Prag und die deutsche Musik
Prag und die deutsche Musik ist ein Text zur Entwicklung der Aufführungspraxis klassischer Werke in der böhmischen Landeshauptstadt von Karl Riehs. Entnommen wurde folgende Quellenwiedergabe dem Kapitel „Der Sudetenraum in der deutschen Musik“ aus dem „Böhmen und Mähren-Buch“ von Friedrich Heiss.
Text
„Die ersten Opernaufführungen [in Böhmen und Mähren] fanden, allerdings bei besonderer Gelegenheit, in Böhmens Hauptstadt statt. So wurde in Prag wahrscheinlich schon zur Krönung Ferdinands II. zum böhmischen König die erste Oper aufgeführt. Zum zweiten Male gab es im Jahre 1860 eine Opernaufführung, als der Hof Leopolds I. vorübergehend in Prag weilte. 1724 wurde Karl VI. zum böhmischen König gekrönt. Im Mittelpunkt der Festlichkeiten stand die Aufführung der großen Oper „La constanza e fortezza“ von Johann Joseph Fuchs unter Leitung von Antonio Caldara am Burgberg. Aus aller Herren Ländern waren Musiker nach Prag gekommen, um an diesem Ereignis teilzunehmen. Unter anderen waren Quantz, Graun, Stölzel und Tartini, der seinen Aufenthalt gleich auf zwei Jahre ausdehnte, anwesend. Unter dem Eindruck dieser Festoper scheint damals der mit Bach befreundete Graf Franz Anton Sporck den Entschluß gefasst zu haben, eine ständige italienische Oper in Prag seßhaft zu machen. So zogen bald italienische Operngesellschaften ein. Neben ihnen gewann das Theaterleben feste Form durch die Gründung einer ständigen Bühne, die dann als Nationaltheater des Königreiches Böhmen galt. In diesem Theater wurde im Jahre 1783 zum ersten Male eine Oper Mozarts unter dem deutschen Direktor Wahr aufgeführt: „Die Entführung aus dem Serail“. Der Erfolg überraschte, und das Stück hielt sich lange auf dem Spielplan. Dies wurde für die weitere Entwicklung von großer Bedeutung, war es doch bis dahin dem deutschen Schau- und Singspiel nur mühsam gelungen, sich gegenüber der italienischen Opernkunst durchzusetzen. Dies wurde gerade in nationaler Hinsicht schwer empfunden, und aus dem Gefühl heraus, daß Abhilfe nötig sei, erging fast zur selben Zeit der entscheidende Aufruf des späteren Oberstburggrafen von Böhmen Graf von Nostitz und Rieneck zum Bau eines würdigen Nationaltheaters in Prag. Die Hauptaufgabe dieser Bühne sollte die Pflege deutscher Theaterkunst sein. Das Haus wurde errichtet und mit der Aufführung Lessings „Emilia Galotti“ eingeweiht. Zur selben Zeit feierte die „deutsche Opera“ Mozarts (die schon erwähnte Aufführung der „Entführung“) im alten Nationaltheater in den Kotzen Triumphe. So war das Bewußtsein, für deutsche Kunst eintreten zu müssen, geweckt. Diese deutsche Kunst war damals auch, und zwar in bewußt bejahender Einstellung, die Kunst des tschechischen Teiles der Bevölkerung. Nun kamen glanzvolle Jahre in der Prager Operngeschichte und erbrachten die volle Berechtigung der Gedanken, aus denen das deutsche Nationaltheater erstanden ist. Bald sollte das Theater auf dem Carolinplatz, dem heutigen Obstmark, mit einem bedeutenden Ereignis in die Musikgeschichte eingehen. Nach vielen Aufführungen von Mozarts „Figaro“ erlebte Prag im Jahre 1787 die ‚größte Begeisterung auslösende‘ Uraufführung des „Don Giovanni“. Diese entscheidenden Taten sollten bald weit über die Grenzen des Theaters hinaus auf längere Sicht für das gesamte Musikleben des Landes bestimmend wirken. Die Mozartbegeisterung war so groß, daß fast überall nur noch seine Melodien erklangen. Auf den Straßen wie in den Salons wurde Mozart gespielt, und der Einfluß seiner Kunst war so innig, daß sie in der breiten Masse wie Volksmusik Wurzeln schlug. Im Kreise der Musikkenner und -beflissenen wurde sie als einmalig empfunden und als Maßstab allen Musizierens gewertet. Der Grundstein für eine Mozarttradition war gelegt. Noch oft war dieses Theater am Obstmarkt Ausdruck des deutschen Kunstwillens, einmal auch noch der Schauplatz einer Mozartschen Uraufführung, als im Jahre 1791 anläßlich der Krönung Leopolds II. die Oper „Titus“ gegeben wurde. So hatte die Prager Oper durch ein Jahrzehnt einen unerhörten Aufschwung genommen. Langsam ebbte nun wieder die Begeisterung ab, Mißstände schlichen sich ein und beschleunigten den Niedergang des Ständetheaters zur gewöhnlichen Schaubühne, die weder in der Auswahl der Stücke noch in der Güte der Aufführungen Zugkraft besaß. Die umfassende Bedeutung und der Einfluß auf die Kulturentwicklung im Lande waren verloren.
Eine kurze Unterbrechung dieses Zustandes brachten nur noch die Jahre, in denen sich Carl Maria von Weber als Dirigent in aufreibender Tätigkeit bemühte, den alten Ruhm wieder herzustellen (1813-1816). Die ausstrahlende Wirkung blieb aber aus, da einfach das Publikum, das von den Vorgängern Webers jahrelang nur noch billigste Kost vorgesetzt erhalten hatte, verdorben war und ernstem Kunstbestreben keine Gefolgschaft leistete. Das Musikleben Prags, einstmals zur Zeit Mozarts vom ganzen Volke begeistert getragen, beschränkte sich nunmehr auf einige wenige Kreise, in denen allerdings die Tradition hochgehalten und fleißig vor allem Kammermusik gepflegt wurde. Drei Jahrhunderte hat sich die Musikkultur, die von Deutschen ins Land getragen und gefestigt worden war, bewährt, und starb auch manchmal ein Zweig ab, so konnte ein anderer um so schönere Früchte tragen. Noch einmal sollte auch aus ihr ein schöpferischer Mensch reifen, der so recht eine Krönung bildet, der große Meister des deutschen Liedes, Franz Schubert. Eine lange Reihe von Ahnen, die alle in den Bergen Schlesiens und Mährens ihre Heimat hatten, spendeten die Kräfte, die in ihm zur vollen Entfaltung kamen.“