Wallenberg, Raoul
Raoul Wallenberg (geb. 4. August 1912 in Kappsta auf Lidingö bei Stockholm; gest. nach 16. Juli 1947, vermutlich ist er im Gulag umgekommen, von den Sowjets ermordet) war ein jüdischer Geschäftsmann und Diplomat in Schweden.
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Herkunft
Raoul Wallenberg war Sohn des jüdischen[1] Marineoffiziers in Schweden, Raoul Oscar Wallenberg,[2] der drei Monate vor seiner Geburt starb. Sein Großvater Gustav kümmerte sich maßgeblich um den Jungen. Die jüdische Mutter Maj Wising Wallenberg (Maria „Maj“ Sofia Wising) heiratete 1918 Frederik von Dardel.[3] Aus dieser Ehe ging seine Halbschwester Nina hervor, die den schwedischen Juristen Gunnar Lagergren heiratete und deren Tochter heute mit Kofi Annan verheiratet ist.
Die Familie Wallenberg zählt zu den reichsten Familien des Landes. Die 1856 von André Oscar Wallenberg gegründete Stockholms Enskilda Banken wurde von Sohn Knut Agaton Wallenberg als Skandinaviska Enskilda Banken zum führenden Geldinstitut Skandinaviens entwickelt. Wallenberg, ein Großneffe von Schwedens Außenminister Knut Agaton Wallenberg, wuchs in großbürgerlichen Verhältnissen auf und erhielt schon in jungen Jahren Gelegenheit, die verschiedensten Länder gründlich kennen zu lernen. Längere Zeit verbrachte er auch bei seinem Großvater Gustav.
Ausbildung
Raoul Wallenberg machte 1930 sein Abitur und studierte ab 1931 Architektur an der Ann Arbor-Universität in Michigan/VSA. 1935 kehrte er nach Schweden zurück.
Wirken
Da die Beschäftigungslage für angehende Architekten schlecht war, schickte ihn sein Großvater zu einer schwedischen Baustoff-Firma nach Kapstadt/Südafrika und besorgte ihm ein halbes Jahr später eine Anstellung bei einer niederländischen Bankfiliale in Haifa, Palästina. Im Juli 1944 ging er dann plötzlich als schwedischer „Diplomat“ nach Budapest. Raoul Wallenberg war schwedischer Vertreter bei der Horthy-Regierung in Ungarn. Er war maßgeblich daran beteiligt zu verhindern, daß Abertausende Juden des Landes zusammengefaßt und in gleichnamigen Lagern konzentriert wurden.
In Budapest verteilte Wallenberg gegen nicht geringe Gebühr falsche schwedische Pässe an die dortigen Juden und ließ sie in sogenannten Schwedenhäusern unterschlüpfen. Der Zweck der Aktion war, Juden gegen Gebühr von regelmäßiger Arbeit in Konzentrationslagern zu verschonen. Nach der derzeit offiziellen Geschichtsschreibung sollte er im Auftrag des „US-War Refugee Boards“ Juden vor einer angeblich drohenden „Vergasung“ retten.
- Den Tatsachen dürfte vielleicht am ehesten entsprechen, daß in den letzten Monaten des Jahres 1944, als Ungarn bereits zur Hälfte von den Sowjets erobert worden war, niemand mehr allzu große Lust hatte, das Ghetto irgendwohin umzusiedeln, geschweige denn die Insassen umzubringen.
