Vogel, Walter (1909)

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Walter Vogel (Lebensrune.png 7. März 1909 in Göttingen; Todesrune.png 20. Dezember 2005 in Bonn) war ein deutscher Archivar, der „Nestor der Archivare des Bundesarchivs“ und letzter Überlebender der Angehörigen des 1945 untergegangenen Reichsarchivs.

Leben und Tod

Quelle
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Bismarcks Arbeiterversicherung - Ihre Entstehung im Kräftespiel der Zeit, Walter Vogel, 1951.jpg

Mit Walter Vogel verstarb am 20. Dezember 2005 im 97. Lebensjahr der Nestor der Archivare des Bundesarchivs, der letzte Archivar aus der Generation von dessen Gründern im Jahre 1952. Mit ihm verloren wir einen Kollegen, der das Ideal des Historikerarchivars verkörperte, den fachlichen Kernaufgaben zutiefst verpflichtet, aber stets auch in der wissenschaftlichen Forschung engagiert. Zeit seines Lebens ist er ein unbestechlicher, kritischer Beobachter der geschichtswissenschaftlichen Forschung im Bereich der Neuesten Geschichte, der Zeitgeschichte geblieben. Zudem war er stets ein wacher Beobachter seiner erlebten Zeit, bestrebt, neue Entwicklungen zu erspüren und auf deren Überlieferungswert für die archivische Dokumentation zu prüfen.

Der am 7. März 1909 in Göttingen geborene Walter Vogel wuchs im bürgerlichen Gelehrtenhaus von Rudolf Vogel, einem Professor für Metallurgie, auf und genoss eine humanistische Schulbildung. An der Universität seiner Heimatstadt Göttingen nahm er 1928 das Studium der Geschichte mit dem Schwerpunkt Historische Hilfswissenschaften und Neuere Geschichte und der Anglistik auf. Zu seinen Lehrern gehörten Karl Brandi, A. O. Meyer und Wilhelm Mommsen. Adolf Hasenclever promovierte ihn im Jahre 1932 mit einer Arbeit über „Die Tagebücher des Freiherrn Reinhard von Dalwigk zu Lichtenfels als Geschichtsquelle“, die 1933 im Druck erschien. Die Gegnerschaft des leitenden Ministers in Hessen-Darmstadt zu Bismarck lockte den jungen Preußen-Skeptiker Vogel; ursprünglich hatte er seinem späteren Doktorvater eine Arbeit zum Thema „Bismarck und die Lüge“ vorgeschlagen. Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde die Zeit der Reichsgründung als ein Thema der Zeitgeschichte empfunden, der sich Vogel von Anfang an verschrieb. Das Studium schloss er im Jahre 1934 mit der Staatsprüfung für das höhere Lehramt ab. Während der Semesterferien hatte er regelmäßig in der Universitätsbibliothek Göttingens gearbeitet.

