Organisation „Gehlen“
Die Organisation „Gehlen“ (kurz: Org) war ein im Juni 1946 von VS-amerikanischen Besatzungsbehörden in der Amerikanischen Besatzungszone aus deutschem Personal, bestehend aus Resten der 12. Abteilung des Generalstabs des Heeres (Abteilung „Fremde Heere Ost“), gebildeter Nachrichtendienst. Sie war die Vorläuferorganisation des Bundesnachrichtendienstes (BND). Ihr Sitz nach der Gründung war zunächst Camp King in Oberursel im Taunus, seit dem 6. Dezember 1947 die ehemalige „Reichssiedlung Rudolf Heß“ in Pullach bei München, die bis 2014 und dem erfolgten Teilumzug nach Berlin einziger Hauptstandort des BND war. Dieses Datum verschaffte dem BND-Hauptquartier den Spitznamen „Camp Nikolaus“. Ende der 1940er Jahre umfaßte die Organisation „Gehlen“ rund 4.000 Mitarbeiter, der Deckname Nikolaus wurde beibehalten.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Der Leiter der Organisation „Gehlen“ und spätere erste Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Generalmajor Reinhard Gehlen, ergab sich kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges den Streitkräften der Vereinigten Staaten und trat in ihre Dienste. Obwohl Walli-I-Chef Hermann Baun (1897–1951; → Frontaufklärungskommando) ihm zuvor kam (und Gehlen sich noch, laut Gerhard Wessel, bereit erklärt hatte, unter Baun zu dienen), hatte Gehlen am Ende die besseren Beziehungen und Fürsprecher, manche behaupten, er konnte sich einfach besser verkaufen.[1]
Wenige Monate nach der Kapitulation der Wehrmacht (in Absprache mit Dönitz und Haider) baute er im Auftrag und mit Unterstützung der amerikanischen Besatzungsbehörden die Organisation auf und verhalf hierbei vielen ehemaligen Mitarbeitern der zuvor von ihm geleiteten Abteilung „Fremde Heere Ost“ des einstigen deutschen Generalstabs, die für die Bewertung der Feindlage durch Beschaffung und Auswertung von Nachrichten zuständig war, zu einer neuen Karriere in der jungen Bundesrepublik. Am 1. April 1956 wurde die Organisation „Gehlen“, kurz vor dem Inkrafttreten der Wehrverfassung der Bundeswehr am 22. Mai 1956, mit ihrem Leiter in den Dienst der Bundesrepublik Deutschland übernommen und erhielt den Namen Bundesnachrichtendienst.
Idee und Gründung
Im Juli 1946 wurde vom VS-amerikanischen Heeresnachrichtendienst G-2 Section dann die zunächst von den VSA finanzierte spätere Organisation „Gehlen“ gegründet, deren Chef er zum Jahresende 1946 wurde. Arbeitsgrundlage war folgende mündliche Übereinkunft:
- Es wird eine deutsche nachrichtendienstliche Organisation unter Benutzung des vorhandenen Potentials geschaffen, die nach Osten aufklärt bzw. die alte Arbeit im gleichen Sinn fortsetzt. Die Grundlage ist das gemeinsame Interesse an der Verteidigung gegen den Kommunismus.
- Die deutsche Organisation arbeitet nicht für oder unter den Amerikanern, sondern mit den Amerikanern zusammen.
- Die Organisation arbeitet unter ausschließlicher deutscher Führung, die ihre Aufgaben von amerikanischer Seite gestellt bekommt, solange in Deutschland noch keine deutsche Regierung besteht.
- Die Organisation wird von amerikanischer Seite finanziert … Dafür liefert sie alle Aufklärungsergebnisse an die Amerikaner.
- Sobald wieder eine souveräne deutsche Regierung besteht, obliegt dieser Regierung die Entscheidung darüber, ob die Arbeit fortgesetzt werden soll oder nicht …
- Sollte die Organisation einmal vor der Lage stehen, in der das VS-amerikanische und deutsche Interesse voneinander abweichen, so steht es der Organisation frei, der Linie des deutschen Interesses zu folgen.
Dieser Text erinnert in seiner Tendenz an die Himmeroder Denkschrift (eine Denkschrift zur Frage einer deutschen Wiederbewaffnung). An ihrer Erstellung 1950 waren auch die Gehlen-Mitarbeiter, die Generäle a. D. Adolf Heusinger, Hans Speidel und Hermann Foertsch, beteiligt. Die ersten beiden wurden kurze Zeit später Mitarbeiter des „Konkurrenzunternehmens“ Amt „Blank“.
Tätigkeit
Nach Beginn des Koreakrieges am 20. Juni 1950 nahm Gehlen verstärkt Kontakt zur Adenauer-Regierung und zur SPD-Opposition auf. Er schaltete sich über seine Mitarbeiter Heusinger, Speidel und Foertsch in die Planungen zur Wiederbewaffnung ein. Gehlen verstand es, in den ersten zehn Jahren nach dem Ende des Krieges durch die Anwerbung auch vieler Geheimdienstler und Bandenbekämpfer der Wehrmacht, wie Heinz Felfe, schnell einen professionellen Nachrichtendienst aufzubauen.
Dieser war aber auch eben wegen dieser Belasteten von potentiellen Verrätern durchsetzt. Hunderte von Agenten, Funkcodes und Kommunikationswege wurden verraten. Doch angesichts der zahlreichen „Maulwürfe“ im britischen Geheimdienst war dies keine Gehlen-spezifische Erscheinung. So verstand Gehlen es, seine Rivalen um Gerhard Graf von Schwerin in Bonn ebenso als Auslandsgeheimdienst auszumanövrieren, wie ihm die Beschränkung des Militärischen Abschirmdienstes auf die Spionageabwehr innerhalb der Bundeswehr und die Sicherheitsüberprüfung ihres Personals gelang.
Reinhard Gehlens Organisation verhalf u. a. Alois Brunner zur Ausreise nach Syrien. Gehlen galt laut Informationen aus Otto Köhlers Buch Unheimliche Publizisten als enger Freund von Gerhard Frey, dem Gründer und Vorsitzenden der Deutschen Volksunion und Herausgeber der National-Zeitung.
Durchtrennen der VS-Nabelschnur
Anfang der 1950er Jahre drängte Gehlen zunehmend darauf, die „Org“ dem Diktat der VS-Amerikaner zu entziehen. Der Druck auf das Kanzleramt wuchs. Nach Geheimgesprächen im Büro des damaligen Ministerialrates Karl Gumbel (das Kanzleramt wurde bekannterweise vom CIA abgehört) sicherte dieser Gehlen im Namen des Kanzlers zu, sich dementsprechend einzusetzen. Ein Ergebnis der Verhandlungen war, daß die Organisation „Gehlen“ ab dem 1. April 1953 ganz aus Bundesmitteln finanziert werden sollte.
1955 wurde die Organisation unter der Regierung Konrad Adenauers offiziell der BRD (dem Bund) übergeben. Am 1. April 1956 begann die Organisation „Gehlen“ ihre offizielle Arbeit unter dem Namen „Bundesnachrichtendienst“ (BND), welcher fortan dem Bundeskanzleramt unterstand.