An allem sind die Juden schuld
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An allem sind die Juden schuld ist ein politisch-satirischer Chanson des jüdischen Komponisten Friedrich Hollaender aus dem Jahr 1931.[1]
Das Lied, im September 1931 als Teil der Revue Spuk in der Villa Stern in Hollaenders Berliner Kabarett Tingel-Tangel-Theater uraufgeführt, wendet sich gegen Kritik an den Juden, indem es eben jene Kritik durch eine absurde Darstellung lächerlich zu machen versucht.
Inhaltsverzeichnis
Die Revue
Hollaender gehörte zu jenen, die sich im Showgeschäft anfang der dreißiger Jahre nicht in politischer Belanglosigkeit verloren. In der satirischen Revue „Spuk in der Villa Stern“, aus der das Lied stammt, trat auch der Spuk persönlich auf und sang: „Huhu! Du Du! Ich bin der kleine Hitler und beiße plötzlich zu! Ihr alle werdet in den bösen Sack gesteckt! Huhu! Hihi! Haha? Wauwau! – Kein Aas hat sich erschreckt!“ Er gab sich auch als Münchhausen, der das Blaue vom Himmel log und am Ende gleichermaßen vorgeführt wurde: „Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, Lüge, alles was der Mann geseh'n, aber er erzählt so schön!“[2]
Aufbau und satirische Technik des Liedes
- „An allem sind die Juden schuld!
- Die Juden sind an allem schuld!
- Wieso, warum sind sie dran schuld?
- Kind, das verstehst du nicht, sie sind dran schuld.
- Und Sie mich auch! Sie sind dran schuld!
- Die Juden sind, sie sind und sind dran schuld!
- Und glaubst du’s nicht, sind sie dran schuld,
- an allem, allem sind die Juden schuld!
- Ach so!“
Die einzelnen Strophen ergehen sich in augenzwinkernder Weiter- und Übertreibung gängiger Vorwürfe gegen das Judentum, wie z. B. der Verantwortlichkeit für Weltkatastrophen wie den Ersten Weltkrieg, die Russischen Revolution von 1917 oder die Wirtschaftskrisen der Nachkriegszeit, also umfassende politische und wirtschaftliche Ereignisse und Prozesse, die nur sehr bedingt der Kontrolle einzelner Menschen unterliegen. So sind die Juden im Lied beispielsweise daran schuld, daß es regnet, hagelt, schön ist oder bewölkt, der Schnee weiß und kalt ist und das Feuer heiß, das Einkommen falsch geschätzt wurde oder „ob du hustest, ob du niest“.
Während Hollaender den Text des Liedes selbst verfaßte, griff er bei der Melodie, mit der er seinen Text unterlegte, auf die Arie „Habanera“ aus Georges Bizets Oper Carmen zurück. Und die Erstinterpretin Annemarie Hase trug es auch recht „spanisch“ vor.
Obwohl Hollaenders Text keine Beziehung zum Originaltext hat, soll mit der Melodie die Verknüpfung zu dem Originaltext bewußt gemacht werden. In der Entstehungszeit des Chansons wurden Opern im deutschsprachigen Raum üblicherweise in deutscher Übersetzung gesungen. Während im Original gesungen wird, daß die „Liebe von Zigeunern stammt“, behauptet die Parodie in Umkehrung, daß alles nur erdenkliche Übel von Juden herrühre.
Rezeption
Der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens erhob kurz nach der Premiere von Hollaenders Chanson Protest: Er charakterisierte das Stück als „Schulbeispiel einer Verkennung und Verzerrung […], wie sie die antisemitische Agitation nicht anders darstellen würde“ und nannte das Chanson „widerlich und abstoßend“.