Dem Studium schloss sich Vogels Ausbildung zum höheren Archivdienst am Institut für Archivwissenschaft in Berlin-Dahlem an, die er im Dezember 1935 erfolgreich abschloss. Im Jahre 1936 nahm er seine Tätigkeit im Reichsarchiv auf, zunächst als wissenschaftliche Hilfskraft und als Archivassessor, bis er zum 1. Juli 1940 zum Archivrat ernannt wurde. Unter der Präsidentschaft von [[Ernst Zipfel]] arbeitete er in der Abteilung von Heinrich Otto Meisner. In jenen Jahren wertete er neben amtlichen Überlieferungen Nachlassschriftgut aus und schrieb seine im Jahre 1941 in Berlin erschienene Arbeit „Die Organisation der amtlichen Presse- und Propagandapolitik des deutschen Reichs von den Anfängen unter Bismarck bis zum Beginn des Jahres 1933“. Ende des Jahres 1943 wurde er dem kleinen Arbeitsstab zugeteilt, der gleichfalls unter der Leitung Ernst Zipfels im Reichsministerium des Innern die Unterabteilung Archiv- und Schriftgutwesen bildete. Dieser bediente sich Zipfel auch für die Wahrnehmung seiner Aufgaben als Kommissar für den Archivschutz. Vogel wirkte als Sachbearbeiter Wilhelm Rohrs im Wesentlichen mit Aufgaben des Archivgutschutzes im Reich, d. h. mit der Auslagerung von Archivbeständen zum Schutz vor Luftangriffen befasst. Von einer Einberufung zur Wehrmacht blieb er wegen einer früheren Tuberkulose- Erkrankung verschont.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit nach Göttingen zurückgekehrt, unterstützte Vogel die Archive in Hannover, in der britischen Besatzungszone und die britische Militärregierung mit Informationen über Auslagerungsorte von Archivbeständen und die Rückführungsaktivitäten. Im Jahre 1946 fand er im Staatsarchiv von Osnabrück unter Leitung von Günter Wrede seine Wiederverwendung als wissenschaftlicher Archivar, zunächst im Angestelltenverhältnis. Seinem Verständnis des Archivarsberufs entsprechend nahm er, ohne die archivischen Tagesaufgaben zu vernachlässigen, alsbald die Sammlung von Briefen des hannoveranischen Staatsmannes und langjährigen Oberbürgermeisters von Osnabrück Johann Carl Bertram Stüves auf. Deren Edition erschien in den Jahren 1959 und 1960 in Göttingen in zwei Bänden. Seinen ursprünglichen zeitgeschichtlichen Interessen blieb er treu, indem er im Jahre 1951 eine Studie über „Bismarcks Arbeiterversicherung. Ihre Entstehung im Kräftespiel der Zeit“ veröffentlichte.

Bei der Arbeitsaufnahme des neu gegründeten Bundesarchivs am 3. Juni 1952 gehörte Walter Vogel zu den Archivaren der ersten Stunde. Von Anfang an setzte er sich für die geschichtswissenschaftliche Orientierung des Hauses ein, keineswegs immer zur Freude der ihm vorgesetzten Adolf Diestelkamp und Wilhelm Rohr unter dem Direktorat von Georg Winter. Vogels Engagement für die Edition der „Akten der Reichskanzlei aus der Zeit der Weimarer Republik“ war intensiver und effektiver als es auf den Titelblättern der von 1971 bis 1990 erschienenen Bände zum Ausdruck kommt. Seine eigentliche archivarische Leistung während des ersten Jahrzehnts des Bundesarchivs kann schwerlich hoch genug eingeschätzt werden.

Sie bestand in der Erfassung und Sicherung der schriftlichen Überlieferungen von Behörden und Dienststellen der westlichen Besatzungszonen aus den Jahren 1945 bis 1949. Diese wurden zur Grundlage der vom Bundesarchiv gemeinsam mit dem Institut für Zeitgeschichte in München herausgegebenen Editionsreihe der „Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland“, die in fünf Bänden von 1976 bis 1983 erschienen ist. Konzeptionell wie inhaltlich hat Walter Vogel zu dieser Reihe auch noch nach seinem Eintritt in den Ruhestand maßgeblich beigetragen, von den Herausgebern Hans Booms und Martin Broszat mit der Nennung seines Namens auf dem Titelblatt des ersten erschienenen Bandes ausdrücklich anerkannt.

In alleiniger Autorenschaft veröffentlichte Vogel in den „Schriften des Bundesarchivs“ von 1956 bis 1983 „Westdeutschland 1945 bis 1950. Der Aufbau von Verfassungs- und Verwaltungseinrichtungen über den Ländern der drei westlichen Besatzungszonen“; die Bände sind bis heute unentbehrliche Handbücher der Verwaltungsgeschichte der Zeit geblieben. Bereits im Jahre 1968 hatte er „Abraham Frowein. Erinnerungen an seine Tätigkeit im Deutschen Wirtschaftsrat bei der Britischen Kontrollkommission in Minden“ als selbständige Publikation herausgegeben. Einen wesentlichen Anteil hatte Vogel schließlich auch an der Konzeption und Vorbereitung der seit 1975 erscheinenden Editionsreihe „Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle“.

