Die Mutter
Die Mutter ist ein Gedicht von Gerd Honsik.
Text
- Ein bleiches Weib,
- in einem Männermantel, schwer und weit,
- am Rücken schwankt der Rucksack breit,
- das hockt am Dache eines Viehwaggons.
- Es jagt der Zug durch finstre Nacht,
- darüber hetzen hin im Licht des Monds
- der Wolkendecken düstre Pracht.
- An zarter Hand
- trägt eines Mannes derben Fäustling sie,
- und Männerstiefel reichen übers Knie.
- Es war kein Platz für sie in den Verschlägen,
- die Starken drängten sie die Schwache fort.
- In heißer Angst um ihrer Kinder Leben
- klomm sie empor zum Dache des Transport.
- Für dieses Weib
- begann ein Kampf, der Männern würdig wäre.
- Nicht für das Vaterland, für Volk und Ehre:
- Er gilt den Kindern, die ihr Schoß gebar.
- Die wußte sie in der Ruinenstadt,
- daß sie dort hungrig sind und in Gefahr,
- und dieses Wissen trieb das Weib zur Tat.
- Da galt’s: Hinaus!
- Dort, wo in sanftem Tal der Bauer wohnt,
- hat sie mit Schmuck das Mehl entlohnt,
- hat Brot mit Edelstein bezahlt.
- Und schwerer noch als Gold die Träne wog,
- die hell in ihrem Aug’ gestrahlt,
- als selbst den Trauring sie vom Finger zog.
- Kalt fegt der Wind
- der wilden Fahrt am Dache des Waggon,
- und helle Funken fetzt der Sturm davon
- aus der Maschine heißem Feuerherz.
- Auf schwarzen Dächern hocken Menschen starr
- die Finger festgekrallt in Frost und Schmerz.
- Inmitten aller meine Mutter war.
- Der Morgen graut,
- und gräulich zeigt er den bangen Blicken
- die Trümmer gesprengter Brücken.
- Der Strom rauscht brodelnd im Nebeldunst,
- als ob er spotte der Schiene, dem Weg ,
- und von des Menschen planender Kunst
- blieb nur aus Leitern und Brettern ein Steg.
- Willst du, Strom,
- einer Mutter wehren den Weg nach Haus?
- Was überströmst du mit hohlem Gebraus
- den hölzernen Steg, der dich zwingen will?
- Läßt du nur die starken nach Wien hinein
- in deine Trümmerstadt, öde und still?
- Dann faß dir dies Naziweib es sei dein!
- Manche Männer
- wenden sich ab vom Angesicht des Tod
- und lagern sich im Schein des Morgenrot.
- Nur eine Handvoll wagt den Übergang.
- Die Frau, zerlumpt und bleich, ist weit voran.
- Die Mutter war es, die die Furcht bezwang.
- Der Strom bot Kampf! Ein Weib das nahm ihn an!
- Sie kriecht voran.
- In einem Männermantel, schwer und weit.
- Am Rücken schwankt der Rucksack breit.
- Sie weiß, die Kinder warten auf das Brot
- es beugt die Last den zarten, schwachen Leib.
- Kein Zaudern gilt nur Leben oder Tod.
- Schon greift der Strom nach dem zerlumpten Weib.
- Die Flut umfließt
- zuerst das Knie nur, dann den Mantelsaum.
- Die Frau keucht vorwärts, und sie merkt es kaum,
- daß immer tiefer jetzt der Steg versinkt.
- Nur ein gespanntes Seil gibt Halt der Hand,
- und wer das Seil entgleiten läßt ertrinkt.
- Noch dreißig Meter bis zum andern Strand!
- Seht ihr die Frau,
- die tief im Wasser mit der Strömung ringt?
- Ist das noch Weib, das dort den Tod bezwingt?
- Nicht achtend jener, die der Fluß erfaßt
- und stumm in seine grauen Wogen hüllt,
- kämpft sie um ihre teure Last
- bis an die Brust von kalter Flut umspült.
- Es rauscht die Flut,
- sie raunend auf den Grund zu ziehn.
- Nach oben aber drängt’s die Mutter hin.
- Die weiße Hand von einer schönen Frau
- die wurde jäh zur gnadenlosen Faust.
- Da - sie steigt wankend aus der Fluten Grau.
- Der Strom hat nichts als nur ihr Haar zerzaust.
- Doch kaum
- kniet keuchend sie auf festem Grund,
- ein Siegeslächeln um den Kindermund,
- reißt jäh die Flut den schmalen Steg entzwei,
- und hundert Leiber treibt die Strömung ab.
- Im Rauschen stirbt so mancher müde Schrei.
- Der graue Strom zieht alle sanft hinab.
- Ein bleiches Weib,
- in einem Männermantel, schwer und weit,
- am Rücken schwankt der Rucksack breit,
- das kriecht durch die Ruinenstadt.
- Jetzt betet, Kinder! Denn Mutter kommt,
- und bringt euch Brot in ihrem Buckelsack
- wankt auch die Welt, liegt auch die Stadt zerbombt.
Siehe auch
- Denk’ es! (Gedicht)
- Der Kinder Angebinde
- Muttergefühle
- Deutsche Mutter (Gedicht)
- Mutterliebe (Spielfilm)