete, die Aufführungslizenz für den Film sei abgelaufen.

Berliner Zeitung vom 7. Oktober 2000

Staatssicherheitsminister Erich Mielke hatte sich alles so schön vorgestellt: Auf dem Weg zum 60. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution im Herbst 1977 sollte das „Fest des Roten Oktober“ in Berlin ein besonderer Höhepunkt werden. „Auf diesem Fest wird die junge Generation der DDR in vielfältiger Weise ihre Verbundenheit mit unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat zum Ausdruck bringen“, sagte Mielke in einem Befehl vom September 1977 voraus. Doch die Generalprobe des für Mitte Oktober geplanten Verbundenheits-Festes ging gründlich daneben. Am 7. Oktober 1977, dem 28. Jahrestag der DDR-Gründung, kam es in der Ostberliner Innenstadt zu den bis dahin größten Jugendkrawallen in der Geschichte des SED-Staates. Aus einem Rockkonzert am Fuße des Fernsehturms heraus entwickelte sich eine mehrstündige Straßenschlacht zwischen Tausenden von Jugendlichen und der DDR-Volkspolizei. Die Bilanz: 83 Verletzte und 468 Festnahmen. Noch härter als der plötzliche Gewaltausbruch der Jugendlichen traf SED und Stasi aber das Untersuchungsergebnis der MfS-Hauptabteilung IX. Zwar wiesen die Stasi-Ermittler darin pflichtschuldig die „aufgebauschten Berichte in den BRD-Medien“ zurück, die von einem „politischen Protest der DDR-Jugend“ sprachen. Zwischen den Zeilen aber machten sie unmißverständlich deutlich, daß die Zusammenstöße nicht wie sonst üblich als „Zusammenrottung“ oder „Rowdytum“ von „negativ-feindlichen Elementen“ abgetan werden konnten. Vielmehr hatte sich an diesem Oktoberabend eine lang aufgestaute Wut der Jugendlichen entladen - über Gängelung und Unfreiheit, über politische Repression nach der Biermann-Ausbürgerung 1976 und über die Allmacht der Sicherheitskräfte.

Quellen

  • s.g. persönlich
  • BStU-Zusammenfassung des Untersuchungsergebnisses der HA 9 zu den Vorgängen am 7.10.1977
  • Berliner Zeitung, 7. Oktober 2000