Die im Bundesarchiv während der ersten beiden Jahrzehnte nachwachsenden jüngeren Archivare wissen sich Walter Vogel vielfältig zu Dank verpflichtet. Im Umgang mit den Autoritäten seiner Generation wusste er durch seine Offenheit, sein geradliniges Auftreten zu vermitteln. In Dienstbesprechungen belebte er den Diskurs mit erfrischend „unfrisierten“ Fragen, ihm war die Klärung eines Sachverhalts entschieden wichtiger als die Rücksicht auf die Empfindlichkeiten des einen oder anderen Vorgesetzten. Er hatte Humor – eine Seltenheit unter den Archivaren seiner Generation zumindest im Bundesarchiv. Er scheute sich nicht, diesen auch im dienstlichen Alltag einzusetzen. Das konnte Vorgesetzte und Kollegen gelegentlich verstimmen, was ihn weniger irritierte als in sich gekehrt lächeln ließ. Derbe Casinowitze der Kollegen seiner Generation waren ihm zuwider, er selbst zog treffende Zitate von Wilhelm Busch vor. Das pflegten Vorgesetzte nur als Beweis einer Unabhängigkeit zu werten, die sie nicht immer zu akzeptieren bereit waren. Die Daten der dienstlichen Laufbahn seien hier noch genannt. Im Jahre 1964 nach längerer Wartezeit zum Oberarchivrat befördert, übernahm er 1966 als Archivdirektor die Leitung der damaligen Abteilung Staatliches Schriftgut. Im Jahre 1972 folgte mit der Übernahme der Leitung der Grundsatzabteilung und der Vertretung des neuen Präsidenten Hans Booms die Ernennung zum Leitenden Archivdirektor.

Der vorzügliche Kenner der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, der versierte Aktenkundler, übernahm Lehraufträge an den Universitäten von Tübingen 1966 bis 1970 und Frankfurt 1971 bis 1977 für Aktenkunde bzw. für Historische Hilfswissenschaften und Neueste Geschichte. Vogels reiche Erfahrung ließ ihn preußisch-bürokratische Attituden im Geschäftsgang des Bundesarchivs treffsicher entlarven, diese auch immer wieder spitz kommentieren. Bis zum Ende seiner Dienstzeit war er stets ein verlässliches Gegengewicht zur Amtsautorität. Seine Wirkung beruhte auf seiner eigen geprägten Persönlichkeit, auf der Qualität seiner Argumente, nie aber auf seiner Position in der Hierarchie. Seine Offenheit, seine immer wache Aufmerksamkeit für die wissenschaftlichen Interessen gerade auch der jüngeren Kollegen, die von ihm gelebte Alternative zu einem autoritären Verhalten dominieren die Erinnerung an die Zeit seines aktiven Dienstes. Hätte es in der Bundesverwaltung mehr Persönlichkeiten seiner Prägung gegeben, hätte sich die Bundesakademie viele ihrer Seminare zum Führungsstil ersparen können.

Seit Anfang der 50er Jahre rezensierte Walter Vogel in erstaunlich dichter Folge geschichtswissenschaftliche, insbesondere zeitgeschichtliche, gelegentlich auch politikwissenschaftliche Veröffentlichungen. Er schrieb sie überwiegend für Das Historisch-politische Buch, die 1953 begründete Zeitschrift. Schwerpunkte seiner Besprechungen bildeten Monographien und Editionen zur deutschen Geschichte seit der Zeit der Reichsgründung, verwaltungsgeschichtliche Werke, in jüngerer Zeit vermehrt auch Memoiren und Erinnerungen sowie biographisches Schrifttum. Die von ihm in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht sowie in Sammelwerken veröffentlichten Aufsätze hatten u. a. die Deutschlandfrage, die Sicherheitspolitik der USA, Einzelfragen der Zonenzeit zum Thema.

