Schlußwort im Nürnberger Prozeß: Albert Speer

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Herr Präsident, meine Herren Richter! Hitler und der Zusammenbruch seines Systems haben eine ungeheure Leidenszeit über das deutsche Volk gebracht. Die nutzlose Fortsetzung dieses Krieges und die unnötigen Zerstörungen erschweren den Wiederaufbau. Entbehrungen und Elend sind über das deutsche Volk gekommen.

Es wird nach diesem Prozeß Hitler als den erwiesenen Urheber seines Unglücks verachten und verdammen. Die Welt aber wird aus dem Geschehenen lernen, die Diktatur als Staatsform nicht nur zu hassen, sondern zu fürchten.

Die Diktatur Hitlers unterschied sich in einem grundsätzlichen Punkt von allen geschichtlichen Vorgängern. Es war die erste Diktatur in dieser Zeit moderner Technik, eine Diktatur, die sich zur Beherrschung des eigenen Volkes der technischen Mittel in vollkommener Weise bediente. Durch die Mittel der Technik, wie Rundfunk und Lautsprecher, wurde 80 Millionen Menschen das selbständige Denken genommen; sie konnten dadurch dem Willen eines einzelnen hörig gemacht werden. Telephon, Fernschreiber und Funk ermöglichten es, daß zum Beispiel Befehle höchster Instanzen unmittelbar bis in die untersten Gliederungen gegeben werden konnten, wo sie wegen ihrer hohen Autorität kritiklos durchgeführt wurden. Oder sie führten dazu, daß zahlreiche Dienststellen und Kommandos unmittelbar an die oberste Führung angeschlossen wurden, von der sie direkt ihre unheimlichen Befehle erhielten. Oder sie hatten zur Folge eine weitverzweigte Überwachung der Staatsbürger und den hohen Grad der Geheimhaltung verbrecherischer Vorgänge. Für den Außenstehenden mag dieser Staatsapparat wie das scheinbar systemlose Gewirr der Kabel einer Telephonzentrale erscheinen; aber wie diese konnte er von einem Willen bedient und beherrscht werden. Frühere Diktaturen benötigten auch in der unteren Führung Mitarbeiter mit hohen Qualitäten, Männer, die selbständig denken und handeln konnten. Das autoritäre System in der Zeit der Technik kann hierauf verzichten. Schon allein die Nachrichtenmittel befähigen es, die Arbeit der unteren Führung zu mechanisieren. Als Folge davon entsteht der neue Typ des kritiklosen Befehlsempfängers.

Wir waren erst am Beginn dieser Entwicklung. Der Alptraum vieler Menschen, daß einmal die Völker durch die Technik beherrscht werden könnten, er war im autoritären System Hitlers nahezu verwirklicht. In der Gefahr, von der Technik terrorisiert zu werden, steht heute jeder Staat der Welt. In einer modernen Diktatur scheint mir dies aber unvermeidlich zu sein. Daher: Je technischer die Welt wird, um so notwendiger ist als Gegengewicht die Förderung der individuellen Freiheit und des Selbstbewußtseins des einzelnen Menschen.

Hitler hat die Technik nicht nur zur Beherrschung seines eigenen Volkes ausgenutzt, es wäre ihm nahezu gelungen, mittels seines technischen Vorsprungs Europa zu unterwerfen. Es waren lediglich einige der grundsätzlichen Schaltfehler, wie sie in einer Diktatur wegen des Mangels an Kritik typisch sind, daß er nicht vor 1942 doppelt soviel Panzer, Flugzeuge und U-Boote hatte. Wenn aber ein moderner Industriestaat seine Intelligenz, seine Wissenschaft, die Entwicklung der Technik und seine Produktion einige Jahre dafür einsetzt, um auf dem Gebiet der Bewaffnung einen Vorsprung zu erzielen, dann kann er auch mit einem geringen Einsatz von Menschen durch seine überlegene Technik die Welt völlig überrunden und besiegen, wenn die anderen Nationen in der gleichen Zeit ihre technischen Fähigkeiten für den kulturellen Fortschritt der Menschheit verwendeten. Je technischer die Welt wird, um so größer ist diese Gefahr; um so schwerer wiegt ein Vorsprung der technischen Kriegsmittel.

