Linksextremismus im Weltnetz
Unter Linksextremismus im Weltnetz wird die Förderung linksextremer Zielsetzungen mit Hilfe des Weltnetzes verstanden, die durch Einzelpersonen, durch lose Netzwerke, Parteien, Medien und Vereine betrieben wird. Dabei reichen die Inhalte von der bloßen Selbstdarstellung, der Werbung von Unterstützern, der Vernetzung, der politischen Einflußnahme, der Verabredung von Straftaten bis zu detaillierten Anleitungen zum Bau von Sprengmitteln und Sabotageeinrichtungen.
Inhaltsverzeichnis
BRD
Mailbox-Systeme
Mitte der achtziger Jahre begann die linksextreme Szene in den permissiven Staaten Westeuropas sowie Amerikas, die Möglichkeiten des vernetzten Datenaustausches für sich zu entdecken. Zunächst wurde auf lokale und überregionale Mailbox-Systeme zurückgegriffen. Mit Hilfe dieser Mailbox-Systeme konnten Nachrichten an eine Art elektronisches schwarzes Brett geheftet werden. Die Inhalte wurden über eine nur Eingeweihten bekanntgegebene Zugangsnummer abgerufen.
Das erste größere Datennetz dieser Art, welches von Linksextremisten genutzt wurde, war das SpinnenNetz. Dieses wurde Anfang 1991 von Personen aus der autonomen Szene aus Mainz und Wiesbaden gegründet.[1] Mit Hilfe einer starken Verschlüsselung wurde versucht, das SpinnenNetz gegen jegliche Ausspähung von außen zu schützen. Nach einem Artikel der Tageszeitung „Die Welt“ diente das SpinnenNetz unter anderem als „Informations- und Führungsinstrument des RAF-Umfeldes“.[2]
Weltnetz
Mit der Verbreitung des Weltnetzes wuchsen die Möglichkeiten für die Verbreitung linksextremen Gedankenguts. Die weit stärkere Variabilität machte die herkömmlichen Mailbox-Systeme schnell überflüssig. Um den Zugang zu den Seiten für Fremde zu erschweren, wurden Verschlüsselungsprogramme eingesetzt.
Zu den ältesten linksextremistischen Portalen im Weltnetz zählt www.nadir.org. Federführend für das Projekt war die Informationsgruppe Hamburg. Auf NADIR konnten neben linken auch eine größere Anzahl linksextremer Einzelpersonen und Gruppen szene-interne Informationen veröffentlichen, u. a. zur Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora und über den Tod des RAF-Terroristen Wolfgang Grams. Die Beiträge wurden linken Verlagen und Zeitungen kostenfrei zum Nachdruck zur Verfügung gestellt, u. a. dem ID-Verlag.[3]
Nach Schätzungen der Verfassungsschutzbehörden gibt es derzeit mehr als 1.200 „linksextremistisch beeinflusste deutschsprachige Weltnetzseiten“, deren Zahl stetig zunimmt. Insbesondere nennt der Verfassungsschutz Indymedia und nadir.org:
- Indymedia zählt heute zu den größten Plattformen, über die neben linken auch linksextreme Inhalte verbreitet werden. Indymedia ist Teil eines globalen Netzwerkes, das weltweit über 100 lokale „independent media center“ verfügt. Es versteht sich als frei zugängliches Nachrichtenmedium, das eine Gegenöffentlichkeit zu den kommerziellen Medien schaffen will und richtet sich vor allem an linksextreme und linksextremistische Nutzer. Die Seite verwirklicht das Prinzip des „Open Posting“, d. h. sowohl Gruppen wie auch Einzelpersonen haben die Möglichkeit, ohne besondere Zugangsberechtigung vom eigenen PC aus Texte direkt auf der Indymediaplattform einzustellen. Die zunächst für alle Nutzer freigeschalteten Inhalte werden von einem Moderatorenkollektiv gegengelesen, das dann die Aufgabe hat, als ungeeignet betrachtete Beiträge auszusondern. Ebenfalls entscheiden sie darüber, welche Artikel auf der Startseite besonders herausgehoben werden. Die redaktionelle Arbeit wird mit dem Anspruch begründet, „immer auch ein Teil der Bewegung zu sein“, von der sie berichten.
- Nadir gilt als das älteste auch von Linksextremisten genutzte Weltnetzportal. Es wurde durch die „Infogruppe Hamburg“ aufgebaut. Mit diesem Weltnetzprojekt soll „ein Beitrag zur Entwicklung einer emanzipatorischen Perspektive geleistet werden, die international und internationalistisch allen Widerständen und Kämpfen eine gemeinsame Richtung gibt, um die herrschenden Verhältnisse grundlegend zu verändern“. Dem nachkommend ist ein offenes Archiv eingerichtet worden, das Materialien zur Unterstützung antiimperialistischer, antikapitalistischer und antifaschistischer Politik zur Verfügung stellen soll. Darüber hinaus unterstützt Nadir insbesondere auch die autonome Szene durch technische Dienstleistungen. So haben verschiedene linke Organisationen ihre Webseiten auf dem Nadir-Server.[4]
Besondere Aktionsfelder von Linksextremisten im Weltnetz
Mitte der neunziger Jahre begannen linksextreme Akteure mit gezielten elektronischen Attacken gegen staatliche Institutionen und große wirtschaftliche Unternehmen wie auch gegen Seiten tatsächlicher oder vermeintlicher rechtsextremer Parteien, Gruppierungen und Einzelpersonen.
Sitzblockaden im Weltnetz
Ende der neunziger Jahre wurde von Unterstützern der mexikanischen Zapatistenbewegung eine Software zur Automatisierung elektronischer Sit-Ins entwickelt. Diese wurde dazu verwendet, um Weltnetzseiten mexikanischer Regierungsorganisationen zu blockieren, um diese zu politischen Reformen zu zwingen. 1998 fand das bis dahin größte virtuelle Sit-In statt, mit dem gleichzeitig die Webauftritte von Mexikos Präsident Zedillo, des Pentagon und der Frankfurter Börse lahmgelegt wurden.[5]
In der Bundesrepublik Deutschland wurde nach diesem Vorbild 2001 der Weltnetzauftritt der Lufthansa wegen deren vermeintlicher Mitverantwortung bei der Abschiebung von Asylbewerbern blockiert, wobei über 150 linke und linksextreme Gruppen www.libertad.de als Aktionsplattform nutzten. Während einer Aktions-Hauptversammlung des Unternehmens kam es zu rund 1,2 Millionen Zugriffen auf die Netzpräsenz der Lufthansa. Begleitet war die Aktion von der Kampagne „Lufthansa goes offline“.[6] Seither finden solche Cyber-Attacken regelmäßig statt.[7]
Strafbarkeit
Im Gegensatz zu den zeitweiligen Blockaden von Weltnetzseiten, bei denen Gerichte keine Straftat erkennen konnten,[8] ist das Hacken von Weltnetzseiten eine eindeutig strafbewehrte Handlung.
Bekannte linksextreme Netzpräsenzen
Literatur
- Thomas Barisic / Arnd Reinhardt: Linksextremismus im Internet in „Extremismus in Deutschland – Erscheinungsformen und aktuelle Bestandsaufnahme“, hrsg. vom Bundesministerium des Innern, Berlin 2004, S. 222ff.
- Roland Richter: Links im Netz – Die extreme Linke und das Internet, in: Knütter/Winckler: Handbuch des Linksextremismus, Graz/Stuttgart 2002, S.119ff.