Der eigentliche Zweck der Aktion könnte gewesen sein, die Juden als umdeklarierte Schweden vor dem drohenden Zugriff der Bolschewisten zu bewahren, da er Material über deren Verantwortung am Massenmord von Katyn gesammelt hatte. Offenbar hatte sich Wallenberg einen ähnlich gearteten Plan vorgestellt, dem Budapester Juden zum Opfer fallen sollten. Die Tatsache jedoch, daß sich auch unter den Bolschewisten viele Juden befanden, macht Wallenbergs Vorstellungen nicht gerade glaubhaft. Die Juden in Budapest betrachteten die Bolschewisten demnach auch als Verbündete, und halfen ihnen auf jede erdenkliche Weise, z. B. durch Lichtzeichen in der Nacht, durch Spionage u.ä. Tatsache ist, daß Stalin in Katyn kaltblütig zehntausende von Polen ermorden ließ, um dieses Verbrechen anschließend Deutschland anlasten zu können. Eine ähnliche Aktion zur neuerlichen Diffamierung Deutschlands hätte in das stalinsche Kalkül gepaßt, zumal zum damaligen Zeitpunkt noch nicht klar war, daß Ungarn nach dem Krieg tatsächlich dem sowjetischen Machtbereich zufallen würde.
Mit wachsendem zeitlichen Abstand wächst allerdings auch die Zahl der von Wallenberg betreuten Juden. Während frühere Quellen es bei Tausenden belassen, die er mit falschen schwedischen Pässen versorgte, sprechen andere Quellen von „Zehntausenden von Geretteten“, wobei die Spitze bei über Hunderttausend liegt.
Am 15. Oktober 1944 verkündete Reichsverweser Horthy eine Waffenruhe mit der Sowjetunion und den Austritt Ungarns aus dem Krieg. Da nach dem ungarischen Übertritt Verrat von jüdischer Seite angenommen wurde, versuchten Pfeilkreuzler, das Judenghetto zu besetzen. Der Wehrmachtsgeneral Gerhard Schmidhuber verhinderte dies, indem er das Ghetto von deutschen Truppen bewachen ließ. Ein Vorgang, der in Anbetracht einer angeblich geplanten „Vergasung“ dann ja nun wirklich völlig unnötig gewesen wäre.
Die Pfeilkreuzler, die weiterhin an der Seite Deutschlands gegen den Bolschewismus kämpfen wollten, erzwangen den Rücktritt Horthys und brachten eine Koalitionsregierung unter der Führung von Ferenc Szálasi an die Macht. Nach der Eroberung von Budapest durch die sowjet-Bolschewisten wurde Wallenberg am 17. Januar 1945 von der Sondereinheit SMERSH des sowjetischen Geheimdienstes verhaftet und in das Moskauer Lubjanka-Gefängnis verbracht. Grund der Verhaftung war, daß man in seinem Auto Gold und Schmuck in großem Wert fand, und Wallenberg konnte die Quelle und Eigentumsverhältnisse dieser Wertsachen nicht klären. Seit April 1945 wurde dann jedoch bestritten, Raoul Wallenberg überhaupt gefangengenommen zu haben, er sei nicht in Moskau, man wisse nichts über seinem Verbleib. Am 6. Februar 1957 gab dann aber der stellvertretende sowjetische Außenminister Gromyko zu, daß der „schwedische Diplomat“ inhaftiert wurde. Er sei aber in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1947 im Alter von 35 Jahren in Gefangenschaft an „Herzversagen“ verstorben.[4] Demgegenüber erklärte am 11. Februar 1957 der ehemalige deutsche Diplomat Ernst Wallenstein, er habe sich noch im November 1947 mit Wallenstein, den er persönlich kannte, durch Klopfzeichen im Moskauer Leffortoskaja-Gefängnis täglich unterhalten.
