Pocken
Als Pocken oder Blattern wird ein Symptomenkomplex bezeichnet, welcher von sogenannten Viren der Gattung Poxviridae (deutsch: Pockenviren) verursacht werden soll. Eine Pockenerkrankung verläuft häufig tödlich und ist aufgrund der Gefahr einer seuchenartigen Ausbreitung in zahlreichen Staaten quarantänepflichtig. Die Bezeichnung variola (von lat. varius ‚bunt‘, ‚scheckig‘, ‚fleckig‘) wurde von Bischof Marius von Avenches (heute Schweiz) um 571 n. d. Zeitrechnung geprägt.[1] Die in der europäischen Roman-Literatur und in populären Biographien häufig zu lesende Krankheitsbezeichnung „schwarze Blattern“ bezeichnet die schwere Verlaufsform der Pockenerkrankung, die zeitlich verkürzt ist und eine höhere Mortalität aufweist.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) soll die Welt im Jahr 1980 für pockenfrei erklärt haben, weshalb die umstrittenen Pockenimpfungen nicht mehr empfohlen werden.
Inhaltsverzeichnis
Ursprung
Die Pocken (wie auch die Pest) sind eine uralte Krankheit, so alt, daß die Anfänge ihrer Geschichte im Dunkel liegen. Aus alten Schriften weiß man, daß die Krankheit schon 1122 vor der Zeitrechnung in China bekannt war und ein chinesisches Sprichwort besagt, daß nur derjenige richtig geboren ist, der die Pocken überlebt hat. In Indien gibt es schon seit 1500 vor der Zeitrechnung Pockengöttinnen. Eine dieser Pockengöttinnen heißt Mariyamman. Die Inder glaubten, daß der, der erkrankt war, von der Göttin besucht wurde. Der Patient bekam kühlende Margosablätter auf den Körper gelegt und man hängte auch ein paar Blätter an die Tür, um der Göttin zu zeigen, daß das Haus von den Pocken befallen war. Der Kranke mußte „heiße" Tätigkeiten, wie z. B. frittieren oder sexuelle Verbindungen vermeiden, weil er sonst den Zorn der Göttin heraufbeschwor. Die Narben, die der Patient oder die Patientin davontrug, galten in Indien nicht als Schönheitsfehler, sondern waren etwas Besonderes und verliehen der Person noch eine gewisse Schönheit, denn die Narben waren ein Zeichen dafür, daß der Patient von der Pockenschutzgöttin ausersehen war. Stellte sich aber heraus, daß der Patient schwerere Schäden wie Erblindung oder Taubheit davontrug, war er geächtet, weil klar war, daß er die oben genannten „heißen" Tätigkeiten nicht gemieden hatte.
Die an mehreren Stellen des jüdischen Alten Testaments (u. a. 2 Kön 20,7 EU; Lev 13,18 EU und das Leiden des Hiob) hebräisch als schechin (Pustel, Geschwür) bezeichnete Seuche wurde von Medizinhistorikern mit den Pocken in Verbindung gebracht.
Die Pocken wurden von den Hunnen nach Germanien bzw. Europa eingeschleppt. Nach ihrer Ausbreitung im 6. Jahrhundert hat diese Seuche hier mindestens vier Millionen Todesopfer gefordert und löste bis in die Neuzeit immer wieder Epidemien aus.[2] Auch die Auslöschung der Azteken und die starke Dezimierung der anderen Indianerstämme Nordamerikas führt man im Anschluß an kriegerische Ereignisse letztlich auf Pocken-Epidemien zurück.
Erkrankung
Bei Pocken sind Verdacht, Erkrankung und Tod meldepflichtig (§ 1 Abs. 1 Z1 Epidemiegesetz).
Erkrankung | medizinischer Name | Erreger | Sterblichkeit |
---|---|---|---|
Echte Pocken | Variola vera, Variola major |
Orthopoxvirus variola | 10–90 %, je nach Stamm |
Weiße Pocken | Variola minor, Alastrim |
Orthopoxvirus variola var. alastrim | 1–5 % |
Ostafrikanische Pocken | Variola haemorrhagica | ? | 5 % |
Ursache
Das recht große Virus befindet sich vor allem im Rachenschleim und in den Eiterbläschen. Ansteckung erfolgt durch Tröpfchen - und Staubinfektion, weniger durch Schmierinfektion. Eintrittspforte ist die Schleimhaut der Luftwege. Von dort gelangen die Erreger in das R.E.S. (reticuloendotheliale System bzw. reticulohistiozytäres System), wo sie sich vermehren. Es läuft dann eine akute zyklische Infektionskrankheit ab.
Nach der regelmäßigen Inkubationszeit sind die Viren während des Generalisierungsstadiums im Blut, anschließend während des Organstadiums in den Bläschen und Eiterbläschen.
