Marburger Rede
Die sogenannte Marburger Rede war eine Rede von Vizekanzler Franz von Papen an der Universität Marburg am 17. Juni 1934. Verfaßt wurde sie von Edgar Julius Jung. Diese Rede gilt als die letzte, die im nationalsozialistischen Deutschen Reich auf hoher Ebene konservativer Kreise und öffentlich gegen den umfassenden Machtanspruch des Nationalsozialismus gehalten wurde.
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte
Von Reichspräsident Paul von Hindenburg bestärkt, sprach sich von Papen gegen den Alleinvertretungsanspruch der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler aus, denen er selbst erst 17 Monate zuvor in einer gemeinsamen Koalition zur Macht verholfen hatte. Die Rede forderte ein Ende von einschüchterndem „Terror“, beklagte das Verschwinden einer angeblich „freien Presse“, die jedoch vorrangig unter jüdischer Kontrolle war, und beinhaltete eine Warnung vor einer „Revolution in Permanenz“, einem „ewigen Aufstand von unten“ und dem „Gerede von der zweiten Welle, welche die Revolution vollenden“ werde – eine Warnung, die sich deutlich auf die Sturmabteilung der NSDAP unter Röhm bezog. Papen mahnte: „Deutschland darf kein Zug ins Blaue werden!“. Der geplante Röhm-Putsch scheint den Inhalt der Rede zu bestätigen. Der einzige, der danach allerdings entschieden dagegen vorging, war Hitler selber.
Die Rede war von Papens engem Mitarbeiter, Edgar Julius Jung, in Zusammenarbeit mit Herbert von Bose (Sekretär von Papens) sowie mit Erich Klausener geschrieben worden. Ihr Vortrag erfolgte entweder im Landgrafenhaus, dem damaligen Hörsaalgebäude der Universität, im Hauptvorlesungssaal (der Saal existiert heute noch in historischer Gestalt, Fachbereich Rechtswissenschaften) oder in der Universitätsaula (Alte Universität, heute Fachbereich Theologie).
Propagandaminister Joseph Goebbels unterband vorerst die Veröffentlichung der Rede, da diese kurz vor der Aufdeckung des geplanten Röhmputsches in ein politisches Wespennest gestochen hatte und das Auseinanderbrechen der fragilen Koalition zwischen Konservativen und der NSDAP zu befürchten war. 1934 konnte sie dennoch veröffentlicht werden. Papen wies als Reaktion darauf hin, daß er angeblich nur im Namen von Hindenburgs gesprochen habe, erklärte dann dennoch seinen Rücktritt aus dem Kabinett Hitler und kündigte an, Hindenburg über die Unterdrückung seiner Rede zu unterrichten.
Auszüge
Der unbekannte Soldat des Weltkrieges, der mit hinreißender Energie und mit unerschütterlichem Glauben sich die Herzen seiner Volksgenossen eroberte, hat diese [deutsche] Seele frei gemacht. Mit seinem Feldmarschall hat er sich an die Spitze der Nation gestellt, um in dem deutschen Schicksalsbuch eine neue Seite aufzuschlagen und die geistige Einheit wiederherzustellen. Diese Einheit des Geistes haben wir in dem Rausch von tausend Kundgebungen, Fahnen und Festen einer sich wiederfindenden Nation erlebt. Nun aber, da die Begeisterung verflacht, die zähe Arbeit an diesem Prozeß ihr Recht fordert, zeigt es sich, daß der Läuterungsprozeß von solch historischem Ausmaße auch Schlacken erzeugt, von denen er sich reinigen muß. Schlacken dieser Art gibt es in allen Bezirken unseres Lebens, in den materiellen und den geistigen. Das Ausland, das uns mit Mißgunst betrachtet, weist mit dem Finger auf diese Schlacken und deutet sie als einen ernsten Zersetzungsprozeß. Es möge sich nicht zu früh freuen, denn wenn wir die Energie aufbringen, uns von diesen Schlacken zu befreien, dann beweisen wir gerade damit am besten, wie stark wir innerlich sind und wie entschlossen, den Weg der deutschen Revolution nicht umfälschen zu lassen. Wir wissen, daß die Gerüchte und das Geraune aus dem Dunklen, in das sie sich flüchten, hervorgezogen werden müssen. Eine offene und männliche Aussprache frommt dem deutschen Volke mehr als beispielsweise der ventillose Zustand einer Presse, von welcher der Herr Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda festgestellt hat, daß sie „kein Gesicht mehr“ habe. Dieser Mangel besteht ohne Zweifel.
Wenn das Ausland behauptet, in deutschen Landen sei die Freiheit gestorben, so soll es durch die Offenheit meiner Darlegungen darüber belehrt werden, daß die deutsche Regierung es sich leisten kann, von sich aus brennende Fragen der Nation zur Debatte zu stellen. Dieses Recht hierzu erwirbt sich allerdings nur, wer sich ohne Vorbehalte dem Nationalsozialismus und seinem Werke zur Verfügung gestellt und ihm seine Loyalität bewiesen hat.
