Mamai-Bewegung

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Die Mamai-Bewegung wurde durch die Jugendkomplexbrigade „Nikolai Mamai“ des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld Januar 1959 angestoßen und gehörte zum Arbeitsalltag der 1950/80er in der DDR.

Quelle
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„Tötet den Funker“ erschallte es plötzlich durch die fast unerträgliche Hitze. Sofort kamen kräftige Burschen herbei und rückten dem »Funker« zu Leibe. Die sengende Glut schlug ihnen stickig-heiße Dämpfe entgegen, feiner Staub verklebte ihre schwitzenden Gesichter. In den Fäusten schwere Eisenstangen, mit denen sie unter wuchtigen Stößen die verkrustete Tonerdeschicht in die flüssig-feurige Schmelze drückten, bis das Funken aufhörte und die Kontrollampe erlosch. Das Monstrum, mit dem sich die Jungs abplagten, heißt Elektrolyseofen, in dem Strom und ein Elektrolyt der unscheinbaren Tonerde das wertvolle Aluminium abgewinnen. Seit über 100 Jahren wird so in Bitterfeld geschmolzen. Brustpanzer und Helme, mit denen Napoleon III. sein Heer ausstaffierte, oder auch Kinderklappern wurden hergestellt. In der Alu-Hütte-GmbH kommandierte man mit Pfiff und Gong die Schmelzer. Nur Meister und Ingenieur wußten, was sich im Ofeninnern abspielte. Auch im VEB Elektrochemisches Kombinat hatte sich an der körperlich schweren Arbeit der Alu-Schmelzer wenig geändert. Auffällig war aber, daß diese Kumpel ihre »Funker« gemeinsam töteten. Knapp ein Jahr zusammen, hatten sie schon beachtliche Erfolge. Erst im März 1958 wurde die Jugendbrigade auf die Beine gestellt. Unter den 25 Mitgliedern gab es die unterschiedlichsten Interessen. Während der eine sein Motorrad liebte oder Brieftauben züchtete, bestellten andere nach Schichtschluß ihren Acker oder schauten zu tief ins Glas. Einige, im Krieg nur drei bis vier Jahre zur Schule gegangen, besaßen keine abgeschlossene Ausbildung. Andere - ein Kaufmann und ein Bäckermeister - zog der hohe Metalltarif ins Werk. Als Ungelernte hatten sie sich die Kniffe des Alu-Schmelzens angeeignet. Arbeitete bisher jeder für sich und rechnete nur seine Öfen ab, so wurde in der Jugendbrigade gemeinsam geplant und abgerechnet. Dadurch ging Ende 1958 das Kollektiv als Wettbewerbssieger nach der »Mamai-Methode« hervor und erhielt den Namen des sowjetischen Neurers.
Aber das genügte den Männern nicht. Sie fragten sich, wie man die Aluminiumgewinnung noch steigern könne. Muskelkraft allein reichte nicht mehr aus, daß Elektrolyse-Geheimnis müßte man verstehen lernen. Tagelang grübelten die »Mamais«, ehe sie am 3. Januar 1959 alle Werktätigen dazu aufforderten, auf »Sozialistische Weise zu arbeiten, zu lernen und zu leben« und um den Titel »Brigade der sozialistischen Arbeit« zu wetteifern.
Nicht von ungefähr lag die Geburtsstätte dieser qualitativ höheren Form der Masseninitiative, die das Streben nach Produktionssteigerungen mit Qualifikationsbereitschaft und einer kulturell regen Freizeitgestaltung verband, in Bitterfeld. Das zuvor beschlossene Chemieprogramm konnte kaum ohne Fachkräfte gemeistert werden.
Schnell, aber nicht konfliktlos breitete sich die Bewegung aus. Es gab Brigaden, die ihre Freizeit vollkommen planmäßig gestalten wollten, Abstinenz von Bier, Tabak und Skat forderten oder den Kauf in Privatgeschäften ablehnten. 1959 erhielten von 59 422 teilnehmenden Brigaden 103 den Staatstitel, darunter die »Mamais«. 17 der Alu-Schmelzer hatten sich beruflich weitergebildet, zwei wurden zum Meisterlehrgang und einer zum Fernstudium delegiert. Nach Feierabend beteiligten sie sich am NAW, an der Kampfgruppe und wurden Paten von Schulklassen. Während in der heutigen dritten Mamai-Generation noch vier Senioren dabei sind, arbeiten andere als Brigadiere, Techniker oder Betriebsleiter im Kombinat oder andernorts. K. O.

Quelle: Dietz-Geschichtskalender 1989. S. 26f

Das Vorbild dieser nicht nur produktionssteigernden Bewegung kam wiedermal aus der Sowjetunion. Nachdem der Bergarbeiter Stachanow schon 1935 die Stachanow-Bewegung anstieß, mußte die Neurerbewegung erneuert werden; 1956 übernahm das der Bergarbeiter Nikolai Mamai. Wie in der DDR üblich, trugen die Arbeitsbrigaden die Namen von Helden des antifaschistischen Widerstandes oder von Helden der Arbeit[1]. Bitterfeld als Zentrum der sozialistischen Industrialisierung in der DDR wartete mit einer Mamai-Jugendbrigade auf. Die im März 1958 gegründete Brigade wurde dann das Vorzeigeobjekt für den Kampf um den Titel Brigade der sozialistischen Arbeit (ab 1962 Kollektiv der sozialistischen Arbeit). Diese Jugendkampagne löste damit die bis Ende 1958 gegen Westdeutschland betriebene Kampagne zur Schund- und Schmutzliteratur, die sich mit dem Mauerbau sowieso erledigte, ab. In der Presse wurde die Initiative Januar 1959 bekannt gemacht, auf der I. April 1959 und der II. Bitterfelder Konferenz April 1964 weiter propagiert. Wie die Losung „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“ andeutet und der Quellentext verdeutlicht, ging es neben der Produktionssteigerung auch um Bildung/Weiterbildung und der sozialistischen Ausrichtung des Umfeldes bis zum Boykott privater Händler.

  • Kauf in Privatgeschäften ablehnten = Selbständige meiden und in den staatlichen Einrichtungen von HO und Konsum einkaufen
  • Staatstitel = Brigade der sozialistischen Arbeit
  • NAW = Nationales Aufbauwerk (1950er Kampagne)

Verweise

Fußnoten

  1. Hinweise des Sekretariats des FDGB für die Betriebsgewerkschaftsleitungen zur Verleihung von Namen verstorbener führender Persönlichkeiten der internationalen und der deutschen Arbeiterbewegung an Brigaden und Kollektive. In: Handbuch für den Gewerkschaftsfunktionär. 1974. S. 614-617.