Botwinnik, Michail
Michail Botwinnik (Michail Moissejewitsch Botwinnik) (* 17. August 1911 in St. Petersburg; † 5. Mai 1995 in Moskau) war ein jüdischer Schachspieler, langjähriger Weltmeister (1948–1957, 1958–1960, 1961–1963), Stalinist und Wissenschaftler. Aufgrund einer Rückkampfvereinbarung für Weltmeisterschaftskämpfe gelang es ihm zwei Mal, den bereits verlorenen Titel zurück zu erobern. Trotz seiner langjährigen Stellung als Schachweltmeister gilt er nicht als herausragende Person in der Geschichte des Spiels und begründete keine Schule. [1]
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Herkunft und Anfänge
Michail Moisejewitsch Botwinnik war der Sohn eines jüdischen Zahnarztes und wuchs in Leningrad auf.[2] Seine Familie stammte aus der Ukraine. Botwinniks Eltern trennten sich, als er 12 Jahre alt war. Im diesem Alter erlernte er auch das Schachspiel und erregte erstes Aufsehen, als er Jose Raul Capablanca 1925 bei einer Simultanveranstaltung schlug. Vorher, bereits mit 8 Jahren, wurde er überzeugter Kommunist.[3] Bereits mit 16 Jahren belegte er den fünften Platz in der Meisterschaft der UdSSR.
Ausbildung
Von 1929 bis 1932 studierte Botwinnik am polytechnischen Industrieinstitut in Leningrad und blieb anschließend an der gleichen Hochschule als Aspirant.[4] Gleichzeitig arbeitete er in einem Laboratorium für Starkstromerzeugung. 1931 wurde er Mitglied des Komsomol, 1940 trat er in die KPdSU ein. Seine akademische Ausbildung am Leningrader Industrieinstitut schloß er im Juni 1937 mit dem Titel eines Kandidaten der technischen Wissenschaften ab. Später (1955) erwarb er noch den Titel eines Doktors der technischen Wissenschaften.
Wirken
Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Michail Botwinnik von 1941 bis 1944 in der Stadt Molotow (Perm) als Ingenieur und Chef des Isolations- und Überlastungsdienstes beim Energetischen Trust Molotow (Molotowenergo). Anschließend war er von 1944 bis 1945 als Chefingenieur einer Abteilung des Ministeriums für Kraftwerke in Moskau tätig. Ab 1955 wirkte er als Professor am Institut für Energetik in Moskau. Aus Botwinniks Feder stammen Schriften zur Elektrowissenschaft und Maschinenbautechnik.
Botwinnik und die Politik
Er nutzte das politische System aus Überzeugung für seine Karriere, wurde Träger des Stalinpreises 1957 und erhielt zwei Mal den Leninorden.
Als linientreuer Kommunist erhielt Botwinnik hochrangige Unterstützung des sowjetischen Parteiapparates. Sein vorrangigster Förderer war Nikolai Krylenko, hochrangiges Mitglied der KPdSU und von Lenin ernannter Militärkommissar. Später wurde Krylenko Präsident des Obersten Gerichtshofs der UdSSR und war maßgeblich an den wesentlichen politischen Prozessen der 20er Jahre in der UdSSR beteiligt.
1931 wurde Krylenko von Stalin zum Justizkommissar ernannt. In dieser Eigenschaft beteiligte sich Krylenko an den
Großen Säuberungen der 30er Jahre, in denen Stalin zehntausende von Mitgliedern der KPdSU, des Volkskomitees und der
Roten Armee hinrichten ließ, um eine mögliche Opposition zu eliminieren. Krylenko wird folgender Satz zugeschreiben:
- „Es genügt nicht die Schuldigen zu erschießen, erst wenn man ein paar Unschuldige liquidiert, sind die Leute beeindruckt.“
1938 fiel Krylenko selbst den Säuberungen zum Opfer. Er wurde des Hochverrats gegen die UdSSR bezichtigt und exekutiert.
Seinen Zugang zum AVRO-Turnier 1938, welcher ihm letztlich den Weltmeistertitel brachte, soll Botwinnik durch einen Brief an das Zentralkomitee der KPdSU erhalten haben. Die durchaus berechtigten Forderungen des jüdischen Schachspielers Löwenfisch soll Botwinnik mit dem Hinweis auf seine (Löwenfischs) Verehrung des russischen Zaren in Frage gestellt haben[5].