Der allgemeinen Parteienzerklüftung entsprach das Umsichgreifen einer verhängnisvollen Mutlosigkeit. Die Arbeitslosigkeit wuchs und mit ihr der soziale Radikalismus. Daß diesen Übeln nicht mit kleinen Mitteln zu begegnen sei, sondern durch einen geistigen und politischen Umschwung, sahen nicht nur die rechtsstehenden Gruppen des deutschen Volkes, vor allen Dingen die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, sondern war die allgemeine Ansicht der parteimäßig nicht gebundenen Besten unseres Volkes.
Der Staatsmann und Politiker kann den Staat reformieren aber nicht das Leben selbst. Die Aufgaben des Lebensreformators und des Politikers sind grundverschiedene. Aus dieser Erkenntnis heraus hat der Führer in seinem Werk „Mein Kampf‘. erklärt, die Aufgabe der Bewegung sei nicht die einer religiösen Reformation, sondern die einer politischen Reorganisation unseres Volkes.
Ziel der deutschen Revolution, wenn sie für Europa gültig und vorbildlich sein will, muß deshalb die Begründung einer natürlichen sozialen Ordnung sein, die dem unablässigen Kampf um die Herrschaft ein Ende macht.
Wahre Herrschaft kann nicht von einem Stand oder einer Klasse hergeleitet werden. In diese Klassenherrschaft aber ist noch immer das Prinzip der Volkssouveränität gemündet. Deshalb kann eine anti-demokratische Revolution nur dann zu Ende gedacht werden, wenn sie mit dem Grundsatz der Volkssouveränität bricht und wieder zu dem der natürlichen und göttlichen Herrschaft zurückkehrt.
Damit darf nicht etwa die Entrechtung des Volkes verwechselt werden. Aus der Demokratie kann eine anonyme Tyrannis werden, während aus echter verantwortlicher Herrschaft niemals die Vernichtung der Volksfreiheit hergeleitet werden kann.
Auch der Satz „Männer machen Geschichte“ wird häufig mißverstanden. Mit Recht wendet sich deshalb die Reichsregierung gegen einen falschen Personenkult, der das Unpreußischste ist, was man sich nur vorstellen kann. Große Männer werden nicht durch Propaganda gemacht, sondern wachsen durch ihre Taten und werden anerkannt von der Geschichte.
Die Erziehung eines Volkes zum Dienst am Staate ist ein selbstverständliches Gebot und muß um so härter einsetzen, je lässiger sie von dem Weimarer Regime gepflegt wurde.
Kein Volk kann sich den ewigen Aufstand von unten leisten, wenn es vor der Geschichte bestehen will. Einmal muß die Bewegung zu Ende kommen, einmal ein festes soziales Gefüge, zusammengehalten durch eine unbeeinflußbare Rechtspflege und durch eine unbestrittene Staatsgewalt, entstehen. Mit ewiger Dynamik kann nicht gestaltet werden. Deutschland darf nicht ein Zug ins Blaue werden, von dem niemand weiß, wann er zum Halten kommt. Die Geschichte fließt von allein, es ist nicht notwendig, sie unablässig zu treiben. Wenn deshalb eine zweite Welle neuen Lebens durch die deutsche Revolution gehen sollte, so nicht als soziale Revolution, sondern als schöpferische Vollendung des begonnenen Werkes.
Es ist an der Zeit, in Bruderliebe und Achtung vor dem Volksgenossen zusammenzurücken, das Werk ernster Männer nicht zu stören und doktrinäre Fanatiker zum Verstummen zu bringen. Die Regierung warnt diejenigen, die nicht sehen wollen, daß die Deutschen ein Volk unter Völkern inmitten Europas sind, daß die spärlichen, überlieferten Güter, die wir gerettet haben, zusammengehalten werden müssen und wir uns keine leichtfertige Zerstörung überkommenen Werte leisten können. Verleugnen wir das große Kulturerbe, mißachten oder mißhandeln wir die tausendjährige Geschichte unseres Volkes, die dreitausendjährige unseres Erdteils, so werden wir die großen Chancen, die das 20. Jahrhundert nochmals dem Kernvolke Europas bietet, verpassen. Weltgeschichte wird heute dort gemacht, wo man lächelnd auf das kranke Europa herabsieht. Wenn Europa seinen Anspruch auf Führung in der Welt aufrechterhalten will, dann ist keine Stunde mehr zu verlieren, um alle seine Kräfte der geistigen Wiedergeburt zu widmen und die kleinlichen Querelen zu begraben.
Siehe auch
Nachdruck der Marburger Rede
- Rede des Vizekanzlers von Papen vor dem Universitätsbund, Marburg, am 17 Juni 1934, in: Sebastian Maaß: Die andere deutsche Revolution. Edgar Julius Jung und die metaphysischen Grundlagen der Konservativen Revolution, 2009, S. 134 ff. (Vollständiger Nachdruck der Rede im Anhang); ISBN 978-3-941247-20-8