Eine Rezension in der katholisch geprägten Zeitung „Germania“ urteilte: „Die Revue wurde geschrieben für ein jüdisches Publikum, das sich zu nobilitieren glaubt, indem es seine Affekte und Komplexe gegen das Milieu, in dem es zu leben gezwungen ist, abreagiert in einer Weise, die einen voreingenommenen Goi leicht antisemitisch machen kann.“
Hollaenders Revue erwies sich trotz solcher Kritik als ausgesprochen erfolgreich. Bereits im November 1931 wurde sie zum 100. Mal aufgeführt: „Hollaender bleibt Friedrich der Große in dieser Art von Kleinkunst.“ hieß es im Film-Kurier.[1]
Während der Rest der Revue bald in Vergessenheit geriet, erwies sich An allem sind die Juden schuld als ein dauerhaft populäres Lied. Nach Annemarie Hase wurde das Stück unter anderem noch von bekannten Künstlern wie Marlene Dietrich, Katja Ebstein, Irmhild Wagner und Bernd Stephan interpretiert. Im Fernsehen wurde es darüber hinaus unter anderem als Hintergrundmusik einer Szene der Filmbiographie „Hitler – Der Aufstieg des Bösen“ verwendet.
Bekannte Namen
Im Lied werden neben Alltäglichkeiten einige damals bekannte und tagesaktuelle Namen genannt:
- Ob der Prinz of Wales schwul – Wer damit genau gemeint ist, ist unbekannt. Der damalige Prince of Wales war Eduard VIII. Dieser dankte 1936 sogar ab, um eine geschiedene Amerikanerin heiraten zu können. In den 1920er Jahren besuchte er das Wiener Zentralbad. Im März 1926 suchte das Freundschaftsblatt den „Namen der Persönlichkeit, die sie für die populärste unserer Bewegung halten“. In den ausgewerteten Antworten taucht dabei auch „The Prince of Wales“ auf, ohne ihn jedoch genauer zu spezifizieren.[2]
[…]
- Ob der Dietrich dich versteuert – Hermann Dietrich war von 1930 bis 1932 deutscher Finanzminister.
- Ob die Dietrich Kopf bis Fuß – Spielt auf Marlene Dietrich an und ihren Welthit „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, ebenfalls von Hollaender, aus dem 1930 angelaufenen Film Der blaue Engel
- Ob Okasa sich verteuert – „Okasa“ ist ein Regenerationspräparat für den Mann, das auch Organextrakt aus Testes enthält.
- Ob ’ne Jungfrau sagt, ich tu’s – Ist ein thematischer Zusammenhang zu Okasa.
- Ob es kriselt bei der Danat – Die Danat-Bank war damals die zweitgrößte Bank Deutschlands. Nach anfänglichen Gerüchten vom 17. Juni wurde sie am 13. Juli letztendlich zahlungsunfähig. Ihr Zusammenbruch erschütterte das Vertrauen der Kunden und löste eine allgemeine Abhebewelle aus, die zur Deutschen Bankenkrise führte.
[…]
- Ob die Garbo ’n hohlen Zahn hat – Greta Garbo
[…]
- Daß der Heine gar nicht übel – wahrscheinlich Heinrich Heine
- Und der Einstein ganz begabt – Albert Einstein
Nach jeweils acht solcher Zeilen folgt der Kehrreim: „An allem sind die Juden schuld!“
Ausgaben
Da die Revue erfolgreich war, machte Electrola eine Aufnahme mit der Originalinterpretin Annemarie Hase und fertigte Testpressungen an. Obwohl die Platte nie im Handel erschien, sind einige Exemplare erhalten geblieben und die Aufnahme wurde auf CD wiederveröffentlicht. Möglicher Grund für die Nichtveröffentlichung kann die Wirtschaftskrise gewesen sein, da auch die Plattenfirmen aufgrund mangelnder Nachfrage ihre Produktion drosselten.[2]
Eine Notenausgabe des Chansons ist in dem Buch: Walter Rösler: Das Chanson im deutschen Kabarett 1901–1933, Henschelverlag, Berlin 1980, auf den Seiten 295–296 abgedruckt.