Walliserdeutsch

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Walliserdeutsch sind die Mundarten der Deutschschweizer im Kanton Wallis.

Einordnung

Walliserdeutsch gehört zur höchstalemannischen Dialektgruppe und wird von den rund 80.000 Oberwallisern gesprochen. Die Sprachgrenze zum französischsprachigen Unterwallis verläuft nördlich des Rottens entlang des Baches Raspille zwischen dem zweisprachigen Siders und Salgesch und südlich des Rottens im Bereiche des Pfynwaldes.

Eigenheiten

Da der Sprachraum der Walliserdeutschen im Norden, Osten und Süden durch die Berner und Walliser Alpen isoliert ist, wurden Merkmale der deutschen Sprache bewahrt, die in (allen) anderen deutschen Mundarten und der Hochsprache längst verschwanden. So gibt es im Walliserdeutschen eine Fallbeugung mit vier Fällen - auch mit dem in den meisten Dialekten ausgestorbenenen Zeugefall. Des weiteren fand in diesen höchstalemannischen Mundarten keine Nebensilbenabschwächung statt: Das ist ein Phänomen, welches um das Jahr 1000 in allen deutschen Dialekten stattfand und heute für sämtliche deutsche Zungen als charakteristisch gilt.

Sprachlehre

Beugung der Namenwörter

Das Walliserdeutsche ist eine der wenigen Mundarten, in denen ein Fallsystem früherer Sprachstufen weitestgehenden erhalten blieb. Der funktionstüchtige Zeugefall, der in beinahe den meisten deutschen Mundarten ausstarb oder lediglich spurenweise auftaucht, und die weitgehende Parallelität vieler Formen mit dem Althochdeutschen sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch bei ursprünglichen Mundarten wie dem Walliserdeutschen im Laufe der Geschichte tiefgreifende Veränderungen vonstattengingen.

Einzahl männlich weiblich sächlich Mehrzahl männlich weiblich sächlich
Nennfall Tag Zunga Jaar Nennfall Taga Zunge Jaar
Zeugefall (ts) Tagsch (tr) Zungu(n) (ts) Jaarsch Zeugefall Tago Zungo Jaaro
Gebefall Tag (tr) Zungu(n) Jaar Gebefall Tagu(n) Zungu(n) Jaaru(n)
Klagefall Tag Zunga Jaar Klagefall Taga Zunge Jaar

Der zweite Fall kommt in Phrasen wie zweiär Jaaru (zweier Jahre), an allä Siitun dr Chilchu (an allen Seiten der Kirche) oder in Sätzen wie Äs schteit an tsch Attusch Willä (Es steht an des Vater Wille; Es hängt vom Vater ab) und Ich han dru drii (Ich han derer drei; Ich habe drei davon) zur Anwendung.

Beugung der Zeitwörter

Zeiten

Im Walliserdeutschen existieren nur zwei Zeiten, nämlich die Gegenwart und die Vergangenheit. Um zukünftige Ereignisse auszudrücken wird eine adverbiale Bestimmung benötigt, wie es auch im Deutschen möglich ist.

Ein Beispiel: «Ich werde morgen für zwei Wochen nach Frankreich verreisen.»/«Ich verreise morgen für zwei Wochen nach Frankreich.» Derselbe Satz kann auf Walliserdeutsch nur lauten: «Ich gaa mooru fer zwei Wuche uf Frankriich.»

Im heutigen Sprachgebrauch und vor allem unter den Jugendlichen hat sich eine ans Schriftdeutsche angelehnte Form der Zukunft ausgebildet, die es im Walliserdeutschen so nicht gibt. Deshalb kann es geschehen, dass man den obigen Satz auch so hört: «Ich wäärdu mooru fer zwei Wuche uf Frankriich gaa.»

Das Perfekt wird gebildet aus einem Hilfsverb in der Gegenwart und dem Mittelwort der Vergangenheit des Vollverbs. Als Hilfszeitwörer treten wie auch im Schriftdeutschen «sein» und «haben» («sii» und «hä») auf. Die Vergangenheit wird verwendet um jegliche Art von Vergangenem auszudrücken, da weder eine Mitvergangenheit noch eine Vorvergangenheit existiert – von der Mundart des abgelegenen Dörfleins Saley abgesehen, die bis zu ihrem Untergange um das Jahr 2000 herum vollständige Präteritalparadigmen kannte.

Die Leideform wird nicht wie im Hochdeutschen mit dem Hilfszeitwort «werden», sondern mit «kommen» («cho») gebildet. Wie schon bei Aussagen in der Zukunft wird in der Leideform dennoch die eingedeutschte Variante mit «werden» («wäärdu») benutzt.

Auch hier wieder ein Beispiel: «Wird diese Arbeit noch heute erledigt?" heisst auf Walliserdeutsch eigentlich «Chunt di Aarbeit nu hitu gmachti?». Man kann dem Satz allerdings auch solcherart begegnen: «Wird di Aarbeit nu hitu gmacht?».