Wallenberg soll VS-amerikanisch-sowjetischer Doppelagent gewesen sein. Zu dieser Annahme kommt eine deutsch-ungarisch-russisch-schwedische Historikerkonferenz im Jahre 2001 in Berlin. Die Konferenz ist aber wenigstens so ehrlich, zuzugeben, es gebe über Wallenberg in den VSA und Schweden Papiere, die immer noch unter Verschluß gehalten werden.[5] Spekuliert wird, daß er von den Sowjets zurückgeholt wurde und dort weiterhin unbehelligt lebte. Somit wäre sein Tod nur vorgetäuscht gewesen, um ihn mit einer anderen Identität zu versehen.[6]
Wallenberg hatte zahlreiche Unterlagen über den sowjet-bolschewistischen Massenmord von Katyn gesammelt. Für die Amerikaner sprach eine wichtige Tatsache gegen einen lauten Protest in Sachen Katyn, nämlich daß im Falle Katyn die gleichen sowjetischen Ermittler ermittelt und die „Schuld“ der Deutschen festgestellt hatten, die auch in Sachen KL Auschwitz ermittelt und die „Gaskammern“ der Welt präsentiert hatten. Bei der Eroberung von Budapest im Januar 1945 fiel die Nationalbank in sowjetische Hände, wo sie nicht nur die Wertgegenstände, sondern auch das Archiv fanden. In diesem Archiv befanden sich auch Dokumente über das Verbrechen von Katyn, die Raoul Wallenberg von den mit ihm in Verbindung stehenden Polen erhalten hatte. Der „schwedische Diplomat“ verschwand daraufhin. Er wurde von den Amerikanern geopfert, um die Glaubwürdigkeit der Nürnberger Prozesse nicht zu erschüttern.
Am 22. Dezember 2000 rehabilitierte die russische Generalstaatsanwaltschaft Wallenberg und seinen ebenfalls verschwundenen Fahrer Vilmos Langfelder und erklärte, dass beide Schweden von „außerhalb des Justizsystems stehenden Sowjet-Organen“ ohne Grundlage verhaftet und „aus politischen Gründen ihrer Freiheit beraubt worden“ seien. Wallenberg sei 1947 im Moskauer Hauptquartier des Geheimdienstes KGB aus politischen Gründen erschossen worden. Die Ermordung werde durch geheime Unterlagen der Militärstaatsanwaltschaft belegt, sagte ein Mitglied der russischen Rehabilitierungskommission für Opfer der Stalinzeit. Die Generalstaatsanwaltschaft gestand ausdrücklich ein, dass es im Laufe der Untersuchung nicht gelungen sei, die genauen Gründe für die Inhaftierung Wallenbergs und Langfelders und die näheren Umstände ihres Todes festzustellen. Der Vorwurf der Spionage für die deutsche Abwehr sei nachweislich falsch gewesen. Die genauen Todesumstände seien nicht mehr feststellbar, da alle Unterlagen vernichtet seien.
Auszeichnungen
Wallenberg zu Ehren wurde der Raoul-Wallenberg-Preis für besonderes humanitäres Engagement gestiftet. Die jüdische Raoul-Wallenberg-Loge des B’nai B’rith-Ordens trägt seinen Namen. Auf Initiative des jüdischen Kongreßabgeordneten Tom Lantos wurde Wallenberg als dritter Ausländer nach Lafayette und Churchill zum US-Ehrenbürger erklärt.[1]
Wallenberg wurde 1948 von Albert Einstein für den Friedens-Nobelpreis vorgeschlagen und 1952 mit dem schwedischen Orden „Illis quorum“ für humanitäre Verdienste ausgezeichnet. Der US-Kongreß verlieh ihm 1981 als zweitem Ausländer nach Winston Churchill die US-amerikanische Ehrenbürgerschaft. Im Jahre 1983 erhielt Wallenberg ebenso die Ehrenbürgerschaft Israels.
In Budapest stehen etliche Wallenberg-Statuen an öffentlichen Plätzen, der Volksmund nennt ihn inzwischen „Vladimir Iljitsch Wallenberg“ in Anlehnung an die zahlreichen Lenin-Statuen während der sowjet-bolschewistischen Besatzung nach 1945.
Literatur
- Karl Richter: Risse im Wallenberg-Denkmal, in: Rolf Kosiek / Olaf Rose (Hgg.): Der Große Wendig, Bd. 2, Grabert Verlag, Tübingen 2006, S. 168 f.