Walter Vogel waren mehr als drei Jahrzehnte des Nacherlebens seiner Dienstzeit gegönnt. Er blieb der Forschung wie der Entwicklung des Bundesarchivs eng verbunden, vielen jüngeren Kollegen war er ein geduldiger Ratgeber und geschätzter Zeitzeuge. Ihn zeichnete aus, dass er eher durch Fragen anzuregen wusste, denn fertige Einsichten oder Wertungen zu äußern. Im Erleben der deutschen Einigung schrieb der m. W. letzte Überlebende der Angehörigen des 1945 untergegangenen Reichsarchivs seine Studie „Der Kampf um das geistige Erbe. Zur Geschichte der Reichsarchividee und des Reichsarchivs als geistiger Tempel deutscher Einheit“, die 1994 als selbständige Veröffentlichung erschienen ist. Die Zusammenfassung der Überlieferungen deutscher Verfassungsorgane und Zentralbehörden seit Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Institution, dem Bundesarchiv, wenn auch an getrennten Orten, sah er als Erfüllung eines seit langer Zeit gehegten Konzepts, als Erfüllung auch seines Traums. Bis in die letzten Tage seines erfüllten Lebens nahm Walter Vogel am kulturellen Leben Bonns teil, besuchte von seiner Gemahlin unterstützt Konzerte, Vorträge. Er war ein regelmäßiger Benutzer der Wissenschaftlichen Bibliothek des Deutschen Bundestags, nach deren Umzug nach Berlin der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, um ihm wichtige Neuveröffentlichungen zu zeitgeschichtlichen Themen kennen zu lernen.

Er thematisierte diese, ergänzt um für ihn offen gebliebene Fragen in der Korrespondenz, in Gesprächen mit Kollegen, in den letzten Jahren mit Rücksicht auf seine Sehschwäche in vermehrten, zumeist abendlichen Telefonaten. In alter Verbundenheit zum Bundesarchiv besuchte er Vortragsveranstaltungen und Ausstellungseröffnungen in Koblenz, wann immer es sein von Altersbeschwerden zunehmend beeinträchtigter Gesundheitszustand erlaubte. Seit Begründung des informellen Kreises „ehemaliger Angehöriger des Bundesarchivs in Koblenz“ im Jahre 2002 nahm er in unwandelbarer Treue an dessen Treffen teil.

Walter Vogels Disziplin, seine Tapferkeit bei der Überwindung körperlicher Beschwerden, seine bis in die letzten Tage seines Lebens bewiesene wache Präsenz und Anteilnahme am aktuellen Geschehen bleibt für uns Jüngere ein unerreichbares Vorbild. Das von ihm gelebte Ideal eines Historikerarchivars mag im 21. Jahrhundert kaum noch zukunftsfähig sein. Dennoch bleibt Walter Vogel allen, die ihm begegneten und mit ihm zusammenarbeiteten, als ein vorbildlicher Archivar in Erinnerung, und sie fühlen sich ihm in großer Dankbarkeit verbunden.

Quelle: 33-cabinet.png Abgerufen am 9.4.2019. Bei WebCite® archivieren.Friedrich P. Kahlenberg: Walter Vogel †Der Archivar, Heft 2/2006


Werke (Auswahl)

  • Bismarcks Arbeiterversicherung – Ihre Entstehung im Kräftespiel der Zeit, Braunschweig 1951
  • Westdeutschland 1945-1950 – Der Aufbau von Verfassungs- und Verwaltungseinrichtungen über den Ländern der drei westlichen Besatzungszonen, 23 Auflagen zwischen 1956 und 1989
  • Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949, 19 Auflagen zwischen 1976 und 1989
  • Die Bauten der Stadt Heidenheim um 1830 – Ihre Beschreibung und erste maßstäbliche Kartierung, Stadtarchiv Heidenheim 1993
  • Der Kampf um das geistige Erbe – Zur Geschichte der Reichsarchividee und des Reicharchivs als geistiger Tempel deutscher Einheit, Bernard und Graefe, Bonn 1994