Dieser Krieg endete mit den ferngesteuerten Raketen, mit Flugzeugen in Schallgeschwindigkeit, mit neuartigen U-Booten und mit Torpedos, die ihr Ziel selbst finden, mit Atombomben und mit der Aussicht auf einen furchtbaren chemischen Krieg.

Der nächste Krieg wird zwangsläufig im Zeichen dieser neuen zerstörenden Erfindungen menschlichen Geistes stehen. Die Kriegstechnik wird in fünf bis zehn Jahren die Möglichkeit geben, von Kontinent zu Kontinent mit unheimlicher Präzision Raketen zu schießen. Sie kann durch die Atomzertrümmerung mit einer Rakete, bedient vielleicht von nur zehn Menschen, im Zentrum Newyorks in Sekunden eine Million Menschen vernichten, unsichtbar, ohne vorherige Ankündigung, schneller wie der Schall, bei Tag und bei Nacht. Der Wissenschaft ist es möglich, Seuchen zu verbreiten unter Menschen und Tieren und durch einen Insektenkrieg die Ernte zu vernichten. Die Chemie hat furchtbare Mittel gefunden, um den hilflosen Menschen unsagbares Leid zuzufügen.

Wird es wieder einen Staat geben, der die technischen Erkenntnisse dieses Krieges zur Vorbereitung eines neuen Krieges verwertet, während die übrige Welt den technischen Vorsprung dieses Krieges zum Nutzen der Menschheit anwendet und dadurch versucht, einen geringen Ausgleich für seine Schrecken zu schaffen?

Als ehemaliger Minister einer hochentwickelten Rüstung ist es meine letzte Pflicht zu sagen: Ein neuer großer Krieg wird mit der Vernichtung menschlicher Kultur und Zivilisation enden. Nichts hindert die entfesselte Technik und Wissenschaft, ihr Zerstörungswerk an den Menschen zu vollenden, das sie in diesem Kriege in so furchtbarer Weise begonnen hat. Darum muß dieser Prozeß ein Beitrag sein, um in der Zukunft entartete Kriege zu verhindern und die Grundregeln menschlichen Zusammenlebens festzulegen.

Was bedeutet mein eigenes Schicksal nach allem, was geschehen und bei einem solch hohen Ziel? Das deutsche Volk hat in früheren Jahrhunderten viel zu dem Aufbau menschlicher Kultur beigetragen. Es hat diese Beiträge oft in Zeiten geliefert, in denen es genauso ohnmächtig und hilflos war wie heute. Wertvolle Menschen lassen sich nicht zur Verzweiflung treiben. Sie werden neue bleibende Werke schaffen, und unter dem ungeheueren Druck, der auf allen lastet, werden diese Werke von besonderer Größe sein. Wenn das deutsche Volk so in den unvermeidlichen Zeiten seiner Armut und seiner Ohnmacht, – aber gleichzeitig auch in der Zeit seines Aufbaus – neue Kulturwerte schafft, dann hat es damit den wertvollsten Beitrag zu dem Geschehen in der Welt geleistet, den es in seiner Lage leisten kann.

Es sind nicht die Schlachten der Kriege allein, die die Geschichte der Menschheit bestimmen, sondern in einem höheren Sinne die kulturellen Leistungen, die einst in den Besitz der ganzen Menschheit übergehen. Ein Volk aber, das an seine Zukunft glaubt, wird nicht untergehen. Gott schütze Deutschland und die abendländische Kultur!

Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg, Nürnberg 1947, Bd. 22, S. 460 ff. (Zeno)


Schlußworte im Nürnberger Prozeß