Tischzuchten

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„Ein Tischzucht“ (ca.1540): Dieses Bild ist mit einem von Hans Sachs verfaßten Begleittext über gute Tischmanieren versehen. Der Leser wird unter anderem angewiesen, sich mit sauberen Händen und kurzen Fingernägeln an den Tisch zu setzen, mit geschlossenem Mund zu kauen und den Mund nicht mit der Tischdecke abzuwischen (Holzschnitt von Georg Pencz, ca.1540).[1]

Tischzuchten nannte man im Hoch- und Spätmittelalter die Vorschriften über Sauberkeit und anständiges Benehmen bei Tisch, deren Einhaltung damals um so wichtiger war, als man ohne Gabel mit dem Löffel oder gar der bloßen Hand aß, für gewöhnlich ein Herr mit einer Dame von einem Teller. Die ersten Tischregeln in deutscher Sprache findet man bei den geistlichen Didaktikern, die sie zunächst – als religiös fundierte Verhaltensregeln zur Beherrschung der Triebhaftigkeit – für Klosterbrüder, dann für ein weltliches Adelspublikum bzw. die ritterlich-höfische Gesellschaft gedichtet hatten. Der Adel verfeinerte diese Regeln zum Tischzeremoniell, das der ständischen Distinktion diente. Später war auch das Bürgertum Adressat solcher Benimm-Lehrschriften, wobei diese zuerst von der städtischen Oberschicht, ab Ende des 15. Jahrhunderts über die Zünfte auch im Handwerkerstand nachgeahmt wurden. Die Sorge der städtischen und ländlichen Unterschichten galt hingegen weit mehr der Ernährungslage.

Aus dem 12. Jahrhundert stammt eine lateinische Tischzucht, der „Phagifacetus“ (ins Deutsche übersetzt von Sebastian Brant, 1490). Sehr zahlreich sind die deutschen Tischzuchten aus dem 14. und 15. Jahrhundert, auch die englische und die französische Literatur haben in diesem Zeitraum Werke verwandten Inhalts aufzuweisen. In deutscher Sprache hat Thomasîn von Zerclaere in seinem Lehrgedicht solche Vorschriften gegeben. Tischzuchten stellen eine spezifische Gattung der Anstandsliteratur dar.

Im Zeitalter der grobianischen Literatur waren die parodistischen Verdrehungen der Tischzuchten, die Anweisungen zu einem unanständigen Benehmen bei Tisch, sehr beliebt; das erste selbständige Werk dieser Art: „Grobianus Tischzucht“, erschien in Worms 1538.

Andere Interpretation

Der Philologe Rüdiger Schnell vertritt die These, daß die volkssprachlichen Tischzuchten nicht verfaßt wurden, um in einer Sphäre „rauer Sitten“ ein kultivierteres, „positives“ Verhalten erst zu implementieren. Vielmehr seien sie so zu verstehen, daß sie auf eine bereits bestehende und durchaus hoch entwickelte Kultur gleichsam „aufsattelten“.[2]

Literatur

  • Moritz Geyer: Altdeutsche Tischzuchten. Altenburg 1882
  • Paul Merker: Tischzuchten, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 3, Berlin 1928/29, S. 370–373
  • Thomas Perry Thornton, Arnold Schirokauer: Höfische Tischzuchten. Nach Den Vorarbeiten Arno Schirokauers ..., herausgegeben von T. P. Thornton, 1957
  • Klaus Düwel: Über Nahrungsgewohnheiten und Tischzuchten des Mittelalters. 1989 — In: Umwelt in der Geschichte. Beiträge zur Umweltgeschichte, S. 129–149

Verweise

Fußnoten

  1. Vgl.: „Ein Tischzucht“, von Hans Sachs (in Antiqua-Normalschrift)
  2. Rüdiger Schnell: Zivilisationsprozesse. Köln : Böhlau, 2004