Henry John Temple, 3. Viscount Palmerston
Henry John Temple, 3. Viscount Palmerston (Lord Palmerston) (* 20. Oktober 1784 in Broadlands, Hampshire; † 18. Oktober 1865 in Brocket Hall) war ein britischer Premierminister (1855–1858 und 1859–1865) und Außenminister.
Wirken
In beiden Ämtern hatte Palmerston Großbritanniens Festhalten am europäischen Machtgleichgewicht personifiziert. Er war zugleich der eigentliche Begründer und Förderer der zionistischen Bewegung in England.
Seine außenpolitische Strategie war darauf ausgerichtet, eine Annäherung zwischen Frankreich und Russland um jeden Preis zu verhindern, die er als einzige gleichwertige Mächte verglichen mit Großbritannien ansah. Dazu bediente er sich eines Bündnissystems, das sowohl Abkommen mit diesen beiden Mächten als auch gegen sie umfaßte.
Am 18. Dezember 1830 schlug er als britischer Außenminister die Unabhängigkeit „Belgiens“ vor und ist somit einer der Hauptverursacher dieser bis heute andauernden europäischen Krankheit, die in Folge planmäßig mehrfach als vorgeschobener Kriegsgrund gegen Deutschland herhalten konnte. Am 2. Januar 1833 wurden auf seine Veranlassung hin die argentinischen Falklandinseln besetzt.
Auch die Unterstützung der Gründung eines jüdischen Staates stammte aus England und wurde in der viktorianischen Zeit zu einer bedeutenden Bewegung. 1840 empfahl der britische Außenminister Lord Palmerston nachdrücklich, daß die damals über Palästina herrschende ottomanische Regierung auf jeder gerechtfertigten Ermutigung der Juden Europas zur Rückkehr nach Palästina bestehen solle und schrieb dazu in einem Brief an den Botschafter in Konstantinopel:
- „Unter dem jüdischen Volk entsteht immer mehr die Ansicht, dass die Zeit gekommen ist, nach Palästina zurückzukehren. Ich rate daher der türkischen Regierung dringlich, die europäischen Juden zur Einreise nach Palästina zu ermutigen.“
Er sagte 1848 in einer Unterhausrede:
- „Bezüglich der romantischen Idee, daß Völker oder Regierungen viel oder ständig durch Freundschaften beeinflußt werden und durch Gott weiß was und warum, sage ich, daß die, welche diese romantischen Ideen vertreten, und die Gesetze vom Verkehr zwischen Individuen auf den Verkehr zwischen Völkern anwenden, sich einem eitlen Traum hingeben. Das einzige, was die eine Regierung dem Rat einer anderen folgen und ihm nachgeben läßt, ist die Hoffnung auf daraus erwachsenden Nutzen, wenn man ihn annimmt, oder die Furcht vor den Folgen, wenn man ihn ausschlägt.“
Im Jahre 1849 erließ er die Anweisung, wonach jeder Angehörige der deutschen Kriegsmarine als „Pirat“ zu behandeln war. 1850 schickte er einen Flottenverband nach Griechenland, um damit die zweifelhaften Entschädigungsansprüche eines Juden durchzusetzen, dessen Haus bei einem antijüdischen Krawall verwüstet worden war.
Auch als Innenminister behielt Palmerston großen Einfluß auf die britische Außenpolitik und setzte sich vor allem für einen Eintritt des Landes in den Krimkrieg ein. Danach mischte er sich in den Deutsch-dänischen Krieg ein und drohte Preußen unverhohlen mit einem englischen Überfall. Darüber schreibt er am 13. September 1865 in einem Brief an den damaligen Premierminister John Russell in völliger Verdrehung der historischen Tatsachen und sicher nicht ohne Hintergedanken:
- „Mein lieber Russell, es war schimpflich und ungerecht, Dänemark Schleswig Holstein zu rauben.“
Selbst der jüdische Publizist Karl Marx schrieb über Palmerstons unerträglichen Opportunismus:
- Er, der in der Tat sich fremdem Einfluß beugt, widersetzt sich ihm in Worten. Als Erbschaft von Canning übernahm er die Doktrin von Englands Mission, den Konstitutionalismus auf dem Kontinent zu propagieren; daher fehlt es ihm nie an einem Anlaß, die nationalen Vorurteile anzustacheln, der Revolution in andern Ländern entgegenzuwirken und gleichzeitig die argwöhnische Eifersucht der fremden Mächte wachzuhalten. Nachdem es ihm auf diese bequeme Weise gelungen, zum bête noire <schwarzen Mann> aller Höfe des Kontinents zu werden, wurde es ihm ein leichtes, gleichzeitig zu Hause als das Muster des echten englischen Ministers zu gelten. Obgleich ursprünglich ein Tory, hat er es doch fertiggebracht, in die Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten all den widerspruchsvollen Lug und Trug einzuführen, der die Quintessenz des Whiggismus bildet. Er weiß eine demokratische Phraseologie mit oligarchischen Ansichten wohl zu vereinen, weiß die Politik des Friedensschachers der Bourgeoisie gut hinter der stolzen Sprache des aristokratischen Engländers aus alter Zeit zu verbergen; er versteht es, als Angreifer zu erscheinen, wo er kneift, und als Verteidiger, wo er verrät; er weiß einen scheinbaren Feind schlau zu schonen und einen angeblichen Bundesgenossen zur Verzweiflung zu bringen; er versteht es, im entscheidenden Moment des Streites auf der Seite des Stärkeren gegen den Schwachen zu sein und im Davonlaufen noch mit großen, tapferen Redensarten um sich zu werfen.[1]
Zitate
- „Nationen haben keine ständigen Freunde und keine ständigen Feinde. Nur ständige Interessen“