Auffallend ist, dass im ersten Beispielsatz das Mittelwort gebeugt ist, im zweiten jedoch nicht. Partizipien werden normalerweise an das Subjekt in Geschlecht und Zahl angepasst. In der «deutscheren» Variante klänge das wohl ein wenig seltsam, deshalb unterlässt man es intuitiv, das Partizip anzupassen. Des Weiteren kann es auch vorkommen, daß das Mittelwort auch im ersten Beispielsatze (fälschlicherweise) nicht angepasst wird.

Verbklassen

Während in der Schriftsprache eine Einteilung in Verbklassen aufgrund zusammengefallener Endungen nur mehr bei historisch-linguistischen Untersuchungen sinnvoll erscheint und auch in den anderen schweizerdeutschen Mundarten nur noch reduziert erkennbar ist, kann man im Walliserdeutschen neben der starken Verbklasse noch deutlich unterschiedliche schwache Verbklassen erkennen. Obgleich im Laufe der Zeit Vermischungen der Klassen untereinander auftraten, stellen sie eine relativ geradlinige Fortsetzung der althochdeutschen Verhältnisse dar. Die folgenden Daten basieren auf Elisa Wipf: Die Mundart von Visperterminen im Wallis. Frauenfeld 1910, S. 145 ff.

Infinitiv 3. Präsens Singular Partizip Perfekt Infinitiv 3. Präsens Singular Partizip Perfekt
starke Konjugation singu ‘singen’ singt gsungu vgl. althochdeutsch singan singit gisungan
1. schwache Konjugation setzu ‘setzen’ setzt gsetzt vgl. althochdeutsch setzen setzit gisetzit
2. schwache Konjugation zaalu ‘zahlen’ zaalot gizaalot vgl. althochdeutsch zalōn zalōt gizalōt
3. schwache Konjugation spare ‘sparen’ sparet gsparet vgl. althochdeutsch sparēn sparēt gisparēt

In anderen Walliser und Südwalser Mundarten ist die Differenzierung sogar noch deutlicher erhalten als in der oben dargestellten Mundart von Visperterminen. So kennt der Lötschentaler Dialekt gemäß dem Sprachatlas der deutschen Schweiz Band III Karte 1 (die Beispiele sind an diejenigen von Wipf adaptiert) im Bereiche der schwachen Zeitwörter wie das Althochdeutsche drei und nicht «nur» zwei verschiedene Infinitive:

Lötschentalerischer Infinitiv Althochdeutscher Infinitiv
starke Konjugation singn singan
1. schwache Konjugation setzn setzen
2. schwache Konjugation zaalu zalōn
3. schwache Konjugation sparä sparēn

Im Mittelhochdeutschen wurden ausserhalb des Walliser und Südwalser Mundartraumes diese verschiedenen Endungen auf zwei, nämlich -t und -et, reduziert. Dieser Stand hat sich besonders im östlichen Schweizerdeutschen recht gut erhalten, vgl. etwa zürichdeutsch er setzt, hät gsetzt in der Nachfolge von althochdeutsch setzit, gisetzit gegenüber er fischet, hät gfischet und er loset, hät gloset in der Nachfolge von althochdeutsch fiskōt, gifiskōt bzw. losēt, gilosēt. Im Standarddeutschen hingegen hat eine Neuverteilung der Endungen -t und -et gemäß phonologischen Kriterien stattgefunden (-et nach Dental und gewissen Konsonantenclustern, im Übrigen -t), so daß sich dort die alt- und mittelhochdeutschen Verhältnisse nicht mehr fortsetzen.

sein

Untenstehend die Beugung des Zeitwortes «sii» (sein):

infinite Verbformen
Infinitiv: sii
Partizip Präsens: —
Partizip Perfekt: gsi
Einzahl Mehrzahl Einzahl Mehrzahl
1. Person ich bi wier sii 1. Person ich bi gsi wier sii gsi
2. Person dü bisch ier siid 2. Person dü bisch gsi ier sid gsi
3. Person ääs isch schii sind 3. Person ääs isch gsi schii sind gsi

Regelmäßige Konjugation

In der folgenden Tabelle ist die regelmäßige Beugung anhand des Zeitwortes «lüegu» (lugen, schauen) veranschaulicht.

infinite Verbformen
Infinitiv: lüegu
Mittelwort der Gegenwart: (lüegund)
Mittelwort der Vergangenheit: glüegt
Einzahl Mehrzahl Einzahl Mehrzahl
1. Person ich lüegu wier lüege 1. Person ich hä glüegt wier hei glüegt
2. Person du lüegsch ier lüeget 2. Person du hesch glüegt ier heit glüegt
3. Person ääs lüegt schii lüegunt 3. Person ääs het glüegt schii hent glüegt

Auffallend ist auch hier, daß das Walliserdeutsche Merkmale des Althochdeutschen besser bewahrte als so manch andere Mundart bzw. als die Hochsprache, z.B. die Endung -u der ersten Person Einzahl (vgl. ahd. nimu ich nehme) und die auch im Bairisch-Österreichischen erhaltene Endung -nt der dritten Person Mehrzahl (vgl. ahd. nëmant sie nehmen). (Im Neuhochdeutschen erinnert übrigens daran einzig und allein die Form „sind“ des Zeitwortes „sein“.)