Klinik/Symptome
Nach regelmäßiger Inkubationszeit von ca. 12 Tagen bricht plötzlich das 3-tägige Anfangsstadium aus, der Patient leidet an:
- schwerem Krankheitsgefühl
- Kopf- und Rückenschmerzen
- Benommenheit, Schwindel
- Erbrechen
- hohem Fieber
- Schüttelfrost
- flüchtigem Hautausschlag (Scharlach oder Masern ähnlich)
- am 4. Tag (Fieber sinkt) bilden sich an Kopf und Gesicht rötliche Knötchen, die in 1-2 Tagen zu Erbsengröße anwachsen.
- am 6. Tag (Fieber steigt) Bläschen, welche am 7. Tag zu gekammerten Eiterbläschen (Pusteln) werden. Sie haben in der Mitte eine Eindellung (Pockennabel) und rundherum einen roten geschwollenen Hof.
- innerhalb von 2 Tagen breiten sie sich über den ganzen Körper aus und können auch die Schleimhäute befallen, wo sie sich leicht in schmerzhafte Geschwüre umwandeln.
- häufig bilden sich Sekundärinfektionen mit Zellgewebe-Entzündungen (Phlegmone) und eitrigen Absiedlungen (Metastasen) in inneren Organen.
- Vom 12. Tag an fällt das Fieber, die Pusteln trocknen zu Borken ein und hinterlassen tiefe Narben. Eine weitgehende Immunität ist erworben.
Diagnose
- Vermehrung der Leukozyten (Leukozytose), überwiegend einfachkernige Leukozyten (Mononukleose).
- Ausstriche des Pustelinhalts.
Komplikation
- Zusammenfließen der Pocken (höhere Sterblichkeit).
- blutige oder „schwarze“ Pocken, blutige Eiterbläschen und Schleimhautblutungen (meist tödlich).
- pockige Blutsprossen (schwarz-blaue Flecken) schon vor dem Ausschlag (Tod in der 1. Woche).
Therapie
Bei Immungesunden ergeben sich nach der Eradikation der Variola schwere Poxvirus-Infektionen nur durch die bisher auf Zentralafrika beschränkten Affenpocken. Hier ist die Gabe von Hyperimmun-Gamma-Globulin sowie eine Chemotherapie mit Cidofovir oder Methisazon-Derivaten angezeigt.
Früher erfolgte die Therapie nur symptomatisch: Pinselung der Pusteln mit einprozentiger Kaliumpermanganat-Lösung, Einfetten der Krusten mit Borsalbe, Spülen der Mundschleimhaut mit Kaliumpermanganat-Lösung oder Salbei-Tee, Verabreichung schmerzstillender, beruhigender und kreislaufstützender Medikamente, Antibiotika sind nur gegen Sekundärinfektionen der Pusteln wirksam, strenge Isolierung mit laufender Desinfektion.
Prophylaxe
Als vorbeugende Maßnahme wurden jahrzehntelang künstliche medizinische Impfungen gegen Pocken durchgeführt. Die Maßnahme war mit der Gefahr nicht unerheblicher unerwünschter Wirkungen verbunden. Der Nutzen der Impfung war und ist umstritten.
Impfgeschichte
1799 entwickelte der deutsche Arzt Ernst Ludwig Heim die (Kuh)-Pockenimpfung und wandte sie erstmals am Menschen praktisch an. Im Jahre 1874 wurde die Impfung gegen Pocken im Deutschen Reich per Gesetz verordnet.
Der letzte Pockenfall trat in Deutschland 1975 auf. Im selben Jahr wurde bereits die Impfpflicht für Kleinkinder, ein Jahr darauf die zur Zweitimpfung im zwölften Lebensjahr abgeschafft.
Film
- Die Pocken, ihre Gefahren und ihre Bekämpfung (1920) von Rudolf Biebrach
Literatur
- symptome.ch: Das Märchen von der Pockenschutzimpfung und andere Wahrheiten
- Johann Heinrich Lavater: Abhandlung über die Milchblattern oder die sogenannten Kuhpocken. Einer leichten und gefahrlosen Krankheit, die auf eine zuverlässige Art vor den Pocken verwahren soll (1801) (PDF-Datei)
- Paul Kübler: Geschichte der Pocken und der Impfung (1901) (PDF-Datei)
- Carl Rudolph Emil Jacobi: Das Reichs-Impf-Gesetz vom 8. April 1874; nebst Ausführungs-Bestimmungen des Bundesraths und den in Geltung gebliebenen Landes-Gesetzen über Zwangs-Impfungen bei Pocken-Epidemien (1875) (PDF-Datei)
- Ist der Impfzwang berechtigt? Eine Kritik der Impfschutz-Theorie nebst Anleitung zu einer Behandlung und Verhütung der Pocken (Blattern) (1894) (PDF-Datei)
- Manfred Vasold: Die letzte große Pockenepidemie in Deutschland – 200 Jahre Impfung gegen Pocken. In: Naturwissenschaftliche Rundschau. Nr. 60(4), 2007, ISSN 0028-1050, S. 183–187