Stürgkh, Karl
Karl Graf von Stürgkh (* 30. Oktober 1859 in Graz; † 21. Oktober 1916 in Wien) war ein deutscher Politiker aus Österreich, der auch Ministerpräsident der Republik Österreich war.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Stürgkh wurde 1891 Mitglied des Reichsrates und gehörte der Gruppierung an, die als Verfassungstreue Großgrundbesitzer bezeichnet wurde. Von 1909 bis 1911 war er Unterrichtsminister.
Im November 1911 wurde er nach der Demission des Kabinetts von Paul Gautsch, wegen der Teuerungsrevolte in Wien, zum Ministerpräsidenten Österreichs berufen.
Am 21. Oktober 1916 wurde er vom jüdischen sozialdemokratischen Politiker Friedrich Adler beim Mittagessen im Wiener Restaurant Meißl & Schaden (1. Bezirk, Neuer Markt 3, 1896–1945, heute Hotel Europa) bei einem Attentat ermordet. Friedrich Adler wartete bis Graf Stürgkh allein an seinem Tisch saß, dann zog er einen Revolver aus der rechten Rocktasche und feuerte drei oder vier Schüsse gegen den Kopf Stürgkhs ab. Dabei soll Adler ausgerufen haben: Nieder mit dem Absolutismus, wir wollen den Frieden! Der genaue Hergang der Tat und die Anzahl der Schüsse konnten allerdings selbst unmittelbar nach dem Anschlag nicht zweifelsfrei festgestellt werden.
Nachfolger von Stürgkh wurde der vorherige Finanzminister Ernest von Koerber.
Politik
Am 16. März 1914 ließ Stürgkh den Reichsrat vertagen und regierte fortan autoritär mit Notverordnungen und rigoroser Pressezensur. Oppositionelle Forderungen nach einer Wiedereinberufung des Parlaments ignorierte er.
Er gehörte mit den wichtigsten Exponenten der Gesamtmonarchie Österreich-Ungarn, Außenminister Leopold Graf Berchtold, Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf, Finanzminister Leon von Biliński und Kriegsminister Alexander von Krobatin, zur so genannten Kriegspartei, den Befürwortern einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Serbien.[1] Für Stürgkh war der Krieg mit Serbien die Möglichkeit, die bestehenden Bande zwischen den Parteien in Österreich, die der slawischen Sprachgruppe angehörten, und der panserbischen und jugoslawischen Bewegung zu zerreißen (28. Juni 1914). Er dachte mit anderen Worten an den Krieg als ein Unternehmen auch innenpolitischer Art.[2] Stürgkh hielt die südslawischen Provinzen für verloren, falls nichts geschehe, und teilte Berchtolds Meinung, dass diplomatische Erfolge das serbische Problem nicht lösen würden:
- „Wenn daher der Weg einer vorhergehenden diplomatischen Aktion gegen Serbien aus internationalen Gründen betreten werde, so müsste dies mit der festen Absicht geschehen, dass diese Aktion nur mit einem Kriege enden dürfe.“[3]
Verhandlungen mit Italien
Einblick in Stürgkhs Politik gibt auch sein Verhalten auf dem Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten vom 31. Juli 1914, wo er sich fragte, „ob es nicht gefährlich sei, einfach zuzuwarten, bis Italien sich zu einem aggressiven Vorgehen gegen uns entscheide und ob nicht der Versuch gemacht werden sollte, es durch eine Art von Geheimvertrag zu täuschen und so über die Gefahrzone der nächsten Wochen hinwegzukommen. Gegen Briganten, wie es die Italiener jetzt seien, sei kein diplomatischer Winkelzug zu schlecht. Er hätte daher auch keine moralischen Bedenken, die Italiener jetzt zu hintergehen.“
Er präsentierte einen detaillierten Vertrag, nach dem Italien Welschtirol, von Deutschland garantiert, zugesprochen werde, das dafür auf der Seite der Mittelmächte in den Krieg eintreten müsse und die Neuordnung des Balkans durch die Monarchie akzeptiere. Letzteres würde Italien laut Stürgkh aber nie tun, worauf der Vertrag und die Abtretung des Trentino hinfällig wäre.
