Nettelbeck, Joachim

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Nettelbeck leitet auf den Wällen von Kolberg die Schanzarbeiten; seine Autobiographie wurde 1943/45 zur Vorlage des Drehbuchs für den Film Kolberg von Veit Harlan.

Joachim Christian Nettelbeck (Lebensrune.png 20. September 1738 in Kolberg; Todesrune.png 29. Januar 1824 ebenda) war ein deutscher Seefahrer, Brauer und königlicher Schiffsvermesser, der im Vierten Koalitionskrieg zum Retter Kolbergs wurde.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Major August Neidhardt von Gneisenau mit dem Bürgeradjutanten Joachim Nettelbeck in Kolberg

Nettelbeck, nach allen Zeugnissen ein bemerkenswert mutiger und besonnener Charakter, war der Sohn des Kolberger Brauers Johann David Nettelbeck und dessen Ehefrau Katharina Sophia Greiff. Nach nur wenigen Jahren verließ Nettelbeck als elfjähriger die Schule und verdingte sich als Schiffsjunge bei der Seefahrt. Er avancierte zum Steuermann und bald darauf auch zum Kapitän. Er bereiste viele europäische Länder und beteiligt sich auch am Sklavenhandel zwischen Afrika und Suriname.

Er ließ nie den Kontakt zur Familie und zu seiner Heimatstadt abreißen. Während der dreimaligen Belagerung Kolbergs im Siebenjährigen Krieg durch kaiserlich russische und königlich schwedische Truppen stand er seinem Vater, der als Bürgeradjutant die Verbindung zwischen den Unterkommandanten Heinrich Sigismund von der Heyde und der Einwohnerschaft herstellte, zur Seite.

1762 heiratete Nettelbeck in Kolberg Regina Charlotte Meller, mit der er auch mehrere Kinder hatte. 1763 stand Nettelbeck kurzfristig als Kapitän in preußischen Diensten; unterschiedliche politische Ansichten ließen ihn aber sehr bald wieder austreten. In der Wahrung seines Rechtsstandpunktes war er stets äußerst rigide.

Um 1770 konnte sich Nettelbeck als Kapitän und Schiffseigner selbständig machen. Als er aber 1783 sein Schiff in einem Sturm verlor (damit auch einen Großteil seines Vermögens), gab er den Seehandel auf und ließ sich als Brauer und Branntweinbrenner in Kolberg nieder. Daneben versuchte er sich auch als Fischer auf dem Stettiner Haff und als Lehrer für Nautik in Stettin. Die Stadt berief ihn in das Zehn-Männer-Gremium (eine Art Beratungsgremium) und später gehörte er auch den Segelhausältesten (eine Art Seegericht) an.

Nettelbeck ließ sich um 1796 von seiner Ehefrau scheiden und heiratete 1797 in zweiter Ehe Anna Maria Buske, die Witwe seines Kollegen, Kapitän Joachim Buske. Auch diese Ehe wurde bereits nach wenigen Jahren „wegen unausrottbarer Zerwürfnisse“ geschieden.

Napoleon I. hatte das preußische Heer 1806 – 20 Jahre nach dem Tode Friedrichs des Großen – in der Schlacht bei Jena und Auerstedt in Thüringen vernichtend geschlagen und völlig auseinandergesprengt. Kopflos waren die Truppen geflohen. Die Festungen wagten keinen Widerstand. Wo nur ein Trupp französischer Reiter nahte, da öffneten sie feige die Tore, ohne auch nur einen Schuß abzugeben. Berlin war bereits besetzt, auch die Oder überschritten. Eine französische Heeresabteilung zog durch Pommern gegen Kolberg. Die Wälle und Mauern der Hafenstadt waren verfallen, die Besatzung war nur schwach, und es fehlte an Geschützen. Der Festungskommandant Ludwig Moritz von Lucadou war ein alter, schwerfälliger Oberst. Ohne Kampf wollte er die Stadt dem Feinde ausliefern. Heftig wehrte sich gegen diese Absicht der siebzigjährige Joachim Nettelbeck. 30 Jahre hindurch war er einst zur See gefahren. Er hatte die deutschen Meere, hatte Amerika und Afrika kennen gelernt. In Lissabon, der Hauptstadt von Portugal, hatte er einmal eine Schaubude besucht, in der ein Bild Friedrichs des Großen ausgestellt war. Zwei Männer in der Tracht der preußischen Grenadiere standen vor dem Bilde Wache. Alle Besucher bewunderten das Bild und die beiden Kerls. Da rief er voller Stolz: „Ich bin auch ein Preuße!"