Ebenso soll Botwinnik nach jeder Siegpartie ein Telegramm an Stalin gesendet haben, um diesem zu versichern, daß sein Sieg ohne die Hilfe Stalins nicht möglich gewesen wäre[6].
Botwinnik bekam in Kriegszeiten besonders reichhaltige und großzügige Lebensmittelzuteilungen[7] und erhielt bei Bedarf die Freistellung von seiner Ingenieurstätigkeit[8].
Botwinnik als Schachweltmeister
Bereits 1931 gewann Botwinnik seine erste sowjetische Meisterschaft und wiederholte seinen Sieg 1933. Nachdem er 1936 bei einem Großturnier in Moskau den zweiten Platz hinter Capablanca erreichte wurde er als ein Kandidat für den Weltmeistertitel gesehen. Beim großen AVRO-Turnier 1938 wurde er Dritter. 1941 wurde Botwinnik erneut sowjetischer Meister. Weitere Titel folgten 1944, 1945 und 1952. Da der amtierende Weltmeister Alexander Aljechin inzwischen verstorben war wurde vom Weltschachbund ein Wettkampfturnier der besten Spieler veranstaltet. Botwinnik gewann mit einem Vorsprung von 3 Punkten und errang somit 1948 den Weltmeistertitel. Er amtierte als Schachweltmeister von 1948 bis 1956, im Jahre 1958 bis 1960 und von 1961 bis 1963.[2]
Nach seinem Titelgewinn spielte er nur wenig Wettkampfschach. Vielmehr widmete er sich seiner Doktorarbeit, die er 1951 abschloß und heiratete eine Tänzerin des Bolschojtheaters.
Wettkampf gegen David Bronstein 1951
Im Wettkampf gegen den exzentrischen jüdischen Schachmeister David Bronstein erreichte er ein mühevolles Unentschieden (12:12), was ihm für den Titelerhalt reichte.
Die Wettkämpfe gegen Wassily Smyslow
Auch hier erreichte Botwinnik 1953 nur ein unentschiedenes Ergebnis (12:12), was ihn wiederum als Weltmeister bestätigte. Smyslow durchlief allerdings erneut alle notwendigen Qualifikationswettkämpfe und besiegte Botwinnik im Jahr 1957 mit 3 Punkten Vorsprung. Daraufhin nutzte Botwinnik das ihm zustehende Recht zum Rückkampf und besiegte Smyslow 1958 mit 7:5 bei elf unentschiedenen Spielen und war erneut Schachweltmeister.
Die Wettkämpfe gegen Michail Tal
1960 musste Botwinnik gegen Michail Tal antreten, gegen den er mit 2:6 Punkten bei 13 unentschiedenen Partien verlor. Auch hier machte er von seinem Rückkampfrecht Gebrauch und holte sich den Titel 1961 mit 10:5 bei nur 6 unentschiedenen Spielen zurück.[9]
Titelverlust gegen Petrosjan
Vor diesem Wettkampf wurde Botwnnik das Rückkampfrecht bei einer Niederlage entzogen, so daß er den Titel nunmehr direkt gegen Tigran Petrosjan verteidigen musste. Er verlor 2:5 bei 15 unentschiedenen Spielen und war dem Weltmeistertitel nunmehr endgültig los.
Nach dem Titelverlust
Botwinnik spielte in seiner Laufbahn im Vergleich zu anderen Weltmeistern nur wenige sonstige Turnier- und Wettkampfpartien. 1970 beendete er seine aktive Schachlaufbahn und war fortan in Moskau als leitender Ingenieur für die Entwicklung von Forschungsanlagen zuständig. Er förderte Nachwuchstalente wie den späteren Weltmeister Anatoli Karpow, den er allerdings dadurch brüskierte, daß er den Juden Garri Kasparow später als wesentlich talentierter ansah. Aus historischer Sicht ist Botwinnik sicherlich eine glückliche Gestalt, da er einer Vielzahl von Größen der Schachgeschichte selber am Brett begegnete oder sie zumindest kennenlernen und spielen sehen durfte.[10]
Quellen
- Harold Schonberg: Die Großmeister des Schach, Scherz-Verlag 1974