Beispiele

Ein einheitliches Walliserdeutsch gibt es nicht. Vielmehr werden je nach Dorf und Gemeinde leicht voneinander abweichende Mundarten gesprochen.

Mundart des Lötschentales im Oberwallis

Am Moorgnd, nuch im Maannischiin (wen nuch dr Maann schiint), geid dr Puir an ds Maad (San meejn). Zi Säggschän (Um säggschi) weckt r schini Froiw us hertm Schlaaf. Schi schtreeld schich, tretschud ds Haar und geid imbriin inn fiischtrn (fiischtrri) Chäldr gan Aichn, Chees und Härdepfl (r)reichn. Dernaa reisudsch (grächudsch) ds Früäschtuck (früher: ds Niächtrru). Schi trüchnd Milchkaffee und ässnd Aichnbrood dr zuä (Brood und Aichn drzuä). De faad d streng Arbeit vam Heiwun (d streng Heiwärarbeit) aan. Mu muäs zeerscht d Madä zettn, speetr zämmrächu(n), illeggn und in dr Schiir mumm bid dr Gablun zrzettn. Widr Aabnd heicht dr Maan ä Riggchorb (äs Rrääf, ä Rriggablun) än d Aggslun und Seid imbruif uf d Alpu(n). Da ischt nuch Seng Uistag. D Murmdä pfiiffund, d Alpuroosn bliäjnd schoon, abr äs hed nuch Loiwischnee inn Gräbmi (inn Gräbun, älter: inn Chrachun) (wörtlich übertragen: abr äs liggnd nuch Rräschtä va Lloiwinun inn Gräbun); wan äs hed im Wintr vil und of gschniid und giguxud. Da obmäna iss jetz flott (hipsch)! Dr Puir ischt abr miädä choon und setzd schich äs Schutzlin ufn Vorschtuäl (ufn Baich) fr z liiwän und äs Pfüffätlin z rreikn.

Mundart aus Ernen im Oberwallis

Am Morget, we nu der Maanet schiint, geit der Püür uf d Matta fer ga z määje. Ds Heiw ischt jetz ripfs. Äm säggschi weckt är schiini Fröw, wa nu teif gschlaafe het. Schi sträälet ds Haar, macht en Tschügge und geit de ine finschter Chäuwer embri. Schii geit da ga Äiche, Chääs und Häärpfel reiche und grächet de iner Chuchi ds Früeschtuck. Schii triichent Miuchkaffe und ässent Äichebrot derzüe. Dernaa faad d schwäär Heiwerarbeit a. Zeerscht mües me ga d Made woorbe, dernaa ga zämmeräche und de ds Heiw in d Schiir trääge und da wider zette. Gäge Abed nimmt der Püür d Tschiffera uf de Rigg und geit uf d Aupa embrüf. Da obena isch nu Langsi. D Murmete pfiiffent, d Auperoose bliejent schoo, aber ine Gräbe liggent nu Räschte va Löwine; äs het im Winter e Hüüfe gschnit und aupot ggugset. Hibsch isch es jetzt hie obena. Der Püür ischtaber mieda. Är setztschi nu es Schutzji ufs Bäichji fer z kirme und es Piiffetji z röüke.

Übersetzung ins Schriftdeutsche

Am Morgen, wenn noch der Mond scheint, geht der Bauer auf die Wiese um zu mähen. Das Heu ist reif. Um sechs Uhr weckt er seine Frau aus dem tiefen Schlaf. Sie kämmt sich, flicht ihr Haar und geht in den finsteren Keller. Da holt sie Butter, Käse und Kartoffeln und kocht danach in der Küche das Frühstück. Sie trinken Milchkaffee und essen Brot und Butter dazu. Danach fängt die schwere Heuerarbeit an. Zuerst muss man die Mahden aufstreuen, später wird das Heu zusammengerecht und eingetragen und auf dem Heustock mit der Gabel erneut aufgestreut.

Gegen Abend nimmt der Mann den Rückenkorb über die Achsel und geht auf die Alpe (Maiensäss) hinauf. Da ist noch Frühling. Die Murmeltiere pfeifen, die Alpenrosen blühen schon, aber in den Gräben liegen noch Schneereste von den Lawinen; im Winter hat es viel geschneit und gestürmt. Schön ist es jetzt hier oben. Der Bauer ist aber müde geworden und setzt sich ein Weilchen auf das Bänklein um auszuruhen und ein Pfeifchen zu rauchen.