Als das preußische Heer nach dem Tode des großen Königs von Napoleon geschlagen wurde, da blutete Nettelbeck „das Herz bei der Zeitung von dem entsetzlichen Tage von Jena und Auerstedt", wie er selber in seiner „Lebensbeschreibung" erzählt. Aber mochten alle versagen, er wollte das Seine tun, die Ehre des preußischen Namens wiederherzustellen. Gegen den feigen und unentschlossenen Kommandanten von Kolberg setzte Nettelbeck durch, daß die Bürger die verfallenen Festungswerke wieder in Ordnung brachten. Ja er „zog selbst mit Karre und Schaufel hinauf, um ein ermunterndes Beispiel zu geben". Er sorgte dafür, daß genügend Lebensmittel beschafft wurden, um einer Belagerung trotzen zu können. Sein gesamtes Vermögen gab er dafür hin. Er schrieb an den König und bat ihn um einen neuen Kommandanten, der bereit wäre, die Festung mit der Bürgerschaft bis zum letzten zu verteidigen. Der König schickte den Major August Neidhardt von Gneisenau, der sich mit seiner Truppe nach der Schlacht von Jena und Auerstedt bis zur Ostseeküste durchgeschlagen hatte.

Von den beiden Männern gingen Mut und Entschlossenheit auf die Truppe und die Bürgerschaft über. Um die Franzosen zu beunruhigen, machte die Besetzung kühne Ausfälle. Der alte Nettelbeck fuhr mit einem Wagen bis in die Feuerlinie, um die Verwundeten zurückzuschaffen. Die englischen und schwedischen Schiffe, die Lebensmittel heranbrachten, führte er selbst bei stürmischen Wetter, wenn kein anderer sich auf die See hinauswagte, sicher in den Hafen.

Immer heftiger wurde die Beschießung der Stadt. Nettelbeck leitete die Löscharbeiten und stand selber mit der Spritze an der am meisten bedrohten Stelle. Er sprach denen Mut zu, deren Häuser niederbrannten und brachte die Obdachlosen unter. Wer verzagen wollte, der richtete sich an dem Bilde dieses unermüdlichen greisen Helden auf.

Schließlich war die Stadt fast völlig zerstört. Nach tagelanger ununterbrochener Beschießung machten die französischen Truppen sich bereit zum letzten Sturm auf die Tore. Plötzlich schwiegen die Geschütze. Unheimlich wirkte die ungewohnte Stille. Ein französischer Trompeter schritt auf die Wälle zu. Er verkündete den überraschten Verteidigern die langersehnte, aber doch so unerwartete Botschaft:

„Der Waffenstillstand ist geschlossen, die Feindseligkeiten sind eingestellt!"

Nettelbeck hatte dem König von Preußen die Festung Kolberg gerettet. Mit über 75 Jahren heiratete Nettelbeck 1814 in dritter Ehe die nur halb so alte Albertine Löwe.

Nach der preußischen Kommunalreform war Nettelbeck zeitweilig noch als Stadtrat in Kolberg aktiv. Da Nettelbecks Arbeitsstil mit der Zeit immer selbstherrlichere Züge annahm, wurde er 1822 nicht mehr in seinem Amt bestätigt. Verbittert zog er sich ins Privatleben zurück und veröffentlichte seine Lebensbeschreibung. Sie wurde von Johann Christian Ludwig Haken, Superintendent in Treptow an der Rega, herausgegeben und erschien in der 1. Auflage 1821–1823. Bis heute wird sie immer wieder aufgelegt. Dem Helden von Kolberg ist es noch vergönnt, den deutschen Sieg über Napoleon im Befreiungskrieg zu erleben.

Tod

Der „Verteidiger Kolbergs“ verstarb am 29. Januar 1824 hochbetagt in seiner Heimatstadt, die Preußen und Deutschland einen Hoffnungsschimmer in dunkelster Zeit gegeben hat. Seine Sarginschrift lautete:

Mich hat in meinem Leben
Manch harter Sturm erschreckt,
Blitz, Donner, Wind und Regen
Hat mir manch Angst erweckt.
Verfolgung, Haß und Neiden,
Ob ich's gleich nicht verschuld't,
Hab' ich doch müssen leiden
Und tragen mit Geduld.

Schriften

Literatur