- Diese Vorgangsweise hätte den Vorteil, dass Italien durch die deutschen Zusicherungen dazu veranlasst werden würde, seine Bundespflicht zu erfüllen und dabei wir nicht tatsächlich genötigt wären, eine Gebietsabtretung vorzunehmen. Er wisse, daß ein solcher Aktionsplan nicht sehr ehrlich wäre, angesichts der Hinterhältigkeit Italiens sei er aber der Ansicht, dass wir jeder moralischen Verpflichtung entbunden seien.[4]
Die ungarische Seite glaubte jedoch nicht daran, dass sich Italien dadurch täuschen lassen würde. Der Vorschlag, Italien durch eine Art Geheimvertrag zu täuschen, zeigt einen Mangel an Realismus in Wien. Solche laut Hugo Hantsch hinterhältigen Scheinverträge werfen auch ein bezeichnendes Licht auf Stürgkhs Person und seine Politik, die geprägt war von Illusionen und mangelnder Moral.[5]
Polnische Frage
Stürgkhs Festhalten an der Dominanz der Deutschen in Österreich zeigt auch seine Politik gegenüber Polen. Seine Bedenken zur austropolnischen Lösung, der Vereinigung Russisch-Polens mit Österreich, waren:
- „Wenn die den Polen zufallenden Rechte an der Monarchie und an Österreich nach der Verhältniszahl der polnischen zu der übrigen Bevölkerung bemessen werden sollten, dann sei Österreich verloren, dann wäre dieses alte Reich, das so manche schwere Stürme siegreich überstanden, nichts wie ein Annex eines Körpers, in dem zur Zeit politisch chaotische Zustände herrschen und noch lange herrschen würden.“ (6. Oktober 1915) [6]
Eine Gleichberechtigung der Polen innerhalb der Monarchie hielt der österreichische Ministerpräsident demnach für ein Unglück. Eine weitgehende Autonomie würde, fürchtete Stürgkh, auch die Wünsche der anderen Nationen verstärken und damit Österreich und Ungarn gefährden. Eine polnische Sonderstellung sei zwar nötig, „aber noch notwendiger sei es, dass sich auch in diesen Gebieten die Zentralgewalt fühlbar mache und vor allem, dass Österreichs Charakter, Österreichs Bestand gewahrt bleibe. Eine befriedigende Lösung im Rahmen der jetzigen Verhältnisse, ... gebe es seiner Ansicht nach überhaupt nicht, er habe in seinem Elaborate nur danach gestrebt, die mit der versuchten Lösung verbundenen Gefahren möglichst einzudämmen.“[7]
So wie Stürgkh dachten die meisten, um die deutsche Vorrangstellung in Österreich besorgten Politiker und Publizisten in Ersten Weltkrieg. Aber selbst wenn man sich in der austropolnischen Frage einigen sollte, war Stürgkh für eine absolutistische Übergangsetappe.
Auf dem Ministerrat vom 7. Jänner 1916 zeigte sich Stürgkh zwar bereit, die Kriegsziele, falls dies zur Herstellung des Friedens nötig sei, zu reduzieren. Der Aufgabe der austropolnischen Lösung widersetzte sich am entschiedensten.[8] Er betonte die große Last, die Österreich durch die Angliederung Polens auf sich nehmen würde, betrachte es aber als wünschenswertes Ziel, um nicht Galizien zu verlieren und die Polen nicht Russland zuzutreiben. Eine Teilung wäre für die Polen das Schlimmste, würde das galizische Problem verschärfen, ebenso wie die ruthenische Frage. Nur wenn ganz Kongresspolen mit Westgalizien vereinigt werde, würden sich die Polen, wenn auch widerwillig, mit einer Abtrennung Ostgaliziens abfinden. Die österreichische Regierung habe keineswegs die Absicht, Ostgalizien den Ruthenen zu überlassen, die Verwaltung müsse im Gegenteil eher germanisiert werden. Den Ruthenen sei das lieber als die polnische Oberhoheit.[9]
Diese deutschnationale Idee Stürgkhs zeugt jedoch von wenig Realitätssinn. Stürgkh und die Wiener Bürokratie wollten damit auch die zentralistischen Tendenzen der Monarchie stärken, und die ukrainischen Führer stimmten sogar aus taktischen Gründen zu, da sie sich vorerst einmal eine Befreiung vom Joch von der politischen und kulturellen Vorherrschaft der Polen erhofften.[10]